4b O 170/09 – Sicherheitsetikett

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1796

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 20. Dezember 2011, Az. 4b O 170/09

I. Die Beklagten werden verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft im Hinblick auf die Beklagte zu 1.) an ihrem jeweiligen Geschäftsführer zu vollziehen ist, zu unterlassen,

Sicherungsetiketten, aufgebaut, um das unbefugte Entfernen von Ware aus einem bestimmten Bereich zu verhindern,

herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu benutzen, oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, welche folgende Merkmale aufweisen:

– ein Gehäuse, aufgebaut, um, wenn in einer Arbeitsposition befindlich, an der Ware gesichert zu werden, wobei das Gehäuse lösbare Abschnitte einschließt, die in der Arbeitsposition lösbar miteinander verbunden sind, wobei eine periphere Naht zwischen den lösbaren Abschnitten ausgebildet ist, wenn in der Ar-beitsposition befindlich;
– einen Verriegelungsaufbau, montiert an dem Gehäuse und aufgebaut, um das Gehäuse lösbar in der Arbeitsposition zu halten;
– einen Abschirmungsaufbau, in schützendem Verhältnis zum Verriegelungsaufbau angebracht,
– einen Anzeigeaufbau, aufgebaut, um das unbefugte Entfernen von Ware, die mit dem Gehäuse verbunden ist, aus dem jeweiligen Bereich anzuzeigen, wobei der Anzeigeaufbau einen inneren Gehäuseabschnitt umfasst,
– wobei der Verriegelungsaufbau zwischen inneren Oberflächenabschnitten des inneren Gehäuseabschnitts und eines der lösbaren Abschnitte vom Abschirmungsaufbau geschützt wird,
– wobei der innere Gehäuseabschnitt auch eine im Wesentlichen konvexe äußere Oberfläche hat, die im Gehäuse hervorsteht, um das Hindurchdringen eines Instruments oder Werkzeugs über die periphere Naht hinaus zu verhindern oder einzuschränken, weil alle derartigen Versuche dazu führen würden, dass das ein-dringende Ende eines solchen Instruments oder Werkzeugs sofort gegen die konvexe äußere Oberfläche des inneren Gehäuseabschnitts stoßen würde, und
– wobei der innere Gehäuseabschnitt mindestens eine aus einer Vielzahl von Anzeigestrukturen darauf trägt.

II. Die Beklagten werden verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten Handlungen gemäß Ziffer I. seit dem 24.02.2007 vorgenommen haben, unter Vorlage eines vollständigen und verbindlichen Verzeichnisses, das sich zu erstrecken hat auf

a) die Herstellungsmengen und -zeiten,

b) die einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie die Namen und Anschriften der Abnehmer,

c) die einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d) die betriebene Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) sowie für die seit dem 24.02.2007 begangenen Handlungen unter Angabe der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei zum Nachweis der Angaben zu Ziff. b) die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.

III. Die Beklagte zu 1.) wird verurteilt, die in ihrem Besitz oder Eigentum befindlichen Erzeugnisse gemäß Ziffer I. zu vernichten.

IV. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die in Ziffer I. bezeichneten, in der Zeit seit dem 24.02.2007 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

V. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger 11.729,60 EUR zu zahlen.

VI. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten als Gesamtschuldner zu 90 % und dem Kläger zu 10 % auferlegt.

VII. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000.000,00 € und für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger ist ausschließlicher und allein verfügungsberechtigter Inhaber des in englischer Verfahrenssprache angemeldeten Europäischen Patents EP 1 391 XXX (Anlage K 1, im Folgenden: Klagepatent). Eine deutsche Übersetzung des Klagepatents wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Registernummer DE 603 11 XXX T2 (Anlage K 2) geführt. Das Klagepatent wurde unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität vom 29. Juli 2002 (US 207XXX) am 23. Juli 2003 angemeldet und die Anmeldung am 25. Februar 2004 veröffentlicht. Die Erteilung des Klagepatents wurde am 24. Januar 2007 veröffentlicht. Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2010 (Anlage B 1) griffen die Beklagten das Klagepatent mit der Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht an. Das Bundespatentgericht wies die Klage in der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2011 durch Urteil ab (vgl. Anlage K9).

Das Klagepatent betrifft ein Sicherheitsetikett.

Anspruch 1 des Klagepatents lautet in deutscher Übersetzung:

Ein Sicherungsetikett-Aufbau (10), aufgebaut, um das unbefugte Entfernen von Ware aus einem bestimmten Bereich zu verhindern, wobei der Sicherungsetikett-Aufbau (10) folgendes umfasst:

a) ein Gehäuse (12), aufgebaut, um, wenn in einer Arbeitsposition befindlich, an der Ware gesichert zu werden, wobei das Gehäuse (12) lösbare Abschnitte (14, 16) einschließt, die in der Arbeitsposition lösbar miteinander verbunden sind, wobei eine periphere Naht (18) zwischen den lösbaren Abschnitten (14, 16) ausgebildet ist, wenn in der Arbeitsposition befindlich;

b) einen Verriegelungsaufbau (30), montiert an dem Gehäuse (12) und aufgebaut, um das Gehäuse (12) lösbar in der Arbeitsposition zu halten; und

c) einen Abschirmungsaufbau (42), in schützendem Verhältnis zum Verriegelungsaufbau (30) angebracht,

d) einen Anzeigeaufbau, aufgebaut, um das unbefugte Entfernen von Ware, die mit dem Gehäuse (12) verbunden ist, aus dem jeweiligen Bereich anzuzeigen, wobei der Anzeigeaufbau einen inneren Gehäuseabschnitt (17) umfasst,

wobei der Verriegelungsaufbau (30) zwischen inneren Oberflächenabschnitten des inneren Gehäuseabschnitts (17) und eines der lösbaren Abschnitte (16) vom Abschirmungsaufbau (42) geschützt wird, wobei der innere Gehäuseabschnitt (17) auch eine im Wesentlichen konvexe äußere Oberfläche hat, die im Gehäuse (12) hervorsteht, um das Hindurchdringen eines Instruments oder Werkzeugs über die periphere Naht (18) hinaus zu verhindern oder einzuschränken, weil alle derartigen Versuche dazu führen würden, dass das eindringende Ende eines solchen Instruments oder Werk-zeugs sofort gegen die konvexe äußere Oberfläche des inneren Gehäuseab-schnitts (17) stoßen würde, und wobei der innere Gehäuseabschnitt (17) min-destens eine aus einer Vielzahl von Anzeigestrukturen (53, 54, 55) darauf trägt.

Nachstehend verkleinert wiedergegebene Zeichnungen sind dem Klagepatent ent-nommen und illustrieren dessen technische Lehre anhand bevorzugter Ausfüh-rungsbeispiele:

Figur 6 ist eine in Einzelteilen aufgelöste Ansicht einer bevorzugten Ausführungsform einschließlich der lösbaren Gehäuseabschnitte und der darin enthaltenen betätigbaren Bestandteile. Figur 7 zeigt das in diesem Ausführungsbeispiel enthaltene Verbindungsglied in der Draufsicht. Figur 8 stellt die Einzelteile der lösbaren Bestandteile des Gehäuses samt den Details eines Anzeigeaufbaus dar. Figur 9 zeigt in der Draufsicht den inneren Gehäuseabschnitt eines Ausführungsbeispiels, Figur 9a den eines anderen Ausführungsbeispiels, wobei ein zusätzlicher Anzeigeaufbau in Phantomlinien dargestellt ist.

Die Beklagte zu 1.), deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2.) ist, stellt her und ver-treibt Sicherungsetiketten (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform), die insbesondere an A geliefert wurden, und die dem zur Gerichtsakte gereichten Muster entsprechen. Nachstehend sind verkleinert wiedergegeben eine vom Kläger gefertigte und beschriftete Zeichnung sowie zwei ebenfalls vom Kläger gefertigte und beschriftete Lichtbilder (Anlage K 4), die unstreitig die angegriffene Ausführungsform zeigen:

Mit rechts- und patentanwaltlichem Schreiben vom 2. Februar 2009 (Anlage K 6) mahnte der Kläger die Beklagten wegen einer Verletzung des Klagepatents ab und forderte sie zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung auf. Dies wiesen die Beklagten durch anwaltliches Schreiben vom 9. Februar 2009 zurück (Anlage K7).

Der Kläger ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform verwirkliche die technische Lehre des Klagepatents wortsinngemäß.

Der Kläger hat ursprünglich Antrag III aus der Klageschrift vom 04.09.2009 (Bl. 2 bis 4 d. A.) auch gegen den Beklagten zu 2) gerichtet und in Antrag IV das Datum des 25.03.2004 statt des 24.02.2007 aufgenommen.

Nach teilweiser Klagerücknahme unter Zustimmung der Beklagten beantragt er nunmehr,
wie erkannt.

Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagten bestreiten, das Klagepatent zu verletzen. Das Merkmal 7.2. (nach der Merkmalsgliederung der Kammer) sei nicht erfüllt, da das eindringende Ende eines Instruments oder Werkzeugs nicht sofort gegen die konvexe äußere Oberfläche des inneren Gehäuseabschnitts stoßen würde. Denn diese konvexe äußere Oberfläche liege mit Abstand zu der peripheren Naht. Zudem mache das Klagepatent Gebrauch von den Merkmalen „gemäß Anlagen NK1 und NK2“. Aus diesem Grund werde vorsorglich der Einwand des freien Standes der Technik erhoben.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Ersatz vorgerichtlicher Kosten gegen die Beklagten sowie gegen die Beklagte zu 1) auf Vernichtung gemäß Art. 64 EPÜ, §§ 9, 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB zu.

I.

Das Klagepatent betrifft einen diebstahlsicheren Etikettenaufbau, der wirksam an Handelswaren angebracht werden kann und einen Anzeigeaufbau einschließt, der eine oder mehrere Anzeigen für das nicht befugte Wegnehmen der Ware aus einem bestimmten Bereich einschließt.

Wie das Klagepatent einleitend erläutert, werden Sicherheits- bzw. diebstahlsichere Etiketten im Einzel- und sonstigen Handel umfangreich verwendet und üblicherweise derart an Handelswaren angebracht, dass sie deutlich auffallen. Weil sie allgemein bekannt sind, wirken sie abschreckend. Denn die Ware wird bei unbefugter Wegnahme als gestohlene Ware erkannt, weil entweder die Ware durch gewaltsame Wegnahme des Sicherheitsetiketts nutzlos gemacht wird (z.B. indem in einem solchen Fall schwer entfernbare Tinte oder Färbemittel freigesetzt wird), oder das Etikett ist so strukturiert, dass beim Durchgang durch eine Überwachungsstelle ein Alarmsystem aktiviert wird (z.B. durch einen elektronischen Meldemechanis-mus).

Wegen ihrer Beliebtheit und Verbreitung wurde versucht, Sicherheits- oder diebstahlsichere Vorrichtungen derart zu entwickeln und aufzubauen, dass erstens erfahrene Diebe die Vorrichtung nicht überwinden können und zweitens die Vorrichtung einen Standardaufbau hat. Das weit verbreitete Wissen um die strukturellen Merkmale von Sicherheitsetiketten erlaubt es Unbefugten, Techniken zu entwickeln, um das Etikett unter Überwindung der Anzeigeaufbauten zu entfernen. Im Ergebnis kann die Ware gestohlen werden, ohne dass sie später durch das Entfernen des Etiketts beschädigt wird, und/oder ohne dass ein Alarm ausgelöst wird. Bekannt ist zum Beispiel, dass Diebe durch Anlegen von Wärme wie beispielsweise einer kleinen Feuerzeugflamme die Komponenten der Vorrichtung voneinander trennen. Daraus entsteht ein Bedarf nach möglichst kleinen diebstahlsicheren Vorrichtungen, die auf verschiedenen Warentypen angebracht werden können und so aufgebaut sind, dass sie nicht entfernt und/oder umgangen werden können. Gleichzeitig sollen diese Vorrichtungen so standardisiert sein, dass der Anzeigeaufbau individuell gestaltet werden kann.

Aus der zum Stand der Technik gehörenden EP-A-0 404 XXX ist eine Vorrichtung bekannt mit einem Stift und einer Kupplung, die miteinander verriegelt werden kön-nen, und ferner mit Biegungsplatten aus einem zwei-Prozent-Kohlenstoff gehärteten Federstahl, die das Gehäuse der Kupplung von einem Drehwerkzeug abschirmen.

Die EP-A-0 594 XXX offenbart eine Stift-und-Kupplung-Schutzvorrichtung, bei der Stift und Kupplung in den jeweiligen Bestandteilen angeordnet sind, und bei der ein elektrischer Schalter die Trennkraft der beiden Bestandteile erfasst. Auch diese Offenbarung beschreibt Biegungsplatten aus zwei-Prozent-Kohlenstoff-gehärtetem Federstahl, die das Gehäuse der Kupplung von einem Drehwerkzeug abschirmen, sowie ferner ein Gehäuse, das lösbare Abschnitte und einen inneren Abschnitt auf-weist.

Vor diesem technischen Hintergrund stellt sich das Klagepatent die Aufgabe, einen Sicherheitsetikett-Aufbau zu schaffen, der so ausgestaltet ist, dass nicht befugtes Personal die zum Aufbau gehörenden Gehäuseabschnitte nicht trennen kann.

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent eine Vorrichtung mit den fol-genden Merkmalen vor:

1. Sicherungsetikett-Aufbau (10), aufgebaut, um das unbefugte Entfernen von Ware aus einem bestimmten Bereich zu verhindern, wobei der Sicherungsetikett-Aufbau (10) folgendes umfasst:

2. ein Gehäuse (12),
2.1. aufgebaut, um, wenn in einer Arbeitsposition befindlich, an der Ware gesichert zu werden,
2.2. wobei das Gehäuse (12) lösbare Abschnitte (14, 16) einschließt,
2.2.1. die in der Arbeitsposition lösbar miteinander verbunden sind,
2.2.2. wobei eine periphere Naht (18) zwischen den lösbaren Ab-schnitten (14, 16) ausgebildet ist, wenn in der Arbeitsposition befindlich;

3. einen Verriegelungsaufbau (30),
3.1. montiert an dem Gehäuse (12) und
3.2. aufgebaut, um das Gehäuse (12) lösbar in der Arbeitsposition zu hal-ten, und

4. einen Abschirmungsaufbau (42), in schützendem Verhältnis zum Verriegelungsaufbau (30) angebracht,

5. einen Anzeigeaufbau,
5.1. aufgebaut, um das unbefugte Entfernen von Ware, die mit dem Ge-häuse (12) verbunden ist, aus dem jeweiligen Bereich anzuzeigen,
5.2. wobei der Anzeigeaufbau einen inneren Gehäuseabschnitt (17) um-fasst,

6. wobei der Verriegelungsaufbau (30) zwischen inneren Oberflächenabschnitten des inneren Gehäuseabschnitts (17) und eines der lösbaren Abschnitte (16) vom Abschirmungsaufbau (42) geschützt wird,

7. wobei der innere Gehäuseabschnitt (17) auch eine im Wesentlichen kon-vexe äußere Oberfläche hat,
7.1. die im Gehäuse (12) hervorsteht, um das Hindurchdringen eines Instruments oder Werkzeugs über die periphere Naht (18) hinaus zu verhindern oder einzuschränken,
7.2. weil alle derartigen Versuche dazu führen würden, dass das eindrin-gende Ende eines solchen Instruments oder Werkzeugs sofort gegen die konvexe äußere Oberfläche des inneren Gehäuseabschnitts (17) stoßen würde,

8. und wobei der innere Gehäuseabschnitt (17) mindestens eine aus einer Vielzahl von Anzeigestrukturen (53, 54, 55) darauf trägt.

II.

1.

Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht sämtliche Merkmale des Klagepatents. Dies ist mit Blick auf die Merkmale 1 bis 7.1 und 8 zwischen den Parteien zu Recht unstreitig.

Die Beklagten bestreiten lediglich die Verwirklichung des Merkmals 7.2. Sie argumentieren, das eindringende Ende eines Instruments oder Werkzeugs stoße bei der angegriffenen Ausführungsform nicht sofort gegen die konvexe äußere Oberfläche des inneren Gehäuseabschnitts, da die konvexe äußere Oberfläche mit Abstand zu der peripheren Naht liege.

Dies bleibt ohne Erfolg. Was das Klagepatent unter „sofort“ versteht, gibt es nicht mittels einer Legaldefinition an. Der Fachmann erkennt jedoch, dass der Zweck des Merkmals 7 im Schutz des inneren Teils des Sicherungsetiketts begründet liegt. Denn dieser innere Teil des Etiketts sichert mit seinem Anzeigeaufbau die Ware vor unbefugter Wegnahme. Merkmal 7 schützt diesen Teil, indem es den Durchgriff durch ein Werkzeug jenseits der äußeren Naht verhindert (vgl. Absatz 11 der Klagepatentschrift). Im Lichte dieses Zweckes ergibt sich aus dem Patentanspruch, der Beschreibung und den Zeichnungen, dass der Begriff „sofort“ lediglich als „unmittelbar“ zu verstehen ist, wobei es weder darauf ankommt, dass das Werkzeug erst nach einigen Millimetern über die Wölbung geführt wird, noch darauf, dass dies erst nach einigen Millisekunden geschieht. Entscheidend ist, dass das Werkzeug in engem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang durch die Wölbung weggeführt, der Durchgriff des Werkzeugs verhindert und so eine effektive Diebstahlsicherung gewährleistet wird. Dem entsprechend zeigen auch die Figuren 2 und 3 sowie die Figuren 4 und 5, dass die lösbaren Gehäuseabschnitte (14) und (16) eine Wandstärke aufweisen, die dazu führt, dass der innere Gehäuseabschnitt (17) mit einem gewissen Versatz/Abstand zur peripheren Naht (18) beginnt.

Unabhängig davon, dass die im Schriftsatz vom 15.09.2010 aufgeführten Beispiele der Beklagten nicht zur Auslegung des Klagepatents geeignet sind, beschreiben sie ebenfalls die Ingangsetzung komplizierter Mechanismen innerhalb von Sekunden, die zum Beispiel zu einem zeitlich nachgelagerten, aber dennoch als „sofortig“ beschriebenen Anspringen des Anti-Blockier-Systems führen.

Betrachtet man das zur Akte gereichte Muster der angegriffenen Ausführungsform in geöffnetem Zustand, sieht man, dass die periphere Naht (18) an dem „Ring“ des äußeren Gehäuseabschnitts (16) anliegt. Dieser „Ring“ findet sein entsprechendes Gegenstück in dem Rand des Gehäuseabschnitts (14). Steckt man beide Gehäuseabschnitte zusammen, ergibt sich eine dicht anliegende, feste Dichtung. Befindet sich die angegriffene Ausführungsform in geschlossenem Zustand beginnt unmittelbar hinter dieser Dichtung der innere Gehäuseabschnitt (17). Ein eindringendes Instrument oder Werkzeug, das zwischen die beiden Gehäuseabschnitte durch die periphere Naht gestoßen wird, wird unmittelbar nach dem „Dichtungsring“ an der konvexen äußeren Oberfläche des inneren Gehäuseabschnitts abgleiten. Dass es dabei zunächst den „Dichtungsring“ durchläuft, führt nicht dazu, dass nicht ein „sofortiges“ Stoßen gegen die konvexe Oberfläche angenommen werden könnte. Denn das Durchstoßen der Naht, das Durchlaufen des „Dichtungsringes“ und das Abgleiten an der konvexen Oberfläche stellen sich als ein Handlungsstrang dar, der sich in Sekunden und auf wenigen Millimetern abspielt. Der Zweck des Klagepatents, ein Gleiten des Werkzeugs über die Wölbung hinweg zu ermöglichen und damit eine effektive Diebstahlsicherung zu ermöglichen wird damit in Übereinstimmung mit den Figuren 1 bis 6 der Klagepatentschrift durch die angegriffene Ausführungsform erfüllt.

2.

Der von den Beklagten in dem Verletzungsverfahren erhobene Einwand des freien Standes der Technik greift nicht durch.

Die Beklagten begründen ihren Einwand nicht. Sie führen lediglich aus, dass das Klagepatent Gebrauch von den Merkmalen „gemäß Anlagen NK1 und NK2“ mache. Diese Begründung legt nahe, dass die Beklagten etwas anderes unter dem Einwand des freien Standes der Technik verstehen, als dies üblicherweise der Fall ist. Denn das Argument, dass das Klagepatent Gebrauch von den Merkmalen „gemäß Anlagen NK1 und NK2“ macht, betrifft die Frage, ob das Klagepatent rechtsbeständig ist.

Sollten die Beklagten meinen, dass sie selbst mit der angegriffenen Ausführungsform lediglich den freien Stand der Technik benutzen, da sich die angegriffene Ausführungsform vor dem Prioritätstag des Patents im Gemeingut der Technik befunden habe, mithin nicht neu sei oder nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, verfängt auch dieses Argument nicht. Denn im Streit steht eine wortsinngemäße Verletzung, nicht eine äquivalente Verletzung. Bei einer wortsinngemäßen Verletzung würde die Zulassung des Einwandes des freien Standes der Technik darauf hinauslaufen, die Bindung des Verletzungsrichters an den Tatbestand der Patenterteilung aufzuheben. Infolgedessen ist der Einwand ausgeschlossen (BGH GRUR 1999, 914, 916 – Kontaktfederblock; BGHZ 134, 353, 355 = GRUR 1997, 454 – Kabeldurchführung I; 1979, 624 – Umlegbare Schießscheiben).

III.

Da die Beklagten durch die Herstellung und den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform das Klagepatent widerrechtlich benutzt haben, sind sie gemäß Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung der Benutzungshandlungen ver-pflichtet.

Die Beklagten trifft insoweit ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Bei Anwendung der von ihr im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt hätten sie die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können. Für die Zeit nach Patenterteilung zuzüglich eines Monats schulden die Beklagten daher als Gesamtschuldner Ersatz des Schadens, welcher dem Kläger entstanden ist und noch entstehen wird, Artikel 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG.

Da die genaue Schadensersatzhöhe derzeit noch nicht feststeht, der Kläger nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagten hat, hat der Kläger ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird.

Zu den gemäß § 139 Abs. 2 PatG ersatzfähigen Schadensposten gehören auch die vorgerichtlichen Kosten für die Abmahnung des Gegners, die vorliegend nicht der Höhe nach bestritten werden (vgl. dazu Schulte / Kühnen, PatG, 8. Aufl., § 139 Rn. 192ff.). Mit rechts- und patentanwaltlichem Schreiben vom 2. Februar 2009 (Anlage 6) mahnte der Kläger die Beklagten wegen der Verletzung des Klagepatents ab. Durch die Inanspruchnahme rechts- und patentanwaltlichen Rats ging der Kläger eine Verbindlichkeit in Höhe von wenigstens jeweils einer 1,3 Gebühr (Mittelgebühr nach VV RVG Nr. 2300) aus einem Gegenstandswert von 1.000.000,00 EUR, also in Höhe von 5.844,80 EUR (= 1,3 x 4.496,00 EUR) zuzüg-lich Telekommunikationspauschale in Höhe von jeweils 20,00 EUR (VV RVG Nr. 7002) gegenüber der Rechtsanwältin und dem Patentanwalt ein. Daraus ergibt sich eine Gesamtverbindlichkeit von 11.792,60 EUR (= 2 x (5.844,80 EUR + 20,00 EUR)). Dass die Aufwendung dieser Kosten, insbesondere mit einem Gebührensatz von 1,3 aus einem Gegenstandswert von 1.000.000,00 EUR, der Höhe nach gerechtfertigt war, steht zwischen den Parteien – zu Recht – außer Streit. Für die Geltendmachung dieser Verbindlichkeit als Schaden kann es wegen § 250 Satz 2 BGB dahinstehen, ob der Kläger – was er nicht vorgebracht hat – diese Verbindlichkeit bereits beglichen hat. Bereits vor einer Zahlung an Rechts- und Patentanwalt hat der Klägerin einen Anspruch auf Freistellung von der Honorarforderung, mit der er sein Vermögen belastet hat, wodurch ein nach §§ 249, 250 BGB im Wege der Naturalrestitution zu ersetzender Schaden entstanden ist. Ein solcher Befreiungsanspruch wandelt sich nach allgemeiner Ansicht auch ohne Setzung einer Frist nach § 250 Satz 2 BGB durch Erhebung einer Zahlungsforderung in einen Zahlungsanspruch um, wenn der Schuldner die Freistellung als Ersatzleistung ernsthaft und endgültig verweigert, da die Fristset-zung dann nur noch eine überflüssige Förmelei wäre (BGH 2004, 1868, 1869; BGH NJW 1999, 1542; BGH NJW-RR 1996, 700; Oetker, in: MünchKomm z. BGB, 5. Aufl., § 250 Rn. 7 m.w.N.). Eine solche Leistungsverweigerung kann in der Stellung eines vollumfänglichen Klageabweisungsantrages liegen (BGH NJW 2004, 1868, 1869; BGH NJW 1984, 1460; LG Düsseldorf, Urteil vom 23.11.2004, Az. 4b O 360/04 – Irreführende Abmahnung). Demnach ist auch im vorliegenden Fall eine Fristsetzung durch den Kläger entbehrlich gewesen: Die Beklagten bestreiten die Patentverletzung und damit in vollem Umfang ihre Haftung für Schäden des Klägers.

Um den Kläger in die Lage zu versetzen, den ihm zustehenden Schadensersatz zu beziffern, sind die Beklagten gemäß Art. 64 EPÜ, § 140 b PatG, §§ 242, 259 BGB verpflichtet, im zuerkannten Umfange über ihre Benutzungshandlungen Rechnung zu legen.

Ferner steht dem Kläger gegen die Beklagte zu 1) ein Anspruch auf Vernichtung der patentverletzenden Gegenstände aus Art. 64 EPÜ, § 140a Abs. 1 PatG zu.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 ZPO, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht für den Kläger auf § 709 Satz 1 ZPO und für die Beklagten auf § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

Streitwert: 1000.000,00 €