4b O 468/04 – Fenofibrat

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 546

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 28. Februar 2006, Az. 4b O 468/04

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

III. Das Urteil ist für die Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung von 19.000,00 € vorläufig vollstreckbar.

IV. Der Streitwert wird auf 500.000,00 € festgesetzt.

T a t b e s t a n d :

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung u.a. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 952 xxx, das auf einer Anmeldung vom 16.01.1998 beruht und dessen Erteilung am 05.03.2003 bekanntgemacht worden ist. Das Klagepatent betrifft eine fenofibrathaltige Arzneimittelzusammensetzung mit hoher Bioverfügbarkeit sowie ein Verfahren zu seiner Herstellung. Die im vorliegenden Rechtsstreit interessierenden Patentansprüche 1, 25 und 27 haben in deutscher Übersetzung folgenden Wortlaut:

1. Fenofibrathaltige Zusammensetzung mit sofortiger Freisetzung, die umfaßt:

a) einen inerten, hydrolöslichen Träger, der mit zumindest einer Schicht bedeckt ist, die das Fenofibrat in feinst zerkleinerter Form mit einer Größe kleiner als 20 µ, ein hydrophiles Polymer und gegebenenfalls ein oberflächenaktives Mittel enthält, wobei das hydrophile Polymer mindestens 20 Gew.-% des Gewichts des Grundstoffes a) ausmacht; und

b) gegebenenfalls eine oder mehrere Phase(n) oder äußere Schicht(en).

25. Zusammensetzung gemäß einem der Ansprüche 1. bis 24., die eine Auflösung ergibt von mindestens 10 % in 5 Minuten, 20 % in 10 Minuten, 50 % in 20 Minuten und 75 % in 30 Minuten, die unter Verwendung des Drehschaufel-Verfahrens mit 75 Umdrehungen/min. gemäß Europäischer Pharmakopöe gemessen wird, in einem Auflösungsmedium, das aus Wasser mit 2 Gew.-% Polysorbat 80 oder 0,025 M Natriumlaurylsulfat besteht.

27. Zusammensetzung gemäß einem der Ansprüche 1. bis 25., die als Granulat in einer Kapsel ausgebildet ist.

Gegen das Klagepatent ist ein Einspruchsverfahren anhängig, dem die Beklagte zu 1) beigetreten ist. Eine Entscheidung des Europäischen Patentamtes steht derzeit noch aus.

Die Beklagte zu 2) produziert in Belgien ein fenofibrathaltiges Arzneimittel, welches sie an die Beklagte zu 1) liefert, die das Präparat ihrerseits in Kapselform unter der Bezeichnung „ZXY 160 mg„ im Bundesgebiet vertreibt. Die Klägerin hat als Anlage K 8 eine Musterpackung des angegriffenen Arzneimittels, eine Gebrauchsinformation (Anlage K 9) sowie eine Fachinformation (Anlage K 10) vorgelegt. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass jede Kapsel 160 mg Fenofibrat sowie Hydroxypropylcellulose (95 mg), Carboxymethylstärkenatrium (20 mg), Gelucire (240 mg) sowie Polyethylenglycol (48 mg) enthält. Die Einzelkomponenten werden nach dem aus der nachstehend eingeblendeten Übersicht ersichtlichen Herstellungsverfahren (Anlage B 4a) verarbeitet, wobei die Klägerin für die Verfahrensschritte der Phasen 1 bis 3 eine Temperatur von 75 ° C. behauptet, während die Beklagten vortragen, dass die Komponenten bei einer Temperatur von 85 ° C. (und damit oberhalb des bei 81 ° C liegenden Schmelzpunktes von Fenofibrat) gemischt werden.

Ausweislich der Fachinformation (Anlage K 10, Ziffer 5.2) ist „ZXY 160 mg„ im Vergleich zur bisherigen Darreichungsformen supra-bioverfügbar.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass das Fenofibrat-Präparat der Beklagten wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch macht. Vorliegend nimmt sie die Beklagten deshalb aus dem Gesichtspunkt der Patentverletzung auf Unterlassung, Rechnungslegung und Schadenersatz in Anspruch.

Die Klägerin beantragt,

I. die Beklagten zu verurteilen,

1. es bei Meidung der (näher bezeichneten) gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen,

eine fenofibrathaltige Zusammensetzung mit sofortiger Freisetzung

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, zu liefern, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

die umfaßt:

a) einen inerten, hydrolöslichen Träger, der mit zumindest einer Schicht bedeckt ist, die das Fenofibrat in feinst zerkleinerter Form mit einer Größe kleiner als 20 µ, ein hydrophiles Polymer und gegebenenfalls ein oberflächenaktives Mittel enthält, wobei das hydrophile Polymer mindestens 20 Gew.-% des Gewichts des Grundstoffes a) ausmacht;

und

b) gegebenenfalls eine oder mehrere Phase(n) oder äußere Schicht(en);

2. ihr (der Klägerin) darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die unter 1. bezeichneten Handlungen seit dem 05.04.2003 begangen haben, und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen, den Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, den Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei den Beklagten hinsichtlich der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger ein Wirtschaftsprüfervorbehalten eingeräumt werden mag;

II. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr (der Klägerin) allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 05.04.2003 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, den Rechtsstreit bis zum rechtskräftigen Abschluss des gegen das Klagepatent anhängigen Einspruchsverfahrens auszusetzen.

Die Beklagten bestreiten den gegen sie erhobenen Vorwurf der Patentverletzung und führen hierzu aus: Das angegriffene „ZXY 160 mg„ – Präparat stelle keine Zusammensetzung mit „sofortiger Freisetzung„ dar. Das tatsächliche Lösungsprofil ergebe sich vielmehr aus der als Anlage B 1 ersichtlichen Grafik, die nachfolgend eingeblendet ist.

Die verzögerte Wirkstofflösung beruhe – neben der die Zusammensetzung umschließende Gelantinekapsel – darauf, dass die Komponente Hydroxypropylcellulose (HPC) mit einem Gewichtsanteil (von 95 mg = 16,87 Gew.-%) vorhanden ist, in dem HPC als Matrixbildner für eine verzögerte Freisetzung wirke. Aufgrund des Herstellungsverfahrens seien ferner keine Träger vorhanden, die mit einer den Fenofibrat-Wirkstoff in feinst zerkleinerter Form enthaltenden Schicht bedeckt sind. Im Gegenteil liege eine einheitliche, homogene Masse aus sämtlichen Einzelkomponenten vor, wobei das Fenofibrat – auch nach der Abkühlung – in gelöster (und nicht auskristallisiert in feinst zerkleinerter) Form vorhanden sei (sogenannte „feste Lösung„). Darüber hinaus fehle es an einem inerten hydrolöslichen Träger. Als solcher könne weder das Hydroxypropylcellulose (welches in der Klagepatentschrift als hydrophiles Polymer genannt werde) noch das Carboxymethylstärkenatrium (wegen seiner viel zu geringen Menge von 20 mg) angesehen werden.

Ungeachtet des mangelnden Benutzungstatbestandes werde sich das Klagepatent – so meinen die Beklagten – im Einspruchsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen, was zumindest den hilfsweise gestellten Aussetzungsantrag rechtfertige.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung und Schadenersatz gegen die Beklagten nicht zu, weil sich nicht feststellen lässt, dass das streitbefangene Fenofibrat-Präparat „ZXY 160 mg„ widerrechtlich Gebrauch von der technischen Lehre des Klagepatents macht.

I.

Das Klagepatent betrifft eine Arzneimittelzusammensetzung mit dem als Cholesterinsenker bekannten Wirkstoff Fenofibrat.

Nach den Erläuterungen der Klagepatentschrift haben die Wirkstoffe der Fenofibratfamilie den Nachteil, dass sie im wässrigen Milieu eine geringe Löslichkeit zeigen, woraus sich ein ungenügendes Lösungsprofil und demzufolge nach oraler Verabreichung eine geringe Bioverfügbarkeit des Wirkstoffs im Organismus ergibt. Um die Aufnahme einer erforderlichen Wirkstoffmenge zu gewährleisten, ist es deswegen erforderlich, die zu verabreichende therapeutische Dosis zu erhöhen, was für den Patienten statt einer einzigen, eine mehrfache tägliche Einnahme bedeutet.

Vor dem geschilderten Hintergrund bestehe – so führt die Patentschrift aus – ein Bedürfnis dafür, das Lösungsprofil von Fenofibrat und damit seine Bioverfügbarkeit zu steigern.

Zur Lösung dieser Aufgabenstellung sieht Patentanspruch 1 des Klagepatents die Kombination folgender Merkmale vor:

(1) Fenofibrathaltige Zusammensetzung mit sofortiger Freisetzung.

(2) Die Zusammensetzung umfasst:

(a) einen inerten, hydrolöslichen Träger sowie

(b) ggf. eine oder mehrere Phase(n) oder äußere Schicht(en).

(3) Der hydrolösliche Träger ist mit zumindest einer Schicht bedeckt.

(4) Die Schicht enthält:

(a) das Fenofibrat in feinst zerkleinerter Form mit einer größer kleiner 20 µ.

(b) ein hydrophiles Polymer und

(c) ggf. ein oberflächenaktives Mittel.

(5) Das hydrophile Polymer macht mindestens 20 Gew.-% des Gewichts des Grundstoffes (beschichteter Träger) aus.

II.

Es läßt sich nicht feststellen, dass das Fenofibrat-Präparat der Beklagten von der vorbeschriebenen Lehre des Klagepatents Gebrauch macht. Das Vorbringen der Klägerin ergibt insbesondere nicht, dass es sich um eine Zusammensetzung mit „sofortiger Freisetzung„ handelt. Ob darüber hinaus auch weitere Anspruchsmerkmale nicht verwirklicht sind, bedarf keiner Entscheidung.

1.
Vordringliches Anliegen der Erfindung des Klagepatents ist es, die Lösungsrate des Fenofibrat-Wirkstoffes – und damit verbunden die Bioverfügbarkeit in vivo – zu erhöhen, nämlich auf einen Wert von nahezu 100 % zu steigern. Dies ergibt sich nicht nur aus den Nachteilsangaben im Hinblick auf den vorbekannten Stand der Technik, welcher gerade dahingehend kritisiert wird, dass lediglich ein Teil der in der Arzneimittelformulierung enthaltenen Wirkstoffmenge im Verdauungstrakt gelöst werde und damit bioverfügbar sei (Seite 1 Zeilen 10 – 26; Seite 2 Zeilen 20 – 33), sondern ergibt sich für den Fachmann auch aus der in der Patentschrift enthaltenen Aufgabenformulierung, die die Zielsetzung der Erfindung ausdrücklich dahin beschreibt, die Löslichkeit des Fenofibrat-Wirkstoffes zu erhöhen, um einen Wert von nahezu 100 % zu erreichen (Seite 1 Zeilen 27 – 30; Seite 2 Zeilen 34 – 36). Neben diesem rein quantitativen Aspekt, der die nach erfolgter Einnahme im Organismus aus der Arzneimittelzusammensetzung gelöste und zur Verfügung stehende Wirkstoffmenge zum Gegenstand hat, beinhaltet das Klagepatent jedoch noch einen weiteren, rein zeitlichen Aspekt, der sich mit der Lösungsgeschwindigkeit befaßt. Deutlich wird dies bereits anhand des Anspruchswortlauts, der eine fenofibrathaltige Zusammensetzung mit „sofortiger„ Freisetzung verlangt. Dementsprechend verweist auch der Beschreibungstext (Seite 2 Zeile 34 bis Seite 3 Zeile 6) ausdrücklich auf das vor dem Hintergrund des Standes der Technik bestehende Bedürfnis, die Bioverfügbarkeit von Fenofibrat bis zum Erreichen eines Wertes von nahezu 100 % in „sehr kurzer Zeit (oder auf jeden Fall über den folgenden Grenzen: 10 % in 5 Minuten, 20 % in 10 Minuten, 50 % in 20 Minuten und 75 % in 30 Minuten …) …„ zu verbessern. Dass die besagte Textstelle eine Aussage über die der Erfindung objektiv zugrunde liegende Problemstellung trifft, findet der Fachmann durch die beiden in der Patentbeschreibung unmittelbar nachfolgenden Sätze bestätigt, in denen es heißt (Seite 3 Zeilen 7 bis 13):

„Die Anmelderin hat in überraschender Weise gezeigt, dass es möglich ist, dieses Problem durch ein neues Verfahren zur Herstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung durch Pulverisieren einer Wirkstoffsuspension auf einem inerten, hydrolöslichen Träger zu lösen. Die vorliegende Erfindung betrifft auch die auf diese Weise hergestellten pharmazeutischen Zusammensetzungen„.

Dass – wie die Klägerin erstmals im Verhandlungstermin vom 31.01.2006 geltend gemacht hat – der im Patentanspruch 1 verwendete Begriff der „Freisetzung„ etwas anderes bezeichnet als die „Lösung„ des Fenofibratwirkstoffs, trifft nicht zu. Die Klagepatentschrift unterscheidet im Beschreibungstext nirgends zwischen „Freisetzung„ und „Lösung„ des Wirkstoffs. Die Patentbeschreibung verwendet – im Gegenteil – durchgängig die Formulierung „Lösung„ und meint damit ersichtlich die im Patentanspruch 1 geforderte Wirkstoff-„Freisetzung„. Abgesehen davon, dass die Klagepatentschrift bei dieser Sachlage nicht den geringsten Anhalt dafür bietet, dass die Worte „Freisetzung„ und „Lösung„ nicht synonym verwendet werden, hat die Klägerin keinerlei Nachweise dafür vorgebracht (oder auch nur eine dahingehende Behauptung substantiiert aufgestellt), dass jedenfalls in der allgemeinen Fachsprache der Pharmakologie gemeinhin zwischen der „Freisetzung„ und der „Lösung„ eines arzneilichen Wirkstoffs unterschieden werde.

Welche Lösungsgeschwindigkeit das Klagepatent mit seiner Forderung nach einer „sofortigen Freisetzung„ des Fenofibrats voraussetzt, erschließt sich nicht unmittelbar aus der (oben bereits zitierten) Aufgabenformulierung der Patentschrift. Für sich betrachtet könnte der auf Seite 2 Zeile 34 bis Seite 3 Zeile 6 enthaltene Hinweis, mit der Erfindung solle die Bioverfügbarkeit von Fenofibrat bis zum Erreichen eines Wertes von nahezu 100 % in sehr kurzer Zeit (oder auf jeden Fall über den folgenden Grenzen: 10 % in 5 Minuten, 20 % in 10 Minuten, 50 % in 20 Minuten und 75 % in 30 Minuten …) gesteigert werden, zwar dahin verstanden werden, dass der Klammerzusatz Mindestwerte für das patentgemäße Lösungsprofil aufstellt, die mit der Lehre des Klagepatents in jedem Fall erreicht werden müssen. Soweit a.a.O. von „Bioverfügbarkeit„ die Rede ist, versteht der Fachmann, dass hiermit, jedenfalls in Bezug auf die Zeitkomponente und die insoweit konkret genannten Zahlenwerte, diejenige Zeitspanne gemeint ist, innerhalb derer der Fenofibrat-Wirkstoff gelöst wird. Zum einen ist auf die Figuren 1 und 2 der Klagepatentschrift zu verweisen, die bezogen auf einen Zeitraum von 30 Minuten nach oraler Einnahme der pharmazeutischen Zusammensetzung lediglich eine Lösungsrate (und keine Bioverfügbarkeit) von nahezu 100 % für das erfindungsgemäße Produkt ausweisen. Demgegenüber ist der Tabelle 1 zum Beispiel 3 der Klagepatentschrift (Seite 16 Zeile 5) zu entnehmen, dass für die erfindungsgemäße Zusammensetzung bis zum Erreichen maximaler Bioverfügbarkeit des Fenofibrat-Wirkstoffes („tmax„) eine Zeit von 6 Stunden angegeben ist. Der Fachmann ist sich, wenn nicht bereits aufgrund seines allgemeinen Fachwissens, so mindestens anhand der erörterten Beschreibungspassagen darüber im Klaren, dass sich die in der Aufgabenformulierung (Seite 2 Zeile 34 bis Seite 3 Zeile 6) für die ersten 30 Minuten nach oraler Einnahme genannten Prozentsätze keinesfalls auf die Bioverfügbarkeit, sondern lediglich auf die Lösung des Wirkstoffs beziehen können. Ein direkter Rückgriff auf die in der Aufgabenstellung genannten Lösungsraten (10 % in 5 Minuten, 20 % in 10 Minuten, 50 % in 20 Minuten und 75 % in 30 Minuten) verbietet sich jedoch deshalb, weil exakt diese Werte Gegenstand des Unteranspruchs 25 sind. Sie beschreiben hiernach lediglich ein mögliches und im Zweifel bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung, weswegen die beanspruchten Lösungsraten als solche nicht im Sinne eines Mindestwertes in den Hauptanspruch 1 hineininterpretiert werden dürfen. Ungeachtet dessen gibt das Lösungsprofil des Unteranspruchs 25 – erst recht vor dem Hintergrund der damit übereinstimmenden Aufgabenformulierung auf Seite 2 Zeile 34 bis Seite 3 Zeile 6 der Klagepatentschrift – dem Fachmann jedoch die Richtung vor, die einzuhalten ist, um die technische Lehre des Klagepatents mit Erfolg auszuführen.

Weitere Anhaltspunkte für das Verständnis des Begriffs „sofortige Freisetzung„ erhält der Fachmann aus den Ausführungen der Klagepatentschrift, die sich mit Präparaten befassen, die eine „verzögerte Wirkung„ aufweisen. Der Terminus „Verzögerungswirkung„ bildet ersichtlich den Gegensatz zu einer „sofortigen„ Wirkstofffreisetzung, wie sie das Klagepatent voraussetzt. Der Fachmann kann dies u.a. der Bemerkung auf Seite 8 Zeilen 15 – 17 entnehmen, wonach im Rahmen der Erfindung des Klagepatents unter „äußere Phase oder Schicht„ keine Überzüge verstanden werden, die der Zusammensetzung eine verzögerte Wirkung verleihen. Als Arzneimittel, deren Wirkstofffreisetzung „verzögert„ ist, bewertet die Klagepatentschrift die aus der PCT-Anmeldung WO-A 96 ####1 bekannten Präparate. Zu ihnen führt die Patentschrift (Seite 4 Zeilen 17 – 35) aus, dass die offenbarte pharmazeutische Zusammensetzung einen inerten Kern aus Siliziumoxid umfaßt sowie eine äußere Schicht zum Verleihen einer Verzögerungswirkung. Im Ansatzpunkt zutreffend ist die Klägerin der Auffassung, dass die PCT-Anmeldung angesichts der Würdigung, die sie durch die Klagepatentschrift erfahren hat, einen Rückschluss darauf zuläßt, was das Klagepatent mit einer „sofortigen„ Freisetzung des Wirkstoffs meint. Erfasst werden – im Sinne einer Negativabgrenzung – jedenfalls nicht solche Freisetzungsprofile, die sich bei Ausführung der in der PCT-Anmeldung WO-A 96 ####1 beschriebenen technischen Lehre ergeben. Die Klagepatentschrift bemerkt nämlich ausdrücklich (Seite 4 Zeilen 31 – 35), dass die WO-A 96 ####1 „nur Zusammensetzungen mit verzögerter Wirkung (behandelt), wobei das zu lösende technische Problem das Verpressen ohne Schädigung der äußeren, eine Verzögerungwirkung verleihenden Schicht„ sei. Der Klägerin kann des Weiteren darin gefolgt werden, dass die Tabelle 1 der PCT-Anmeldung, wie sie nachfolgend wiedergegeben ist,

Aufschluss darüber geben kann, bei welcher Lösungsrate eine „verzögerte„ Wirkstofffreisetzung gegeben ist. Die für das „Beispiel 5„ ausgewiesenen Lösungsraten definieren allerdings nicht abschließend und legaliter, wo die Grenze zwischen „sofortiger„ und „verzögerter„ Freisetzung verläuft. Die Tabelle 1 befasst sich nämlich lediglich mit einem ganz konkreten Beschichtungsstoff, neben dem – wie die Anmeldeschrift auf den Seiten 9, 10 erläutert – eine ganze Reihe anderer Substanzen und Mischungen als Beschichtungsmaterial mit Verzögerungswirkung in Betracht kommen. Es kann deswegen ohne Weiteres sein, dass der für den Zeitraum von 0,5 h verzeichnete Freisetzungswert von 18 % eine besonders bevorzugte, gegebenenfalls sogar optimale Freisetzungsverzögerung darstellt, und sich bei der Verwendung anderer, in der PCT-Anmeldung ausdrücklich als Beschichtungsmaterialien geeigneter Substanzen höhere Freisetzungsraten einstellen, die nach dem Verständnis der WO-A 96 ####1 – und damit auch im Sinne des Klagepatents – immer noch als „verzögerte„ Wirkstofffreisetzung anzusehen wären. Obwohl dieser Gesichtspunkt im Verhandlungstermin vom 31.01.2006 erörtert worden ist, hat die Klägerin hierzu keine weiteren Ausführungen gemacht. Bezogen auf die ersten 30 Minuten nach Einnahme des Präparates kann deshalb der Freisetzungsbetrag von 18 % keinesfalls als Maximalwert für eine verzögerte Wirkstofffreisetzung angesehen und jede darüber hinausgehende Lösung des Wirkstoffs (von mehr als 18 %) als „sofortige Freisetzung„ beurteilt werden.

Die zweite Textpassage, in der sich die Klagepatentschrift mit einer verzögerten Freisetzung befaßt, betrifft das Ausführungsbeispiel 4, in dem das Lösungsprofil der erfindungsgemäßen Zusammensetzung mit der Lösungsrate von im Prioritätszeitpunkt auf dem deutschen Markt erhältlichen Fenofibratprodukten verglichen wird (Seite 16 Zeile 16 bis Seite 17 Zeile 29). Die Resultate sind in der – nachstehend eingeblendeten – Figur 2 der Klagepatentschrift niedergelegt.

Bemerkenswert an der obigen Darstellung ist, dass das Klagepatent sein Augenmerk überhaupt nur auf die ersten 30 Minuten nach der oralen Einnahme des Fenofibrat-Präparates richtet und den sich daran anschließenden Zeitraum gänzlich aus seinen Betrachtungen ausblendet. Dies macht – allemal vor dem Hintergrund der Erläuterungen, welche die Aufgabenstellung einer nahezu 100%-igen Freisetzung des Fenofibrat-Wirkstoffs in „sehr kurzer Zeit„ durch die konkreten Zahlenwerte des Unteranspruchs 25 erfährt – deutlich, dass es bei der beabsichtigten „sofortigen Freisetzung„ nicht darum geht, lediglich solche Lösungsprofile auszuschließen, bei denen sich die Freisetzung des Wirkstoffs über mehrere Stunden erstreckt. „Sofortige„ Freisetzung meint vielmehr eine solche, bei der die Wirkstofflösung innerhalb der ersten 30 Minuten zu einem Großteil erfolgt ist. Dem Fachmann wird dies nicht zuletzt auch anhand der zu den vorbekannten Fenofibrat-Präparaten mit sofortiger Freisetzung wiedergebenen Graphen („Labello pro„ und „Lazy days„) deutlich. Stellt man in Rechnung, dass die Fenofibrat-Zusammensetzungen des Standes der Technik – wie die Klagepatentschrift hervorhebt – sämtlich mit dem Nachteil behaftet waren, dass der Wirkstoff nicht vollständig, sondern nur teilweise gelöst worden ist (eine Lösungsrate von nahezu 100 % also nicht erreicht wurde), so trifft auch auf die beiden vorbekannten Arzneimittel „mit sofortiger Freisetzung„ die Feststellung zu, dass die Wirkstofffreisetzung (soweit sie quantitativ überhaupt stattgefunden hat) innerhalb der ersten 30 Minuten nach oraler Einnahme im Wesentlichen abgeschlossen ist. Da mit der Lehre des Klagepatents „sofort„ nahezu 100 % des Wirkstoffs freigesetzt werden sollen, versteht der Fachmann unmittelbar, dass es der Erfindung darum geht, die Freisetzungsrate innerhalb der für Produkte des Standes der Technik mit sofortiger Freisetzung bereits erreichbaren Zeitraumes quantitativ zu steigern. Exakt dieses Resultat spiegeln dementsprechend auch die Graphen der Figur 2 für die drei verglichenen Zusammensetzungen mit sofortiger Freisetzung – die „Tabletten Erfindung„ „Labello pro„, „Lazy days„ – wieder.

2.
Hinsichtlich des Lösungsprofils für die angegriffene Ausführungsform ist von der – nachfolgend nochmals wiedergegebenen – Anlage B 1 auszugehen, mit der die Beklagten den Lösungsgrad und die Lösungsgeschwindigkeit für das „ZXY 160 mg„-Präparat dargestellt haben.

Zwar hat die Klägerin im Verhandlungstermin vom 31.01.2006 die sich hieraus ergebenden Werte bestritten, ohne allerdings – trotz gerichtlichen Hinweises – abweichende Zahlenwerte zu nennen. Dieses Bestreiten ist prozessual unzureichend. Als Anspruchstellerin ist es Sache der Klägerin, diejenigen Tatsachen, insbesondere zur Ausgestaltung und Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform, vorzutragen und notfalls zu beweisen, die belegen, dass das streitbefangene Produkt von den Merkmalen des Klagepatents Gebrauch macht. Dieser Vortragslast kann weder mit einem bloßen Bestreiten des Sachvortrages der beklagten Partei noch mit dem Antrag, ein Sachverständigengutachten einzuholen, genügt werden. Letzteres liefe auf eine unzulässige Ausforschung hinaus. Ist somit für die rechtliche Beurteilung dasjenige Lösungsprofil heranzuziehen, das sich für die angegriffenen Präparate aus der Darstellung gemäß Anlage B 1 ergibt, so erweist sich, dass der Fenofibrat-Wirkstoff zwar vollständig gelöst wird, allerdings nicht „sofort„. Innerhalb eines Zeitraumes von 30 Minuten nach oraler Einnahme sind erst 29 % des Wirkstoffes freigesetzt; die im Unteranspruch 25 für 30 Minuten genannte Freisetzungsrate von 75 % wird bei der angegriffenen Ausführungsform erst nach ca. 75 Minuten erreicht, d.h. nach der zweieinhalbfachen Zeit, die das Klagepatent für eine „sofortige Freisetzung„ des Wirkstoffs tendenziell im Blick hat. Bei dieser Sachlage kann keine Rede davon aus, dass bei dem Präparat der Beklagten nahezu der gesamte Wirkstoff sofort freigesetzt wird.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 709, 108 ZPO.