4b O 399/03 – Stahlschutz-Leitwand

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 422

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 22. Februar 2005, Az. 4b O 399/03

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

III. Das Urteil ist für die Beklagten zu 1) und 2) gegen Sicherheitsleitung von 7.500,– EUR und für die Beklagte zu 3) gegen Sicherheitsleistung von 3.300,– EUR vorläufig vollstreckbar.

IV. Der Streitwert wird auf 100.000,– EUR festgesetzt.

T a t b e s t a n d :

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des am 7.09.1989 angemeldeten deutschen Patents 39 29 xxx, dessen Erteilung am 10.11.1994 veröffentlicht worden ist. Das Klagepatent betrifft eine Leiteinrichtung, die aus lösbar zusammensetzbaren Einzelteilen besteht. Der im vorliegenden Rechtsstreit allein interessierende Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

„Leiteinrichtung für Kraftfahrzeuge, bestehend aus lösbar zusammensetzbaren, aus mit auf den Boden, ein Fundament (49) oder dergleichen aufsetzbaren Pfosten (2, 3, 51) versehenen Einzelteilen (1) aus Stahl, welche jeweils einen annähernd mindestens teilweise hut- oder glockenförmig ausgebildeten Querschnitt aufweisen, wobei die Pfosten (2, 3, 51) jeweils mit einer Bodenplatte (14, 15) versehen sind und aus einer schottwandartig ausgebildeten Platte (6, 7) mit einer sich zu ihrem Oberrand hin verjüngenden Breite und senkrecht dazu verlaufenden Stegen (11, 12, 13, 50) bestehen, welche sich über die Gesamthöhe der Einrichtung erstrecken und an denen mindestens eine Seitenwand (4, 4`; 52, 53) der letzteren befestigt ist, und wobei mindestens an einem Steg (11, 12, 13, 50) des Pfostens (2, 3, 51) im Bodenbereich eine zur Fahrbahn weisende, annähernd dreieckige Stützplatte (20, 21) vorgesehen ist, an welcher der untere Abschnitt (5,5’) der bis zum Boden reichenden Seitenwand (4, 4’, 52, 53) befestigt ist.„

Die nachfolgenden Abbildungen (Figuren 1 und 2 der Klagepatentschrift) zeigen ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung.

Nach dem Vorbringen der Klägerin haben sich die Beklagten zu 1) und 3) jeweils an einer Ausschreibung des Landesbetriebes für das Gewerk „Absturzsicherung Fahrtrichtung Frankfurt, Ortslage beteiligt. Gegenstand der Ausschreibung war die nachfolgend eingeblendete Stahlschutz-Leitwand (Anlage K 4).

Die Klägerin behauptet, die besagte Leitwand sei in ihren konstruktiven Details im Wesentlichen aus der Fotobildserie gemäß Anlage K 5 ersichtlich, von der nachfolgend die Bilder 1 und 2 wiedergegeben sind.

Eine übereinstimmende Leiteinrichtung – so behauptet die Klägerin – haben die Beklagte zu 1) und deren deutscher Repräsentant, die Beklagten zu 2), unter dem 5.03.2003 (Anlage K 8) außerdem der A GmbH & Co. KG in M angeboten.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Angebotshandlungen der Beklagten ein das Klagepatent überwiegend wortsinngemäß und im übrigen äquivalent verletzendes Verhalten darstellen. Vorliegend nimmt sie die Beklagten deshalb auf Unterlassung, Rechnungslegung und Schadenersatz in Anspruch.

Die Klägerin beantragt,

I. die Beklagten zu verurteilen,

1. es bei Meidung der (näher bezeichneten) gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen

Leiteinrichtungen für Kraftfahrzeuge in Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder einzuführen oder zu besitzen oder an den genannten Handlungen mitzuwirken,

die folgende Merkmale aufweisen:

– die Leiteinrichtung besteht aus lösbar zusammensetzbaren Einzelteilen aus Stahl;

– die Einzelteile sind mit auf dem Boden, ein Fundament oder dergleichen aufsetzbaren Pfosten versehen;

– die Einzelteile weisen jeweils einen annähernd mindestens teilweise hut- oder glockenförmig ausgebildeten Querschnitt auf,

– die Pfosten sind jeweils mit einer Bodenplatte versehen,

– die Pfosten bestehen aus schottwandartig ausgebildeten Platten,

– die Platten weisen eine zu ihrem Oberrand hin sich verjüngende Breite auf,

– die Pfosten weisen senkrecht zur Platte verlaufende Stege auf;

– die Platten der Pfosten erstrecken sich über die Gesamthöhe der Einrichtung,

– an den Platten der Pfosten ist mindestens eine Seitenwand mittels einer Schweißnaht befestigt;

– an dem der Straße zugewandten Steg des Pfostens ist im Bodenbereich eine dreieckige Stützplatte angeordnet,

– an der Stützplatte ist der untere Abschnitt der bis zum Boden reichenden Seitenwand durch eine Schweißnaht befestigt,

– die Seitenwände weisen auf der Innenseite waagerecht verlaufende, an ihnen festgeschweißte Rippen auf;

2. ihr, der Klägerin, darüber Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie, die Beklagten, Leiteinrichtungen der unter 1. bezeichneten Art in der Bundesrepublik Deutschland angeboten, in Verkehr gebracht, nach Deutschland eingeführt (die Beklagte zu 1) und/oder gebraucht haben,

und zwar unter Angabe der Abnehmer oder Auftraggeber sowie unter Angabe der Menge der eingeführten, ausgelieferten oder bei ihnen bestellten Leiteinrichtungen, deren Teile sowie unter Angabe der einzelnen Bestellungen, Lieferungen, Bestände, Gestehungspreise und Abgabepreise in jeweils geordneten Aufstellungen;

II. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihr (der Klägerin) allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten Handlungen entstanden ist oder noch entstehen wird.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie bestreiten, dass der Gegenstand des Ausschreibungsangebotes aus den Lichtbildern gemäß Anlage K 5 ersichtlich sei. Selbst wenn solches unterstellt werde, verwirkliche die dort ersichtliche Leitwand nicht die Merkmale des Klagepatents. Die Ausschreibungsunterlagen als solche ergäben erst Recht nicht die Verwirklichung der patentgeschützten Lehre.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg, weil das Vorbringen der Klägerin für die geltend gemachten Ansprüche unschlüssig ist.

Zu Gunsten der Klägerin kann unterstellt werden, dass die Beklagten Stahlschutz-Leitwände angeboten haben, deren nähere Ausgestaltung sich aus den als Anlage K 5 überreichten Lichtbildern ergibt. Selbst wenn der Angebotsgegenstand – wie von der Klägerin behauptet – ausgestaltet war, läßt sich nicht die Feststellung treffen, dass mit ihm von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch gemacht wird.

I.

Das Klagepatent betrifft eine Leiteinrichtung für Kraftfahrzeuge.

Nach den einleitenden Bemerkungen der Klagepatentschrift ist eine derartige Einrichtung bereits aus dem Gebrauchsmuster 1 870 841 bekannt. Wie die nachfolgende Abbildung (Figur 1) verdeutlicht, sind plattenförmige Rahmen vorgesehen, die aus vertikalen dreieckförmigen Stahlblechstützen mit konkav gekrümmten symmetrischen Seiten bestehen, welche mittels Schrauben die entsprechend geformten Seitenwandabschnitte halten.

Die Klagepatentschrift kritisiert hieran, dass die aus einem annähernd dreieckförmigen Rahmen bestehenden Stahlblechstützen für schwere Auffahrunfälle ungeeignet seien, weil die Stahlblechstützen durchknicken könnten.

Eine weitere Leiteinrichtung ist ausweislich der Klagepatentschrift aus der DE-OS 30 36 227 bekannt, deren Figuren 1 und 2 nachstehend eingeblendet sind.

Zu ihr führt die Klagepatentschrift aus, es seien Pfosten vorhanden, die innerhalb der Leiteinrichtung angeordnet seien. Die Pfosten stünden allerdings nicht auf dem Boden auf; vielmehr seien separate Stahlbügel vorgesehen, die ein Gleiten der Vorrichtung auf dem Boden zuließen.

Ausgehend von dem vorerörterten Stand der Technik bezeichnet es die Klagepatentschrift als Aufgabe der Erfindung, eine Leiteinrichtung zu schaffen, die einerseits eine schmale Bauweise erlaubt, andererseits jedoch sehr robust ist.

Patentanspruch 1 sieht hierzu die Kombination folgender Merkmale vor:

(1) Die Leiteinrichtung für Kraftfahrzeuge besteht aus lösbar zusammensetzbaren Einzelteilen (1) aus Stahl.

(2) Die Einzelteile (1)

(a) weisen jeweils einen annähernd mindestens teilweise hut- oder glockenförmig ausgebildeten Querschnitt auf und

(b) sind mit Pfosten (2, 3, 51) versehen, die auf den Boden, ein Fundament (40) oder dergleichen aufsetzbar sind.

(3) Die Pfosten (2, 3, 51)

(a) sind jeweils mit einer Bodenplatte 14, 15) versehen und

(b) bestehen

– aus einer schottwandartig ausgebildeten Platte (6, 7), deren Breite sich zu ihrem Oberrand hin verjüngt,

– und senkrecht zu der Platte 6, 7) verlaufenden Stegen (11, 12, 13, 50).

(4) Die Stege (11, 12, 13, 50) erstrecken sich über die Gesamthöhe der Einrichtung (7).

(5) An den Stegen (11, 12, 13, 50) ist mindestens eine Seitenwand (4, 4’, 52, 53) der Einrichtung befestigt.

(6) Mindestens an einem Steg (11, 12, 13, 50) des Pfostens (2, 3, 51) ist im Bodenbereich eine zur Fahrbahn weisende, annähernd dreieckige Stützplatte (20, 21) vorgesehen.

(7) An der Stützplatte (20, 21) ist der untere Abschnitt (5, 5’) der bis zum Boden reichenden Seitenwand (4, 4’, 52, 53) befestigt.

II.

Dass die angegriffenen Stahlschutz-Leitwände der Beklagten von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch machen, lässt sich nicht feststellen. Es fehlt jedenfalls an dem Merkmal (4):

1.
Erfindungsgemäß besteht jeder Pfosten eines Einzelteils der Leiteinrichtung aus

– einer schottwandartigen Platte (6, 7) und
– senkrecht zu der Platte verlaufenden Stegen (11, 12, 13, 50).

Jeder Pfosten soll also – wie der verwendete Plural unmissverständlich deutlich macht – nicht nur über einen, sondern über zwei Stege verfügen. Zu diesen – beiden – Stegen ist konkretisierend im Patentanspruch 1 gefordert, dass sie sich „über die Gesamthöhe der Leiteinrichtung zu erstrecken„ haben. Die besagte Maßangabe bezieht sich nicht auf die schottwandartige Platte, sondern – wie bereits der Anspruchswortlaut ergibt – auf die senkrecht mit der Platte verbundenen Stege. Das Wort „welche„ in Spalte 4 Zeile 10 der Klagepatentschrift nimmt nämlich auf die unmittelbar vorher erwähnten (mehreren) Stege Bezug, was sich auch darin manifestiert, dass die Stege diejenigen Bauteile sind, die in der Mehrzahl vorkommen, während ein Rückbezug der Formulierung „welche sich über die Gesamthöhe der Einrichtung erstrecken„ auf die schottwandartige Platte bereits daran scheitert, dass diese nach der Anspruchsformulierung lediglich in der Einzahl vorhanden ist. Dass sich die Stege – und nicht die Platte – über die Gesamthöhe der Leiteinrichtung erstrecken sollen, verdeutlicht überdies der anschließende Anspruchstext „… und an denen mindestens eine Seitenwand … befestigt ist„. Patentgemäß soll die Seitenwand an dem Steg – und nicht an der Platte – befestigt werden, woraus folgt, dass sich auch die vorausgehende Forderung einer Erstreckung über die Gesamthöhe der Einrichtung auf eben die Stege – und nicht die Platte – beziehen muss.

Das genannte Verständnis macht für den Durchschnittsfachmann auch technisch Sinn. Durch die erfindungsgemäße Anordnung einer schottwandartigen Platte mit an den Plattenenden senkrecht dazu angeordneten Stegen wird ein Doppel-T-förmiges Pfostenprofil erhalten, welches außerordentlich stabil und deshalb in der Lage ist, auch schweren Aufprallunfällen Stand zu halten. Ein derartiges Pfostenprofil steht – anders als die aus dem Gebrauchsmuster 1 870 841 vorbekannten Stahlblechstützen – nicht mehr in der Gefahr, bei schweren Aufprallunfällen durchzuknicken. Der mit dem erfindungsgemäßen Pfostenprofil erhaltene Aufprallschutz muss dabei – wie der Fachmann erkennt – auch und besonders im oberen Bereich des Pfostens gegeben sein, weil gerade dort ein Fahrzeugkontakt stattfinden wird. Der Durchschnittsfachmann versteht deshalb, dass es zur Erzielung der erfindungsgemäßen Vorteile, nämlich zum Erhalt eines Pfostenprofils, welches gegenüber einem Aufprall außerordentlich robust ist, notwendig ist, beide Stege über die Gesamthöhe der Leiteinrichtung vorzusehen. Exakt in diesem Sinne hat auch die Klägerin in ihrer Replik vom 30.08.2004 (Seite 5, GA 121) ausgeführt:

„Richtig ist, dass die an den Pfosten vorgesehenen Stege die Kräfte aufnehmen, die bei einem Aufprall auf die Pfosten einwirken. Wären solche Stege nicht vorhanden, so würde die Schottwand einknicken.„

2.
Bei der angegriffenen Stahl-Schutz-Leitwand, wie sie aus Anlage K 5 ersichtlich ist, sind über die gesamte Höhe der Leiteinrichtung sich erstreckende Stege nicht vorhanden. Auf der zur Fahrbahn gewandten Seite der schottwandartigen Platte ist vielmehr allenfalls im unteren Bereich ein steg-artiges Bauteil vorgesehen. Dieses macht lediglich ¼ der Gesamthöhe der Leiteinrichtung aus und entspricht damit zweifellos nicht dem technisch verstandenen Wortsinn von Patentanspruch 1.

Soweit sich die Klägerin deswegen auf eine äquivalente Benutzung beruft, liegen deren Voraussetzungen nicht vor. Fehl geht der Hinweis der Klägerin, auf den oberen Steg zur Befestigung der Seitenwand zum Beispiel mittels Schraubbolzen könne – für den Fachmann erkennbar und deshalb naheliegend – verzichtet werden, wenn die Seitenwand – wie dies bei der angegriffenen Ausführungsform der Fall sei – unmittelbar mit dem Pfosten verschweißt werde. Die Argumentation der Klägerin geht am eigentlichen technischen Sachverhalt vorbei. Den sich anspruchsgemäß über die Gesamthöhe erstreckenden Stegen kommt weniger eine Befestigungsaufgabe für die Seitenwand zu. Erst recht kann – nachdem sich Patentanspruch 1 hierzu in keiner Weise verhält – nicht argumentiert werden, die Formulierung des Patentanspruchs 1 berücksichtige eine Verschraubung der Seitenwand mit dem Pfosten. Vielmehr und entscheidend kommt den sich über die Gesamthöhe erstreckenden Stegen eine stabilisierende Funktion zu, die wesentlich dafür ist, dass – im Sinne der Aufgabenstellung des Klagepatents – eine Leiteinrichtung erhalten wird, die sehr robust ist und auch schweren Aufprallunfällen Stand hält. Wie bereits ausgeführt, ist deswegen für den Pfosten selbst ein Doppel-T-Profil (bestehend aus der schottwandartigen Platte und den beiden endseitig angeordneten Stegen) vorgesehen. Durch diese Anordnung wird eine Pfostenkonstruktion erhalten, die derjenigen aus dem Stand der Technik, welche bei schweren Aufprallunfällen durchknicken konnte, überlegen ist. Da erfindungsgemäß auf das Doppel-T-Profil des Pfostens – zusätzlich – die Seitenwand angebracht wird (sei es verschraubt, sei es verschweißt oder in sonstiger Weise), kann nicht argumentiert werden, die Seitenwand selbst ersetze im Bereich der Schottwand, mit der sie verschweißt sei, den Steg. Technisch betrachtet verhält es sich im Gegenteil so, dass über etwa ¾ der Gesamthöhe der Leiteinrichtung ein Steg ersatzlos fehlt. Es existiert deshalb offensichtlich kein Austauschmittel, welches dasjenige zu leisten vermag, was der – fehlende – Steg erfindungsgemäß zu leisten hat. Die sich hieraus zwangsläufig ergebenden Defizite bei der Stabilität können auch nicht als vernachlässigenswert abgetan werden. Denn gerade im oberen Bereich der Seitenwand wird ein etwaiger Aufprall stattfinden, weswegen gerade dort auch die den Pfosten zu einem Doppel-T-Profil ergänzenden Stabilisierungsstege erforderlich sind.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus § 709 ZPO.