4a O 105/11 – Knochen-Fixationssystem

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1681

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 28. Juli 2011, Az. 4a O 105/11

I. Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollziehen an dem oder den gesetzlichen Geschäftsführer(n) der Verfügungsbeklagten, zu unterlassen, in Deutschland und/oder von Deutschland aus

Fixationssysteme für Knochen mit einer Knochenplatte mit we-nigstens einem Durchgangsloch, wenigstens einer in ein Durch-gangsloch einsetzbaren Knochenschraube, eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln ermöglichenden Sitzflächen von Knochenplatte und Knochenschraube und Mitteln zum Festlegen der Knochenschraube in einem bestimmten Winkel zur Knochenplatte, wobei die Mittel zum Festlegen eine durch Eindrehen der Knochenschraube in einen bestimmten Winkel von einem vorgeformten Gewinde an mindestens einer Sitzfläche gebildete Gewindeverbindung der Sitzflächen von Knochenplatte und Knochenschraube aufweisen,

anzubieten und/oder in Verkehr zu bringen und/oder zu den ge-nannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.

II. Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens werden der Verfügungsbeklagten auferlegt.

III. Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung ist davon abhängig, dass die Verfügungsklägerin eine Sicherheit in Höhe von 200.000,- EUR leistet.
Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Die Verfügungsklägerin ist einfache Lizenznehmerin des deutschen Patents DE 43 43 XXX C2 (im Folgenden: Verfügungspatent), das am 17.12.1993 angemeldet und am 22.06.1995 offen gelegt wurde. Die Veröffentlichung der Patenterteilung erfolgte am 04.11.1999. Inhaber des Verfügungspatents ist Herr Prof. Dr. A B, welcher mit „Ermächtigungs- und Abtretungsvertrag“ vom 05.05.2011 (Anlage GDM 6) die Verfügungsklägerin ermächtigte, unter ande-rem Ansprüche auf Unterlassung gegen die Verfügungsbeklagte gerichtlich geltend zu machen.

Das Verfügungspatent ist in Kraft. Sowohl die C AG als auch die D AG haben gegen das Verfügungspatent Nichtigkeitsklage erhoben, wobei über diese Nichtigkeitsklagen bisher nicht entschieden wurde. Zudem war das Ver-fügungspatent bereits wiederholt Gegenstand von vor der Kammer geführten Verletzungsverfahren.

Der von der Verfügungsklägerin geltend gemachte Patentanspruch 1 des Ver-fügungspatents lautet:

„Fixationssystem für Knochen mit einer Knochenplatte (8) mit we-nigstens einem Durchgangsloch (9), wenigstens einer in ein Durch-gangsloch eingesetzten Knochenschraube (1), eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln ermöglichenden Sitzflä-chen (4, 11) von Knochenplatte (8) und Knochenschraube (1) und Mitteln zum Festlegen der Knochenschraube in einem bestimmten Winkel zur Knochenplatte, dadurch gekennzeichnet, dass die Mittel zum Festlegen eine durch Eindrehen der Knochenschraube (1) in dem bestimmten Winkel von einem vorgeformten Gewinde (6, 10) an mindestens einer Sitzfläche (4, 11) gebildete Gewinde-verbindung der Sitzflächen von Knochenplatte (8) und Kno-chenschraube (1) aufweisen.“

Nachfolgend verkleinert eingeblendet ist die Figur 1 des Verfügungspatents, welche eine Knochenschraube vor Verbindung mit verschiedenen Knochen-platten a-c im Teilschnitt zeigt.
Die Verfügungsbeklagte bietet an und vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland unter der Bezeichnung „E“ ein modulares Schultersystem, welches nach der durch die Verfügungsklägerin als Anlage GDM 13 auszugsweise vorgelegten OP-Anleitung speziell auf die Wiederherstellung des traumatisch zerstörten Schultergelenks ausgelegt ist (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform). Die Befestigung des Glenoids lässt sich aus den, ebenfalls aus dieser OP-Anleitung stammenden Abbildungen, erkennen:
Zudem findet sich auf Seite 21 der als Anlage GDM 13 vorgelegten OP-Anlei-tung folgender Hinweis:

„Es wird empfohlen, mindestens zwei zusätzliche Schrauben zu verwenden. Die Schrauben können bis zu 15° geschwenkt werden.“

Ferner findet sich auf Seite 22 der als Anlage GDM 14 vorgelegten weiteren OP-Anleitung:

„Besetzen Sie die Implantatbohrungen anschließend mit Schrauben der ermittelten Länge. Die winkelstabilen Schrauben sollten vorzugsweise kranial 5° nach oben und 5° nach vorn, sowie kaudal 5° nach unten und 5° nach hinten angesetzt werden.“

Weiterhin findet sich auf Seite 22 dieser OP-Anleitung die nachfolgend einge-blendete Abbildung:
Die Verfügungsklägerin meint, die angegriffene Ausführungsform mache wortsinngemäß von der technischen Lehre des Verfügungspatents Gebrauch. Sie behauptet zudem, Herr Dr. F, der Geschäftsführer der Verfügungsklägerin, sei am 03.05.2011 bei Recherchen zum Marktumfeld bei Schultergelenkspro-thesen auf der Internetseite http://www.G.info auf die angegriffene Ausführungsform gestoßen. Zufälligerweise sei Herrn Dr. F erst wenige Tage zuvor vom Krankenhaus H eine Liste mit OP-Anleitungen zugesandt worden, bei welchen es sich unter anderem um solche der Verfügungsbeklagten gehandelt habe. Dies und den Internetfund habe Herr Dr. F zum Anlass genommen, die als Anlage GDM 13 vorgelegte OP-Anleitung zu beschaffen. Die Verfügungsklägerin habe dann auch noch im Internet die aus Anlage GDM 14 ersichtliche abweichende OP-Anleitung gefunden.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 19.05.2011 mahnte die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte daraufhin erfolglos ab.

Die Verfügungsklägerin beantragt daher,

zu erkennen wie geschehen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

den Verfügungsantrag zurückzuweisen.

Sie meint, es fehle bereits an einem Verfügungsgrund, da die Verfü-gungsklägerin bereits seit langem Kenntnis von dem Vertrieb der ange-griffenen Ausführungsform habe. Die Verfügungsbeklagte behauptet, sie habe die angegriffene Ausführungsform bereits im Oktober 2010 anlässlich des J-Kongresses im Zeitraum vom 26.10.2010 bis 29.10.2010 in K abgehalten worden sei, ausgestellt. Damals sei Herr Dr. F persönlich am Stand der Verfügungsbeklagten zugegen gewesen und habe die dort ausgestellten Produkte gesehen. Dabei habe er die angegriffene Ausführungsform nicht übersehen können. Weiterhin habe der Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten, Herr I, persönlich mit einem Chefarzt einer von ihm mit Implantaten belieferten Klinik ein Gespräch geführt, in welchem Herr I informiert worden sei, diesem sei bereits von Seiten der Verfügungsklägerin bedeutet worden, dass die Verfügungsklägerin auf die angegriffene Aus-führungsform aufmerksam geworden sei und eine Patentverletzung annehme.

Zudem fehle es auch an einer Schutzrechtsverletzung. Während das Verfü-gungspatent ein „Fixationssystem für Knochen“ und damit ein in der Traumatologie verwendetes implantierbares Element unter Schutz stelle, mit dem Knochenfrakturen in operativ gerichteter Ausrichtung zur Stabilisierung des Bruches und zur Förderung der OsteoCe überbrückt würden, handele es sich bei der angegriffenen Ausführungsform um ein orthopädisches Implantat als Gelenkersatz. Auch sei die mit den winkelstabil festlegbaren Schrauben am Knochen des Schulterblattes zu verschraubende Glenoidkomponente keine „Knochenplatte“ im Sinne des Verfügungspatents. Weder sei sie plattenförmig, noch für das Überbrücken einer Fraktur eingerichtet.

Überdies beruft sich die Verfügungsbeklagte auf Erschöpfung, da sie die zur winkelstabilen Festlegung mit variabel einstellbarem Festlegungswinkel ver-wendeten Knochenschrauben von der L GmbH aus M beziehe. Bei dieser handelt es sich unstreitig um eine Lizenznehmerin des Patentinhabers Prof. B, so dass die Verfügungsbeklagte die in ihren Implantaten verwendeten Knochenschrauben unter Lizenz des Patentinhabers vertreibe. Da nun aber Knochenschrauben an sich von dem Verfügungspatent ersichtlich nicht betroffen seien, sondern lediglich in Kombination mit einer Knochenplatte in Form eines Fixationssystems für Knochen, könne damit also nur eine Lizenz gemeint sein, die eine patentgemäße Verwendung der Schrauben abdecke.

Schließlich sei der Rechtsbestand des Verfügungspatents auch nicht hinrei-chend gesichert, da gegen das Verfügungspatent bereits zwei Nichtigkeitskla-gen anhängig seien.

Die Verfügungsklägerin tritt diesem Vorbringen entgegen. Sie bestreitet insbe-sondere, dass Herr Dr. F bereits anlässlich des J-Kongresses Kenntnis der angegriffenen Ausführungsform erlangt hat. Ferner greife der Er-schöpfungseinwand bereits im Lichte der Anlage AG 11 nicht durch, wobei sich im Übrigen niemand auf Erschöpfung berufen könne, der lediglich eine Komponente eines lizenzierten, unter Patentschutz gestellten Systems erwerbe und es dann durch eigene Komponenten zu einem vollständigen patentgeschützten System ergänze. Schließlich sei der Rechtsbestand des Verfügungspatents auch hinreichend gesichert, wobei sich die Kammer insbesondere bereits in früheren Verfahren umfassend mit dem in den Nichtigkeitsverfahren entgegen gehaltenen Stand der Technik auseinandergesetzt habe.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat in der Sache Erfolg. Die Verfügungsklägerin hat sowohl das Bestehen eines Verfügungsanspruchs als auch eines Verfügungsgrundes glaubhaft gemacht.

I.
Das Verfügungspatent betrifft ein aus Knochenschraube und Knochenplatte bestehendes Fixationssystem für Knochen.

Nach den einleitenden Bemerkungen des Verfügungspatents ist es wün-schenswert, die Knochenschraube in Anpassung an die Gegebenheiten der zu verbindenden Knochenteile unter verschiedenen Winkeln in die Knochenplatte einzubringen. Um dies zu ermöglichen, weist nach einem bekannten Fixationssystem die Knochenschraube einen Kopf mit einer etwa halbkugelförmigen Sitzfläche auf, der eine im Durchgangsloch der Knochenplatte angeordnete Sitzfläche zugeordnet ist. Nach dem Eindrehen der Schraube sind beide Sitzflächen aneinander gepresst, so dass eine feste Verbindung von Knochenteilen, Knochenplatte und Knochenschrauben hergestellt ist.

Das Verfügungspatent kritisiert das vorbekannte Fixationssystem da-hingehend, dass sich die Knochenschrauben-Knochenplattenverbindung lockere, was vor allem auch auf die ungenügende Stabilität der Winkelver-bindung von Knochenschraube und Knochenplatte zurückzuführen sei, weil diese nur durch die Reibkräfte zwischen Schraubenkopf und Plattenloch gesichert sei.

In der Beschreibung des Verfügungspatents werden daran anknüpfend mehrere im Stand der Technik bekannte Lösungen vorgestellt, mit denen eine winkelstabile Verbindung von Knochenschraube und Knochenplatte hergestellt werden kann (vgl. dazu im Einzelnen: Anlage GDM 1, Sp. 1, Z. 34 ff.). Insbesondere sei es bekannt, den Schraubenkopf mit einem Außen-gewinde und das Plattenloch mit einem Innengewinde zu versehen, so dass mit dem Eindrehen der Schraube eine Gewindeverbindung entstehe, bei der eine winkelstabile Ausrichtung von Platte und Schraube verwirklicht sei. Diese Lösung habe jedoch den gravierenden Nachteil, dass die Schraube nicht in einem beliebigen Winkel, sondern nur in der durch die Gewindeachsen vorgegebenen Ausrichtung in das Plattenloch eingebracht werden könne.

Vor diesem technischen Hintergrund liegt dem Verfügungspatent die Aufgabe (das technische Problem) zugrunde, ein Fixationssystem mit wählbarem und fixierbarem Winkel zwischen Knochenplatte und Knochenschraube vorzu-schlagen, das überdies einen geringen Platzbedarf hat und weniger aufwendig ist.

Zur Lösung dieses technischen Problems schlägt das Verfügungspatent in seinem Anspruch 1 ein Fixationssystem für Knochen mit folgenden Merkmalen vor:

1. Fixationssystem für Knochen,

2. mit einer Knochenplatte (8) mit wenigstens einem Durchgangsloch (9),

3. mit wenigstens einer in ein Durchgangsloch (9) einsetzbaren Knochenschraube (1),

4. mit Sitzflächen von Knochenplatte (8) und Knochenschraube (1), die eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln ermöglichen, und

5. Mitteln zum Befestigen der Knochenschraube (1),

5.1 in einem bestimmten Winkel zur Knochenplatte (8),

5.2 wobei die Mittel zum Festlegen eine Gewindeverbindung der Sitzflächen von Knochenplatte (8) und Knochenschraube (1) aufweisen,

5.3 wobei die Gewindeverbindung an mindestens einer Sitzfläche (4, 11) von einem Gewinde (6, 10) gebildet ist, das durch Ein-drehen der Knochenschraube (1) in dem bestimmten Winkel vorgeformt ist.

II.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre des Verfügungspatents wortsinngemäß Gebrauch. Zurecht ist zwischen den Parteien die Verwirklichung der Merkmale 3 – 5.3. nicht umstritten, so dass es insoweit keiner weiteren Ausführungen bedarf. Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten handelt es sich bei der angegriffenen Ausführungsform zudem auch um ein Fixationssystem für Knochen mit einer Knochenplatte mit wenigstens einem Durchgangsloch (Merkmale 1 und 2), da der Schutzbereich des Verfügungspatents nicht auf den Bereich der Osteosynthese beschränkt ist, so dass auch die angegriffene Ausführungsform, bei der das Glenoid mittels Knochenschrauben am Knochen befestigt wird, in den Schutzbereich des Verfügungspatents fällt.

Das Verfügungspatent definiert den Begriff des Fixationssystems ebenso we-nig wie den Begriff der Knochenplatte.

Da Merkmal 1 nicht „Fixationssystem für Osteosynthese“, sondern lediglich „Fi-xationssystem für Knochen“ lautet, lässt sich dieses Merkmal bei unbefangener Betrachtung in allgemeiner Weise derart verstehen, dass ein Fixationssystem für Knochen unter Schutz gestellt werden soll, bei dem eine (Knochen-) Platte an einem Knochen befestigt („fixiert“) wird. Welcher konkrete medizinische Zweck mit der Fixation verbunden ist, ob das Fixationssystem insbesondere in der Osteosynthese und/oder der Prothetik zum Einsatz kommt, ist bei dieser Betrachtung nicht entscheidend. Auch wenn die Patentbeschreibung erwähnt, dass derartige Fixationssysteme in der Osteosynthese Verwendung finden (vgl. Anlage AG 3, Sp. 1, Z. 5 ff. sowie Fig. 1 – 8 nebst der zugehörigen Beschreibung), bedeutet dies nicht, dass das Verfügungspatent auf diesen Bereich beschränkt ist. Dies bestätigen dem Fachmann bereits die übrigen Merkmale des Patentanspruchs 1 und die darin zum Ausdruck kommende technische Lehre, die sich völlig unabhängig vom Einsatzzweck des Fixationssystems verstehen lassen und eine in sich geschlossene Lehre ergeben.

Nach der technischen Lehre des Verfügungspatents geht es darum, eine winkelstabile Verbindung des aus zwei Komponenten, nämlich Knochenplatte und Knochenschraube, bestehenden Fixationssystems zu schaffen. Dabei soll die Sicherung der Schraube an der Platte unter einem bestimmten Winkel von großer Festigkeit sein, so dass die Gefahr eines Lösens an den kugelförmigen Sitzflächen vermieden wird. Schließlich soll die Operationstechnik durch die erfindungsgemäße Lösung verändert werden, weil das Festlegen des Winkels zwischen Schraube und Platte zugleich mit dem Eindrehen in den Knochen erfolgt (vgl. Anlage AG 3, Sp. 3, Z. 18 – 41). Zum Erreichen der angestrebten winkelstabilen Verbindung zwischen Knochen und Knochenplatte ist es jedoch unerheblich, ob die Knochenplatte zwei (verschiedene) Knochen verbindet, oder – wie bei der angegriffenen Ausführungsform – an einem einzelnen Knochen fixiert wird. In beiden Fällen wird die Aufgabe der Erfindung, ein Fixationssystem für Knochen mit einem wählbaren und fixierbaren Winkel zwischen Knochenplatte und Knochenschraube zu schaffen, welches einen geringen Platzbedarf hat und weniger aufwendig ist (vgl. Anlage AG 3, Sp. 1, Z. 58 – 62), gelöst. Steht die in den Anspruchsmerkmalen zum Ausdruck kommende technische Lehre aber mit einem bestimmten Einsatzweck – hier der Osteosynthese – nicht derart in einem unmittelbaren Zusammenhang, dass sich hieraus eine bestimmte räumlich-körperliche Vorgabe ableiten lässt, würde eine Beschränkung des Schutzbereichs auf diesen Zweck eine unzulässige Auslegung des Anspruchs unter seinen (technisch verstandenen) Wortlaut bedeuten. Entsprechendes gilt, soweit die Verfügungsbeklagte auch allein aus der Verwendung des Begriffs „Knochenplatte“ eine Einschränkung auf das Gebiet der Osteosynthese herleiten will.

Auch der Umstand, dass sich der in der Verfügungspatentschrift zitierte Stand der Technik auf Fixationssysteme, mit denen ein Bruch stabilisiert und die Os-teosynthese gefördert werden soll, bezieht, rechtfertigt keine entsprechende Beschränkung des Schutzbereichs des Verfügungspatents. Vielmehr konzen-triert sich das Verfügungspatent auch insoweit auf die Frage, wie eine mög-lichst winkelstabile Knochenschrauben-Knochenplatten-Verbindung gewähr-leistet werden kann (vgl. Anlage AG 3, Sp. 1, Z. 24 – 33). An den bekannten Lösungen kritisiert das Verfügungspatent im Wesentlichen, dass diese aufgrund der Größe des Fixationssystems einen beschränkten Anwendungsbereich haben (vgl. Anlage AG 3, Sp. 1, Z. 31 – 33), in Herstellung und Anwendung aufwendig sind (vgl. Anlage AG 3, Sp. 1, Z. 47 – 48) oder dass die Schraube nicht in einem beliebigen Winkel, sondern nur in der durch die Gewindeachsen vorgegebenen Ausrichtung in das Plattenloch eingebracht werden kann (vgl. Anlage AG 3, Sp. 1, Z. 54 – 57). Entsprechend ist es die Aufgabe des Verfügungspatents, ein Fixationssystem für Knochen nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs mit einem wählbaren und fixierbaren Winkel zwischen Knochenplatte und Knochenschraube zu schaffen, welches einen geringeren Platzbedarf hat und weniger aufwendig ist (vgl. Anlage AG 3, Sp. 1, Z. 58 – 62). Konkrete Vorgaben hinsichtlich der Gestaltung der Knochenplatte findet der Fachmann insoweit demgegenüber ebenso wenig wie Anhaltspunkte dafür, dass die Erfindung ausschließlich auf Fixationssysteme auf dem Gebiet der Osteosynthese beschränkt wäre.

Soweit sich die die Verfügungsbeklagte demgegenüber in der mündlichen Verhandlung darauf berufen hat, die Verfügungsklägerin habe in ihrem Schriftsatz vom 17.06.2011 im Nichtigkeitsverfahren selbst eingeräumt, dass sich das Verfügungspatent ausschließlich auf den Bereich der Osteosynthese beziehe, rechtfertigt dieses Vorbringen bereits deshalb keine andere Bewertung, weil die durch die Verfügungsbeklagte insoweit zitierten Passagen dieses Schriftsatzes keine allgemeine Aussage hinsichtlich der Reichweite des Schutzbereichs des Verfügungspatentes treffen, sondern vielmehr allein der Abgrenzung zu der Entgegenhaltung D3 (GB 997 773) dienen, in welcher ein Fixationssystem zur wasserdichten Befestigung von Dachabedeckungselementen offenbart ist.

III.
Ohne Erfolg hat die Verfügungsbeklagte den Erschöpfungseinwand erhoben.

Voraussetzung der Erschöpfung des Patentrechts ist das Inverkehrbringen des patentierten Gegenstandes durch den Patentinhaber selbst oder durch einen Dritten mit ausdrücklicher Zustimmung des Patentinhabers (vgl. Schulte/Kühnen, Patentgesetz, 8. Auflage, § 9 Rz. 19). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Verfügungsbeklagte macht zur Begründung des Erschöpfungseinwandes geltend, sie beziehe die zur winkelstabilen Festlegung mit variabel einstellbarem Festlegungswinkel verwendeten Knochenschrauben von der L GmbH aus M. Zwar handelt es sich bei dieser, wie deren Patentanwälte in dem als Anlage AG 11 vorgelegten Schreiben bestätigen, um eine Lizenznehmerin des Patentinhabers Prof. B. Die erteilte Lizenz bezieht sich danach jedoch ausschließlich auf die Knochenschrauben, nicht aber auf die durch das Verfügungspatent ge-schützte Kombination von Knochenschraube und Knochenplatte. Da diese Kombination als patentierter Gegenstand somit weder durch Prof. B als Patentinhaber, noch mit dessen Zustimmung in Verkehr gebracht wurde, ver-mag das Vorbringen der Verfügungsbeklagten den Erschöpfungseinwand nicht zu begründen.

IV.
Die Verfügungsklägerin hat das Bestehen eines Verfügungsgrundes glaub-haft gemacht.

1.
Ohne Erfolg hat sich die Verfügungsbeklagte unter Hinweis auf die gegen das Verfügungspatent anhängigen Nichtigkeitsklagen darauf berufen, der Rechtsbestand des Verfügungspatentes sei nicht hinreichend gesichert. Zwar trifft es zu, dass der Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung wegen einer Schutzrechtsverletzung nur in Betracht kommt, wenn nicht nur die Verletzung des Schutzrechts, sondern auch dessen Rechtsbestand so eindeutig zugunsten der Verfügungsklägerin zu bewerten ist, dass eine fehlerhafte, in einem späteren Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist. Dabei steht es zur Glaubhaftma-chungslast der Verfügungsklägerin, dass die gegen das Verfügungspatent vorgebrachten Einwendungen unberechtigt sind und das Verfügungspatent mit Sicherheit im Rechtsbestandsverfahren bestehen wird. Von einem hinreichend gesicherten Rechtsbestand kann daher im Allgemeinen nur ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.04.2010, I-2 U 126/09 – Harnkatheterset), woran es hier fehlt.

Jedoch war das Verfügungspatent, dessen Erteilung bereits 1999 ver-öffentlicht wurde, wiederholt Gegenstand von vor der Kammer geführten Verletzungsverfahren, in denen sich die Kammer umfassend mit den in den Nichtigkeitsklagen herangezogenen Entgegenhaltungen auseinandergesetzt und den Rechtsbestand des Verfügungspatents gleichwohl für hinreichend gesichert angesehen hat. Aus diesem Grund vermag der allgemein gehaltene Hinweis der Verfügungsbeklagten auf die gegen das Verfügungspatent erhobenen Nichtigkeitsklagen Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatentes nicht zu begründen. Soweit die Verfügungsbeklagte demgegenüber auf die US 5,067,956 (D1) eingegangen ist, rechtfertigt auch dies keine andere Bewertung. Zwar geht es dort um ein prothetisches Fixationssystem. Der Entgegenhaltung ist jedoch nicht zu entnehmen, die Sitzflächen einer Knochenschraube und einer Knochenplatte derart auszugestalten, dass eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln ermöglicht wird (Merkmal 4).

2.
Schließlich ist die Angelegenheit auch in zeitlicher Hinsicht dringlich. Die Verfügungsklägerin hat mit den als Anlagen GDM 15 und GDM 20 vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen glaubhaft gemacht, dass Herr Dr. F als ihr Geschäftsführer und damit gesetzlicher Vertreter der Verfügungsklägerin erst am 03.05.2011 darauf aufmerksam wurde, dass die Verfügungsbeklagte das Verfügungspatent verletzt. Da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfü-gung mit Schriftsatz vom 14.06.2011 eingereicht worden ist, hat die Verfügungsklägerin unabhängig davon, ob die Verfügungsbeklagte wie von der Verfügungsklägerin behauptet tatsächlich außergerichtlich um Fristverlängerung gebeten hat, das Ihrige getan, um ihre Verbietungsrechte zügig durchzusetzen (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 5. Auflage, Rz. 1574 m. w. N.).

Soweit die Verfügungsbeklagte demgegenüber vorträgt, Herr Dr. F sei während des J-Kongresses in K persönlich am Stand der Verfü-gungsbeklagten gewesen und habe die dort ausgestellten Produkte gesehen, hat sie diesen Vortrag bisher weder konkretisiert, noch glaubhaft gemacht, so dass auch dieses Vorbringen dem Erlass einer einstweiligen Verfügung derzeit nicht entgegensteht. Wie Herr Dr. F an Eides Statt versichert hat, wisse er nicht, ob sich die angegriffene Ausführungsform auf dem Stand der Verfü-gungsbeklagten befunden habe, wobei es ihm selbst dann, wenn er das Pro-dukt gesehen hätte, nicht möglich gewesen wäre, auf den ersten Blick zu er-kennen, dass für das Glenoid winkelvariable und -stabile Schrauben angeboten würden. Dies habe er erst im Mai feststellen können (vgl. Anlage GDM 20).

V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Anordnung der Sicherheitsleistung beruht auf § 938 ZPO und ist deshalb sinnvoll und geboten, weil damit gewährleistet wird, dass der Unterlassungs-ausspruch nicht unter geringeren Bedingungen vollstreckbar ist, als er es bei einem entsprechenden erstinstanzlichen Hauptsacheurteil wäre (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 5. Auflage, Rz. 1532).

Der Streitwert wird auf 200.000,- EUR festgesetzt.