4c O 12/13 – Frontblendenbefestigung

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 2127

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 19. September 2013, Az. 4c O 12/13

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist für die Beklagte wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 0 740 XXX B1 (Anlage K 5, nachfolgend Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents, das am 14. Juli 1994 unter Inanspruchnahme einer österreichischen Priorität vom 21. September 1993 in deutscher Verfahrenssprache angemeldet wurde. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 25. November 1998 veröffentlicht. Das Patent steht in Kraft.

Das Klagepatent hat eine Vorrichtung zur Befestigung der Frontblende einer Schublade an vorzugsweise doppelwandigen Schubladenzargen zum Gegenstand. Der von der Klägerin geltend gemachte Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet wie folgt:

„Vorrichtung zur Befestigung der Frontblende (4) einer Schublade an vorzugsweise doppelwandigen Schubladenzargen (17), mit einem an der Frontblende (4) befestigten und von dieser abstehenden Halteteil (7) und einem einer Schubladenzarge (17) zugeordneten Tragteil, der einen bewegbaren Arretierteil trägt und mit diesem zur Gänze hinter der vorderen Stirnkante der Schubladenzarge (17) liegt, wobei der Arretierteil, der den Halteteil (7) mit dem Tragteil kuppelt, von einer Feder (6) beaufschlagt wird, dadurch gekennzeichnet, dass der Arretierteil als um eine horizontale Achse drehbarer Kipphebel (60) ausgebildet ist, der beim Einschieben des Halteteils (7) unter Federwirkung bei diesem selbsttätig einrastet und den Halteteil (7) zum Tragteil zieht, und dass der Kipphebel (60) eine seitliche Aufnahme für einen Schraubendreher oder dgl. aufweist, mit dem er, entgegen der Federwirkung, aus der Arretierstellung drehbar ist, wobei er den Halteteil (7) freigibt.“

Wegen des Wortlauts der lediglich insbesondere geltend gemachten Patentansprüche 2, 4, 5, 12, 24 und 27 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.

Nachfolgend werden in verkleinerter Form aus der Klagepatentschrift stammende zeichnerische Darstellungen bevorzugter Ausführungsformen der Erfindung abgebildet. Figur 2 zeigt bildlich und auseinandergezogen die Schubladenzarge, die Vorrichtung zur Befestigung der Frontblende und die Schienen einer Ausziehführungsgarnitur und die Figuren 3 bis 5 zeigen jeweils Seitenansichten eines Ausführungsbeispiels der erfindungsgemäßen Vorrichtung in verschiedenen Stadien des Einhängens der Frontblende.

Die Beklagte, ein türkisches Unternehmen, welche in unmittelbarem Wettbewerb zu der Klägerin steht, verteilte auf der Messe Interzum 2011 in Köln vom 25. bis 28. Mai 2011 Prospekte, in denen ihre System-Schublade „A“ mit Frontwandhaltern (angegriffene Ausführungsform) abgebildet war. Die Beklagte vertreibt die angegriffene Ausführungsform in zwei Varianten. Diese unterscheiden sich dahingehend, dass bei der Ausführung „A1“ die beiden Kipphebel miteinander verzahnt sind, während dies bei der Ausführung „A2“ nicht der Fall ist. Die Klägerin erwarb in der Türkei Muster der angegriffenen Ausführungsform. Nachfolgend sind Abbildungen der angegriffenen Ausführungsform wiedergegeben, wobei die Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu Illustrationszwecken einzelne Bestandteile entsprechend ihrer Rechtsauffassung mit Bezugsziffern versehen haben.

Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagepatentanspruchs 1 wortsinngemäß unmittelbaren, hilfsweise mittelbaren Gebrauch. Eine unmittelbare Patentverletzung bestehe trotz des Umstandes, dass die Beklagte Frontblenden nicht vertreibe. Sie biete jedoch die angegriffene Ausführungsform ausdrücklich für die Befestigung von Frontblenden an, was zur Folge habe, dass die Beklagte mittäterschaftlich zusammen mit einem Küchenhersteller verantwortlich sei, welcher den angegriffenen Beschlag mit einer Frontblende verbinde. Überdies mache die angegriffene Ausführungsform von der weiteren Lehre nach dem Klagepatent wortsinngemäßen Gebrauch. Die beiden Kipphebel der angegriffenen Ausführungsform würden beim Einschieben des Halteteils selbsttätig unter Federwirkung einrasten, was man daran erkenne, dass ein Einrasten auch erfolge, wenn der rote Keil an der Einschubbewegung nicht beteiligt sei. Die Federwirkung müsse nicht durch die Feder hervorgerufen werden, welche das Arretierteil beaufschlage. Das Klagepatent sei hierauf nicht beschränkt. Auch ziehe der Kipphebel das Halteteil zum Tragteil. Eine zeitliche Abfolge dahingehend, dass zunächst ein Einrasten und erst hieran anschließend ein Ziehen erfolge müsse, sehe das Klagepatent nicht vor. Der Kipphebel sei mit einem Schraubendreher auch entgegen der Federwirkung aus der Arretierstellung drehbar. Zwar müsse für die Freigabe des Halteteils der rote Keil außer Funktion gesetzt werden; zusätzliche Sicherungsmaßnahmen sehe das Klagepatent jedoch selbst vor, wie die Figuren 12 bis 14 sowie die Beschreibung in Spalte 5 Zeilen 4 ff. aufzeigen würden.

Die Klägerin beantragt, nachdem sie in der mündlichen Verhandlung den Antrag auf Rechnungslegung konkretisiert hat,

I. die Beklagte zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines für jeden Einzelfall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren – die Ordnungshaft zu vollziehen an den gesetzlich für sie handelnden Personen – zu unterlassen,

im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland

Vorrichtungen zur Befestigung der Frontblende einer Schublade an vorzugsweise doppelwandigen Schubladenzargen, mit einem an der Frontblende befestigten und von dieser abstehenden Halteteil und einem einer Schubladenzarge zugeordneten Tragteil, der einen bewegbaren Arretierteil trägt und mit diesem zur Gänze hinter der vorderen Stirnkante der Schubladenzarge liegt, wobei der Arretierteil, der den Halteteil mit dem Tragteil kuppelt, von einer Feder beaufschlagt wird,

anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen,

wenn der Arretierteil als um eine horizontale Achse drehbarer Kipphebel ausgebildet ist, der beim Einschieben des Halteteiles unter Federwirkung bei diesem selbsttätig einrastet und den Halteteil zum Tragteil zieht, und dass der Kipphebel eine seitliche Aufnahme für einen Schraubendreher oder dergleichen aufweist, mit dem er, entgegen der Federwirkung, aus der Arretierstellung drehbar ist, wobei er den Halteteil freigibt;

2. der Klägerin durch Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die in Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 25. Dezember 1998 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefer- und Bestellmengen, Bestellzeiten und Bestellpreisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,

b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,

c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei die Beklagte hinsichtlich der Angaben zu a) Rechnungen vorzulegen hat,

wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;

II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziffer I. 1. bezeichneten und seit dem im Antrag zu I.2. bezeichneten Zeitpunkt begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird;

hilfsweise beantragt die Klägerin eine Verurteilung wegen mittelbarer Patentverletzung, wobei in diesem Zusammenhang die vorstehend wiedergegebenen Anträge wie folgt abgeändert werden:

 „im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland“ wird gestrichen,
 „mit einem an der Frontblende befestigten…“ wird ersetzt durch „mit einem an der Frontblende befestigbaren…“,
 „anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen“ wird ersetzt durch „Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern“.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise den Rechtsstreit auszusetzen bis zur Entscheidung über die gegen den Rechtsbestand des Klagepatentes erhobene Nichtigkeitsklage,

weiter hilfsweise ihr zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung (Bank- oder Sparkassenbürgschaft) abzuwenden.

Die Beklagte ist der Ansicht, durch die angegriffene Ausführungsform werde das Klagepatent weder unmittelbar noch mittelbar wortsinngemäß verletzt. Eine unmittelbare Patentverletzung liege bereits nicht vor, da die Beklagte keine Frontblenden von Schubladen vertreibe und die Frontblende sei Bestandteil des Patentanspruches 1. Überdies scheide eine Patentverletzung aus, da ein Einrasten der beiden Kipphebel nur unter der Federwirkung des roten Keils erfolge; die Federwirkung müsse indes von der das Arretierteil beaufschlagenden Feder herrühren und dürfe nicht durch eine weitere Feder verursacht werden. Auch erfolge bei der angegriffenen Ausführungsform keine Arretierung des Halte- mit dem Tragteil. Denn durch einfaches Ziehen an der Frontblende könne das Halteteil von dem Tragteil gelöst werden. Erst der rote Keil bewirke eine Arretierung des Halte- mit dem Tragteil. Eine Verletzung liege auch nicht vor, da bei der angegriffenen Ausführungsform bei der Montage der Frontblende zunächst das Halteteil von einem Monteur zwischen die beiden Kipphebel geschoben werde, bis die Frontblende in ihrer finalen Montageposition stehe. In dieser Position würden dann die Kipphebel das Halteteil hintergreifen und die Frontblende gegen die Schubladenzarge drücken. Ein Einziehen des Halteteils finde nicht statt. Letztlich scheide eine Patentverletzung auch aus, da bei der angegriffenen Ausführungsform der Kipphebel nicht mit dem Schraubendreher entgegen der Federwirkung drehbar unter Freigabe des Halteteils sei. Bei der angegriffenen Ausführungsform müsse zunächst der rote Keil gelöst werden. Wenn dieser gelöst sei, fehle es an der Arretierstellung, da dann ein leichtes Herausziehen des Halteteils und der Frontblende möglich sei.
Das Klagepatent werde sich im Nichtigkeitsverfahren auch nicht als rechtsbeständig erweisen. Die Gebrauchsmusterschrift G 92 12 683 nehme den Gegenstand der Lehre nach dem Klagepatent neuheitsschädlich vorweg.

Die Klägerin tritt diesem Vorbringen entgegen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, §§ 139 Abs. 1 und 2, 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB, da die Beklagte das Klagepatent wortsinngemäß weder in unmittelbarer noch in mittelbarer Weise verletzt.

I.
Die Erfindung nach dem Klagepatent bezieht sich auf eine Vorrichtung zur Befestigung der Frontblende einer Schublade an vorzugsweise doppelwandigen Schubladenzargen, mit einem an der Frontblende befestigten und von dieser abstehenden Halteteil und einem einer Schubladenzarge zugeordneten Tragteil, der einen bewegbaren Arretierteil trägt und mit diesem zur Gänze hinter der vorderen Stirnkante der Schublandezarge liegt, wobei der Arretierteil, der den Halteteil mit dem Tragteil kuppelt, von einer Feder beaufschlagt wird.

In der Klagepatentschrift wird ausgeführt, dass solche Vorrichtungen im Stand der Technik beispielsweise aus der EP 0 267 477 und EP 0 451 113 bekannt seien. Bei diesen Vorrichtungen kann die Frontblende zwar mit den Halteteilen in die Tragteile eingehängt werden, womit sie provisorisch an der Schublade verankert sind. Die endgültige Fixierung der Frontblende erfolgt jedoch durch Verdrehen eines Exzenters bzw. durch Anziehen einer Schraube, was das Klagepatent als nachteilig ansieht.

Dem Klagepatent liegt vor diesem Hintergrund die Aufgabe (das technische Problem) zu Grunde, eine Vorrichtung der eingangs erwähnten Art dahingehend zu verbessern, dass die Frontblende vollständig werkzeuglos an den Schubladenzargen montiert werden kann. Umgekehrt soll verhindert werden, dass die Frontblende bei zu starker Krafteinwirkung beim Herausziehen der Schublade unbeabsichtigt aus ihrer Verankerung gerissen wird.

Dies soll durch den Klagepatentanspruch 1 erreicht werden, dessen Merkmale wie folgt gegliedert werden können:

1. Vorrichtung zur Befestigung der Frontblende (4) einer Schublade an vorzugsweise doppelwandigen Schubladenzargen (17);

2. die Vorrichtung weist einen an der Frontblende (4) befestigten und von dieser abstehenden Halteteil (7) auf;

3. die Vorrichtung hat ein Tragteil, das einer Schubladenzarge (17) zugeordnet ist;

3.1 das Tragteil trägt einen bewegbaren Arretierteil;

3.1.2 das Tragteil liegt mit dem Arretierteil zur Gänze hinter der vorderen Stirnkante der Schublandenzarge (17);

3.1.3 der Arretierteil kuppelt den Halteteil (7) mit dem Tragteil;

3.1.4 der Arretierteil wird von einer Feder (6) beaufschlagt;

4. der Arretierteil ist als Kipphebel (60) ausgebildet;

4.1 der Kipphebel (60) ist um eine horizontale Achse drehbar;

4.2 der Kipphebel (60) rastet beim Einschieben des Halteteils (7) unter Federwirkung bei dem Halteteil (7) selbsttätig ein;

4.3 der Kipphebel (60) zieht das Halteteil (7) zum Tragteil;

4.4 der Kipphebel (60) hat eine seitliche Aufnahme für einen Schraubendreher oder dgl.;

4.5 der Kipphebel (60) ist mit dem Schraubendreher oder dgl. entgegen der Federwirkung aus der Arretierstellung drehbar, wobei er den Halteteil (7) freigibt.

II.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre nach dem Klagepatent keinen wortsinngemäßen Gebrauch, so dass eine Verurteilung wegen unmittelbarer sowie mittelbarer Patentverletzung ausscheiden muss.

Die patentgemäße Vorrichtung dient dazu, die Frontblende einer Schublade an einer vorzugsweise doppelwandigen Schubladenzarge zu befestigen. Zu diesem Zweck besitzt die Vorrichtung zwei korrespondierende Teile: das Halteteil, das an der Frontblende befestigt wird (Merkmal 2) und das Tragteil, das der Schubladenzarge zugeordnet ist (Merkmalsgruppe 3). Das Tragteil und das Halteteil ihrerseits sind so ausgestaltet, dass sie miteinander gekuppelt werden können. Dies gelingt mittels der in den Merkmalsgruppen 3 und 4 näher beschriebenen Ausgestaltung von Halte- und Tragteil.

Das Halteteil, welches an der Frontblende befestigt ist, steht von dieser ab. Das Tragteil demgegenüber trägt einen bewegbaren Arretierteil, welches das Tragteil mit dem Halteteil kuppelt. Das Arretierteil wird von der Feder beaufschlagt und ist als Kipphebel ausgebildet. Die Art der Kupplung beschreibt der Patentanspruch näher dahin, dass der Kipphebel, welcher den Arretierteil bildet, um eine horizontale Achse drehbar ist, beim Einschieben des Halteteils unter Federwirkung bei dem Halteteil selbsttätig einrastet und das Halteteil zum Tragteil zieht. Erhalten werden soll hierdurch eine an der Schubladenzarge schnellmontierte, insbesondere werkzeuglose, Frontblende. Die Verbindung soll dabei, wie es die Aufgabenstellung des Klagepatentes vorsieht, auch dergestalt sein, dass die Frontblende bei zu starker Krafteinwirkung nicht unbeabsichtigt aus ihrer Verankerung gerissen wird.

Dies schließt die Verwendung weiterer Vorrichtungsbestandteile zur Erfüllung der erfindungsgemäßen Aufgabe nicht aus, solange jedenfalls das maßgebliche Zusammenwirken durch die im Patentanspruch genannten Vorrichtungsbestandteile erfolgt, die dabei auch nicht eine nur untergeordnete Rolle wahrnehmen dürfen. Denn der Patentanspruch benennt diese bestimmten Lösungsmittel, so dass genau diese Lösungsmittel dazu beitragen müssen, die werkzeuglose Montage von der Frontblende an die Schubladenzargen zu ermöglichen. Außerdem müssen diese Lösungsmittel auch dazu beitragen, dass verhindert wird, dass die Frontblende bei zu starker Krafteinwirkung beim Herausziehen der Schublade unbeabsichtigt aus ihrer Verankerung gerissen wird.

Das Klagepatent selbst erkennt das Problem des Herausreißens der Frontblende aus der Schubladenzarge bei zu starker Krafteinwirkung. Denn in den Figuren 12 bis 14 mit dem Bezugszeichen 61 wird ein Sperrriegel gezeigt, der als zweiarmiger Hebel ausgeführt ist und auf dem Stift 56 lagert. Der Sperrriegel 61 ist, wie der Beschreibung in Spalte 4 Zeilen 17 ff. entnommen werden kann, federnd ausgeführt, und steht nach dem Einrasten des Kipphebels in das Halteteil hinter dem Kipphebel vor und verhindert ein Zurückdrehen des Kipphebels 60 (vgl. Spalte 4 Zeilen 41 bis 44). Dementsprechend stellt das Klagepatent in den Unteransprüchen 3, 8, 9 und 11 einen Sperrriegel unter Schutz, der in den genannten Unteransprüchen näher beschrieben wird.

Die grundsätzliche Möglichkeit der Verwendung weiterer Hilfsmittel wie den in dem bevorzugten Ausführungsbeispiel gezeigten Sperrriegel entbindet indes nicht von der Erfüllung der weiteren Merkmale des Klagepatentes, insbesondere des Merkmals 4.5, welches vorsieht, dass der Kipphebel mit einem Schraubendreher oder ähnlichem entgegen der Federwirkung aus der Arretierstellung gedreht werden kann, um auf diese Weise das Halteteil freizugeben. Vielmehr muss auch bei Verwendung zusätzlicher Sicherungsmittel, die die weitere Praxistauglichkeit der Schublade verbessern sollen, der Kipphebel des Tragteils mittels eines Schraubendrehers oder dergleichem entgegen der Federwirkung aus der Arretierstellung drehbar sein, wobei das Halteteil hierdurch freigegeben wird. Dies folgt aus der Beschreibung der Klagepatentschrift sowie den Zeichnungen. Der in den Figuren 12 bis 14 der Klagepatentschrift mit dem Bezugszeichen 61 zeichnerisch dargestellte sowie in Spalte 4 Zeilen 10 bis 20 sowie Zeilen 41 bis 45 beschriebene Sperrriegel, der ein Zurückdrehen des Kipphebels verhindert, wird bei Verwendung eines Schraubendrehers gleichzeitig mit dem Kipphebel gelöst, so dass eine Freigabe des Halteteils erfolgt. Entsprechend wird in Spalte 5 Zeilen 4 bis 16 beschrieben wie der Lösungsvorgang erfolgt. Der Schraubendreher wird in den Kreuzschlitz des Kipphebels 60 eingeführt, wobei er mit seiner Spitze den Sperrriegel 61 nach hinten drückt. Der Kipphebel 60 kann dann mit dem Schraubenzieher im Uhrzeigersinn gedreht werden, so dass eine Freigabe erfolgt.

Anhaltspunkte für ein Verständnis dahingehend, dass bei Vorhandensein weiterer Sicherungsmittel eine Freigabe des Kipphebels nicht ausschließlich durch die Verwendung eines Schraubendrehers oder ähnlichem erfolgt, sind nicht zu erkennen. Der Patentanspruch 1 sowie die Unteransprüche 3, 8 und 9, welche sich mit dem Sperrriegel als zusätzlichem Sicherungsmittel befassen, setzen voraus, dass der Kipphebel, wie in Merkmal 4.5 vorgesehen, mit dem Schraubendreher entgegen der Federwirkung aus der Arretierstellung drehbar ist, wobei er den Halteteil freigibt, mithin auch bei Vorhandensein eines weiteren Sicherungsmittels ein einfaches Lösen des Halteteils mittels eines Schraubendrehers oder ähnlichem möglich ist. In Entsprechung hierzu wird der Lösevorgang, wie bereits ausgeführt, in Spalte 5 Zeilen 4 bis 16 beschrieben und in den Figuren 12 bis 14 zeichnerisch dargestellt. Es wird nicht verkannt, dass es sich hierbei um Unteransprüche handelt, die den im Allgemeinen weiter gefassten Hauptanspruch nicht beschränken können. Gleiches gilt für die Beschreibung eines bevorzugten Ausführungsbeispiels sowie dessen zeichnerischer Darstellung. Das Klagepatent gibt indes keinen Anhaltspunkt, und einen entsprechenden Anhalt vermochte auch die Klägerin nicht aufzuzeigen, dass bei Vorhandensein weiterer Sicherungsmittel die Freigabe des Halteteils nicht allein mittels eines Schraubendrehers oder ähnlichem erfolgen soll, sondern weiterer Handlungen des Nutzers bedarf.

Es wird auch nicht verkannt, dass ein Lösen der Frontblende von der Schubladenzarge im allgemeinen Gebrauch selten praktiziert werden wird, so dass es für den Nutzer unerheblich sein mag, ob er neben der Verwendung eines Schraubendrehers zum Lösen des Halteteils von dem Tragteil noch weitere Maßnahmen vornehmen muss, um die Frontblende von der Schubladenzarge zu lösen. Diese praktische Sichtweise darf sich nicht über die in dem Patentanspruch 1 getroffene eindeutige Aussage hinwegsetzen, wonach der Kipphebel mit dem Schraubendreher entgegen der Federwirkung aus der Arretierstellung drehbar ist, wobei er den Halteteil freigibt. Das Halteteil soll mithin entsprechend der Anspruchsformulierung durch die Drehung des Kipphebels entgegen der Federwirkung freigegeben werden und nicht erst nach Umsetzung weiterer Lösemaßnahmen.

Auf der Grundlage dieses Verständnisses ist eine wortsinngemäße Verwirklichung des Merkmals 4.5 durch die angegriffene Ausführungsform nicht feststellbar. Bei der angegriffenen Ausführungsform sind die Kipphebel nicht mit dem Schraubendreher entgegen der Federwirkung aus der Arretierstellung drehbar unter Freigabe des Halteteils. Denn der rote Keil, der eine zusätzliche Sicherungsmaßnahme darstellt, verhindert nicht nur eine Freigabe der beiden Kipphebel; der rote Keil verhindert bereits eine Drehbarkeit der Kipphebel aus der Arretierstellung entgegen der Federwirkung. Erst wenn der rote Keil mittels des Schiebers verschoben wird, kann eine Freigabe des Halteteils über die im Merkmal 4.5 beschriebene Maßnahme erfolgen. Einen solchen Lösungsmechanismus sieht das Klagepatent entsprechend des vorstehend geschilderten Verständnisses indes nicht vor: Bei Vorhandensein zusätzlicher Sicherungsmaßnahmen soll eine einfache Freigabe des Halteteils mittels eines Schraubendrehers erfolgen.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 ZPO.

Streitwert: 250.000,00 EUR