4b O 31/10 – digitaler Anschlussleitungstransceiver

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1696

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 7. Juni 2011, Az. 4b O 31/10

I. Die Beklagte wird verurteilt,

1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren zu unterlassen,

a. digitale Anschlussleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation in einer Ausgestaltung zum Senden einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal und dadurch gekennzeichnet, dass der Transceiver so ausgestaltet ist, dass die Sendegeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch gesteuert wird, dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird, derart, dass die Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;

b. digitale Anschlussleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation in einer Ausgestaltung zum Empfangen einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal und dadurch gekennzeichnet, dass der Transceiver so ausgestaltet ist, dass die Empfangsgeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch gesteuert wird, dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird, derart, dass die Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;

2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses und der entsprechenden Rechnungen in Kopie vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die unter I.1. bezeichneten Handlungen für die Zeit seit dem 01.10.2007 begangen hat und zwar unter Angabe

a. der Menge der gelieferten und angebotenen Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

b. der einzelnen Sendungen aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,

c. der einzelnen Angebote aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflage und Höhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet und

e. der nach einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und der nicht-gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, wenn die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der AuItellung enthalten ist;

3. die Erzeugnisse entsprechend Ziffer I.1., die seit dem 05.03.2010 in der Bundesrepublik Deutschland in Verkehr gebracht wurden, gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des EP 1 090 XXX B1 erkannt hat, mit der verbindlichen Zusage, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen, zurückzurufen.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin

1. den der A AG, XXX B, Deutschland, durch die vom 01.10.2007 bis zum 02.07.2009 begangenen, unter Ziff. I.1. näher bezeichneten Handlungen

sowie

2. den der C GmbH, XXX B, Deutschland, durch die vom 03.07.2009 bis zum 05.11.2009 begangenen, unter Ziff. I.1. näher bezeichneten Handlungen

sowie

3. den der Klägerin durch die seit dem 06.11.2009 begangenen, unter Ziff. I.1. näher bezeichneten Handlungen entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 10 % und die Beklagte zu 90 %.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.000.000,00 €, für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

T a t b e s t a n d
Die Klägerin ist seit dem 05.03.2010 eingetragene Inhaberin des in englischer Verfahrenssprache abgefassten Europäischen Patents EP 1 090 XXX B1 (Anlage K 2, im Folgenden: Klagepatent), dessen deutsche Übersetzung die DE 699 20 XXX T2 (Anlage K 2a) darstellt. Das Klagepatent, das eine US-amerikanische Priorität vom 26.06.1998 (90XXX P) beansprucht, wurde am 25.06.1999 angemeldet. Am 15.09.2004 veröffentlichte das EPA die Erteilung des Klagepatents, am 29.09.2005 folgte die Veröffentlichung der Erteilung im Patentblatt. Zu den benannten Vertragsstaaten zählt die Bundesrepublik Deutschland; das Klagepatent wurde in zahlreichen europäischen Ländern validiert. Das Klagepatent steht in Kraft. Gegen den deutschen Teil des Klagepatents erhob die D mit Schriftsatz vom 15.07.2010 Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht (Anlage B 1), über die noch nicht entschieden ist.

Ursprünglich war die E eingetragene Inhaberin des Klagepatents. Diese übertrug das Klagepatent mit Wirkung zum 01.10.2007 auf die A AG, die das Klagepatent wiederum – mit Wirkung zum 03.07.2009 – auf die C GmbH übertrug. Letztere übertrug das Klagepatent mit Wirkung zum 06.11.2009 auf die Klägerin. Sowohl die Übertragung auf die C GmbH als auch die Übertragung auf die Klägerin schlossen das Recht ein, Schadensersatzansprüche für die Vergangenheit geltend zu machen.

Das Klagepatent betrifft allgemein Kommunikationen und insbesondere ein Mehrträger-Kommunikationssystem und Verfahren, mit denen eine Overhead-Kanaldatenübertragungsgeschwindigkeit steuerbar geändert werden kann.

Die vorliegend allein maßgeblichen Ansprüche 15 und 16 des Klagepatents lauten in deutscher Übersetzung:

„15. Digitaler Anschlussleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation in einer Ausgestaltung zum Senden einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal und
dadurch gekennzeichnet, dass
der Transceiver so ausgestaltet ist, dass die Sendegeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch gesteuert wird, dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird, derart, dass die Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz.“

„16. Digitaler Anschlussleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation in einer Ausgestaltung zum Empfangen einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungs-Kanal und dadurch gekennzeichnet, dass
der Transceiver so ausgestaltet ist, dass die Empfangsgeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch gesteuert wird, dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird, derart, dass die Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz.“

Die nachfolgend eingeblendeten (verkleinerten) Figuren 1 und 4 der Klagepatentschrift verdeutlichen den Gegenstand der Erfindung. Figur 1 ist ein schematisches Diagramm eines DSL-Systems, in dem die vorliegende Erfindung vorteilhafterweise eingesetzt werden kann, Figur 4 ist ein Flussdiagramm einer Ausführungsform eines Verfahrens gemäß der vorliegenden Erfindung zum Erzeugen eines Datenrahmens.

Die Beklagte ist ein taiwanesisches Unternehmen, das verschiedene Kommunikationsprodukte und Netzteile herstellt und weltweit vertreibt. Sie bietet in Deutschland unter anderem die ADSL 2/2+ – Modems F, G, H, I, J, K sowie L (im Folgenden: angegriffene Ausführungsformen) an, die integrierte Schaltkreise der D enthalten. Alle angegriffenen Ausführungsformen sind ADSL-compliant, wobei die Beklagte in ihrem Internetauftritt diesbezüglich ausdrücklich auf die von der International Telecommunication Unit (im Folgenden: ITU) veröffentlichten ADSL-Standards ITU G.992.3 (im Folgenden: ADSL 2 – Standard) und ITU G.992.5 (im Folgenden: ADSL 2+ – Standard) verweist.

Bei der Mehrträgerkommunikation existieren sog. Overhead-Daten, die unter anderem der Synchronisation von Sender und Empfänger dienen, und Nutzlast- oder Payload-Daten, die die zu übertragenden Benutzerdaten enthalten. Maßeinheiten für solche Overhead- und Nutzlast-Daten sind unter anderem Byte und Bit. Im ADSL 2 – und im ADSL 2+ – Standard erfolgt die Datenübertragung mit Hilfe sog. Rahmen. Soweit der Inhalt dieser Standards übereinstimmt, wird nachfolgend zusammenfassend vom ADSL 2/2+ – Standard gesprochen. Im ADSL 2/2+ – Standard existieren zum einen sog. Mux Data Frames (Multiplexrahmen), die im PMS-TC-Layer eines digitalen Anschlusstransceivers gebildet werden. Der PMS-TC-Layer (Physical Media Specific Transmission Convergence – Layer) führt Funktionen aus, die den Vorgang der Übertragung von Daten vor- bzw. nachbereiten. Zum anderen gibt es bei einem digitalen Anschlusstransceiver den sog. PMD-Layer (Physical Media Dependent – Layer), der Funktionen ausführt, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Vorgang der Übertragung von Daten stehen. Im PMD-Layer existieren im ADSL 2/2+ – Standard sog. Data Frames. Wegen der Einzelheiten der vorgenannten Standards wird auf die zur Akte gereichten auszugsweisen Übersetzungen (ADSL 2 – Standard als Anlage K 10a, ADSL 2+ – Standard als Anlage K 11a) Bezug genommen.

Beide Standards wurden unter dem Dach des Geschäftsbereichs „Standardisierung“ der ITU entwickelt. Eine erste Fassung wurde im Juli 2002 bzw. Mai 2003, eine zweite Fassung im Januar 2005 sowie eine dritte Fassung im Jahr 2009 verabschiedet (vgl. Anlage K 20). Zu den Standards gibt es keine Alternative, insbesondere wurde kein ähnlicher Standard von einem anderen Standardisierungsorgan verabschiedet. Die ITU ist als Teil der Vereinten Nationen (UN) die Hauptorganisation für die Entwicklung und Verabschiedung von Standards im Bereich der Telekommunikation; einer ihrer Geschäftsbereiche ist der „ITU Telecommunication Standardisation Sector (ITU-T)“. Staaten können Mitglieder („Members“) und Unternehmen sog. Sektor-Mitglieder („Sector Members“) der ITU werden. Sowohl E als auch A sind Sector Members (vgl. Anlage B 6). Die ITU verabschiedete die aus Anlage B 7 ersichtliche „Resolution No. 1 of 1996“ (nachfolgend: „Resolution 1996“), welche in Ziffer 8.3.8 insbesondere Regeln zur Offenlegung möglicherweise relevanter Patente der Mitglieder enthält. Nach Annahme der Resolution 1996 teilte die ITU in ihrem TSP Circular 156 vom 11.12.1998 (Anlage B 8) mit, dass für Patenterklärungen ein neues Musterformular zu verwenden sei. Nach diesem Muster kann ein Patentinhaber zwischen drei Möglichkeiten bezüglich einer Lizenzierung wählen: kostenfreies Patent (Option 1), Lizenz zu FRAND-Bedingungen (Option 2) oder Verweigerung einer Lizenzgewährung (Option 3); wegen der Einzelheiten zu diesem Musterformular wird auf Absatz 3.2 des Beklagtenschriftsatzes vom 02.12.2010 verwiesen. In den „Guidelines for Implementation of the TSB Patent Policy“ vom 02.02.2000 (Anlage K 17) findet sich in Ziffer 3.1 eine ähnliche Regelung wie in Ziffer 8.3.8 der Resolution 1996. Im Zeitraum 1999 bis 2004 verwendete die ITU-T das aus Anlage K 15 ersichtliche Formblatt. Die aktuellen Guidelines der ITU sind aus Anlage B 10 ersichtlich.

Bezüglich beider Standards hatte E in der Zeit ab dem 15.10.2001 bzw. ab dem 17.01.2003 verschiedene „Individual“-Erklärungen bei der ITU-T eingereicht (Anlagen B 11, B 12), wobei die Option 2 gewählt wurde. E legte gegenüber der ITU-T die Prioritätsschrift zum Klagepatent, die US 90XXX P vom 26.06.1998, nicht offen. Ebenso wenig erfolgte ein konkreter Hinweis auf das Klagepatent. Auf der Internetseite der ITU sind die aus den Anlagen K 19a und K 19b ersichtlichen Übersichten zu für die Standards abgegebenen Lizenzbereitschaftserklärungen erhältlich; danach erfolgten teils auch Lizenzbereitschaftserklärungen anderer Unternehmen als der E ohne Angabe von Anmelde- bzw. Patentnummern. A als Rechtsnachfolger der E mahnte in der Vergangenheit einige Unternehmen wegen Verletzung des Klagepatents ab, ging jedoch nicht gerichtlich vor und erhielt keine Lizenzgebühren.

Es gibt weltweit nur wenige Hersteller auf dem Markt für ADSL2/2+ Chipsets. Wegen der gegenwärtigen globalen Marktanteile wird auf die auf Seite 30 des Beklagtenschriftsatzes vom 02.12.2010 (Blatt 126 GA) abgebildete Tabelle der Datenbank N verwiesen.

Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen machten von der Lehre der Ansprüche 15 und 16 des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch; diese Patentansprüche seien für die Verwirklichung der vorgenannten ADSL 2/2+ – Standards essentiell. Dazu behauptet sie, die Vorgaben zur Zuordnung der Overhead-Daten in Absatz 2 des Abschnitts 7.7.1.1 des ADSL 2 – Standards (S. 63 f. der Übersetzung des ADSL 2 – Standards, Anlage K 10a), der unstreitig auch im ADSL 2+ – Standard gilt, seien zur Verwirklichung des Standards zwingend zu erfüllen; dies ergebe sich daraus, dass bei einer Datenübertragung zwischen zwei ADSL 2/2+ – Modems bestimmte Steuerparameter zwingend übertragen werden müssten, was aus Abschnitt 7.6.3 des Standards folge. Empfange ein ADSL 2/2+ – Modem solche Steuerparameter, müsse es diese zwingend so interpretieren, wie in Tabelle 7-6 des Standards (S. 47, 48 der Übersetzung gemäß Anlage K 10a) vorgesehen, was dazu führe, dass es bei der Verarbeitung empfangener Daten zwangsläufig die in Fig. 7-7 des Standards gezeigten Rahmenstrukturen zu Grunde legen und die empfangenen Daten auf die Mux Data Frame Ebene zurückführen müsse; anderenfalls könnten die übertragenen Daten nicht ausgelesen werden. Die Klägerin behauptet weiter, hinsichtlich der Mux Data Frame Ebene seien die Vorgaben des Abschnitts 7.7.1.1 des Standards alternativlos.

Die Klägerin meint, die von den Ansprüchen 15 und 16 des Klagepatents gelehrte Auswahl einer variablen Anzahl von Overhead-Daten für jeden Rahmen sei gegeben, wenn zumindest ein Rahmen einer Rahmensequenz eine andere Anzahl Overhead-Datenbits enthalte als ein anderer Rahmen der Rahmensequenz; ausreichend sei insoweit, dass jedenfalls ein Mux Data Frame ein Overhead-Datenbyte enthalte, während ein anderer Mux Data Frame kein Overhead-Datenbyte enthalte; die Beachtung der Vorgaben des Absatzes 2 des Abschnitts 7.7.1.1 des Standards führe zu einer solchen Anordnung. Dass im ADSL 2/2+ – Standard bestimmte Mux Data Frames immer ein Byte Overhead-Daten enthielten, stünde der Verwirklichung der Lehre der Ansprüche 15 und 16 des Klagepatents nicht entgegen; dies sei das Ergebnis des Auswahlalgorithmus, der über den Parameter Tp gesteuert werde.

Die Klägerin ist weiter der Auffassung, nach der Lehre der Ansprüche 15 und 16 des Klagepatents müsse die Auswahl von Overhead-Datenbits nicht unmittelbar auf Ebene der Rahmen erfolgen, die über den physischen Kommunikationskanal übertragen würden; die Lehre der Ansprüche 15 und 16 des Klagepatents sei auch dann erfüllt, wenn die Auswahl der Overhead-Datenbits auf der Ebene der Mux Data Frames erfolge. Dadurch werde die Übertragungsgeschwindigkeit der Overhead-Daten patentgemäß gesteuert; die Weiterverarbeitung bzw. Überführung in eine andere Rahmenstruktur – in Data Frames – vor Übertragung über den Kommunikationskanal schade nicht. Dazu behauptet die Klägerin, die nach dem ADSL 2/2+ – Standard vorgenommene variable Zuteilung der Overhead-Datenbits schlage auf die Data Frame – Ebene durch.

Die Klägerin behauptet unter Hinweis auf Anlage K 22, Sector Member der ITU-T zu sein.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin den Auskunfts- und den Feststellungsantrag klargestellt sowie – jeweils mit Zustimmung der Beklagten – den ursprünglich angekündigten Vernichtungsantrag und den auf vor dem 05.03.2010 in Verkehr gelangte Erzeugnisse gerichteten Rückrufantrag zurückgenommen. Die Klägerin beantragt nunmehr sinngemäß,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilIweise, das Verfahren gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Bundespatentgerichts (Az. 5 Ni 39/10(EP)) über die gegen den deutschen Teil des EP 1 090 XXX B1 erhobene Nichtigkeitsklage auszusetzen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen machten von der Lehre der Patentansprüche 15 und 16 nicht wortsinngemäß Gebrauch. Eine Patentverletzung ergebe sich jedenfalls nicht schon aus dem Umstand, dass die angegriffenen Ausführungsformen ADSL 2/2+ – kompatibel seien. Die Ansprüche 15 und 16 des Klagepatents seien für den ADSL 2/2+ – Standard nicht essentiell. Dazu behauptet die Beklagte, die Vorgaben des Absatzes 2 des Abschnitts 7.7.1.1 seien optional. Dies ergebe sich aus dem zweiten Absatz unter der Überschrift „NOTE“ auf der Rückseite des Standards (Anlage K 10), den die Beklagte auf Seite 4 des Schriftsatzes vom 15.03.2011 (Bl. 175 GA) übersetzt; dort werde ausgedrückt, dass bei Implementierung des Standards nur solche Passagen zwingend seien, in denen verpflichtende Sprache, wie die Worte „sollen“ oder „müssen“, verwendet würden. Sie behauptet weiter, es gebe alternative Implementierungen des ADSL 2/2+ – Standards, die auch nach dem Verständnis der Klägerin die Ansprüche 15 und 16 des Klagepatents nicht verwirklichten; insoweit verweist die Beklagte auf die auf Blättern 59 und 180 der Gerichtsakte dargestellte Ausgestaltung.

Weiter ist die Beklagte der Auffassung, die patentgemäße Auswahl der variablen Anzahl der Overhead-Daten müsse auf Ebene der Rahmen stattfinden, die über den Übertagungskanal übertragen würden (Ebene der Data Frames = PMD-Layer); eine Auswahl auf Ebene der Mux Data Frames (= PMS-TC-Layer) genüge nicht. Hinzu komme, dass die Entscheidung, ob ein Rahmen entweder ein oder kein Overhead-Datenbyte enthalte, ohnehin keine variable Auswahl der Anzahl von Overhead-Datenbits im Sinne der Ansprüche 15 und 16 des Klagepatents darstelle; insoweit handele es sich lediglich um ein „framing“, auf das sich die vorgenannten Patentansprüche nicht bezögen. Diese hätten vielmehr die „Feinjustierung“ zum Gegenstand, die in einem zweiten Schritt erfolge, nachdem im ersten Schritt des „framing“ die Entscheidung gefallen sei, dass der Rahmen überhaupt Overhead-Daten enthalten solle. Nach dem Wortlaut der genannten Patentansprüche sei erforderlich, dass für jeden Rahmen eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits, nicht -bytes, ausgewählt werden könne. Bei einer Ausgestaltung nach Absatz 2 des Abschnitts 7.7.1.1 des Standards sei aber durch die Benutzung des Kontrollparameters Tp die Anzahl für jeden Mux Data Frame, der Overhead-Daten enthalte, immer auf ein Byte, also 8 Bit, festgelegt; auch dass nach Absatz 2 des Abschnitts 7.7.1.1 des Standards der erste Mux Data Frame sowie bestimmte weitere Mux Data Frames stets ein Overhead-Datenbyte trügen, stehe der patentgemäßen variablen Auswahl der Anzahl der Overhead-Datenbits für jeden Rahmen selbst dann entgegen, wenn – was sich ihrer Ansicht nach verbiete – auf die Mux Data Frames abgestellt werde. Darüber hinaus erziele die im ADSL 2/2+ – Standard zur Definition der Overhead-Bitrate verwandte Formel lediglich eine durchschnittliche Overhead-Bitrate, weshalb es in dem Standard nicht möglich sei, die Rate der Overhead-Daten durch Auswahl (a) der Overhead-Bitzahl für (b) jeden Rahmen zu steuern.

HilIweise behauptet die Beklagte, die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe der ITU die Existenz des Klagepatents bewusst vor Verabschiedung der Standards verschwiegen. Dies – so die Ansicht der Beklagten – begründe den Vorwurf eines „Patent Ambush“, was den Missbrauchseinwand gem. Art. 102 AEUV begründe bzw. gegen § 826 BGB, §§ 3, 4 Nr. 10, 9 UWG verstoße. Jedenfalls sei die Klägerin aus kartellrechtlichen Gründen (Art. 101 f. AEUV) zur Erteilung einer Lizenz am Klagepatent verpflichtet. Eine solche Verpflichtung ergebe sich zudem auf vertraglicher Basis aus der allgemeinen Lizenzbereitschaftserklärung gegenüber der ITU. Insofern wendet sie gegenüber den klagebefangenen Ansprüchen ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin ein (§ 242 BGB), wobei sie meint, die dazu entwickelten Grundsätze der BGH-Entscheidung „Orange-Book-Standard“ seien auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Aus den Bestimmungen der ITU – wobei für den vorliegenden Fall die Anlage B 7 maßgeblich sei – ergebe sich, dass ein Sector Member bei Meldung eines standardrelevanten Schutzrechts die genaue Anmeldenummer angeben müsse; das folge jedenfalls aus der gebotenen kartellrechtskonformen Auslegung der Standardisierungsvereinbarung. Jeder, der einen ITU-Standard benutze, dürfe darauf vertrauen, nicht – und zwar weder durch ein Sektor Mitglied noch durch dessen Zessionare – auf Unterlassung verklagt zu werden. Die Beklagte behauptet, Herrn O – der unstreitig der Vizepräsident der E und einer der Miterfinder ist und als Vertreter von E an ITU-T-Diskussionen über die Standards beteiligt war – sei es bewusst gewesen, dass der von ihm stammende technische Vorschlag standardessentiell würde, und er habe in diesem Bewusstsein von einer Offenlegung abgesehen; insoweit nimmt die Beklagte auf Anlage NK 8 des Nichtigkeitsverfahrens Bezug. E habe damit in betrügerischer Absicht der ITU-T die Existenz des Klagepatents bzw. der parallelen US-Prioritätsanmeldung verschwiegen. Dass die Klägerin sich Jahre nach Verabschiedung der Standards das Klagepatent übertragen ließ und nun gegen die Beklagte gerichtlich vorgeht, sei ein klarer Fall eines „Patent Ambush“, wobei die Klägerin bewusst gegen die Beklagte als Abnehmer der Wettbewerberin TrendChip vorgehe. Die Klägerin sei genau so zu behandeln, als habe sie selbst gegen Offenlegungsverpflichtungen verstoßen. Im Falle der Offenlegung hätten der ITU-T ausreichend technische Alternativen zur Verfügung gestanden, um die Overhead-Datenübertragungsrate variabel und unabhängig von der Nutzrate zu gestalten. Ein Missbrauch nach Art. 102 AEUV sei zudem darin zu sehen, dass die Klägerin der Beklagten keinen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen angeboten habe, obwohl an allen standardessentiellen Rechten Lizenzen vergeben werden müssten, um den Markt offen zu halten. Die Klägerin sei auch als eine der Rechtsnachfolgerinnen an die Lizenzbereitschaftserklärung der E gebunden. Die gleichwohl erhobene Unterlassungsklage stelle einen Missbrauch nach Art. 101 AEUV dar. Die Beklagte behauptet, zwischen E und A sei innerhalb der geweißelten Bestandteile unter der Überschrift „Representations and Warranties“ der Übertragungserklärung gemäß Anlage K 4 für den Fall, dass das Klagepatent wegen Verletzung von Offenlegungspflichten nicht durchsetzbar sei, vereinbart worden, dass A bei E Regress nehmen könne.

Die Beklagte ist weiter der Ansicht, der deutsche Teil des Klagepatents sei nicht rechtsbeständig. Die geltend gemachten Patentansprüche seien im Nichtigkeitsverfahren wegen unzulässiger Erweiterung, fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit zu vernichten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.

Der Klägerin stehen gegen die Beklagte die aus dem Tenor ersichtlichen Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Feststellung der Schadensersatzpflicht sowie auf Rückruf der seit dem 05.03.2010 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse zu. Zu einer Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO besteht kein hinreichender Anlass.

I.
Das Klagepatent betrifft allgemein Kommunikationen und insbesondere ein Mehrträger-Kommunikationssystem und Verfahren, mit denen eine Overhead-Kanaldatenübertragungsgeschwindigkeit steuerbar geändert werden kann.

Als Stand der Technik gibt das Klagepatent zunächst an, dass mit dem öffentlichen Wählnetz (PSTN – Public Switched Telephone Network) die am weitesten verfügbare Form elektronischer Kommunikation für die meisten Einzelpersonen und Geschäfte bereitgestellt wird, das aus verschiedenen Gründen zunehmend zur Deckung des steigenden BedarI an Übertragung von beträchtlichen Datenmengen mit hohen Geschwindigkeiten herangezogen wird. Ursprünglich für die Bereitstellung von Sprachkommunikation mit den sich daraus ergebenden Erfordernissen schmaler Bandbreite strukturiert, ist das PSTN zunehmend von Digitalsystemen abhängig, um den Dienstbedarf zu erfüllen. Ein wesentlicher begrenzender Faktor in der Fähigkeit, hochratige digitale Übertragung zu implementieren, ist der Teilnehmeranschluss zwischen der Fernsprechvermittlungsstelle und dem Grundstück des Teilnehmers gewesen. Dieser Anschluss umfasst meistens ein einzelnes verdrilltes Paar Adern, die gut dafür geeignet sind, niederfrequente Sprachkommunikation zu führen, für die eine Bandbreite von 0-4 kHz vollständig ausreicht, die aber nicht leicht Breitbandkommunikation aufnehmen (d.h. Bandbreiten von der Größenordnung von Hunderten von Kilohertz oder mehr), ohne neue Verfahren für die Kommunikation anzunehmen (Anlage K 2a, Absätze [0003], [0004]).

Das Klagepatent beschreibt sodann die diskrete Mehrfrequenz-DSL-Technik (DMT DSL – Discrete Multitone Digital Subscriber Line) und ihre Variante DWMT DSL-Technik (Discrete Wavelet Multitone Digital Subscriber Line) sowie andere Formen diskreter Mehrfrequenz-DSL-Technik (wie beispielsweise ADSL, HDSL usw.) als Stand der Technik, die gewöhnlich generisch als DSL-Technik oder oft einfach als DSL bezeichnet werden. Zur Funktionsweise diskreter Mehrfrequenzsysteme und ihrer Anwendung auf DSL-Technik verweist das Klagepatent auf „Multicarrier Modulation for Data Transmission: An Idea Whose Time Has Come,“ (Mehrträger-Modulation für Datenübertragung: Eine Idee deren Zeit gekommen ist) IEEE Communications Magazine, Mai 1990, Seiten 5-14 (Anlage K 2a, Absatz [0005]). Bei der DSL-Technik wird Kommunikation über den örtlichen Teilnehmeranschluss zwischen der Fernsprechvermittlungsstelle und dem Teilnehmergrundstück durch Aufmodulieren der zu übertragenden Daten auf mehrere diskrete Frequenzträger erreicht, die zusammensummiert und dann über den Teilnehmeranschluss übertragen werden. Einzeln bilden die Träger diskrete nichtüberlappende Kommunikationsunterkanäle begrenzter Bandbreite; zusammen bilden sie im Effekt einen Breitband-Kommunikationskanal. Am Empfängerende werden die Träger demoduliert und die Daten daraus wiedergewonnen (Anlage K 2a, Absatz [0006]).

Für viele Anwendungen beträgt die erforderliche Bandbreite von der Fernsprechvermittlungsstelle zum Teilnehmer das Vielfache der erforderlichen Bandbreite vom Teilnehmer zur Fernsprechvermittlungsstelle. Als Stand der Technik, der eine derartige Fähigkeit bereitstellt, führt das Klagepatent einen Dienst an, der auf einer diskreten Mehrfrequenz-ADSL-Technik (DMT ADSL – Discrete Multitone Asymmetric Digital Subscriber Line) beruht. Kommunikation findet mittels „Rahmen“ von Daten und Steuerinformationen statt. In einer gegenwärtig benutzten Form von ADSL-Kommunikation bilden achtundsechzig Datenrahmen und ein Synchronisationsrahmen einen „Superrahmen“, der die ganze Übertragung hindurch wiederholt wird. Die Datenrahmen führen die Daten, die zu übertragen sind, der Synchronisations- bzw. „sync“ – Rahmen bietet eine bekannte Bitsequenz, die zum Synchronisieren der Sende- und Empfangsmodems benutzt wird (Anlage K 2a, Absatz [0009]).

Als weiteren Stand der Technik benennt das Klagepatent den von dem American National Standards Institut (ANSI) aufgestellten DMT-Standard für DSL-Übertragung für vollratige ADSL in der Veröffentlichung „T1E1.4/97-007R6 Interface between network and customer installation asymmetric digital subscriber line (ADSL) metallic interface“ (Schnittstelle T1E1.4/97-007R6 zwischen Netz und metallischer ADSL-Schnittstelle (Asymmetric digital subscriber line) der Kundeninstallation) veröffentlicht am 26.09.1997 – im folgenden als „Tl.413 Ausgabe 2″ bezeichnet (Anlage K 2a, Absatz [0010]).

Dem Klagepatent zufolge ist aus dem Stand der Technik ferner bekannt, dass ein Superrahmen eine Dauer von 17 Millisekunden hat. Ein Rahmen hat eine effektive Dauer von 250 Mikrosekunden (oder umgekehrt, die Rahmenrate ist annähernd 4 kHz) und besteht aus einer Ansammlung von Byte (wobei ein Byte 8 Bit entspricht) (Anlage K 2a, Absatz [0011]). Nachdem ein DSL-Modem eine aktive Kommunikationssitzung mit einem anderen DSL-Modem initialisiert und aufgebaut hat, treten die Modems in einen stabilen Zustand oder Informationsübertragungsmodus ein. In diesem Modus werden Daten in der Aufwärtsrichtung und der Abwärtsrichtung mit Datengeschwindigkeiten transportiert, die während des Initialisierungsverfahrens bestimmt wurden, während dem die Sitzung hergestellt wurde. Im stabilen Modus besteht jeder Rahmen von durch das Modem übertragenen/empfangenen Daten aus einem Overhead-Teil und einem Nutzlastteil. Der Overhead-Teil führt Informationen, die zum Verwalten der Kommunikationen zwischen den zwei kommunizierenden DSL-Modems benutzt werden, während der Nutzlastteil die eigentlichen (z.B. Benutzer-) Daten enthält, die zwischen den Modems zu übermitteln sind. Bei DSL-Kommunikationen, die den DMT-Kommunikationsstandards entsprechen, auf deren Spezifikationen oben Bezug genommen wird, wird das erste Byte jedes Rahmens von Daten als Overhead-Byte bezeichnet. Der Overhead-Teil kann CRC-Daten (Cyclic Redundancy Check – Zyklische Redundanzprüfung), IB-Daten (Indicator Bit – Indikator-Bit), EOC-Daten (Embedded Operations Channel – eingebetteter Betriebskanal) und AOC-Daten (ADSL Overhead Channel) enthalten (Anlage K 2a, Absatz [0012]).

Nach der vom Klagepatent bereits als Stand der Technik benannten T1.413 Ausgabe 2 können Daten zwischen den kommunizierenden Modems während einer gegebenen DSL-Kommunikationssitzung entweder mit Datenverschachtelung oder ohne Datenverschachtelung transportiert werden. Wenn Datenverschachtelung eingesetzt wird, werden die transportierten Daten durch einen „Verschachtelungspuffer“ (Interleave Buffer) durchgeleitet. Wenn im umgekehrten Fall transportierte Daten nicht verschachtelt sind, können die Daten durch einen „schnellen Puffer“ durchgeleitet werden. Wie schon bemerkt, ist das erste Byte in jedem Rahmen ein Overhead-Datenbyte. Wenn Datenverschachtelung eingesetzt wird, wird dieses Overhead-Byte als „Sync-Byte“ bezeichnet; wenn jedoch keine Verschachtelung eingesetzt wird, kann das Overhead-Byte als „schnelles Byte“ bezeichnet werden (Anlage K 2a, Absatz [0013]).

Hieran kritisiert das Klagepatent, dass ein Byte aus jedem Rahmen in jedem Superrahmen bei herkömmlichen DSL-Kommunikationen Overhead-Daten zugeordnet sei, wodurch die entsprechende Overhead-Datengeschwindigkeit stets auf 32 kbps festgelegt sei und sich nicht ändere, wenn sich entweder die Nutzlastdatenübertragungsrate ändere oder wenn die eigentlichen EOC- oder AOC-Daten zur Einfügung in den Rahmen zur Verfügung stünden. Weiterhin seien einige in DSL-Kommunikationen benutzte Fernsprechleitungen von so schlechter Güte, dass die maximal mögliche DSL-Datenübertragungsrate unter Verwendung solcher Leitungen 128 kbps nicht überschreiten dürfe. Das bedeute leider, dass, wenn DSL-Kommunikationen über Leitungen mit schlechter Güte ausgeführt würden, ein unerwünscht hoher Prozentsatz (z.B. bis fünfundzwanzig Prozent) des Durchsatzes des DSL-Kommunikationssystems zum Übertragen von Overhead-Daten benutzt werden könne. Zu jeder gegebenen Zeit während einer gegebenen Kommunikationssitzung sei die gesamte Kommunikationsbandbreite konstant. Da die gesamte Datenkommunikationsübertragungsrate entweder in Aufwärtsrichtung oder Abwärtsrichtung je nach Fall zu jeder gegebenen Zeit während einer DSL-Kommunikationssitzung konstant sei, bedeute dies daher, dass Kommunikationsbandbreite, die sonst zur Übertragung von Nutzlastdaten zur Verfügung stehen würde, unnötigerweise zum Übertragen von Overhead-Daten verbraucht würde (Anlage K 2a, Absatz [0016]).

Insoweit verweist das Klagepatent als Stand der Technik zuletzt auf die US-A-5 533 XXX, die eine Auswahl eines Betrags an Overhead-Daten in Abhängigkeit hauptsächlich von Verkehrserfordernissen offenbart. Der Betrag an Overhead-Daten ist der gleiche für jeden Rahmen in einer Sequenz (Anlage K 2a, Absatz [0016]).

Vor dem Hintergrund dieses Standes der Technik stellt sich das Klagepatent die Aufgabe, ein Mehrträger-Kommunikationssystem und -verfahren bereitzustellen, das die oben erwähnten und/oder sonstigen Nachteile des Standes der Technik überwindet, und insbesondere ein solches System und Verfahren bereitzustellen, wobei die Overhead-Datenübertragungsrate während einer Kommunikationssitzung geändert und/oder ausgewählt werden kann (Anlage K 2a, Absatz [0017]).

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in seinen Ansprüchen 15 und 16 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:

Anspruch 15:

1. Digitaler Anschlussleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation

2. in einer Ausgestaltung zum Senden einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal.

3. Der Transceiver ist so ausgestaltet, dass die Sendegeschwindigkeit von Overhead-Datenbits dadurch gesteuert wird,

a. dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird, derart,

b. dass die Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz von der Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist.

Anspruch 16:

1. Digitaler Anschlussleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation

2. in einer Ausgestaltung zum Empfangen einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal.

3. Der Transceiver ist so ausgestaltet, dass die Empfangsgeschwindigkeit von Overhead-Datenbits dadurch gesteuert wird,

a. dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird, derart,

b. dass die Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz von der Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist.

II.
Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der Lehre der Ansprüche 15 und 16 des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch. Die Verwirklichung der Merkmale 1 und 3.b durch die angegriffenen Ausführungsformen ist zwischen den Parteien zu Recht unstreitig.

1.
Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen Merkmal 2 wortsinngemäß. Danach hat der digitale Anschlussleitungstransceiver (Merkmal 1) eine Ausgestaltung zum Senden bzw. zum Empfangen einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal.

Die angegriffenen Ausführungsformen erlauben unstreitig, Daten als Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal, nämlich den Teilnehmeranschluss, zu senden und zu empfangen. Angesichts dessen ist Merkmal 2 der Merkmalsgliederungen wortsinngemäß verwirklicht. Soweit die Beklagte dem entgegenhält, dass der ADSL 2/2+ – Standard nur die Übertragung von Data Frames auf dem Übertragungskanal vorsehe, die Auswahl von Overhead-Datenbits jedoch nicht auf der Ebene dieser tatsächlich übertragenen Data Frames erfolge, sondern auf Ebene der Mux Data Frames, führt dies nicht aus der Verwirklichung des Merkmals 2 heraus. Denn dieses Merkmal verlangt lediglich eine Ausgestaltung zum Senden / Empfangen einer Rahmensequenz über einen Übertragungskanal; welche Rahmensequenz gesendet bzw. empfangen wird, gibt das Klagepatent in Merkmal 2 nicht vor.

2.
Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen auch die Merkmale 3, 3.a wortsinngemäß. Danach wird die Sende- bzw. Empfangsgeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch gesteuert (Merkmal 3), dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird (Merkmal 3.a).

a.
Die Vorgaben des Absatzes 2 des Abschnitts 7.7.1.1 des ADSL 2 – Standards, die auch im ADSL 2+ – Standard gelten, verwirklichen Merkmal 3.a wortsinngemäß, welches dahingehend zu verstehen ist, dass die Auswahl einer variablen Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in den tatsächlich übertragenen Rahmensequenzen zu erfolgen hat, wobei unerheblich ist, auf welcher Ebene die Auswahl erfolgt, und dass auch die Entscheidung, ob ein Rahmen ein oder kein Overhead-Datenbyte erhält, eine patentgemäße Auswahl einer variablen Anzahl von Overhead-Datenbits darstellt.

Dieses Verständnis gründet sich im Wesentlichen auf folgende Überlegungen:

aa.
Dass die Auswahl für die Rahmen in den tatsächlich übertragenen Rahmensequenzen stattfindet, entnimmt der Fachmann dem Wortlaut der genannten Ansprüche, dem systematischen Zusammenhang der Merkmale 2 und 3.a, der seitens des Klagepatents am Stand der Technik geübten Kritik sowie dem technischen Sinn und Zweck der merkmalsgemäßen Ausgestaltung.

Nach dem Wortlaut der streitgegenständlichen Patentansprüche erfolgt die (variable) Auswahl der Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz (Merkmal 3.a). Die Verwendung des bestimmten Artikels „der“ im Zusammenhang mit der Rahmensequenz versteht der Fachmann als Bezugnahme auf Merkmal 2, wo bereits von „einer“ Sequenz von Rahmen die Rede ist. Er entnimmt dem Wechsel vom unbestimmten Artikel „einer“ zum bestimmten Artikel „der“, dass es sich bei der in Merkmal 3.a aufgenommenen Rahmensequenz um diejenige handelt, die bereits Gegenstand des Merkmals 2 ist. In Merkmal 2 ist die Rahmensequenz dahingehend näher charakterisiert, dass sie über einen Übertragungskanal gesendet bzw. empfangen wird.

Auch die Kritik am Stand der Technik versteht der Fachmann dahingehend, dass die patentgemäße Auswahl der Overhead-Datenbits für die Rahmen erfolgen soll, die über den Übertragungskanal gesendet / empfangen werden. Denn das Klagepatent kritisiert am Stand der Technik, dass der Betrag an Overhead-Daten für jeden Rahmen gleich sei, wodurch die nur in begrenztem Umfang zur Verfügung stehende Bandbreite blockiert wird, die ansonsten zur Übertragung von Nutzdaten verwendet werden könnte (Anlage K 2a, Absatz [0016]). Dabei weiß der Fachmann, dass Bandbreite nur auf dem physischen Übertragungskanal existiert. Er sieht ferner, dass der technische Sinn und Zweck der klagepatentgemäßen Ausgestaltung darin liegt, die Sende- bzw. Empfangsgeschwindigkeit der Overhead-Daten zu steuern, so ausdrücklich Merkmal 3. Die Overhead-Datenübertragungsrate soll, wie die Aufgabenstellung es formuliert, während einer Kommunikationssitzung geändert und/oder ausgewählt werden können (Anlage K 2a Absatz [0017]). Denn insoweit spielt die nur begrenzt vorhandene Bandbreite eine Rolle. Eine Änderung/Auswahl umfasst insbesondere auch eine Verringerung der Overhead-Daten, was bewirken soll, dass die zur Verfügung stehende Bandbreite zu einem größeren Anteil zur Übertragung der eigentlichen Nutzdaten verwendet werden kann, wenn dies bei einer konkreten Datenübertragung sinnvoll ist. Merkmal 3.a ermöglicht deshalb eine flexible Zuteilung von Overhead-Daten; durch Auswahl der Anzahl von Rahmen, die die Overhead-Daten umfassen, und der Anzahl von Overhead-Daten zugeordneten Bytes in diesen Rahmen, kann die Overhead-Daten zugeordnete Datenmenge abgeändert werden (Anlage K 2a, Absatz [0020]). Durch diese Maßnahme(n) kann durch Verringerung der tatsächlich zu übertragenen Overhead-Daten für die Nutzdaten „Platz geschaffen“ werden. So wird der Nachteil des Standes der Technik vermieden, bei dem die Overheaddatenübertragungsmenge unveränderlich festgelegt ist und bei dem die Overhead-Daten deshalb ggfls. unnötigerweise Kommunikationsbandbreite belegen (Anlage K 2a Absätze [0016], [0020]).

bb.
Auf welcher Ebene die Auswahl einer variablen Anzahl – der tatsächlich zu übertragenen – Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz erfolgt, schreibt die technische Lehre der Ansprüche 15 und/oder 16 nicht abschließend vor.

Die Ansprüche verhalten sich im Wortlaut lediglich dazu, für welche Rahmen die Anzahl von Overhead-Datenbits variabel auswählbar ist, nicht jedoch dazu, auf welcher Ebene, wo und wie konkret die Auswahl zu erfolgen hat.

Auch die Beschreibung der Klagepatentschrift schweigt hierzu. Erläutert wird nur die flexible Zuteilung der Overhead-Datenbits, nicht aber, dass eine Auswahl der variablen Anzahl unmittelbar bzw. direkt auf der Rahmensequenzebene zu erfolgen hätte, die tatsächlich übertragen wird.

Eine dahingehende Festlegung ist auch nicht notwendig, wie der Fachmann bei Ansehung des technischen Sinns des in Rede stehenden Merkmals erkennen wird. Die Auswahl einer variablen Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen dient, wie ausgeführt, dem Zweck, die Steuerung der Overhead-Datenübertragungsrate zur besseren Ausnutzung der insgesamt begrenzt zur Verfügung stehenden Bandbreite zu gewährleisten. Dies setzt nicht voraus, dass die Auswahl auf der Ebene der Rahmen erfolgt, die über den Übertragungskanal gesendet werden. Erforderlich ist lediglich, dass sich das Ergebnis der Auswahl in der tatsächlich zu übertragenden Rahmensequenz niederschlägt; die Datenübertragungsmenge mithin variabel ist und deshalb, wenn notwendig, die Nutzlastdatenübertragungsrate erhöht werden kann. Solange und soweit sich die Auswahl einer variablen Anzahl von Overhead-Datenbits auf diese Weise bei der Datenübertragung niederschlägt, steht eine etwaige Weiterverarbeitung der Overhead-Daten nach ihrer Zuteilung einer Verwirklichung der technischen Lehre des Klagepatents nicht entgegen. Im Falle einer Weiterverarbeitung ist es nach Merkmal 3.a. auch nicht zwingend erforderlich, dass sich die Auswahl der variablen Anzahl der Overhead-Datenbits 1:1 bei den tatsächlich übertragenen Rahmensequenzen widerspiegelt. Für eine derartige Einschränkung bietet das Klagepatent keinen Anhalt. Im Vordergrund stehen die flexible Zuteilung der Overhead-Datenbits und die Variabilität der Datenübertragungsrate.

In diesem Verständnis wird der Fachmann bestärkt durch den in der Klagepatentschrift als Stand der Technik gewürdigten ADSL 1 – Standard, T1.413 Ausgabe 2. Auch bei dem ADSL 1 – Standard erfolgt die Zuordnung der Overhead-Daten auf Ebene der Mux Data Frames. Dies ergibt sich insbesondere aus den Figuren 2 und 10 der Anlage NK 9 (dort S. 9 und 26), deren Inhalt insoweit unstreitig dem in der Klagepatentschrift als Stand der Technik angeführten ADSL 1 – Standard entspricht. Figur 2 zeigt – ähnlich der Figur 7-6 des ADSL 2 – Standards (Anlage K 10a, S. 46) – die Bezugspunkte A, B und C, wobei der Bezugspunkt A jeweils die Mux Data Frame-Ebene und der Bezugspunkt C jeweils die Data Frame-Ebene darstellen. Aus Figur 10 der Anlage NK 9 folgt, dass die Zuordnung des Overhead-Datenbytes („fast byte“) auf Ebene der Mux Data Frames erfolgt und dass diese Mux Data Frames anschließend weiter verarbeitet werden, und zwar durch Hinzufügen von FEC-Bytes und Verschachtelung. Das Klagepatent kritisiert den ADSL 1 – Standard jedoch lediglich hinsichtlich der starren Zuordnung von Overhead-Daten, nicht hinsichtlich der Ebene, auf der die Zuordnung der Overhead-Daten erfolgt oder hinsichtlich der Weitverarbeitung der Mux Data Frames nach der Zuordnung der Overhead-Daten. Angesichts dessen erkennt der Fachmann, dass unter das Klagepatent, das sich insoweit vom Stand der Technik abgrenzt, auch eine solche Ausgestaltung fällt, bei der auf Mux Data Frame-Ebene keine starre Zuteilung von immer einem Byte Overhead pro Mux Data Frame erfolgt und sich dies letztlich auch auf die über den physischen Kanal übertragenen Data Frames auswirkt. Dass das Klagepatent die Einzelheiten des ADSL 1 – Standards zur Zuordnung der Overhead-Daten auf Ebene der Mux Data Frames und zur anschließenden Weiterverarbeitung nicht wiedergibt, steht diesem Verständnis nicht entgegen. Denn der Fachmann wird, wenn er sich mit der Frage beschäftigt, ob das Klagepatent eine Vorgabe dazu enthält, auf welcher Ebene die Zuordnung der Overhead-Daten erfolgen soll, den in der Klagepatentschrift aufgeführten Stand der Technik heranziehen, wenn ihm dessen Inhalt nicht ohnehin bekannt ist.

cc.
Der Fachmann erkennt darüber hinaus, dass die Auswahl der variablen Anzahl von Overhead-Datenbits die Auswahl von null Overhead-Datenbits umfasst. Dieses Verständnis entnimmt er insbesondere dem abhängigen Unteranspruch 17, in dem ausdrücklich festgehalten ist, dass die Anzahl von Overhead-Datenbits in dem zumindest einen Rahmen (Bezugnahme auf Merkmal 3.b der Ansprüche 15 bzw. 16) gleich null ist. Diesem Verständnis stehen die Patentansprüche 5 und 9.c, wonach das Auswählen der variablen Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen die Bestimmung umfasst, welche Rahmen in einem Mehrfachrahmen Overhead-Datenbits enthalten, nicht entgegen. Denn die Ansprüche 5 und 9.c sind abhängige Unteransprüche der von den eigenständigen Ansprüchen 15 und 16 verschiedenen Ansprüche 1, 2, 3 bzw. 8. Bei der Auslegung der Ansprüche 15 und 16 ist jedoch deren abhängiger Unteranspruch 17 maßgeblich, der wie vorstehend geschildert zu verstehen ist.

dd.
Dass die variable Anzahl von Overhead-Daten für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird, versteht der Fachmann dahingehend, dass für jeden einzelnen Rahmen eine Entscheidung darüber getroffen wird, ob und wie viele Overhead-Daten er trägt. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut der streitgegenständlichen Patentansprüche. Nach den vorstehenden Ausführungen erkennt er dabei, dass ausreichend ist, wenn die Auswahl auf der Ebene, auf der sie stattfindet, für jeden Rahmen erfolgt und dies Auswirkungen auf die Übertragungsgeschwindigkeit, also auf die tatsächlich übertragenen Rahmen, hat.

ee.
Die Argumentation der Beklagten, der Fachmann verstehe unter der variablen Auswahl der Overhead-Datenbits für jeden Rahmen eine „Feinjustierung“, die erfolge, nachdem die Entscheidung gefallen sei, dass ein bestimmter Rahmen Overhead-Daten tragen solle, greift nicht durch.

In dem Anspruchswortlaut finden sich für dieses Verständnis keine Anhaltspunkte. Aus dem abhängigen Unteranspruch 17 ergibt sich vielmehr unmittelbar, dass auch die von der Beklagten als „framing“ bezeichnete Auswahl der Rahmen, die überhaupt Overhead-Daten erhalten sollen, von den streitgegenständlichen Ansprüchen 15 und 16 erfasst wird. Bestärkt wird der Fachmann in diesem Verständnis durch die Absätze [0020] und [0023] der Klagepatentschrift (Anlage K 2a). Beide Passagen beschreiben anhand von bevorzugten Ausführungsbeispielen, dass bei Auswahl der Overhead-Datenbits für jeden Rahmen sowohl ausgewählt werden kann, welche Rahmen Overhead-Daten erhalten, als auch, welche Anzahl von Overhead-Daten die entsprechenden Rahmen erhalten.

Soweit die Beklagte meint, die Beschreibung in der Klagepatentschrift gehe in diesem Punkt über den Wortlaut der erteilten Ansprüche hinaus, teilt die Kammer diese Auffassung nicht. Der Wortlaut der Ansprüche 15 und 16 enthält keine Beschränkung auf das von der Beklagten als „Feinjustierung“ bezeichnete Vorgehen. Dass auch eine Auswahl von entweder 8 oder 0 Bit (= ein oder kein Byte) Overhead-Daten eine Auswahl einer variablen Anzahl von Overhead-Datenbits ist, entnimmt der Fachmann darüber hinaus der Figur 4 des Klagepatents sowie dem Umstand, dass die Klagepatentschrift in ihrem beschreibenden Teil im Zusammenhang mit der Auswahl einer variablen Anzahl von Overhead-Datenbits durchgehend von Bytes, nicht von Bits spricht (so in Absätzen [0020], [0023], [0026], [0050]). Der Fachmann weiß dabei, dass ein Byte acht Bits entspricht (Absatz [0011] des Klagepatents). Er erkennt, dass die Auswahl eines Bytes immer auch die Auswahl einer Anzahl von acht Bits beinhaltet. Der Wortlaut der Patentansprüche 15 und 16 enthält darüber hinaus keine Einschränkung dahingehend, dass eine Auswahl im Sinne des Merkmals 3.a nur dann gegeben wäre, wenn in kleineren Schritten als 1 Byte (= 8 Bit) vorgegangen würde. Eine individuelle Ansteuerung von einzelnen Bits ist, wie die Beklagte in anderem Zusammenhang angibt, nicht möglich bzw. erfordert eine gänzlich andere Implementierung.

Gleichfalls nicht außer Acht gelassen werden kann, dass bei dem von der Beklagten zugrunde gelegten Verständnis das in Figur 4 des Klagepatents dargestellte Ausführungsbeispiel nicht unter den Anspruch zu subsumieren wäre, es jedoch als erfindungsgemäß anzusehen ist, wenn der Anspruch dahingehend verstanden wird, dass auch das „framing“ umfasst ist. Sieht der Fachmann sich vor eine solche Alternative gestellt, wird er die Beschreibung des bevorzugten Ausführungsbeispiels als Anlass nehmen, dem Anspruch diejenige Bedeutung beizumessen, bei der das beschriebene Bespiel erfasst ist.

Schließlich führt sich der Fachmann vor Augen, dass der technische Sinn und Zweck der patentgemäßen Auswahl, nämlich die Steuerung der Übertragungsrate der Overhead-Daten im oben genannten Sinne, nicht allein mittels der „Feinjustierung“ gewährleistet wird.

ff.
Auf Grundlage des vorgeschilderten Verständnisses macht eine Anordnung nach Absatz 2 des Abschnitts 7.7.1.1 des ADSL 2/2+ – Standards von Merkmal 3.a wortsinngemäß Gebrauch.

Bei einer Ausgestaltung nach Absatz 2 des Abschnitts 7.7.1.1 des ADSL 2/2+ – Standards findet eine variable Auswahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz statt. Denn über den Kontrollparameter Tp sowie über den Zähler des Mux Data Frame Selectors wird jeweils bestimmt, welche Mux Data Frames jeweils ein Byte (= 8 Bit) Overhead-Daten erhalten und welche nicht. Dass dabei der erste Mux Data Frame sowie weitere Mux Data Frames immer ein Byte Overhead-Daten enthalten, steht einer Auswahl für jeden Rahmen nicht entgegen. Denn es handelt sich insoweit um die Folge des konkreten Auswahlalgorithmus. Mit Hilfe dieses Auswahlalgorithmus wird aber gerade für jeden Mux Data Frame die Entscheidung getroffen, ob er Overhead-Daten tragen soll oder nicht. Dass die Auswahl auf Ebene der Mux Data Frames stattfindet, führt nach den obigen Ausführungen unter Ziffer bb. ebenso wenig aus der Verletzung heraus wie der Umstand, dass die Mux Data Frames nach der Zuteilung von Overhead-Daten dadurch weiterverarbeitet werden, dass FEC-Bytes hinzugefügt werden und eine Verschachtelung stattfindet. Denn die auf Ebene der Mux Data Frames getroffene Auswahl wirkt sich auf die über den physischen Übertragungskanal übertragenen Data Frames aus, da eine Weiterverarbeitung der Mux Data Frames lediglich durch Hinzufügen von FEC-Daten und Verschachtelung erfolgt. Ein solches Vorgehen steht – wie bereits ausgeführt – im Einklang mit dem insoweit nicht kritisierten im ADSL 1 – Standard. Eine etwaige Strukturänderung beseitigt auch nicht die Variabilität der Overhead-Datenbits für jeden Rahmen; es kommt deshalb nicht zu einer starren Zuteilung auf der Data Frame Ebene.

b.
Als Folge davon ist bei einer Anordnung nach Absatz 2 des Abschnitts 7.7.1.1 des ADSL 2/2+ – Standards auch der Oberbegriff der Merkmalsgruppe 3 wortsinngemäß verwirklicht. Denn durch die Auswahl gemäß Merkmal 3.a und die zwischen den Parteien unstreitige Verwirklichung des Merkmals 3.b wird zugleich die Sende- und Empfangsgeschwindigkeit von Overhead-Daten im Sinne des OberbegrifI des Merkmals 3 gesteuert.

c.
Die Kammer geht davon aus, dass die angegriffenen Ausführungsformen nach den Vorgaben des Absatzes 2 des Abschnitts 7.7.1.1 des ADSL 2/2+ – Standards ausgestaltet sind.

Der Streit der Parteien darüber, ob es sich bei dieser Passage um bei Implementierung des Standards zwingend einzuhaltende Vorgaben handelt, kann dahinstehen. Denn die Beklagte hat die Abgabe einer Erklärung zu dem Vortrag der Klägerin, dass die angegriffenen Ausführungsformen nach der vorgenannten Passage ausgestaltet seien, trotz des Hinweises der Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 21.04.2011 verweigert. Angesichts dessen gilt der entsprechende Klägervortrag als zugestanden, § 138 Abs. 2, 3 ZPO.

Zwar trägt die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast für die Benutzung des Klagepatents durch die angegriffenen Ausführungsformen. Allerdings ist ihr zum Benutzungsnachweis grundsätzlich gestattet, auf den Standard zurückzugreifen (in diesem Sinne: BGH, GRUR 2009, 1142 – MP3-Player-Import; LG Düsseldorf, InstGE 7, 70 –Videosignal – Codierung I). Auch wenn es sich bei der von der Klägerin angeführten Passage des Standards um eine optionale Passage handeln sollte, ist ihr Vortrag, wonach die angegriffenen Ausführungsformen nach dieser Passage ausgestaltet sind, beachtlich. Er ist insbesondere nicht ersichtlich ins Blaue hinein erfolgt (vgl. hierzu: Benkard/Rogge/Grabinski, Patentgesetz, 10. Auflage 2006, § 139 Rn 116; Zöller/Greger, ZPO. 28. Auflage 2010, § 138 Rn 8). Es bestehen zumindest greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die angegriffenen Ausführungsformen nach Absatz 2 des Abschnitts 7.7.1.1 des ADSL 2/2+ – Standards ausgestaltet sind, denn die angegriffenen Ausführungsformen sind unstreitig ADSL 2/2+ – kompatibel. Darüber hinaus zeigt der Standard selbst keinerlei Alternativen zu der angeblich optionalen Ausgestaltung gemäß seines Absatzes 2 des Abschnitts 7.7.1.1 auf. Im Hinblick auf diesen schlüssigen Klägervortrag hätte die Beklagte sich dazu erklären müssen, ob die angegriffenen Ausführungsformen von der entsprechenden Passage des Standards Gebrauch machen. Dem Umstand, dass die Klägerin sich lediglich auf den Standard bezogen und die angegriffenen Ausführungsformen nicht selbst untersucht hat, ist hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass (zunächst) eine Erklärung in Form eines einfachen Bestreitens oder Zugeständnisses ausreichend gewesen wäre. Denn die Erklärungslast ist in Bestehen und Umfang davon abhängig, wie die darlegungspflichtige Partei vorgetragen hat (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 28. Auflage 2010, § 138 Rn 8a). Das Fordern eines – unter Berücksichtigung der prozessualen Wahrheitspflicht möglichen – einfachen Bestreitens führt auch nicht zu einer Belastung der Beklagten über Gebühr. Auch bei einem Verletzungsvorwurf, der nicht mit der Verwirklichung eines Standards begründet wird, obliegt es dem in Anspruch genommen, zu sagen, dass ein und welches Merkmal konkret bestritten wird.

Die von der Beklagten angeführte Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf, Urteil vom 18.01.2011, Az. 4a O 6/09, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn der dortige Fall ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Dem vorgenannten Urteil lag ein Sachverhalt zu Grunde, in dem die Passage, mit der die Klägerin die Patentbenutzung begründete, nur in einer Vorversion, nicht aber in der gegenwärtigen Version des Standards enthalten war. Das Gericht hat diesen Punkt im Rahmen der die dortige Klägerin treffenden Darlegungs- und Beweislast berücksichtigt und ausgeführt, der UMTS-Standard biete keinen Anhaltspunkt für eine Verwirklichung sämtlicher Merkmale, da die gegenwärtige Version des Standards sich zu dem (problematischen) Punkt der UpLink-Synchronisation nicht äußere (s. LG Düsseldorf, Urteil v. 18.01.2011, Az. 4a O 6/09, Rn 137 – zitiert nach juris). Im Gegensatz dazu ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, dass die von der hiesigen Klägerin zur Begründung der Patentbenutzung angeführte Passage des ADSL 2/2+ – Standards aus dem Standard entfernt worden wäre. Vor diesem Hintergrund bestehen – wie bereits ausgeführt – greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die angegriffenen Ausführungsformen nach Absatz 2 des Abschnitts 7.7.1.1 des ADSL 2/2+ – Standards ausgestaltet sind.

III.
Den diversen Lizenzeinwänden der Beklagten ist im Ergebnis der Erfolg zu versagen.

1.
Weder aus § 33 GWB, Art. 102 AEUV noch aus § 826 BGB noch aus §§ 3, 4 Nr. 10, 9 UWG steht der Beklagten unter dem Gesichtspunkt eines sog. „Patent-Ambush“ – worunter die Beklagte einen „Patenthinterhalt“ in der Weise, dass Patente innerhalb einer Standardisierungsorganisation nicht bzw. verspätet offengelegt werden, verstanden wissen will (zu möglichen Definition s. Fischmann, in: GRUR Int. 2010, 185 f.) – ein Anspruch auf lizenzfreie Nutzung der technischen Lehre des Klagepatents zu. Insoweit kann unterstellt werden, dass die Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängerin E das Klagepatent bzw. das entsprechende US-Prioritäts-Schutzrecht nach den Statuten der ITUT-T – ggf. in kartellrechtskonformer Auslegung derselben – unter Angabe der Anmeldenummer hätte offenlegen müssen, dies jedoch vorsätzlich unterlassen habe. Offen gelassen werden kann auch, ob eine vermeintlich notwendige patentspezifische Offenlegung auch durch eine allgemeine FRAND-Verpflichtungserklärung ersetzt werden kann (vgl. Fröhlich, GRUR 2008, 205, 208 f.). Denn jedenfalls ist der Beklagten nicht darin zu folgen, dass Rechtsfolge eines in diesem Sinne verstandenen Patent-Ambush die Verpflichtung der Klägerin wäre, Dritten kostenlose Lizenzen zu gewähren.

Die Verwerflichkeit eines derartigen Patenthinterhaltes ist darin begründet, dass der Patentinhaber durch die verspätete Offenlegung in der Lage ist, eine Monopolmacht zu begründen, die es ihm ermöglicht, eine Wertschöpfung an sich zu reißen, die sich nicht (schon) aus der der Erfindung zu Grunde liegenden schöpferischen Leistung ergibt, sondern die eben erst durch die Schaffung des Standards erzielt wird. Dazu kommt es, wenn wesentliche Patente gar nicht oder verspätet zu einem Zeitpunkt offengelegt werden, an dem der Standard bereits eingeführt und von der Industrie verwendet wird. Soweit die Problematik in der Literatur erörtert wird, findet sich der überzeugende Lösungsvorschlag, Rechtsfolge eines Patent-Ambush solle eine Lizenzierungsverpflichtung des Schutzrechtsinhabers sein (vgl. Fischmann, GRUR Int. 2010, 185, 194; vgl. Schnelle, in: GRUR-Prax 2010, 169 unter 4. „Patenthinterhalt“). Dieser Ansicht gebührt insbesondere deshalb der Vorzug, weil auf eine Lizenz am Patent angewiesene Dritte so gestellt werden sollen, als habe die Schutzrechtsinhaberin ihre Verpflichtung zur Offenlegung ordnungsgemäß erfüllt. Dann aber wäre die Rechtsstellung der Beklagten so, dass sie im Hinblick darauf, dass die Klägerin von der Option 2 – also Gewährung einer Lizenz zu FRAND-Bedingungen – Gebrauch machte, zur Benutzung der technischen Lehre des Klagpatents auch nur zu FRAND-Bedingungen berechtigt wäre. Soweit die Beklagte hiergegen einwendet, ein Patentinhaber habe bei dieser Lösung keinen Anlass mehr, Patente gegenüber der Standardisierungsorganisation offenzulegen, wenn er auch ohne Offenlegung ohnehin eine FRAND-Lizenz beanspruchen könne, verkennt sie zwei Gesichtspunkte: Zum einen kennt das deutsche Schadensersatzrecht keine Straffunktion des Schadensersatzes, sondern es ist nach den Grundsätzen der Naturalrestitution der gleiche wirtschaftliche Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde. Zum anderen ist zu beachten, dass einem einen Patenthinterhalt begehenden Schutzrechtsinhaber kartellrechtliche Sanktionen drohen, was sowohl spezial- als auch generalpräventive Wirkung hat. Die Beklagte kann nach alledem auch unter dem Gesichtspunkt eines Patent-Ambush vorliegend lediglich eine Lizenzierung zu FRAND-Konditionen erwarten. Insoweit wird auf die nachfolgenden Ausführungen entsprechend verwiesen.

2.
Soweit die Beklagte einen Missbrauch nach Art. 102 AEUV auch darin sieht, dass die Klägerin ihr von sich aus keine Lizenz zu FRAND-Bedingungen angeboten hat, und nach Art. 101 AEUV darin, dass die Klägerin sich weigere, ihr am Klagepatent eine Lizenz zu erteilen, ist dem zu widersprechen. Die Rechtsauffassung der Beklagten ist mit den Grundsätzen der BGH-Entscheidung „Orange-Book“ (BGH GRUR 2009, 694) nicht in Einklang zu bringen, da für das Rechtsverhältnis zwischen dem Inhaber eines standardessentiellen Patents und Lizenzsuchenden Folgendes gilt:

Diskriminiert ein marktbeherrschendes Unternehmen mit der Weigerung, einen ihm angebotenen Patentlizenzvertrag abzuschließen, das um die Lizenz nachsuchende Unternehmen in einem gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglichen Geschäftsverkehr oder behindert es den Lizenzsucher damit unbillig, stellt auch die Durchsetzung des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung dar. Denn das marktbeherrschende Unternehmen hindert damit das andere Unternehmen an dem Marktzutritt, den es durch den Abschluss des Lizenzvertrags zu eröffnen verpflichtet ist. Die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs ist damit ebenso verboten wie die Weigerung, den Lizenzvertrag abzuschließen, der den Unterlassungsanspruch erlöschen ließe. Ein kartellrechtlich verbotenes Verhalten darf jedoch nicht von den staatlichen Gerichten angeordnet werden.

Der Patentinhaber, der den Unterlassungsanspruch aus seinem Patent geltend macht, obwohl dem Beklagten ein Anspruch auf Einräumung einer Lizenz am Klagepatent zusteht, missbraucht jedoch nur dann seine marktbeherrschende Stellung und handelt nur dann treuwidrig, wenn insbesondere die folgende Voraussetzungen erfüllt sind.

Der Lizenzsucher muss ein unbedingtes Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertrags gemacht haben, das der Patentinhaber nicht ablehnen darf, ohne den Lizenzsucher unbillig zu behindern oder gegen das Diskriminierungsverbot zu verstoßen, und sich an dieses Angebot gebunden halten. Auch der marktbeherrschende Patentinhaber ist nicht verpflichtet, selbst die Gestattung der Benutzung der Erfindung anzubieten; nur wenn er ein Angebot zum Vertragsabschluss zu nicht behindernden oder diskriminierenden Bedingungen ablehnt, missbraucht er seine marktbeherrschende Stellung. Die Benutzung seines Patents durch ein Unternehmen, das nicht bereit ist, einen Lizenzvertrag zu solchen Bedingungen abzuschließen, muss er nicht dulden.

Das annahmefähige unbedingte Vertragsangebot reicht allerdings allein nicht aus, um den „Zwangslizenzeinwand” gegenüber dem Unterlassungsbegehren des Patentinhabers durchgreifen zu lassen. Die Einräumung einer jeden Lizenz wirkt grundsätzlich nur in die Zukunft. Erst wenn ihm die Lizenz erteilt ist, ist der Lizenznehmer berechtigt, den Gegenstand des Lizenzvertrags zu benutzen; zugleich entsteht mit jedem Benutzungstatbestand (sofern und soweit keine benutzungsunabhängige Gegenleistung vereinbart ist) der Anspruch des Lizenzgebers auf die vertragliche Gegenleistung, typischerweise in Gestalt einer Stück- oder umsatzbezogenen Lizenzgebühr. Der Lizenzsucher, der im Vorgriff auf die ihm zu erteilende Lizenz die Benutzung des Klagepatents aufnimmt, darf nicht nur seinen vertraglichen Rechten, sondern muss auch seinen vertraglichen Pflichten „vorgreifen”. Er kann dem Unterlassungsbegehren nur dann den dolo-petit-Einwand entgegenhalten, wenn er dem Patentinhaber nicht nur ein Angebot gemacht hat, das der Patentinhaber nicht ablehnen darf, sondern sich auch so verhält, als ob der Patentinhaber sein Angebot bereits angenommen hätte. In diesem Fall wäre er nicht nur berechtigt, den Gegenstand des Patents zu benutzen, sondern insbesondere auch verpflichtet, über die Benutzung regelmäßig abzurechnen und an den Patentinhaber die sich aus der Abrechnung ergebenden Lizenzgebühren zu zahlen. Auf der anderen Seite handelt der Patentinhaber weder missbräuchlich noch treuwidrig, wenn er Ansprüche aus dem Patent gegenüber demjenigen geltend macht, der zwar die Benutzungsbefugnis eines Lizenznehmers für sich in Anspruch nimmt, aber die Gegenleistung nicht erbringt, die der Lizenznehmer nach einem nicht diskriminierenden oder behindernden Lizenzvertrag zu erbringen verpflichtet wäre.

Ebenso wenig wie es dem Lizenzsucher versagt werden könnte, sich in erster Linie gegen den Verletzungsvorwurf zu verteidigen mit der Folge, dass die Klage in vollem Umfang abzuweisen ist, wenn sich der Verletzungsvorwurf nicht bestätigt, kann es dem Patentinhaber versagt werden, in erster Linie den Unterlassungsanspruch aus dem Patent geltend zu machen mit der Folge, dass dieser Anspruch zuzusprechen ist, wenn sich der Verletzungsvorwurf bestätigt und das Gericht eine marktbeherrschende Stellung oder einen Missbrauch derselben verneint. Dann rechtfertigt aber der bloße Umstand, dass der Patentinhaber den Abschluss des ihm angebotenen Lizenzvertrags verweigert, weil er sich hierzu berechtigt glaubt, es nicht, den Lizenzsucher gegenüber dem Lizenznehmer dadurch zu privilegieren, dass jener im Ergebnis von der Beachtung des Gegenseitigkeitsverhältnisses von vertraglicher Leistung und Gegenleistung dispensiert wird. Ebenso wie sich der Patentinhaber so behandeln lassen muss, als habe er die geschuldete Lizenz erteilt, muss sich auch der Lizenzsucher so verhalten, als sei ihm die Lizenz eingeräumt.

Dies bedeutet zum einen, dass der Lizenzsucher zu den Bedingungen eines nicht diskriminierenden Vertrags über den Umfang seiner Benutzungshandlungen abzurechnen hat, zum anderen, dass er seinen sich aus der Abrechnung ergebenden Zahlungspflichten nachkommen muss. Dabei muss der Lizenzsucher allerdings nicht an den Patentinhaber zahlen, sondern kann nach § 372 S. 1 BGB die Lizenzgebühren unter Verzicht auf das Recht zur Rücknahme hinterlegen. Denn die Weigerung des Patentinhabers, den Lizenzvertrag abzuschließen, rechtfertigt die entsprechende Heranziehung der Vorschriften über den Gläubigerverzug, sei es, weil der Patentinhaber auch die angebotene Zahlung nicht anzunehmen bereit ist (§ 293 BGB), sei es, weil er zwar die Zahlung anzunehmen willens, jedoch nicht bereit ist, die Gegenleistung in Gestalt der Lizenzgewährung zu erbringen (§ 298 BGB). Damit wird dem Interesse des Lizenzsuchers Rechnung getragen, seinen Anspruch auf Rückzahlung gezahlter Lizenzgebühren für den Fall zu sichern, dass die Klage mangels Verletzung abgewiesen wird.

Der Höhe nach sind die Lizenzgebühr und damit auch die Leistungsverpflichtung des Lizenzsuchers auf denjenigen Betrag begrenzt, der sich aus den Bedingungen eines kartellrechtlich unbedenklichen Vertrags ergibt. Dass dieser Betrag auch für den Lizenzsucher nicht ohne Weiteres feststellbar ist, belastet ihn nicht unbillig, denn ihn trifft für die Voraussetzungen des Lizenzierungsanspruchs grundsätzlich ohnehin die Darlegungs- und Beweislast. Wenn der Lizenzsucher die Lizenzgebührenforderung des Patentinhabers für missbräuchlich überhöht hält oder der Patentinhaber es ablehnt, die Lizenzgebühr zu beziffern, etwa weil er sich für berechtigt hält, die Lizenzierung des Klagepatents in jedem Fall zu verweigern, ist dem Lizenzsucher allerdings das Recht zuzubilligen, das Angebot zum Abschluss eines Lizenzvertrags hinsichtlich des Entgelts nicht auf die Vereinbarung eines bestimmten Lizenzgebührensatzes, sondern auf eine vom Patentinhaber nach billigem Ermessen zu bestimmende Lizenzgebühr zu richten. Andernfalls könnte die Hinterlegung eines höheren als des vom Lizenzsucher selbst für angemessen gehaltenen Betrags seine Verurteilung nicht hindern, wenn sie nicht von einem Lizenzangebot in gleicher Höhe begleitet wäre. Ein „sicherheitshalber” erhöhtes Angebot würde dem Patentinhaber indessen die Möglichkeit verschaffen, sich durch Annahme dieses Angebots gegebenenfalls auch eine überhöhte Lizenzgebühr zu sichern. Dies wäre nicht nur unbillig, sondern belastete den Patentverletzungsprozess auch in einem vermeidbaren Umfang mit der Aufgabe, die genaue Höhe einer nicht behindernden oder diskriminierenden Lizenzgebühr festzustellen. Denn der Lizenzsucher wird eher bereit sein, eine höhere, über dem aus seiner Sicht kartellrechtlich angemessenen Betrag liegende Summe zu hinterlegen, wenn ihm der – grundsätzlich weiterhin zu seiner Darlegungs- und Beweislast stehende – Einwand nicht abgeschnitten ist, eine Bestimmung der Lizenzgebühr durch den Patentinhaber in dieser Höhe sei unbillig. Der Patentinhaber bleibt auf der anderen Seite bei der Bestimmung der Lizenzgebühr vollständig frei; seine Bestimmung ist nur dann unbillig, wenn sie sich nicht an die ihm kartellrechtlich ohnehin gesetzten Schranken hält und den Lizenznehmer unbillig behindert oder gegenüber anderen Lizenznehmern diskriminiert.

Da die Beklagte unstreitig keine ihrer Ansicht nach angemessene Lizenzgebühr hinterlegt hat, ist ihren Missbrauchseinwänden entsprechend diesen Grundsätzen von vornherein die Grundlage entzogen.

Entgegen der Ansicht der Beklagten sind die Grundsätze der „Orange-Book“-Entscheidung auch für den vorliegenden Fall maßgeblich: Soweit sie meint, der BGH habe in seiner Entscheidung europarechtliche Aspekte offengelassen bzw. missachtet, vermag die Kammer sich dem nicht anzuschließen. Insbesondere ist das vom BGH entwickelte Hinterlegungsmodell durchaus mit dem vom EUGH entwickelten Effektivitätsgrundsatz (vgl. EUGH, Slg. 2006, I-6641 – Manfredi) vereinbar, da der BGH den Lizenzsuchenden sogar letztlich privilegiert, indem er diesem nicht die vorherige Erfüllung i.S.v. § 362 BGB aufbürdet, sondern auch eine seinen Interessen entgegen kommende Hinterlegung erlaubt. Insoweit missachtet die BGH-Entscheidung nicht den Vorrang des Gemeinschaftsrechts; es ist gewährleistet, dass interessierte Dritte eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen erhalten können. Soweit die Beklagte im Hinblick auf Art. 101 AEUV geltend macht, die Klägerin sei darlegungs- und beweisbelastet für ein nicht-diskriminierendes Lizenzangebot, steht dies der Annahme einer Hinterlegungspflicht der Beklagten nicht entgegen. Der BGH hat die europarechtlichen Aspekte erkennbar auch selbst berücksichtigt, was darin zum Ausdruck kommt, dass in der Entscheidung Artt. 101, 102 AEUV ausdrücklich zitiert sind. Vor diesem Hintergrund sieht die Kammer – zumindest in dieser Instanz – auch keinen Anlass für eine Vorlage an den EUGH nach Art. 267 AEUV.

3.
Schließlich verweist die Beklagte ohne Erfolg auf einen vertraglichen Lizenzeinwand. Dass die Rechtsvorgängerin der Klägerin sich gegenüber ITU-T zur Lizenzierung zu FRAND-Bedingungen bereit erklärte, berechtigt die Beklagte nicht, im Wege des „dolo-petit“-Einwandes (§ 242 BGB) diese Erklärung der Klägerin entgegen zu halten.

Es fehlt nämlich an einem über den schon gesetzlich begründeten hinausgehenden Lizenzeinwand vertraglichen Ursprungs. Der Beklagten ist darin zu widersprechen, dass sich ein vertraglicher Lizenzeinwand aus der allgemeinen FRAND-Verpflichtungserklärung Es gegenüber ITU-T ergebe. Zunächst ist klarzustellen, dass der FRAND-Verpflichtungserklärung Es nicht die Wirkung eines „dinglichen Verzichts“ auf das Patentrecht zukommt. Überzeugend hat das LG Mannheim (Az.: 7 O 94/08, Urteil vom 27.02.2009, Seite 26 f.) in diesem Zusammenhang ausgeführt: Das deutsche Recht bestimmt in §§ 15, 20, 23 PatG abschließend, welche Verfügungen betreffend ein Patent möglich sind (nämlich: Übertragung; Bestellung eines Nießbrauchs oder Pfandrechts; Verzicht auf das Patent gegenüber Patentamt; Belastung durch Lizenzerteilung iSv § 15 Abs. 2 PatG). Damit kennt unsere Rechtsordnung keinen über ein schuldrechtlich wirkendes „pactum de non petendo“ hinausgehenden (teilweisen) dinglichen Verzicht. Aus der FRAND-Verpflichtungserklärung Es ergibt sich auch kein Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB; offen gelassen in LG Düsseldorf, 4a 224/05, Urteil vom 13.02.2007, Seite 20). Einer Lizenzbereitschaftserklärung gegenüber einer Standardisierungsorganisation kommt nämlich lediglich die Wirkung einer invitatio ad offerendum zu, weil eine Lizenzbereitschaftserklärung in der Regel lediglich eine Lizenzierungspflicht, die ohnehin auf kartellgesetzlicher Grundlage besteht, deklariert (Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 4. Auflage, Rn 976). Die Mitglieder geben eine derartige Verpflichtungserklärung ab, weil ihr Schutzrecht ansonsten keine Aufnahme in den jeweiligen technischen Standard fände. Sie beinhaltet insbesondere – siehe oben – keinen dinglichen Verzicht auf die Verbietungsrechte aus dem Patent; denkbar wäre allenfalls ein Verzicht auf die Ausübung des Unterlassungsanspruchs. Aber auch ein Verzicht im letztgenannten Sinne widerspricht ersichtlich der Interessenlage: Das gesetzliche Kartellrecht verlangt nicht die Abgabe einer zusätzlichen, eigenständigen vertraglichen Lizenzierungsverpflichtung. Aus einer allgemeinen FRAND-Erklärung kann sich nach deutschem Recht kein Nutzungsrecht im Sinne einer positiven Lizenz ergeben. Ein Patentinhaber will mit einer solchen Erklärung nicht gegenüber einer Vielzahl von Dritten ohne Sicherung seines Lizenzgebührenanspruchs ein Nutzungsrecht erteilen und zusätzlich die Pflichten eines Lizenzgebers übernehmen (z.B. Patentaufrechterhaltung, Verteidigung pp.), so dass nicht von einem verbindlichen Angebot „ad incertas personas“ ausgegangen werden kann.

Sollte in der FRAND-Verpflichtungserklärung Es Inc. zumindest ein vertraglicher Anspruch auf Nichtdurchsetzung der Unterlassungsverpflichtung zu sehen sein (so LG Düsseldorf, 4a O 224/05, Urteil vom 13.02.2007), könnte sich die Beklagte jedenfalls nicht gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin mit Erfolg auf diesen berufen: Eine derartige schuldrechtliche „negative Lizenz“ unterliegt nicht dem Sukzessionsschutz gem. § 15 Abs. 3 PatG. Bei § 15 Abs. 3 PatG handelt es sich um eine eng auszulegende Sondervorschrift, die eine Ausnahme zum Grundsatz der Relativität eines Schuldverhältnisses beinhaltet. Daher ist auch eine Analogie abzulehnen (LG Mannheim, in: NJOZ 2009, 1458, 1463). Die Beklagte vermag insbesondere nicht überzeugend aufzuzeigen, dass die für eine analoge Anwendung des § 15 Abs. 3 PatG notwendige, planwidrige Regelungslücke gegeben sei.

Auch ergibt sich eine Drittwirkung nicht nach §§ 413, 404 BGB. Denn § 404 BGB findet im Rahmen einer Patentübertragung keine Anwendung, weil ein Patent ein absolutes Recht darstellt, das keinen „spezifischen Schuldner“ kennt (so schon RGZ 127, 197, 205). Soweit in der Literatur vereinzelt in Bezug auf schuldrechtliche Lizenzverträge eine andere Ansicht vertreten wird (vgl. Rosenberger, in: GRUR 1983, 203), ist das vorliegend jedenfalls im Hinblick auf die oben erörterte Rechtsnatur einer FRAND-Erklärung des Schutzrechtsinhabers ohne Belang.

IV.
Angesichts der Patentbenutzung durch die angegriffenen Ausführungsformen stehen der Klägerin die mit der vorliegenden Klage geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte zu.

1.
Der Unterlassungsanspruch beruht auf § 139 Abs. 1 PatG i. V. m. Art. 64 Abs. 1 EPÜ, da die Benutzung des Erfindungsgegenstandes ohne Berechtigung erfolgt.

2.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, der, soweit die Klägerin ihren eigenen Schaden geltend macht, aus § 139 Abs. 2 PatG i. V. m. Art. 64 Abs. 1 EPÜ, und soweit sie Schäden der A AG und der C GmbH geltend macht, zusätzlich aus § 398 BGB folgt. Als Fachunternehmen hätte die Beklagte die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Da überdies durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten die Entstehung eines Schadens hinreichend wahrscheinlich ist, der durch die Klägerin noch nicht beziffert werden kann, weil sie den Umfang der rechtsverletzenden Benutzungshandlungen ohne ihr Verschulden nicht im Einzelnen kennt, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an der Feststellung der Schadensersatzverpflichtung anzuerkennen, § 256 ZPO.

3.
Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den Schadensersatzanspruch zu beziffern, steht ihr gegen die Beklagte ein Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung im zuerkannten Umfang zu. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsformen ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG i. V. m. Art. 64 Abs. 1 EPÜ, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG i. V. m. Art. 64 Abs. 1 EPÜ. Die Beklagte hat insoweit Belege zu überlassen (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 5, 249 – Faltenbalg). Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB i. V. m. Art. 64 Abs. 1 EPÜ. Für nicht gewerbliche Abnehmer und die Angebotsempfänger ist der Beklagten ein Wirtschaftsprüfervorbehalt zu gewähren (OLG Düsseldorf, InstGE 3, 176 – Glasscheiben-Befestiger). Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.

4.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte darüber hinaus ein Rückrufanspruch bezüglich der Erzeugnisse zu, die seit ihrer Eintragung als Patentinhaberin in Verkehr gelangt sind. Der Anspruch beruht auf § 140a Abs. 3 PatG i. V. m. Art. 64 Abs. 1 EPÜ. Es bestehen keine Anhaltspunkte für eine Unverhältnismäßigkeit des Rückrufes im Sinne von § 140a Abs. 4 PatG.

V.
Eine Veranlassung den Rechtsstreit gem. § 148 ZPO im Hinblick auf die gegen den deutschen Teil des Klagepatents anhängige Nichtigkeitsklage auszusetzen, besteht nicht.

Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung; BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die auch vom Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 – Steinknacker) und vom Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug) gebilligt wird, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, weil dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist. Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich dem Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung seines erteilten Patents Vorrang gebührt. Angesichts des Umstandes, dass ein Patent seinem Inhaber nur ein zeitlich begrenztes Monopolrecht verleiht und dass ein wesentlicher Teil dieses Rechtes, nämlich der Unterlassungsanspruch gegenüber einem Patentverletzer, durch eine Aussetzung der Verhandlung des Verletzungsrechtsstreits praktisch suspendiert würde, kommt eine Aussetzung wegen eines gegen das Klagepatent anhängigen Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens nur dann in Betracht, wenn ein Widerruf oder eine Vernichtung des Klageschutzrechtes nicht nur möglich, sondern mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Ist dies nicht der Fall, so verdient das Interesse des Patentinhabers an einer alsbaldigen Durchsetzung seiner – zeitlich ohnehin begrenzten – Rechte aus dem Patent den Vorrang vor dem Interesse der Gegenpartei, nicht aus einem Patent verurteilt zu werden, das sich möglicherweise später als nicht rechtsbeständig erweist. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Widerruf oder eine Vernichtung des Klagepatents wiederum kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der ihm am nächsten kommende Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist oder wenn neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, dass das Klagepatent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch für eine Bejahung der Erfindungshöhe, die von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht keine Veranlassung zur Aussetzung des vorliegenden Verletzungsrechtsstreits. Aus dem Vorbringen der D in der von ihr erhobenen Nichtigkeitsklage (Anlage B 1), auf welche die Beklagte Bezug nimmt, ergibt sich nicht mit der für eine Aussetzung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass der Gegenstand der Ansprüche 15 und/oder 16 des Klagepatents vom Bundespatentgericht für nichtig erklärt werden wird.

1.
Eine Prognose, die am 08.04.2004 in das Klagepatent nachträglich eingefügten Ansprüche 15 und/oder 16 würden wegen unzulässiger Erweiterung vernichtet werden, lässt sich auf der Basis der vorgetragenen Argumente nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit treffen.

Eine unzulässige Erweiterung ist gegeben bei einer Änderung des Gegenstandes der Patentanmeldung, so dass dieser über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (Schulte/Rudloff-Schäffer, PatG, 8. Auflage 2008, § 38 PatG / Art. 123 (2) EPÜ Rn 14). Eine Änderung der Ansprüche ist nur dann eine unzulässige Erweiterung, wenn dadurch nicht nur der Schutzbereich entsprechend der ursprünglichen Offenbarung, sondern auch der Gegenstand der Anmeldung erweitert wird. Dies ist der Fall, wenn mit der Anspruchsänderung erstmals ein Gegenstand offenbart wird, der nicht Inhalt der ursprünglichen Anmeldung war (Schulte/Rudloff-Schäffer, PatG, 8. Auflage 2008, § 38 PatG / Art. 123 (2) EPÜ Rn 16).

a.
Soweit die Beklagte der Auffassung ist, eine unzulässige Erweiterung liege darin, dass in den Patentansprüchen 15 und/oder 16 von der Auswahl einer variablen Anzahl von Overhead-Datenbits die Rede ist, wovon ein Vorgehen in Schritten von 1 Bit erfasst sei, während in der ursprünglichen Anmeldung die Overhead-Daten stets nur als „bytes“ oder „octets“ beschrieben seien, vermag die Kammer dieser Ansicht nicht beizutreten.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 21.04.2011 nachvollziehbar dargelegt, dass der Fachmann sehe, dass eine Variation der Anzahl von Overhead-Daten immer nur in Schritten von 1 Byte (= 8 Bit) möglich sei. Für ein solches Verständnis spricht, dass das Klagepatent im Zusammenhang mit der Zuteilung von Overhead-Daten durchgehend die Einheit „Byte“ verwendet, wobei es in Absatz [0011] definiert, dass ein Byte acht Bit sind. So erklärt die Klagepatentschrift (Übersetzung gemäß Anlage K 2a) etwa in der allgemeinen Beschreibung in Absatz [0019], dass die Zuordnung der Byte in entweder Overhead- oder Nutzlastdaten flexibel ist; in Absatz [0059] erläutert sie, wie bei einer bevorzugten Ausführungsform eine zusätzliche Variabilität der Overhead-Datenübertragungsrate durch Zulassen mehrerer Overhead-Datenbytes pro Rahmen erreicht wird. Zur Wortwahl der Ansprüche 15 und 16 hat die Klägerin ausgeführt, dort sei von „Bits“ die Rede, da es sich bei Bits im Gegensatz zu „Bytes“ um die – insoweit unstreitig – eindeutigere Einheit handele. Für das seitens der Klägerin dargelegte Verständnis des Fachmanns spricht im Ergebnis auch der Vortrag der Beklagten, eine individuelle Ansteuerung von einzelnen Bits sei nicht möglich bzw. erfordere eine gänzlich andere Implementierung. Wenn dem so ist und der Fachmann dies weiß, wird er (trotz) der Wortwahl „Datenbits“ in der Merkmalsgruppe 3 in den Ansprüchen 15 und 16 unter Berücksichtigung der Beschreibung einschließlich des Sinn und Zwecks der genannten Merkmalsgruppe nicht die Bedeutung beimessen, dass eine Auswahl in Schritten von 1 Bit gegeben sein muss. Er erkennt vielmehr, dass eine Änderung von Datenbytes ausreichend und technisch sinnvoll ist.

In der ursprünglichen Anmeldung des Klagepatents (Anlage NK 5/NK 5 Ü) ist eine so verstandene Auswahl einer variablen Anzahl von Overhead-Datenbytes offenbart, wie z. B. Seite 6, 2. Absatz, Seite 7, 2. und 3. Absatz, Seite 8, 2., 3 und 4. Absatz und Seite 9 der Anlage NK 5Ü zeigen. Die dortigen Beschreibungsstellen entsprechen der Beschreibung des Klagepatents in der erteilten Fassung.

b.
Ebenso wenig anschließen kann sich die Kammer der Ansicht, die Ansprüche 15 und/oder 16 seien in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht offenbart soweit es um die Auswahl einer variablen Anzahl (von Overhead-Datenbits) für jeden Rahmen gehe, da in den Anmeldeunterlagen eine Variabilität der Overhead-Daten nur für diejenigen Rahmen beschrieben sei, die überhaupt Overhead-Daten erhielten, und darüber hinaus die Rahmen 0, 1, 34 und 35 ausweislich der Tabelle 2 des Klagepatents immer nur ein einziges Sync-Byte enthielten, weshalb die Anzahl der Overhead-Daten in diesen Rahmen nicht variabel sei.

Zunächst beinhaltet auch die Auswahl, ob ein Rahmen überhaupt Overhead-Daten enthält, die Auswahl einer Anzahl von Overhead-Datenbits (nämlich null) für diesen Rahmen. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen im Rahmen der Verletzungsprüfung Bezug genommen. Dies ergibt sich auch schon aus den ursprünglichen Anmeldeunterlagen. In den Ausführungen der Anlage NK 5 zur flexiblen Zuteilung von Overhead-Daten (S. 9 Zeilen 5 – 7; S. 9, Zeile 19 – S. 10 Zeile 2; S. 10 Zeile 22 – S. 11 Zeile 3 – entspricht NK 5Ü, S. 8, 1. Absatz unter der Überschrift „Flexible Zuteilung von Overhead-Daten, S. 3; S. 8 letzter Absatz bis S. 9 vorletzter Satz des Absatzes 1; S. 9 Absatz 3 unter der Überschrift „Dynamische Durchsatzzuteilung von Overhead-Daten“ S. 3) ist jeweils offenbart, dass die Auswahl der Anzahl von Overhead-Daten pro Rahmen sowohl dadurch erfolgen kann, dass die Rahmen ausgewählt werden, die Overhead tragen sollen, als auch dadurch, dass für diese Rahmen bestimmt wird, wie viele Overhead-Bytes sie enthalten sollen. Aus diesen Textstellen ergibt sich auch, dass eine Auswahl für jeden Rahmen getroffen wird. Denn für jeden Rahmen wird festgelegt, ob und ggf. wie viele Overhead-Daten er enthält.

Aus dem Verweis auf die Tabelle 2 der Anmeldeunterlagen sowie der Klagepatentschrift, aus der sich nach Ansicht der Beklagten ergeben soll, dass einige Rahmen immer ein Byte Overhead-Daten trügen, was der Auswahl einer variablen Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen entgegenstünde, folgt letztlich nichts anderes. Denn es handelt sich dabei um die Beschreibung einer bevorzugten Ausführungsform, auf die der Offenbarungsgehalt der Anmeldeunterlagen nicht beschränkt ist.

c.
Eine unzulässige Erweiterung unter dem Gesichtspunkt, dass die ursprünglichen Anmeldeunterlagen eine „Feinjustierung“ nur im Anschluss an das „framing“ offenbarten, die Patentansprüche 15 und/oder 16 sich jedoch auf eine isolierte „Feinjustierung“ bezögen, kann die Kammer gleichfalls nicht erkennen.

Zum einen beziehen sich die streitgegenständlichen Patentansprüche, wie bereits im Rahmen der Verletzungsprüfung dargelegt, nicht allein auf die „Feinjustierung“, sondern erfassen auch den von der Beklagten als „framing“ bezeichneten Schritt der Auswahl, ob ein Rahmen überhaupt Overhead-Daten erhält.

Zum anderen ist das Verständnis der Beklagten von der angeführten Textstelle der Anmeldeunterlagen (NK 5 dort S. 9 Zeilen 5 – 7 – entspricht NK 5Ü S. 8 Absatz 1 unter der Überschrift „Flexible Zuteilung von Overhead-Daten“ Satz 3) nicht zwingend. Dort heißt es (in der Übersetzung):

„Durch das Auswählen der Anzahl von Rahmen, die Overhead-Daten umfassen, und der Anzahl von Overhead-Daten zugeordneten Byte in diesen Rahmen kann die Overhead-Daten zugeordnete Durchsatzmenge abgeändert werden.“

Auch aus dieser Passage ergibt sich nach Auffassung der Kammer, dass beide Möglichkeiten – sowohl die Auswahl, ob ein Rahmen Overhead trägt, als auch die Auswahl, wie viel Overhead er trägt – unter die Auswahl einer variablen Anzahl von Overhead-Daten fallen.

Die Argumentation der Beklagten mit Absatz [0056] der Klagepatentschrift (Anlage K 2), dem die Zeilen 4 bis 20 auf Seite 22 der ursprünglichen Anmeldeunterlagen (Anlage NK 5 – übersetzt in NK 5Ü Seite 15 Absatz 3) entsprechen, hilft nicht weiter. Die dortigen Ausführungen beziehen sich lediglich auf die Weiterentwicklung einer bevorzugten Ausführungsform.

d.
Schließlich überzeugt die Ansicht der Beklagten, in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen sei Merkmal 3.b nicht offenbart, nicht, wobei zunächst klarzustellen ist, dass nicht erforderlich ist, dass sich zumindest ein Rahmen in der Rahmensequenz von allen anderen Rahmen in der Rahmensequenz hinsichtlich der Anzahl der Overhead-Datenbits unterscheidet. Zudem fällt, aus den zuvor bereits dargelegten Gründen, auch das „framing“ unter die Auswahl einer variablen Anzahl von Overhead-Datenbits im Sinne von Merkmal 3.a.

Dass – auf Grundlage des Verständnisses der Kammer – die Anzahl der Overhead-Datenbits für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz von der Anzahl der Overhead-Datenbits für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz abweicht, ist in den Ausführungen der Anlage NK 5 zur flexiblen Zuteilung von Overhead-Daten (S. 9 Zeilen 5 – 7; S. 9, Zeile 19 – S. 10 Zeile 2; S. 10 Zeile 22 – S. 11 Zeile 3 – entspricht NK 5Ü, S. 8, 1. Absatz unter der Überschrift „Flexible Zuteilung von Overhead-Daten, S. 3; S. 8 letzter Absatz bis S. 9 vorletzter Satz des Absatzes 1; S. 9 Absatz 3 unter der Überschrift „Dynamische Durchsatzzuteilung von Overhead-Daten“ S. 3) hinreichend offenbart. Denn dort heißt es, dass die Auswahl der Anzahl von Overhead-Daten pro Rahmen sowohl dadurch erfolgen kann, dass die Rahmen ausgewählt werden, die Overhead tragen sollen, als auch dadurch, dass für diese Rahmen bestimmt wird, wie viele Overhead-Bytes sie enthalten sollen. Schon daraus folgt, dass in einigen Rahmen einer Rahmensequenz die Anzahl der Overhead-Daten null Bits (oder Bytes) beträgt, während in anderen Rahmen einer Rahmensequenz die Anzahl der Overhead-Daten 8 Bits (= 1 Byte) beträgt. Dies ist auch in Figur 4 der Anmeldeunterlagen sowie der Beschreibung eines bevorzugten Ausführungsbeispiels (Anlage NK 5, S. 17 Zeilen 13 – 16 – entspricht Anlage NK 5Ü Seite 13 Absatz 2 Sätze 2, 3) offenbart.

2.
Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Ansprüche 15 und/oder 16 des Klagepatents im Nichtigkeitsverfahren wegen fehlender Neuheit vernichtet werden, ist seitens der Beklagten bzw. der Nichtigkeitsklägerin nicht dargetan. Aus Sicht der Kammer kann nicht mit dem erforderlichen Grad an Überzeugung davon ausgegangen werden, dass die Entgegenhaltungen NK 8, NK 9, NK 10 oder NK 11 sich als neuheitsschädlich erweisen.

a.
In der im “Interim Meeting Report“ (Anlage NK 8) wiedergegebenen Äußerung von Herrn O bei dem Treffen vom 05.04.1998 in Rosemeont, Illinois, die in Übersetzung lautet:

„O meinte, dass ein RS-Overhead durch das Erstrecken von Codewörtern über Rahmen hinaus thematisiert werden könnte und dass auch ein Verfahren im Zeitbereich in einige Rahmen keinen Overhead einfügen könnte.“

kann die Kammer jedenfalls keine vollständige (und ausführbare) Offenbarung der Lehre der Ansprüche 15 und/oder 16 des Klagepatents mit allen Merkmalen gemäß der Merkmalsgliederung (Anlage K 6) erkennen. Die zitierte Äußerung soll im Rahmen der Diskussion eines Vorschlags für G.lite mit reduzierter Komplexität gefallen sein. Dass das Weglassen von Overhead in einigen Rahmen zu einer patentgemäßen Steuerung der Sende- bzw. Empfangsgeschwindigkeit von Overhead-Daten führen würde, ergibt sich aus der Anlage NK 8 indes nicht. Ausweislich der Anlage NK 8 ging es um eine Komplexitätsreduktion für G.lite.

Darüber hinaus ist in der Nichtigkeitsklage auch nicht hinreichend dargelegt, dass die NK 8 als Stand der Technik zu berücksichtigen wäre. Es fehlt dort an konkretem Vortrag dazu, dass die NK 8 der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag zugänglich gemacht worden wäre. Soweit die Beklagte sich auf das nicht in das Nichtigkeitsverfahren eingeführte Protokoll gemäß Anlage B 19 (übersetzt in B 19Ü) beruft, ist dieses für die seitens der Kammer zu treffende Entscheidung über den Aussetzungsantrag unbeachtlich. Die Kammer trifft keine Entscheidung über die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents, sondern stellt lediglich eine Prognose über den Ausgang des Nichtigkeitsverfahrens an. Ist ein – vermeintlich entscheidungserhebliches – Dokument nicht im Nichtigkeitsverfahren eingeführt, kann es dort auch nicht zu einer Vernichtung beitragen.

b.
Im Hinblick auf die Entgegenhaltung NK 9 ist ebenfalls festzuhalten, dass die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 15.03.2011 zur öffentlichen Zugänglichkeit dieser Entgegenhaltung vor dem Prioritätstag nicht zu berücksichtigen sind. Denn die insoweit vorgelegten Anlagen B 19 / B 19Ü und B 20 / B20 Ü sowie der zugehörige schriftsätzliche Vortrag sind nicht in das Nichtigkeitsverfahren eingeführt.

Darüber hinaus ist für die Kammer nicht zu erkennen, dass die NK 9 die streitgegenständlichen Ansprüche 15 und/oder 16 des Klagepatents in der Gesamtheit ihrer Merkmale vorweg nähme. Die Beklagte führt aus, die NK 9 offenbare ein LEX-Byte, das jeder Rahmen zusätzlich zu einem Overhead-Byte beinhalte; für dieses LEX-Byte könne ausgewählt werden, ob es zusätzliche Overhead-Daten tragen solle, wodurch die Anzahl der zu übertragenden Overhead-Daten flexibel einstellbar sei. Darin liegt jedoch keine vollständige Offenbarung der Merkmalsgruppe 3. Zunächst geht es in der NK 9 darum, ob zusätzlich zum in jedem Rahmen vorhandenen Overhead-Byte ein weiteres Byte für den Transport von Overhead-Daten genutzt wird. Im Gegensatz dazu lehrt das Klagepatent die Steuerung der Übertragungsgeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch, dass für jeden Rahmen in der Rahmensequenz eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits ausgewählt wird, derart, dass die Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz von der Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist. Während nach der Lehre der Ansprüche 15 und 16 die Overhead-Datenbitanzahl für einen Rahmen null sein kann, beträgt sie nach der NK 9 / NK 9Ü immer mindestens 1 Byte. Darüber hinaus offenbart die NK 9 / NK 9Ü nicht, dass die Übertragungsgeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch zu steuern wäre, dass mindestens zwei Rahmen einer Rahmensequenz eine unterschiedliche Anzahl an Overhead-Datenbits enthalten (Merkmal 3.b).

c.
Die Entgegenhaltung NK 10 kann zur Beurteilung der Frage der Aussetzung des Verletzungsrechtsstreits schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil nur eine auszugsweise Übersetzung des fast 250-seitigen Dokuments vorliegt (als Anlage NK 10Ü). Aus der Teilübersetzung ist für die Kammer eine vollständige Offenbarung der Ansprüche 15 und/oder 16 des Klagepatents nicht ersichtlich. Weder die Nichtigkeitsklägerin noch die Beklagte im Verletzungsrechtsstreit führen eine konkrete Textstelle an, aus der sich ergeben könnte, dass es sich bei dem Kabelmodem (CM) um einen Anschlussleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation (Merkmal 1) handeln würde. Darüber hinaus tragen weder die Nichtigkeitsklägerin noch die Beklagte des Verletzungsrechtsstreits vor, woraus sich die Verwirklichung der patentgemäßen Steuerung der Overhead-Übertragungsgeschwindigkeit gemäß Merkmalsgruppe 3 ergeben sollte. Hinzu kommt, dass auch nach der in Bezug genommenen Figur 6-3 der NK 10 / NK 10Ü jeder „MAC-Frame“ mindestens 6 Byte Overhead trägt und die mögliche Variation sich auf die Zufügung bis zu 240 Byte weiterer Overhead-Daten (EHDR) bezieht. Dagegen besteht nach der Lehre des Klagepatents die Möglichkeit, für einen Rahmen null Bit/Byte Overhead auszuwählen. Des Weiteren ist auf Grundlage des vorgetragenen Sach- und Streitstandes nicht zu erkennen, ob es nach der Lehre der NK 10 / NK 10Ü Rahmensequenzen gibt, die den von den Ansprüchen 15 und/oder 16 des Klagepatents gelehrten Sequenzen von Rahmen entsprechen.

d.
Soweit die Beklagte bzw. die Nichtigkeitsklägerin meint, die NK 11 / NK 11Ü offenbare für die Übertragung von Daten eine „DAS“ genannte Rahmenstruktur und über vorbestimmte Rahmentypen (DF1 bis DF3 und „synch“) sei die Verwendung der Träger entweder für Daten oder für Overhead festgelegt, verfängt dies nicht. Zunächst finden sich keine Angaben dazu, warum eine „DAS“ (= eine DF3-Rahmensequenz, s. NK 11Ü S. 11) einer patentgemäßen Sequenz von Rahmen entsprechen sollte. Außerdem hat laut der Ausführungen im letzten Absatz auf Seite 45 der NK 11Ü ein DF3-Datenrahmen immer einen Träger, der dem Steuerkanal (= Overhead-Daten) gewidmet ist. Inwieweit darin eine Steuerung der Übertragungsgeschwindigkeit der Overhead-Daten nach der Lehre der Patentansprüche 15 und/oder 16 liegen soll, ist für die Kammer nicht nachvollziehbar. Dass die Übertragungsgeschwindigkeit der Overhead-Daten dadurch gesteuert würde, dass für einen Rahmen einer DAS eine andere Anzahl Overhead-Datenbits ausgewählt würde als für einen anderen Rahmen der gleichen Sequenz, ergibt sich aus den von der Beklagten bzw. der Nichtigkeitsklägerin angeführten Textstellen nicht.

Dass – wie die Beklagte meint – im Gegensatz zu DF3- und DF2-Rahmen die DF1-Rahmen immer auf vier Trägern Overhead-Daten übertragen würden, zieht keine Offenbarung der Merkmalsgruppe 3 nach sich. Denn es erschließt sich nicht, warum innerhalb einer Rahmensequenz verschiedene Rahmentypen ausgewählt werden sollten. Die Definition von „DAS“ als DF3-Rahmensequenz sowie die Ausführungen im dritten Absatz auf Seite 46 der Anlage NK 11Ü sprechen vielmehr gegen ein solches Vorgehen.

Auch die in der Nichtigkeitsklage enthaltenen Ausführungen zum „Bit-Loading“ bieten keine ausreichende Veranlassung für eine Aussetzung. Es mag sein, dass über das im letzten Absatz auf Seite 36 / ersten Absatz auf Seite 37 der NK 11Ü beschriebene Bit-Loading die Anzahl von Bits für jeden Träger berechnet werden kann und dass gemäß der Ausführungen im vorletzten Absatz auf Seite 41 der NK 11Ü die Bitbeladung für Träger des Steuerkanals geändert werden kann, um die Datenrate zu erhöhen. Daraus vermag die Kammer jedoch nicht zu erkennen, dass eine Steuerung der Übertragungsgeschwindigkeit von Overhead-Daten durch Auswahl einer variablen Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen einer Rahmensequenz dergestalt stattfindet, dass die Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen Rahmen von der Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen anderen Rahmen verschieden ist. Darüber, wie die Anzahl von Overhead-Datenbits der verschiedenen Rahmen einer Sequenz im Verhältnis zueinander ausgestaltet ist, verhält sich die NK 11Ü in den seitens der Parteien angeführten Passagen nicht.

3.
Letztlich vermochte die Beklagte nicht aufzuzeigen, dass sich kein vernünftiges Argument mehr für die Erfindungshöhe der Ansprüche 15 und/oder 16 finden ließe.

Um das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden Lösungswegs nicht nur als möglich, sondern dem Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es – abgesehen von den Fällen, in denen für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist – in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH, GRUR 2009, 746 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; BGH, GRUR 2010, 407 – einteilige Öse).

Von welchem nächstliegenden Stand der Technik der Fachmann ausgeht und warum er ausgehend von diesem Stand der Technik Anlass gehabt haben sollte, in Richtung der technischen Lehre der Ansprüche 15 und/oder 16 des Klagepatents weiterzudenken und dabei die insoweit angeführten Entgegenhaltungen NK 12, NK 13, NK 14 und oder NK 15 zu berücksichtigen, hat die Beklagte indes nicht (nachvollziehbar) vorgetragen.

VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO. Soweit die Klägerin die ursprüngliche Klage bezüglich eines Teils des Rückrufanspruchs sowie des zunächst geltend gemachten Vernichtungsanspruchs teilweise zurückgenommen hat, waren ihr die Kosten aufzuerlegen.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt im Hinblick auf die Vollstreckung durch die Klägerin aus § 709 S. 1 ZPO, bezüglich der Vollstreckung durch die Beklagte ergibt sie sich aus § 709 S. 1, 2 ZPO.

Die Schriftsätze der Beklagten vom 12.05.2011 und vom 19.05.2011 bieten keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

Streitwert: 2.000.000,00 €