4b O 83/08 – Skibindung für das Skispringen

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1147

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 21. April 2009, Az. 4b O 83/08

I.
Der Beklagte wird verurteilt,

1.
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle bis insgesamt zu zwei Jahren, zu unterlassen,
Skibindungen für das Skispringen mit einer vorderen Sohlenhaltevorrichtung und einer das Abheben des Stiefelabsatzes vom Ski zulassenden Fersenhaltevorrichtung, die ein allseits bewegliches Zugglied aufweist, das einerseits am Ski und andererseits mittels einer teilbaren Befestigungsvorrichtung, von der der eine Teil am Stiefelabsatz anordenbar und der andere Teil am Zugglied angeordnet ist, am Stiefelabatz befestigbar ist,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

bei denen die vordere Sohlenhaltevorrichtung derart ausgebildet ist, dass die Stiefelspitze nach allen Richtungen formschlüssig gehalten werden kann und dass die Fersenhaltevorrichtung ausschließlich durch das Zugglied gebildet ist, das undehnbar ausgebildet ist und ein ungehindertes Abheben des Stiefelabsatzes bis zu einer vorbestimmen Höhe zulässt;

2.
der Klägerin unter Beifügung von Rechnungen darüber Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, in welchem Umfang der Beklagte die unter 1. bezeichneten Handlungen seit dem 30. Mai 2001 begangen hat, und zwar unter Angabe:

a)
der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen sowie der Namen und der Anschriften der Abnehmer,

b)
der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen sowie der Namen und der Anschriften der Angebotsempfänger,

c)
der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

d)
der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Herstellungs- und Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

e)
wobei es dem Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und der nichtgewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern der Beklagte die durch die Einschaltung des Wirtschaftsprüfers entstehenden Kosten trägt und ihn zugleich ermächtigt, der Klägerin auf Antrag mitzuteilen, ob bestimmte nichtgewerbliche Abnehmer oder Angebotsempfänger in der erteilten Rechnungslegung enthalten sind.

II.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch die vorstehend zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 30. Mai 2001 entstanden ist und künftig noch entstehen wird.

III.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

IV.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 150.000,00 € vorläufig vollstreckbar.

V.
Der Streitwert wird auf 150.000,00 € festgesetzt.

T a t b e s t a n d

Die Klägerin ist seit dem 30. Mai 2001 eingetragene Inhaberin des Europäischen Patents 0 548 XXX B 1 (Anlage K 1, nachfolgend: „Klagepatent“), dessen ursprüngliche Inhaberin die A GmbH war und welches die Priorität der DE 41 42 XXX vom 20. Dezember 1991 in Anspruch nimmt. Der Hinweis auf die Patenterteilung erfolgte am 10. März 1999. Das Klagepatent steht in Kraft.

Der Hauptanspruch 1 des Klagepatents lautet ohne Bezugszeichen:

„Skibindung für das Skispringen mit einer vorderen Sohlenhaltevorrichtung und einer das Abheben des Stiefelabsatzes vom Ski zulassenden Fersenhaltevorrichtung, die ein allseits bewegliches Zugglied aufweist, das einerseits am Ski und andererseits mittels einer teilbaren Befestigungsvorrichtung, von der der eine Teile am Stiefelabsatz anordenbar und der andere Teil am Zugglied angeordnet ist, am Stiefelabsatz befestigbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass die vordere Sohlenhaltevorrichtung derart ausgebildet ist, dass die Stiefelspitze nach allen Richtungen formschlüssig gehalten werden kann, und dass die Fersenhaltevorrichtung ausschließlich durch das Zugglied gebildet ist, das undehnbar ausgebildet ist und ein ungehindertes Abheben des Stiefelabsatzes bis zu einer vorbestimmbaren Höhe zulässt.“

Nachfolgend eingeblendet sind die Figuren 1, 6 und 7 des Klagepatents, welche bevorzugte Ausführungsbeispiele der klagepatentgemäßen Erfindung erläutern. Figur 1 zeigt eine vordere Sicherheitsbindung, bestehend aus Grundteil, Auslöseteil und Führungsbacken mit Spannvorrichtung und Explosionsdarstellung; die Figur 6 zeigt eine Sicherheitsbindung mit verschwenktem Teil der Fersenhaltevorrichtung beim Auslösvorgang; Figur 7 zeigt eine Ansicht einer weiteren Ausgestaltung einer Fersenhaltevorrichtung.

Der Beklagte stellt in Finnland Skibindungen für das Skispringen unter der Bezeichnung „B“ her, deren Ausgestaltung anhand der nachfolgenden Abbildung ersichtlich ist (Seite 1 des Prospekts „B“ gemäß Anlage K 6).

Die Klägerin behauptet, der Beklagte vertreibe die angegriffene Ausführungsform auch in der Bundesrepublik Deutschland über seine Website www.C.fi/english/index.html. Der Beklagte habe zudem – wie der aus Anlage K 7 ersichtliche Paketlieferschein zeige – die angegriffene Ausführungsform auch nach Deutschland geliefert, und zwar an den Inhaber des D Café in E, Herrn F. Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache in wortsinngemäßer Weise, jedenfalls aber in äquivalenter Weise von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch. Insbesondere sei die Sohlenhaltevorrichtung derart ausgestaltet, dass die Stiefelspitze nach allen Richtungen formschlüssig gehalten werde. Die Fersenhaltevorrichtung weise auch ein allseits bewegliches Zugglied auf. Die Klägerin nimmt den Beklagten daher auf Unterlassung, Feststellung der Schadensersatzverpflichtung sowie Auskunft und Rechnungslegung in Anspruch.

Die Klägerin beantragt,

1.
Im Wesentlichen wie erkannt,

2.
hilfsweise stellt die Klägerin den Antrag zu I. 1. mit der Maßgabe, dass es statt „allseits bewegliches Zugglied“ heißt: „in einer Ebene senkrecht zum Ski bewegliches Zugglied“.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte tritt dem Verletzungsvorwurf im Wesentlichen mit folgenden Argumenten entgegen:

Bei der angegriffenen Ausführungsform sei die vordere Sohlenhaltevorrichtung so ausgestaltet, dass die Stiefelspitze nach allen Richtungen kraftschlüssig gehalten werden könne. Zudem weise die Fersenhaltevorrichtung kein „allseits bewegliches Zugglied“ auf, weil der Metallbolzen samt Führungshülse, welchen die Klägerin als erfindungsgemäßes Zugglied ansehe, keine Beweglichkeit zur Seite hin ermögliche.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Klage ist begründet. Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre des Klagepatents in wortsinngemäßer Weise Gebrauch, so dass die Klägerin vom Beklagten zu Recht Unterlassung, Feststellung der Schadensersatzverpflichtung sowie Auskunft und Rechnungslegung begehrt.

I.

Die Erfindung bezieht sich auf eine Skibindung, insbesondere für das Skispringen, mit einer vorderen Sohlenhaltevorrichtung und einer das Abheben des Stiefelabsatzes vom Ski zulassenden Fersenhaltevorrichtung, die ein allseits bewegliches Zugglied aufweist, das einerseits am Ski und andererseits mittels einer teilbaren Befestigungsvorrichtung, von der der eine Teil am Stiefelabsatz anordenbar und der andere Teil am Zugglied angeordnet ist, am Stiefelabsatz befestigt ist.

Als Stand der Technik erwähnt das Klagepatent die US-A-2396373, aus welcher eine Skibindung der eben genannten Art vorbekannt ist, bei der der Stiefel zwischen einer vorderen Sohlenhaltevorrichtung und einer Fersenhaltevorrichtung elastisch eingespannt ist, wobei die Fersenhaltevorrichtung ein Abheben des Stiefelabsatzes zulässt. An dieser Fersenhaltevorrichtung greift ein Kniehebelpaar an, das einerseits

gelenkig am Ski und andererseits gelenkig an der Fersenhaltevorrichtung angeordnet ist. Ein elastisches Zugglied greift an dem der Fersenhaltevorrichtung zugeordneten Ende des einen Kniehebels an, ist über eine Achse am skifesten Kniehebel geführt und mit dem anderen Ende am Ski befestigt. Aufgrund dieser Anordnung wird beim Anheben des Stiefelabsatzes das elastische Zugglied gedehnt und ist somit bestrebt, den Stiefelabsatz wieder an den Ski zurückzuführen. Mit zunehmender Abhebebewegung des Stiefelabsatzes wird die aufzubringende Kraft immer größer. Wird der Stiefelabsatz bei einem Sturz sehr stark angehoben, ist die Kraft, die das Zugglied über das Kniehebelpaar auf die Fersenhaltervorrichtung ausübt, so groß, dass diese vom Stiefelabsatz abgebogen wird, wodurch der Stiefel von der Fersenhaltevorrichtung frei kommt.

An diesem Stand der Technik kritisiert das Klagepatent, dass eine derartige Skibindung für das moderne Skispringen oder Skifliegen nicht geeignet sei, weil durch das elastische Zugglied der Absatz an den Ski herangezogen werde. Beim Skispringen oder Skifliegen müsse der Springer den Absatz vom Ski abheben können, um einen bestimmten Anstellwinkel der Ski einzustellen, bei welchem der Körper des Skispringers nahezu parallel zu den Skiern liege, die während des Fluges V-förmig geöffnet werden. Ein Zugglied, welches den Ski an den Absatz heranziehe, sei für das Skispringen deshalb ungeeignet, weil der erläuterte Anstellwinkel der Ski nicht beibehalten werden könne.

Es sei zwar – so das Klagepatent weiter – bei vorbekannten Sprungbindungen mit Vorderbacken und Kabelzug ein Anheben des Absatzes vom Ski möglich, jedoch bestehe die Gefahr, dass sich der Anstellwinkel zwischen Stiefelsohle und Ski während des Skifluges, insbesondere aufgrund von Windböen verändern könne, was nicht nur die Eleganz des Skifluges und die erzielbare Weite, sondern auch die Sicherheit des Skispringers nachteilig beeinflusse.

Vor diesem technischen Hintergrund formuliert das Klagepatent zunächst die Aufgabe, eine exakte Skiführung während des Skifluges zu ermöglichen und insbesondere die Gefahr des Hochschlagens der Ski bei aufkommendem Wind zu vermeiden.

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent im Anspruch 1 eine Skibindung mit folgenden Merkmalen vor:

1)
Skibindung für das Springen, die aufweist

a) eine vordere Sohlenhaltevorrichtung (3, 4)

b) eine Fersenhaltevorrichtung.

2)
Die vordere Sohlenhaltevorrichtung (3, 4) ist derart ausgestaltet, dass die Stiefelspitze nach allen Richtungen formschlüssig gehalten werden kann.

3)
Die Fersenhaltevorrichtung

a) lässt ein Abheben des Stiefelabsatzes vom Ski zu,

b) weist ein allseits bewegliches Zugglied (27) auf,

c) durch welches sie ausschließlich gebildet wird.

4)
Das Zugglied (27) ist
a) einerseits am Ski befestigbar,
b) andererseits mittels einer teilbaren Befestigungsvorrichtung (47,40) am Stiefelabsatz befestigbar,

c) undehnbar ausgebildet und
d) lässt ein ungehindertes Abheben des Stiefelabsatzes bis zu einer vorbestimmten Höhe zu.

5)
Der eine Teil (47) der Befestigungsvorrichtung ist am Stiefelabsatz anordenbar.

6)
Der andere Teil (40) der Befestigungsvorrichtung ist am Zugglied (27) angeordnet.

Darüber hinaus erwähnt das Klagepatent, dass eine Skibindung gemäß Anspruch 1 zwar wesentliche Vorteile während der Skiflugphase herbeiführe, jedoch Nachteile bei der Landung auftreten könnten, die heute üblicherweise im sogenannten Telemark-Stil durchgeführt wird. Dieser Landungsstil erfordere einen noch größeren Schwenkwinkel der Stiefelsohle gegenüber dem Ski, so dass sich die Begrenzung des Schwenkwinkels auf einen festen Wert, der sich an den Bedürfnissen des Skifluges ausrichtet, als nachteilig erweise.

Vor diesem Hintergrund formuliert das Klagepatent die weitere Aufgabe, nicht nur die Bedingungen des Skifluges zu verbessern, sondern auch eine sichere Landung im Telemarkstiel zu ermöglichen.

In diesem Zusammenhang stellt das Klagepatent es als vorteilhaft heraus, dass das Zugglied sowohl willkürlich lösbar sei als auch bei Auftreten einer einen vorbestimmten Wert übersteigenden, am Stiefelabsatz angreifenden Zugkraft die Verbindung zu dem Stiefelabsatz und Ski freigebe.

II.

Der Beklagte hat die angegriffene Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland angeboten im Sinne von § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG i.V.m. Art. 64 EPÜ.
Gemäß § 138 Abs. 3 ZPO ist der Klägervortrag, wonach die angegriffene Ausführungsform an den Inhaber des D Café in E, Herrn F, per Paketpost geliefert worden sei, als unstreitig anzusehen, weil der Beklagte diesem nicht in erheblicher Weise entgegen getreten ist. Im Hinblick auf den als Anlage K 7 vorgelegten Paketlieferungsschein, welcher den Beklagten links oben als Absender des Pakets ausweist, hätte es eines substantiierten Bestreitens des Beklagten bedurft. Er hat sich jedoch zu diesem Punkt überhaupt nicht geäußert.
Insofern kann es dahinstehen, ob sich aus der Gestaltung der Webseite des Beklagten ebenfalls ein Anbieten der angegriffenen Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland ergibt.

III.

Die angegriffene Ausführungsform macht von sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1 in wortsinngemäßer Weise Gebrauch. Letzteres ist hinsichtlich der Merkmale 1 a) und b), 3 a) und c), 4) sowie 5) und 6) zu Recht zwischen den Parteien unstreitig. Allerdings verwirklicht die angegriffene Ausführungsform auch die Merkmale 2) und 3 b) in wortsinngemäßer Weise.

1)
Das Merkmal 2 gibt vor, die vordere Sohlenhaltevorrichtung derart auszugestalten, dass die Stiefelspitze nach allen Richtungen hin formschlüssig gehalten werden kann.

Wie zwischen den Parteien unstreitig ist, versteht der Fachmann unter einer formschlüssigen Verbindung das Ineinandergreifen von zwei Verbindungspartnern in der Weise, dass durch eine Betriebsbelastung verursachte Kräfte normal, das heißt rechtwinklig zu den Flächen der beiden Verbindungspartner übertragen werden. Aufgrund der mechanischen Verbindung können sich die Verbindungspartner auch ohne oder bei unterbrochener Kraftübertragung nicht lösen. Demgegenüber entstehen

kraftschlüssige Verbindungen durch die Anwendung von Kraft, welche durch geeignete Vorspannung erzeugt wird, wie etwa Druck- oder Reibungskräfte. Dabei wird der Zusammenhalt der Verbindung allein durch Haltekraft gewährleistet.
Anhand des in der – im Tatbetand wiedergegebenen – Figur 1 des Klagepatents illustrierten Ausführungsbeispiels nebst dessen Beschreibung in Sp. 5, Zeilen 44 ff. erkennt der Fachmann, dass das Klagepatent auch Mischformen von form- und kraftschlüssigen Verbindungen als anspruchsgemäß einstuft. Dort ist gezeigt, dass die Stiefelspitze in die Sohlenhaltevorrichtung eingespannt und durch seitliche Schenkel 18, 19 zur Seite hin starr und nach oben durch Ränder 20, 21 gehalten wird. Neben diesen formschlüssigen Verbindungselementen zeigt die Figur 1 auch kraftschlüssige Verbindungselemente: Über die genannten Halterungen hinaus ist zwecks Vermeidung eines Abrutschens des Stiefels nach hinten eine Spannvorrichtung vorgesehen, die als abgewinkelter zweiarmiger Hebel 23, 24 ausgebildet und mittels einer Steckachse 25 in den Schenkeln 18, 19 schwenkbar gelagert ist. Beim Einsetzen des Stiefels in den Führungsbacken wird zunächst die Spannvorrichtung 4 so verschwenkt, dass der Hebel 23 nach vorne und unten weist, wodurch ein V-förmiger, nach hinten offener Beschlag auf der Oberseite der Stiefelsohle 27 unter den kurzen Hebel 24 gleiten kann. Nach Verschwenken der Spannvorrichtung 4 nach oben hakt sich der Hebel 24 am Beschlag 26 fest.

Wie der Beklagte im Sitzungstermin vom 31. März 2009 eingeräumt hat, weist die angegriffene Ausführungsform eine Sohlenhaltevorrichtung auf, die die Stiefelspitze jedenfalls auch nach allen Richtungen formschlüssig hält. Der Skistiefel wird mit seiner Spitze derart in die vordere Haltevorrichtung eingesteckt, dass er in eine Aufnahme versenkt wird. Damit erfährt die Stiefelspitze unstreitig schon eine gewisse Halterung in alle Bewegungsrichtungen. Dass die vordere Halterung zusätzlich noch mittels Federn – also kraftschlüssigen Verbindungselementen – niedergedrückt wird und so die Haltekräfte vergrößert, steht der Annahme einer formschlüssigen Verbindung entgegen der Ansicht des Beklagten nicht entgegen, weil – wie ausgeführt – auch Mischformen beider Verbindungsarten anspruchsgemäß sind.

Soweit der Beklagte für seine gegenteilige Auslegung auf das EP 0 553 XXX B1 verweist, ist zunächst zu bemerken, dass es sich bei diesem nicht um im Klagepatent gewürdigten Stand der Technik handelt, so dass es sich bereits nicht um taugliches Auslegungsmaterial handelt. Dessen ungeachtet ergibt sich aus dieser Druckschrift kein anderes Verständnis des Begriffes „formschlüssig“. Letzteres zeigt sich bereits daran,

dass die Figur 1 dieser Druckschrift eben jener des Klagepatents entspricht, so dass jedenfalls insoweit eine Überschneidung im Hinblick auf die Anforderung „formschlüssig“ besteht.

2)
Auch das Merkmal 3b) findet sich wortsinngemäß in der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht. Das Merkmal 3b) setzt voraus, dass die Fersenhaltevorrichtung ein allseits bewegliches Zugglied aufweist. Entgegen der Ansicht der Beklagten steht es der wortsinngemäßen Verwirklichung dieses Merkmals nicht entgegen, dass der Metallbolzen der angegriffenen Ausführungsform keine seitliche Beweglichkeit zulässt.

a)
Zwar mag der Wortlaut „allseits bewegliches Zugglied“ suggerieren, dass eine Beweglichkeit in alle Richtungen bzw. nach allen Seiten hin erforderlich sei. Der Fachmann erkennt jedoch, dass dieses Verständnis nicht dem technischen Sinngehalt des Merkmals 3 b) gerecht wird. Vielmehr genügt es, dass das Zugglied eine freie Beweglichkeit in vertikaler bzw. Längsrichtung aufweist.

Dafür spricht zunächst eine systematische Betrachtung im Zusammenhang mit den anderen Merkmalen des Anspruchs 8. So sieht das Merkmal 3a) vor, dass die Fersenhaltevorrichtung ein Abheben des Stiefelabsatzes zum Ski zulässt. Merkmal 4a) sieht eine undehnbare Ausgestaltung des Zuggliedes vor. Schließlich lehrt Merkmal 4 d), dass das Zugglied ein ungehindertes Abheben des Stiefelabsatzes bis zu einer vorbestimmten Höhe zulasse. Bereits diese systematische Betrachtung lässt erkennen, dass sich der Anspruch 1 nur mit dem Abheben des Stiefelabsatzes vom Ski bis zu einer vorbestimmten Höhe befasst. Diese Vorgabe, ein Abheben nur bis zu einer vorbestimmten Höhe zuzulassen, soll gewährleisten, dass die vorbestimmte Höhe uneingeschränkt erreichbar ist und beibehalten werden kann; deshalb soll das Zugglied abweichend zum Stand der Technik undehnbar sein. Über ein weiteres Abheben des Stiefelabsatzes (oder gar das vollständige Lösen des Stiefels vom Ski) über diese vorbestimmte Höhe hinaus mittels des Zuggliedes besagt der Anspruch 1 hingegen nichts. Derartiges ist gerade nicht Gegenstand des Anspruches 1.

b)
Der so zu verstandene technische Sinngehalt des Merkmals 3b) wird anhand einer Reihe von Passagen der Beschreibung des Klagepatents bestätigt. Diese zeigen dem Fachmann jeweils, dass es Gegenstand des Anspruches 1 ist, ein Abheben des Stiefelabsatzes in Längsrichtung während der Flugphase und/oder – allenfalls auch – der Landung in vom Springer gewünschten Umfang zu ermöglichen.

So heißt es in Spalte 2, Zeile 36 bis 39 des Klagepatents, dass ein Freigeben der Verbindung zwischen Stiefelabsatz und Ski die angestrebte Funktion während des Fluges und in der Landephase nicht beeinträchtigen darf. Auch Spalte 3, Zeilen 31 bis 42 des Klagepatents stellen darauf ab, dass während des Skifluges und bei Durchführung einer Telemarklandung der Springer den Stiefelabsatz am gewünschten Ausmaß bis zu einer vorgesehenen Begrenzung anheben kann. Ferner heißt es in Spalte 4, Zeilen 7 bis 12 des Klagepatents, dass der Schwenkwinkel der Stiefelsohle gegenüber dem Ski vergrößert werden kann.
Neben diesen zum allgemeinen Teil der Beschreibung des Klagepatents zugehörigen Passagen finden sich auch Ausführungen im Rahmen der Erläuterungen zu Ausführungsbeispielen, die die hier vertretene Auslegung bestätigen. Insbesondere erläutert die Spalte 8, Zeilen 16 bis 20 des Klagepatents ein allseits bewegliches, jedoch undehnbares Zugglied, welches nur zur Hubbegrenzung des Stiefelabsatzes dient. Ebenso spricht Spalte 8, Zeilen 25 – 29 des Klagepatents für die hier vertretene Sichtweise („… während des Skifluges und bei der Landung …“).

c)
All dem entnimmt der Fachmann folgenden technischen Sinn und Zweck der „allseitigen Beweglichkeit“: Dieser liegt darin, im Zusammenspiel mit den weiteren Vorgaben für das Zugglied, insbesondere dessen „Undehnbarkeit“, zu gewährleisten, dass es zu einer exakten, sicheren Skiführung während des Fluges und einer sicheren Landung kommt und in beiden Phasen der jeweils erforderliche, voreingestellte Abstand des Stiefelabsatzes zum Ski in Längs- bzw. Vertikalrichtung gegeben ist. Es soll nicht zu einem „Rückzug“ des Zuggliedes kommen, sondern dieses soll frei beweglich sein.
Es ist nicht ersichtlich, dass es zur Erfüllung dieser Funktion darauf ankommen sollte, eine seitliche Verschiebbarkeit des Stiefelabsatzes zu ermöglichen. Dies ist auch vor dem Hintergrund, dass die Stiefelspitze formschlüssig gehalten ist, schwerlich denkbar. Wird nämlich dieser Formschluss durch ein seitliches Verdrehen aufgehoben, löst sich der Stiefel insgesamt vom Ski, was augenscheinlich weder während des Fluges noch bei der ordnungsgemäßen Landung gewünscht sein kann.

d)
Ohne Erfolg versucht der Beklagte, seine gegenteilige Auslegung des Anspruchs 1 des Klagepatents mittels einer Abgrenzung zum Stand der Technik zu untermauern. Der im Klagepatent zitierte Stand der Technik lehrt ein elastisches Zugglied, welches beim Abheben des Stiefelabsatzes gedehnt wird und somit bestrebt ist, den Stiefelabsatz wieder an den Ski zu führen. Dieses Zugglied entfaltet eine Art Rückstellkraft, die umso größer wird, desto mehr der Stiefelabsatz abgehoben wird. Bei Überschreiten eines bestimmten Punktes wird die Kraft sogar so groß, dass die Fersenvorrichtung vom Stiefelabsatz abgezogen wird. Die oben bereits erwähnte Kritik des Klagepatents an dieser Lösung besteht im Kern darin, dass der erforderliche Anstellwinkel zwischen Ski und Skistiefel nicht in gewünschter Weise beibehalten werden kann. Auch anhand dieser Kritik wird dem Fachmann erkennbar, dass es dem Klagepatent im Rahmen des Anspruchs 1 allein darum geht, ein Abheben des Stiefelabsatzes in Längsrichtung zu verbessern.

e)
Soweit der Beklagte für seine Auslegung den Inhalt der Erteilungsakte zum Klagepatent bemüht, kann dies bereits im Ansatz nicht zum Erfolg führen. Denn der Inhalt der Erteilungsakte hat bei der Auslegung grundsätzlich außer Betracht zu bleiben (vgl. BGHZ 150, 161, 162 f. – Kunststoffrohrteil).
Abgesehen davon ist auch nicht zu erkennen, dass dem Inhalt der Erteilungakte ein anderes Verständnis für die „allseitige Beweglichkeit“ zugrunde liegt. In der vom Beklagten zitierten Passage der Anlage B 5 auf Seite 10 heißt es zwar „… und somit auch zwangsläufig in seiner Längsrichtung bewegbar ist.“; jedoch ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Ausführungen, dass es auch nach der Vorstellung der Anmelderin trotz des Wortes „auch“ in technischer Hinsicht um ein Abheben des Stiefelabsatzes in der Längsrichtung ging. Dies zeigt sich daran, dass die Passage, dem obiges Zitat entnommen ist, sich gerade damit befasst, dass ein „allseits bewegliches“ Zugglied ein ungehindertes „Abheben“ bis zu einer vorbestimmten Höhe zulässt. Das Wort „auch“ kann zudem in dem Sinne verstanden werden, dass das Zugglied eine „kombinierte“ Bewegung des Stiefels in der Längsrichtung und in der Vertikalen zulässt, so dass auch aus diesem Grunde keine seitliche Beweglichkeit gemeint sein muss.

f)
Soweit der Beklagte auf die Situation des vollständigen Lösens des Stiefels vom Ski abstellen bzw. die seitliche Bewegung der Schuhferse als unabdingbar ansehen will, um das notwendige Kraftmoment zur Öffnung der vorderen Haltevorrichtung zu kreieren, bleibt auch dies ohne Erfolg. Zwar enthält die Beschreibung des Klagepatents durchaus Passagen, die sich mit dieser Situation beschäftigen (so zum Beispiel Spalte 2, Zeile 21 bis 25, Zeilen 30 bis 36, Zeilen 53 bis Spalte 3, Zeile 4. Spalte 7, Zeile 43 bis 45, Zeilen 56 bis 58) sowie die Figur 6, die einen „verschwenkten Teil der Fersenhaltevorrichtung beim Auslösevorgang“ zeigt. Diese Situation ist zudem auch Gegenstand des Unteranspruches 2. Allerdings ist der Auslösevorgang bzw. ein vollständiges Freikommen nicht Gegenstand des Anspruches 1. Dieser Hauptanspruch ist weitergehend als der Unteranspruch 2. Auch wenn die mit dem Unteranspruch 2 verbundenen Vorteile im allgemeinen Teil der Beschreibung erwähnt werden, handelt es sich gleichwohl um die Beschreibung einer bevorzugten Ausführungsform, was sich gerade daraus ergibt, dass diese Lösung als „vorteilhaft“ bezeichnet wird bzw. dahingehend erwähnt wird, dass die Vorrichtung nach Anspruch 1 einem Auslösen nicht entgegen steht.

Davon abgesehen, gestaltet sich der Auslösevorgang nach dem Klagepatent nicht zwingend so, wie der Beklagte es für seine Auslegung in Anspruch nimmt. Die Passage in Spalte 2, Zeile 53 – Spalte 3, Zeile 4 erläutert erst ein Freikommen des Stiefels aus der vorderen Sohlenhaltevorrichtung und dann eine Befreiung von der Fersenhaltevorrichtung (Zugglied). Außerdem wird dies in dieser bevorzugten Ausführungsform dadurch erreicht, dass die Klammer nur unter leichter Kennwirkung auf den Zapfen aufgesteckt wird („… hierdurch ist gewährleistet …“). Dies bedeutet also nicht zwingend, dass es zuerst eine seitliche Fersenbewegung geben muss.

g)
Basierend auf dieser Auslegung, wonach es auf eine seitliche Bewegbarkeit des Zuggliedes nicht ankommt, weist die angegriffene Ausführungsform ein „allseits bewegliches“ Zugglied auf, und zwar in Gestalt des Metallstiftes in Kombination mit der Führungshülse.

Der drehbar gelagerte Metallstift vollzieht im Zusammenwirken mit der Führungshülse die nach oben geführte Bewegung des Stiefels unter Aufrechterhaltung der Verbindung zwischen Stift und Stiefelabsatz beim Abheben mit, wobei er dabei den Schwenkwinkel zwischen Stiefel und Ski begrenzt. Dies wird anhand Bild 4 der Anlage K 5 deutlich.

Der Anspruch 1 lässt insbesondere auch ein mehrteilig ausgestaltetes Zugglied zu. Ihm ist keine Einschränkung auf „einstückig ausgebildete“ Zugglieder immanent. Weder Funktion und Zweck noch die Aufgabe des Klagepatents fordern dies. Es ist insbesondere nicht ausgeführt, dass das Klagepatent Materialkosten einsparen wolle. Ganz im Gegenteil besagt Unteranspruch 1, dass auch ein geteiltes Zugglied vorgesehen werden kann.

Ebenso unerheblich ist, dass die angegriffene Ausführungsform zusätzlich über eine Fersenerhöhungsplatte verfügt. Insbesondere der Unteranspruch 6 zeigt nämlich, dass

„am“ Zugglied weitere Teile angebracht werden können, so dass zwischen Stiefel und Zugglied weitere Bestandteile vorgesehen sein können.

IV.

Da der Beklagte entgegen § 9 S. 2 Nr. 1 Patentgesetz die technische Lehre des Klagepatents benutzt, kann die Klägerin ihn nach Art. 64 EPÜ in Verbindung mit § 139 Abs. 1 Patentgesetz auf Unterlassung in Anspruch nehmen.
Nach Art. 64 EPÜ in Verbindung mit § 139 Abs. 2 Patentgesetz hat der Beklagte der Klägerin außerdem im aus dem Tenor näher ersichtlichen zeitlichen Umfang einen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch die schutzrechtsverletzenden Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird. Das insoweit erforderliche schuldhafte Handeln des Beklagten liegt vor. Er hätte erkennen können, dass die angegriffene Ausführungsform von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch macht.
Die Klägerin hat auch das nach § 256 Abs. 1 ZPO notwendige Feststellungsinteresse daran, die Verpflichtung des Beklagten zum Schadensersatz zunächst nur dem Grunde nach feststellen zu lassen, statt auf Leistung zu klagen. Die Entstehung eines Schadens aufgrund der patentverletzenden Handlung des Beklagten erscheint hinreichend wahrscheinlich; beziffern kann die Klägerin die ihr daraus erwachsenen Ansprüche jedoch erst, wenn der Beklagte über den Umfang der von ihm begangenen angegriffenen Handlungen Rechnung gelegt hat. Damit die Klägerin die ihr zustehenden Schadensersatzansprüche berechnen und etwaige weitere Verletzer aufspüren kann, ist der Beklagte nach §§ 242 BGB, 140 b Patentgesetz verpflichtet, der Klägerin unter Angabe der im Urteilsanspruch aufgeführten Einzeldaten über den Umfang seiner schutzrechtsverletzenden Handlungen Rechnung zu legen. Die Klägerin kennt die zur Bezifferung ihrer Ansprüche notwendigen Einzeldaten ohne eigenes Verschulden nicht; demgegenüber wird der Beklagte durch die Erteilung der ihm abverlangten Auskünfte nicht unverhältnismäßig belastet und kann sie auch ohne Schwierigkeiten erteilen. Der Anspruch auf Vorlage von Belegen im tenorierten Umfang folgt daraus, dass die Klägerin Gelegenheit haben muss, die Angaben des Beklagten zu überprüfen (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 5, 249 – Faltenbalg).

Dem Beklagten war der aus dem Tenor näher ersichtliche Wirtschaftsprüfervorbehalt einzuräumen (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 3, 176 – Glasscheibenbefestiger).

V.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 ZPO.