Oberlandesgericht Düsseldorf
Teilurteil vom 14. Februar 2008, Az. 2 U 90/07
Der Antrag der Beklagten, die von der Klägerin zu 2) zu leistende Vollstreckungssicherheit auf mehr als 1.600.000 EUR festzusetzen, wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
I.
Die Klägerinnen nehmen die Beklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 0 756 xxx (Klagepatent) auf Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung und Schadenersatz in Anspruch. Die Klägerin zu 1) ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents; die Klägerin zu 2) ist seit dem 01.01.2006 ausschließliche Lizenznehmerin. Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet in deutscher Übersetzung wie folgt:
Verfahren zum Erzeugen eines medizinischen Modells auf Basis von digitaler Bildinformation von einem Körperteil, gemäß dessen diese Bildinformation von einem Körperteil mittels der sogenannten „Rapid Prototyping“-Technik und somit mit einer Bearbeitungseinheit (4) und einer Rapid-Prototyping-Maschine (5) in ein Basismodell (9) umgesetzt wird, wovon zumindest ein Teil die positive oder negative Form mindestens eines Teils des Körperteils zeigt, dadurch gekennzeichnet, dass dem Basismodell (9) zumindest ein künstliches funktionelles Element (10) mit einer nützlichen Funktion zugeordnet wird, in Funktion der digitalen Bildinformation in der Form, worin alle medizinischen Daten sichtbar sind, das heisst, in der Grauwert-Bildinformation, vor dem Segmentieren, wobei die nützliche Funktion des funktionellen Elements ein Anzeichen für einen physischen Parameter ist, wie etwa eine Position, eine Richtung, eine Länge oder einen Winkel, die während eines chirurgischen Eingriffs wichtig sind, oder die Form einer Knochenerhöhung.
Die Beklagte zu 1) – nach der Behauptung der Klägerinnen auch die Beklagte zu 2) – vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland seit Juli 2005 die Software „A“. Sie dient zur Planung des Einsatzes von Zahnimplantaten. Operationsschablonen, welche die Kunden der Beklagten mit Hilfe der A-Software entwerfen können, lässt die Beklagte zu 2) in Schweden oder den USA herstellen; sie werden alsdann von der Beklagten zu 1) an ihre deutschen Kunden ausgeliefert.
Mit Urteil vom 14.08.2007 hat das Landgericht die Beklagten unter anderem gegenüber der Klägerin zu 2) verurteilt, es zu unterlassen, das patentgemäße Verfahren anzuwenden (§ 9 Nr. 2 PatG) sowie unmittelbar durch das besagte Verfahren hergestellte Modelle anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen (§ 9 Nr. 3 PatG). Ferner hat das Landgericht angeordnet, dass das Urteil vorläufig vollstreckbar ist, und zwar für die Klägerin zu 2) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.600.000 €.
Das Urteil ist den Beklagten am 3.09.2007 zugestellt worden. Mit bei Gericht am 28.09.2007 eingegangenem Schriftsatz haben die Beklagten Berufung eingelegt, welche sie unter dem 5.12.2007 begründet haben. Termin zur Verhandlung über die Berufung der Beklagten ist auf den 18.12.2008 bestimmt.
Vorab begehren die Beklagten, die von der Klägerin zu 2) zu leistende Vollstreckungssicherheit von 1.600.000,– EUR auf 27.000.000,– EUR heraufzusetzen. Sie sind der Auffassung, dass der Senat zur Frage der Patentverletzung ein Sachverständigengutachten einzuholen und außerdem den Rechtsstreit im Hinblick auf eine gegen den deutschen Teil des Klagepatents anhängige Nichtigkeitsklage auszusetzen haben wird. Von daher sei die voraussichtliche Dauer des Berufungsverfahrens mit 3,5 Jahren zu veranschlagen, so dass während dieses Zeitraumes eine Vollstreckung auf der Grundlage des landgerichtlichen Urteilssausspruchs stattfinden könne. Die vom Landgericht festgesetzte Sicherheit von 1.600.000,– EUR decke den allein aus dem Unterlassungsgebot resultierenden Vollstreckungsschaden bei weitem nicht ab. Dieser belaufe sich nämlich für die maßgebliche Zeit bis März 2011 (dem voraussichtlichen Ende des Berufungsverfahrens) auf 27.000.000,– EUR. Wegen der Einzelheiten der – von den Klägerinnen bestrittenen – Schadensberechnung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 30.11.2007 (GA II 250-278) verwiesen.
Die Klägerin hat den Unterlassungsausspruch noch nicht vollstreckt und beabsichtigt dies nach ihrer Einlassung derzeit auch nicht.
II.
Der nach § 718 Abs. 1 ZPO zulässige Antrag der Beklagten, die Anordnung des Landgerichts über die vorläufige Vollstreckbarkeit seines Urteils zu ändern, bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1.
§ 718 ZPO verfolgt den Zweck, eine vorinstanzlich fehlerhafte Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit vor einer zweitinstanzlichen Sachentscheidung zu korrigieren (Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 718 ZPO Rn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Aufl., § 718 ZPO Rn. 1; MK zur ZPO, 3. Aufl., § 718 Rn. 1; Saenger, ZPO, 2006, § 718 Rn. 1; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, Band I, 3. Aufl., § 718 Rn. 2). Einer von Anfang an bestehenden Unrichtigkeit steht dabei der Fall gleich, dass die landgerichtliche Vollstreckbarkeitsentscheidung aufgrund nachträglicher, erst im Anschluss an den Schluss der erstinstanzlichen Verhandlung eingetretener Umstände unzutreffend geworden ist (OLG Hamm, OLGR 1995, 264; OLG Koblenz, RPfl 2004, 509; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO; Groeger, NJW 1994, 431, 432). Ein darüber hinausgehender Anwendungsbereich kommt der Vorschrift des § 718 ZPO demgegenüber nicht zu. Sie gestattet es einer Partei insbesondere nicht, erstmals im Berufungsrechtszug einen streitigen Sachverhalt vorzutragen, der bereits dem Landgericht hätte unterbreitet werden können, und gestützt hierauf eine Erhöhung oder Ermäßigung der festgesetzten Sicherheitsleistung zu verlangen. Soweit in der Rechtsprechung (OLG Köln, GRUR 2000, 253 – Anhebung der Sicherheitsleistung) und Literatur (Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 718 Rn. 2) eine gegenteilige Auffassung vertreten wird, schließt sich der Senat dem aus den nachfolgenden Gründen nicht an.
Es trifft zu, dass die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung (§ 709 ZPO) keinen Antrag der Parteien voraussetzt und über die Sicherheitsleistung, namentlich deren Höhe, von Amts wegen zu befinden ist. Ungeachtet dessen ist für die rechtliche Beurteilung jedoch entscheidend, dass der für die richtige Bemessung der Sicherheitsleistung maßgebliche Sachverhalt nur von den Parteien beigesteuert werden kann und dass es in erster Linie der Beklagte ist, der kraft seines überlegenen Wissens diejenigen Umstände aufzudecken in der Lage ist, die im Zusammenhang mit seinem Geschäftsbetrieb die Entstehung eines bestimmten Vollstreckungsschadens befürchten lassen. Nur er ist gewöhnlich während des landgerichtlichen Verfahrens im Bilde über den genauen Umfang der Verletzungshandlungen und nur er kann aufgrund seiner Kenntnis der Umsatz- und Gewinnsituation sowie der von einem etwaigen Unterlassungsgebot betroffenen Kundenbeziehungen verlässlich abschätzen, welche finanziellen Nachteile eine Vollstreckungsmaßnahme des Klägers mit sich bringen wird. Insofern ist es auch vordringlich die Verantwortlichkeit des Beklagten, dem Landgericht einen Sachverhalt vorzutragen, der diesem eine der tatsächlichen Sachlage entsprechende, d.h. sämtliche aus einer Vollstreckung drohende Schäden abdeckende Festsetzung der Sicherheitsleistung ermöglicht. In ganz besonderem Maße gilt dies für solche dem Einblick des Klägers entzogenen betrieblichen Umstände, die die Entstehung eines außergewöhnlich hohen, bisher im Rechtsstreit erkennbar nicht in Erwägung gezogenen Schadens erwarten lassen. Eine solche Situation liegt typischerweise vor, wenn der zu erwartende Vollstreckungsschaden den – in der Regel bereits in der Klageschrift angegebenen – Streitwertbetrag überschreitet. Denn es entspricht einer – soweit ersichtlich – allgemein gebräuchlichen Praxis der Verletzungsgerichte, die Vollstreckungssicherheit, solange keine konkreten Anhaltspunkte für einen darüber hinausgehenden Schaden bestehen, in Höhe des Streitwertes festzusetzen (vgl. Senat, NJOZ 2007, 451, 455). Jedem Beklagten muss deswegen klar sein, dass der Kläger im Falle einer seinen Anträgen stattgebenden Entscheidung gegen eine dem Streitwert entsprechende Sicherheitsleistung imstande sein wird, den landgerichtlichen Urteilsausspruch zu vollstrecken. Bestehen deshalb Anhaltspunkte dafür, dass eine so bemessene Sicherheit den voraussichtlichen Vollstreckungsschaden nicht abdecken wird, ist es für den Beklagten ein Gebot interessengerechter Rechtsverteidigung, diejenigen Umstände einzuwenden, die im Streitfall eine höhere Sicherheitsleistung erfordern. Irgendein Grund, den Beklagten aus seiner Pflicht zu entsprechendem Sachvortrag bereits im Verfahren vor dem Landgericht zu entlassen, besteht nicht. Gegen eine Suspendierung von der Vortragslast spricht vielmehr, dass die Vorab-Entscheidung nach § 718 ZPO ein Erkenntnis in einem laufenden Berufungsverfahren darstellt. Sie teilt deshalb den gesetzlichen Zweck eben dieses Rechtsmittelverfahrens, Entscheidungen des Landgerichts auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und fehlerhafte Entscheidungen zu korrigieren. Mit der geschilderten Zielsetzung ist es nicht zu vereinbaren, dass die festgesetzte Höhe der Sicherheitsleistung mit einem streitigen Sachvortrag zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt werden kann, der dem Landgericht vorenthalten worden ist und den dieses infolge dessen auch bei seiner Entscheidungsfindung nicht hat berücksichtigen können. Angesichts des dargelegten Charakters eines Berufungsverfahrens erübrigt sich eine ausdrückliche Präklusionsvorschrift, weswegen aus ihrem Fehlen auch nichts für die Zulässigkeit neuen Sachvortrages im Hinblick auf den Vollstreckungsschaden hergeleitet werden kann.
Die Notwendigkeit, zu einem aus der Zwangsvollstreckung drohenden Schaden bereits in erster Instanz vorzutragen, bringt den Beklagten zwar in die Situation, dem Kläger seine Umsatz- und Gewinnverhältnisse schon zu einem Zeitpunkt offenbaren zu müssen, zu dem er noch nicht verurteilt und ggf. mit guten Gründen der Meinung ist, sich gegen die Klage erfolgreich verteidigen zu können. Auch diesem Umstand kann indessen eine entscheidende Bedeutung nicht beigemessen werden. Um einen bestimmten Vollstreckungsschaden hinreichend glaubhaft zu machen, bedarf es in der Regel weder einer ins Einzelne gehenden Rechnungslegung noch der Ausbreitung von Geschäftsinterna, an deren Geheimhaltung der Beklagte, solange er nicht verurteilt ist, selbstverständlich ein prinzipiell anerkennenswertes Interesse hat. Vielmehr reicht eine generalisierende Darstellung, die die behaupteten Umsatz- und Gewinnzahlen – was ausreicht – nachvollziehbar und plausibel macht. Hierzu wird es vielfach genügen, auf Dritten ohnehin zugängliche Unterlagen (wie Geschäftsberichte oder dergleichen) zurück zu greifen oder eine nach Maßgabe der obigen Ausführungen spezifizierte eidesststattliche Versicherung des Geschäftsführers oder eines sonst zuständigen Mitarbeiters vorzulegen.
2.
Im Streitfall stützen die Beklagten ihr Begehren auf Erhöhung der Vollstreckungssicherheit auf ihre Umsätze und Gewinne mit der A-Software, mit Bohrschablonen sowie verschiedenen Zubehörteilen. Sie legen dabei zunächst konkrete Verkaufszahlen für die Zeiträume von Juli 2005 bis Juni 2006 und Juli 2006 bis Juni 2007 sowie die Entwicklung ihrer allgemeinen Gewinnsituation in den Jahren 2004, 2005, 2006 und 2007 zugrunde. Mit Rücksicht darauf, dass die mündliche Verhandlung vor dem Landgericht am 24.07.2007 geschlossen worden ist, hätte das betreffende Zahlenmaterial – zumindest der weitaus größte und kaum weniger aussagekräftige Teil davon – bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können. Die Beklagten selbst stellen nicht in Abrede, dass jedenfalls die Umsatz- und Gewinnzahlen bis 31.03.2007 vorgelegen haben, und sie behaupten auch nicht, dass sich unter zusätzlicher Einbeziehung der Geschäftsdaten betreffend das 2. Quartal 2007 ein nennenswert anderer Umsatz- und Gewinnbetrag für die Zeit bis Ende Juni 2007 ergeben hat als derjenige, der in erster Instanz anhand der Zahlen bis zum 1. Quartalsende 2007 hätte vorgetragen werden können. Schon dem Landgericht hätte deshalb auch der mutmaßlich in der Zukunft drohende Schaden, der auf eben diesen in der Vergangenheit erwirtschafteten Umsätzen und Gewinnen fußt, dargelegt werden können. Soweit die Beklagten erstmals im Schriftsatz vom 12.02.2008 geltend machen, dass „sich der große Markterfolg erst nach dem Ende des 2. Quartals 2007 manifestiert“ habe, ist diese Einlassung unbeachtlich. Sie widerspricht dem Umstand, dass sich die Schadensprognose der Beklagten ausdrücklich auf die tatsächliche Umsatz- und Gewinnentwicklung in der Zeit von Juli 2005 bis Juni 2007 – und nicht auf Geschäftsdaten aus der Zeit nach dem 2. Quartal 2007 – stützt. Dass es sich bei dem bereits dem Landgericht zu präsentierenden Zahlenmaterial um Betriebsgeheimnisse handelt, machen die Beklagten nicht geltend; dafür ist auch sonst nichts ersichtlich.
III.
Obwohl es für die Entscheidung über den Antrag der Beklagten darauf an sich nicht mehr ankommt, weist der Senat darauf hin, dass es – für den Fall eines berücksichtigungsfähigen Vorbringens zur Höhe des Vollstreckungsschadens – nicht zulässig ist, im Rahmen des Verfahrens nach § 718 ZPO in eine Prüfung über die Erfolgsaussichten der Berufung einzutreten, wie die Beklagten dies mit ihrem Einwand geltend machen, die von der Klägerin zu 2) zu leistende Sicherheit habe die gesamte Dauer des Berufungsverfahrens abzudecken, welche maßgeblich dadurch bestimmt werde, dass der Senat – anders als das Landgericht – ein Sachverständigengutachten zur Verletzungsfrage einzuholen und den Rechtsstreit bis zum mindestens erstinstanzlichen Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens auszusetzen habe. Für die Zwecke der Vorabentscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist im Gegenteil zu unterstellen, dass das landgerichtliche Urteil in der Sache zutreffend ist, und lediglich der Frage nachzugehen, ob die vom Landgericht für seinen Ausspruch festgesetzte Sicherheitsleistung denjenigen Schaden hinreichend absichert, der dem Beklagten aus der Vollstreckung eben dieses – hinzunehmenden – Urteilsausspruchs droht. Jegliche Erwägungen darüber und jegliche Prognose dazu, ob das Rechtsmittel durchgreifen wird, verbieten sich im Vorabentscheidungsverfahren nach § 718 ZPO (allgemeine Meinung; vgl. nur OLG Karlsruhe, FamRZ 1987, 496; MK, aaO; Stein/Jonas, aaO, § 718 Rn. 4; Musielak, ZPO, 5. Aufl., § 718 Rn. 1). Solange nicht tatsächlich eine Beweiserhebung angeordnet oder eine Aussetzung des Verletzungsrechtsstreits beschlossen ist (und infolge dessen ein neuer, bei der bisherigen Festsetzung der Sicherheitsleistung möglicherweise noch nicht berücksichtigter Umstand vorliegt), ist damit auch eine Betrachtung dahingehend unzulässig, dass das landgerichtliche Urteil nicht ohne weiteres, sondern erst nach ergänzender Beweiserhebung und/oder Vorliegen einer Nichtigkeitsentscheidung bestätigt werden könnte.
Des weiteren hat derjenige in der Vergangenheit liegende Zeitraum außer Betracht zu bleiben, während dessen die Klägerin zu 2) eine Unterlassungsvollstreckung tatsächlich nicht betrieben hat und die Beklagten infolge dessen ungehindert am Markt tätig waren. Schadensrelevant kann – derzeit – nur die Zeitspanne zwischen der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sitzung am 14.02.2008 (bis zu der keine Vollstreckungsmaßnahmen vorgenommen worden sind) und der am 18.12.2008 stattfindenden mündlichen Berufungsverhandlung (zuzüglich einer üblichen Spruchfrist) sein, in der ein Vollstreckungsschaden der Beklagten überhaupt noch denkbar ist.