4a O 76/19 – Reifenmarkierung

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3260

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 6. Dezember 2022, Az. 4a O 76/19

  1. I.
    Die Beklagten werden verurteilt,
    1.
    es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft jeweils an dem gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist,
    zu unterlassen,
    Paare von Reifen bestehend aus einem ersten Reifen und einem zweiten Reifen, die hinsichtlich Hersteller, Reifentyp, Reifengröße und DOT-Typecode übereinstimmen und die sich hinsichtlich der relativen Lage der entsprechenden Angaben zu Hersteller, Reifentyp, Reifengröße und DOT-Typecode nicht unterscheiden,
    in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
    wobei mindestens einer der beiden Reifen zwei Markierungen aufweist, deren Informationsgehalt nur teilweise identisch ist und
    wobei jede der zwei Markierungen ein 2D Matrixcode ist und jede der zwei Markierungen eine Lasermarkierung ist,
    wobei eine erste der zwei Markierungen sich auf einer ersten Seitenwand des mindestens einen Reifens befindet und eine zweite der zwei Markierungen sich auf einer zweiten Seitenwand desselben Reifens befindet.
  2. 2.
    der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses in elektronischer Form vollständig darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I. 1 bezeichneten Handlungen seit dem 10.08.2017 begangen haben, und zwar unter Angabe
    a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
    wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  3. 3.
    der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses in elektronischer Form vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 10.09.2017 begangen haben, und zwar unter Angabe
    a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
    wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernehmen und ihn ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nichtgewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
  4. 4.
    die im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse, die vorstehend unter Ziffer I.1 bezeichnet sind und seit dem 10.08.2017 in Verkehr gebracht worden sind
    aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass das Gericht mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagegebrauchsmusters DE 20 2017 XXX XXX U1 erkannt hat, aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben und ihnen für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe verbindlich zugesagt wird, und
  5. 5.
    die im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum der Beklagten befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach Wahl der Klägerin an einen von der Klägerin zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben, wobei sich dieser Vernichtungsanspruch in Bezug auf die Beklagte zu 1) nur auf sich in der Bundesrepublik Deutschland im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindliche Erzeugnisse bezieht.
  6. II.
    Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1 bezeichneten, seit dem 10.09.2017 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  7. III.
    Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin € 1.573,40 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Oktober 2019 zu zahlen.
  8. IV.
    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  9. V.
    Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten auferlegt.
  10. VI.
    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 250.000,00. Darüber hinaus werden folgende Teilsicherheiten festgesetzt:
    Die Ansprüche auf Unterlassung, Vernichtung und Rückruf (Ziff. I.1, I. 4 und I.5 des Tenors) sind gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 190.000,00.
    Die Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung (Ziff. I.2 und I.3 des Tenors) sind gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 25.000,00.
    Die Kostengrundentscheidung ist gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
  11. Tatbestand
  12. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen unmittelbarer Gebrauchsmusterverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung gebrauchsmusterverletzender Erzeugnisse, sowie deren Entfernung aus den Vertriebswegen und auf Feststellung der Pflicht zum Leisten von Schadensersatz dem Grunde nach sowie auf Zahlung von Abmahnkosten in Anspruch.
  13. Die Klägerin ist im Register des Deutschen Patent- und Markenamts (vgl. den Registerauszug in Anlage rop 2) eingetragene Inhaberin des Gebrauchsmusters 20 2017 XXX XXX (nachfolgend: Klagegebrauchsmuster, vorgelegt als Anlage rop 1). Das Klagegebrauchsmuster wurde am 07.06.2017 angemeldet und am 05.07.2017 eingetragen. Die Eintragung wurde am 10.08.2017 im Patentblatt bekannt gemacht.
  14. Das Klagegebrauchsmuster steht in Kraft. Es wurde erstinstanzlich in eingeschränktem Umfang im Rahmen eines parallelen Löschungsverfahrens, welches die Beklagte zu 2) angestrengte, mit Beschluss vom 31. Mai 2022 vom Deutschen Patent- und Markenamt aufrechterhalten (Az. 20 2017 XXX XXX.8; Anlage rop 21). Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beklagte mit der Beschwerde (Anlage AG 12).
  15. In der nunmehr geltenden Fassung lautet der hier streitgegenständliche Anspruch 29 wie folgt:
  16. „Ein Paar Reifen bestehend aus einem ersten Reifen und einem zweiten Reifen, die hinsichtlich Hersteller, Reifentyp, Reifengröße und DOT-Typecode übereinstimmen und die sich hinsichtlich der relativen Lage der entsprechenden Angaben zu Hersteller, Reifentyp, Reifengröße und DOT-Typecode nicht unterscheiden; wobei
  17. mindestens einer der beiden Reifen zwei Markierungen, aufweist, deren Informationsgehalt nur teilweise identisch ist;
  18. wobei jede der zwei Markierungen ein 2D Matrixcode ist; jede der zwei Markierungen eine Lasermarkierung ist, und
  19. wobei eine erste der zwei Markierungen sich auf einer ersten Seitenwand des mindestens einen Reifens befindet und eine zweite der zwei Markierungen sich auf einer zweiten Seitenwand desselben Reifens befindet.“
  20. Das Klagegebrauchsmuster betrifft das Gebiet von Reifenmarkierungen. Die nachfolgend verkleinert eingeblendete Figur 4 des Klagegebrauchsmusters zeigt beispielhaft ein Paar Reifen gemäß einer Ausführungsform.
  21. Die Beklagte zu 2) bietet in der Bundesrepublik Deutschland unter anderem Reifen des Typs „XXX XXX“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform) an. Die angegriffene Ausführungsform weist auf beiden Seitenwänden jeweils einen 2D Matrixcode in Form eines QR-Codes auf, wie beispielhaft aus der nachfolgend eingeblendeten, der Klageschrift entnommenen Abbildung ersichtlich ist:
  22. Beide Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass die angegriffene Ausführungsform von sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 29 des Klagegebrauchsmusters in der geltend gemachten Form unmittelbar und wortsinngemäß Gebrauch macht.
  23. Die Klägerin ist der Auffassung, auch die Beklagte zu 1) sei passivlegitimiert. Sie legt hierzu als Anlage rop 12 eine Fotografie des Adressschildes betreffend einen Testkauf der angegriffenen Ausführungsform vor, der die Beklagte zu 1) als Absender ausweist. Darin sei eine Lieferung der Beklagten zu 1) von ihrer Niederlassung in XXX XXX an die Klägerin nach XXX XXX zu sehen. Hieraus folge wenigstens ein mittäterschaftliches Zusammenwirken mit der Beklagten zu 2).
  24. Sie ist ferner der Auffassung, das Klagegebrauchsmuster sei in der nunmehr durch das erstinstanzliche Löschungsverfahren erhaltenen Fassung schutzfähig.
  25. Eine unzulässige Erweiterung liege nicht vor. Das Erfordernis, dass der Informationsgehalt der beiden Markierungen nur teilweise identisch sei (Merkmal 3.1), stelle eine echte Einschränkung gegenüber der ursprünglichen Anspruchsfassung dar. In Absatz [0057] würde eine Ausführungsform beschrieben, bei der die beiden Markierungen verschieden seien. Der dort beschriebene Unterschied der maximal codierbaren Information betreffe im Übrigen den Informationsgehalt selbst. In Absatz [0128] müsse der Offenbarungsgehalt der drei dort angesprochenen Ausführungsformen, die sich auf zwei Markierungen auf einem Reifen bezögen, im Zusammenhang verstanden werden. Denn dann ergebe sich die Eigenständigkeit der Ausführungsform, in der der Informationsgehalt nur teilweise identisch sein müsse. So umfasse jedenfalls das Ausführungsbeispiel, das eine mindestens teilweise Identität verlange, sowohl eine nur teilweise Identität als auch eine vollständige Identität.
  26. Es stelle einen Vorteil der Erfindung dar, dass zumindest der redundante Informationsteil ausgelesen werden könne, auch wenn eine von beiden Markierungen nicht mehr lesbar sei. Hierbei nehme es das Klagegebrauchsmuster in Kauf, dass der nicht redundante Teil von erstem und zweitem Informationsgehalt dann möglicherweise nicht mehr ausgelesen werden könne. Dabei handele es sich auch um einen Teil der technischen Lehre und keinen Fall des § 1 Abs. 1 Nr. 4 GebrMG. Auf die Zuverlässigkeit der Auslesung insbesondere durch vollständige Redundanz sei das Klagegebrauchsmuster nicht beschränkt. Eine Lösung, die nicht die maximale Informationsredundanz aufweise, stehe daher der ursprünglichen Offenbarung nicht entgegen.
  27. Sofern in verschiedenen Abschnitten des Klagegebrauchsmusters jeweils identischer Codeinhalt angesprochen werde, sei damit immer nur die Ausführungsform angesprochen, welche sich mit dem vollständigen Codeinhalt beschäftige. So sei das Ausführungsbeispiel in Absatz [0074] betreffend einen Reifen mit zwei Markierungen auf solche Markierungen beschränkt, bei denen der Informationsgehalt zumindest teilweise identisch ist, also entweder nur teilweise oder vollkommen identisch.
  28. Eine unzulässige Erweiterung sei in Bezug auf zwei markierte Seitenwände (Merkmal 3.4) ebenfalls zu verneinen, da in Absatz [0059] eine erste und zweite potentielle Markierungsstelle auf derselben Seitenwand angeordnet seien. Von diesen potentiellen Markierungsstellen werde mindestens eine als endgültige Markierungsstelle festgelegt. Dies schließe bereits mit ein, dass in beiden Markierungsstellen eine Markierung angebracht werden könne. Das Klagegebrauchsmuster schließe auch an anderen Stellen alle denkbaren Anordnungen von Markierungen mit ein. Schließlich erhalte der Fachmann eine Anleitung, wie er einen Reifen mit zwei Markierungen auf unterschiedlichen Seitenwänden erhalte, nämlich durch den Einsatz eines Reifenwenders.
  29. Ferner sei auch der erfinderische Schritt vorhanden. Die Entgegenhaltung WO 2005/XXX (nachfolgend: D2, Anlagen MB 16, 16a) offenbare keine Markierung mit maschinenlesbaren, zweidimensionalen Codes auf zwei Seitenwänden (Merkmal 3.4) und keine Markierungen mit nur teilweise identischem Informationsgehalt (Merkmal 3.1). Es werde nur beschrieben, dass das Lasergravursystem dazu geeignet sei, 2D-Symbole an verschiedenen Stellen, einschließlich der inneren und äußeren Seitenwände anzubringen. Die D2 offenbare keine zwei 2D-Symbole an zwei Seitenwänden. Der Fachmann habe ausgehend hiervon keinen Anlass, darüber nachzudenken, wo er die 2D-Symbol anbringen soll und auch nicht wie er diese ausgestalten soll, ob teilweise identisch oder vollständig identisch.
  30. Die gesetzgeberischen Vorgaben befassten sich allein mit durch Menschen lesbare Informationen, mit denen sich bereits die D2 auseinandersetze.
  31. Für eine Kombination mit der DE 10 2013 XXX XXX (nachfolgend D5; Anlage MB 12) fehle es an der Veranlassung. Die DE XXX befasse sich mit 2D-Codes, die nicht auf zwei unterschiedlichen Seitenwänden angebracht seien, sondern unmittelbar aneinander angrenzen, um sie in gleicher Weise von der Lichtquelle/dem Lesegerät erfassen zu können. Ausgehend von der D2 habe der Fachmann keine Veranlassung über mehr als ein 2D-Symbol also über mehrere nur teilweise identische Symbole auf dem Reifen nachzudenken, weil das 2D-Symbol aufgrund seiner erheblichen Redundanzen sehr gut auslesbar sei.
  32. Der Artikel von XXX, 8. Juni 2016 (nachfolgend: D10; Anlage MB 34), der sich mit den Reifen mit QR-Code der Verfügungsklägerin befasse, offenbare lediglich, einen Reifen mit einem eindeutigen und permanenten QR-Code auf der inneren und äußeren Seitenwand zu versehen. Eine Veranlassung zur Kombination mit der D5 bestehe nicht, denn diese befasse sich mit 2D-Matrixcodes, die nicht auf zwei unterschiedliche Seitenwände angebracht seien. Eine Kombination der D10 mit der D5 führe von der erfindungsgemäßen Lehre des Klagegebrauchsmusters weg.
  33. Die Entgegenhaltung JP 2005-XXX XXXA (nachfolgend D1, Anlage MB10b) offenbare nur vollständig identische Codes. Ausgehend hiervon würde der Fachmann keine Veranlassung für das Vorsehen eines nur teilweisen identischen Codes sehen, weil er damit den Vorteil der D1 aufgeben müsste, den gesamten Code aus den lesbaren Teilen der einzelnen Codes zusammensetzen zu können. Zudem befasse sich die D1 nicht mit der Erzeugung des 2D-Codes, erst recht nicht durch Laser. Ferner ergäben sich weder aus der D1, der D10 noch aus den gesetzlichen Vorgaben beidseitige (maschinenlesbare, codierte) Markierungen.
  34. Im Stand der Technik sei nur bekannt gewesen, Reifen mit Angaben von Außen- und Innenseite bei asymmetrischen Reifen ausschließlich in Form menschenlesbarer Markierungen zu versehen. Dies sei verständlich, weil es eine Information für den Anwender darstelle, die nicht den Reifen in Gänze betreffe. Zum Prioritätstag sei es mit der XXX-App nicht möglich gewesen eine Symmetrieinformation anzuzeigen bzw. auszulesen. Der QR-Code habe nicht so ausgelesen werden können, dass der Fachmann darin enthaltene Symmetrieinformationen hätte identifizieren können. Das in dem Code, der von der aktuellen Internetseite der Klägerin stamme, enthaltene Herstellungsdatum sage zudem nichts über den Zeitpunkt aus, wann und ob der QR-Code bzw. sein Informationsgehalt öffentlich vor dem Prioritätstag zugänglich gewesen sei.
  35. Die Klägerin beantragt,
  36. I. die Beklagten zu verurteilen,
  37. 1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft jeweils an dem gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist, zu unterlassen,
  38. Paare von Reifen bestehend aus einem ersten Reifen und einem zweiten Reifen, die hinsichtlich Hersteller, Reifentyp, Reifengröße und DOT-Typecode übereinstimmen und die sich hinsichtlich der relativen Lage der entsprechenden Angaben zu Hersteller, Reifentyp, Reifengröße und DOT-Typecode nicht unterscheiden,
  39. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
  40. wobei mindestens einer der beiden Reifen zwei Markierungen aufweist, deren Informationsgehalt nur teilweise identisch ist und
  41. wobei jede der zwei Markierungen ein 2D Matrixcode ist und jede der zwei Markierungen eine Lasermarkierung ist,
  42. wobei eine erste der zwei Markierungen sich auf einer ersten Seitenwand des mindestens einen Reifens befindet und eine zweite der zwei Markierungen sich auf einer zweiten Seitenwand desselben Reifens befindet;
  43. insbesondere wenn
  44. die 2D Matrixcodes binäre Matrixcodes sind, die jeweils durch ein Muster von hellen Modulen und dunklen Modulen definiert sind;
  45. 2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses in elektronischer Form vollständig darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I 1 bezeichneten Handlungen seit dem 10.08.2017 begangen haben, und zwar unter Angabe
  46. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  47. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  48. c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  49. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  50. 3. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses in elektronischer Form vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 10.09.2017 begangen haben, und zwar unter Angabe
  51. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
  52. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  53. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  54. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  55. wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernehmen und ihn ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nichtgewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
  56. 4. die im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse, die vorstehend unter Ziffer I.1. bezeichnet sind und seit dem 10.08.2017 in Verkehr gebracht worden sind
  57. a) aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass das Gericht mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagegebrauchsmusters DE 20 2017 XXX XXX U1 erkannt hat, aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben und ihnen für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe verbindlich zugesagt wird, und
  58. b) aus den Vertriebswegen endgültig zu entfernen, indem die Beklagten diese Erzeugnisse wieder an sich nehmen oder nach Wahl der Klägerin die Vernichtung dieser Erzeugnisse beim jeweiligen Besitzer auf Kosten der Beklagten veranlassen;
  59. 5. die im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum der Beklagten befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach Wahl der Klägerin an einen von der Klägerin zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben, wobei sich dieser Vernichtungsanspruch in Bezug auf die Beklagte zu 1 nur auf sich in der Bundesrepublik Deutschland im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindliche Erzeugnisse bezieht.
  60. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 10.09.2017 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  61. III. Die Beklagten als Gesamtschuldner werden außerdem verurteilt, an die Klägerin € 1.573,40 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
  62. Ferner beantragt die Klägerin, für jeden zuerkannten Anspruch und die Kostengrundentscheidung Teilsicherheiten festzusetzen.
  63. Die Beklagten beantragen,
  64. die Klage abzuweisen;
  65. hilfsweise:
    den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Beschwerdeverfahren betreffend das Gebrauchsmuster DE 20 2017 XXX XXX U1 auszusetzen.
  66. Ihrer Auffassung nach fehle es bereits an der Passivlegitimation der Beklagten zu 1). Die Beklagte zu 1) sei in den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen im Inland nicht eingebunden. Dies ergebe sich bereits aus dem Aufruf der allgemeinen Firmenwebseite, für die allein die Beklagte zu 2) verantwortlich sei.
  67. Ferner werde sich das Klagegebrauchsmuster (auch) hinsichtlich der nunmehr geltend gemachten Anspruchsfassung als nicht rechtsbeständig erweisen. Die Entscheidung der Löschungsabteilung sei offensichtlich fehlerhaft.
  68. So sei die aktuelle Anspruchsfassung in Bezug auf das Merkmal der nur teilweisen Identität des Informationsgehalts der beiden Markierungen unzulässig erweitert. Die Lehre des ursprünglichen Gegenstands der Alternative (ii) sei in ihr Gegenteil verkehrt worden. Zuvor habe der Informationsgehalt mindestens teilweise und damit auch vollständig identisch sein können, nun aber dürfe er nur teilweise und somit keinesfalls vollständig identisch sein. Die damit angeblich verbundene Auswahl aus einer Untermenge stehe im Gegensatz zur Gesamtoffenbarung der ursprünglichen Anmeldung, die dem Fachmann möglichst große Übereinstimmung der Codeinhalte lehre, und sei insofern nicht unmittelbar und eindeutig. So seien zwei Markierungen auf ein und demselben Reifen immer mit „mindestens teilweise identischem“ Informationsgehalt gezeigt, jedoch nicht auf unterschiedlichen Seitenwänden (Merkmal 3.4). Insbesondere lasse eine Offenbarung der Auslesbarkeit des zumindest redundanten Teils von dem ersten und zweiten Informationsgehalt keinen Rückschluss darauf zu, dass die Informationsgehalte beider 2D Matrixcodes nicht vollständig übereinstimmen dürften. Die weiteren unterschiedlichen Inhalte wie die maximal codierbare Information und die Fehlertoleranz beträfen nicht den Codeinhalt. Die reine Wiedergabe von Informationen, auf die das eingeschränkte Merkmal gerichtet sei, sei dem Schutz durch ein Gebrauchsmuster nicht zugänglich nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 GebrMG.
  69. Es liege ein Aliud vor, da der Schutzgegenstand des Klagegebrauchsmusters auf Ausführungsformen mit zwei Markierungen – deren Codeinhalt nicht identisch sein dürfe – auf unterschiedlichen Seitenwänden erweitert worden sei, die ursprünglich nicht als zur Erfindung gehörend offenbart worden seien.
  70. Darüber hinaus fehle es an einem erfinderischen Schritt. Bei der nun geschützten Fassung handele es sich um eine bloße Aggregation bekannter Merkmale.
  71. Die Entgegenhaltung D2 offenbare alle Merkmale des Klagegebrauchsmusters, insbesondere das Vorhandensein von zwei Markierungen an zwei Seitenwänden. Einzige Ausnahme sei die nur teilweise Identität des Informationsgehalts der zwei Markierungen. Da diesem Merkmal keine technische Wirkung zukomme, könne es auch keinen erfinderischen Schritt begründen. Die nur teilweise Informationsidentität verschlechtere die Auslesbarkeit redundanter Informationen eher.
  72. Ausgehend von der D2 habe der Fachmann bei der Ausführung der ausdrücklichen Anweisungen, 2D-Matrixcodes mit redundanten Informationen auf der Außenseite und der Innenseite eines Reifens anzubringen nur die Wahl zwischen zwei Alternativen. Entweder würden beide 2D-Matrixcodes mit vollständig identischem Codeinhalt ausgeführt oder beide 2D-Matrixcodes würden mit nur teilweise identischem Codeinhalt ausgeführt. Die erste Alternative sei u.a. aus der D1, die zweite Alternative sei aus der D5 bekannt. Eine Kombination sei naheliegend für den Fachmann gewesen.
    Ferner habe sich der Fachmann auch aufgrund der gesetzlichen Vorgaben veranlasst gesehen, unterschiedlichen 2D-Matrixcode für innere und äußere Seitenwand des Reifens zu verwenden.
  73. Ausgehend von der D10 sei der erfinderische Schritt ebenfalls zu verneinen. Indem dort einzigartige („unique“) QR-Codes beschrieben seien, leite der Fachmann ab, dass diese nur einen teilweisen identischen Informationsgehalt haben könnten. Den entsprechenden Vorteil kenne der Fachmann aus der D5.
  74. Ferner sei die Lehre des Klagegebrauchsmusters auch ausgehend von der D1 in Kombination mit der D2 und den gesetzlichen Vorgaben zur Markierung von Reifen für den Fachmann naheliegend gewesen.
  75. Für den Fachmann sei zum Prioritätstag bekannt gewesen, asymmetrische Reifen, deren Profil eine unsymmetrische Lauffläche aufweisen, auf beiden Seitenwänden unterschiedlich zu markieren, z.B. mit der Kennzeichnung, welche die Innen- bzw. Außenseite für die richtige Montage sei. Angesichts dieses Fachwissens des Fachmanns (Anlage MB 3, Anlagen AG 4 bis AG 10) habe es völlig nahe gelegen, beide 2D-Matrixcodes mit nur teilweise identischem Codeinhalt auszuführen. Insbesondere ausgehend von der D10 sei insofern kein erfinderischer Schritt vorhanden, weil der dortige QR-Code, der mit der XXX-App ausgelesen werden könne, die Symmetrie-Information beinhaltete. Es habe sich das objektive Problem gestellt, den auf einem symmetrischen Reifen aufgebrachten QR-Code der D10 auch für asymmetrische Reifen anzupassen. Dieses könne der Fachmann lösen in dem er die sog. Verbauerkennung durch den QR-Code wiedergebe. Es komme nicht darauf an, ob zum Anmeldetag die besagte App die Informationen habe auslesen können, sondern entscheidend sei, dass der QR-Code der D10 einen Informationsgehalt gehabt habe, der Symmetrieinformationen enthalten habe.
  76. Einen weiteren konkreten Anlass liefere der Artikel von XXX vom 11. Juli 2016 (Anlage AG 11; nachfolgend: AG 11), wonach die QR-Code Lösung auch bei den XXX und XXX Baureihen von XXX eingeführt werden sollte und auch Audi die Einführung von XXX plane. Dort finde sich der ausdrückliche Hinweis, dass der QR-Code alle Daten zu den Reifen enthalte.
  77. Gegen die Schutzfähigkeit spreche ebenfalls, dass auf Grundlage der internationalen PCT-Anmeldung WO 2018/XXX A1 (nachfolgend WO 601), für die das Verfügungsgebrauchsmuster die prioritätsbegründende Anmeldung darstelle, weltweit noch kein Patent erteilt worden sei.
  78. Das Gericht hat den Parteien und den Verfahrensbevollmächtigten von Amts wegen gestattet, sich während der mündlichen Verhandlung am 29. September 2022 an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen über den von der Justiz des Landes NRW zur Verfügung gestellten Virtuellen Meetingraum (VMR) vorzunehmen. Davon haben die Verfahrensbeteiligten Gebrauch gemacht.
  79. Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2020 sowie 29. September 2022 Bezug genommen.
  80. Entscheidungsgründe
  81. Die überwiegend zulässige Klage ist begründet. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht sämtliche Merkmale der geltend gemachten Klagegebrauchsmusteransprüche unmittelbar und wortsinngemäß (hierzu unter I. und II.). Beide Beklagte verletzen das Klagegebrauchsmuster durch Anbieten und Inverkehrbringen, so dass der Klägerin grundsätzlich die geltend gemachten Ansprüche zustehen, mit Ausnahme des Entfernungsanspurchs (hierzu unter III.). Das Verfahren ist ferner nicht wegen des parallelen Beschwerdeverfahrens gegen die Entscheidung der Löschungsabteilung auszusetzen (hierzu unter IV.).
  82. I.
    Das Klagegebrauchsmuster betrifft das Gebiet von Reifenmarkierungen.
  83. Es zitiert einleitend vier Schriften aus dem Stand der Technik, die die Markierung von Automobilreifen betreffen.
  84. Die in Abschnitt [0002] zitierte Druckschrift DE 20 2005 XXX XXX U1 offenbart eine Vorrichtung zur individuellen Markierung von Automobilreifen mittels Laser, bei der Reifen unterschiedlichen Typs auf einem Förderband liegen und ohne Stopp und schlupffrei durch die Vorrichtung transportiert werden, wobei zunächst mittels eines Laserscanners die Mittelpunktslagen der sich mit dem Band bewegenden Reifen ermittelt werden. Daraufhin wird ein an einem X, Y Achsensystem aufgehängter Schwenkbalken so über dem Reifen positioniert, dass die vertikale Drehachse des Schwenkbalkens synchron mit dem Reifenmittelpunkt durch die Anlage wandert. Auf dem Schwenkbalken ist ein Lichtschnittsensor montiert, mit dem durch Schwenken des Armes die Reliefstruktur der Seitenwand des Reifens als Höhenprofil aufgenommen und mit Referenzprofilen verglichen wird. So wird der Reifentyp erkannt und die Markierungsstelle festgelegt. Der Markierungslaser befindet sich ebenfalls auf dem Schwenkbalken und wird auf die Markierungsstelle ausgerichtet. Nachdem die Markierung durch den Laser eingebrannt ist, wird der Lichtschnittsensor über die Markierung geschwenkt, um diese zu überprüfen.
  85. DE 20 2005 XXX XXX U1 (Abschnitt [0003]) offenbart eine Vorrichtung zur individuellen Markierung von Automobilreifen dadurch gekennzeichnet, dass zur Erkennung des Reifentyps und zur Festlegung der Markierungsstelle eine Reliefstruktur der Seitenwand des Reifens mittels eines Lichtschnittsensors als Höhenprofil aufgenommen und mit einem Referenzprofil des entsprechenden Reifentyps verglichen wird.
  86. EP 1 XXX XXX B1 (Abschnitt [0004]) offenbart ein System zum Markieren eines Fahrzeugreifens, umfassend: eine Steuereinheit; eine erste Station; eine erste Lesevorrichtung, welche an der ersten Station zum Lesen einer Referenzposition an dem Reifen und zum Übermitteln der Position an die Steuereinheit angeordnet ist; eine zweite Station; einen Laserapplikator, welcher an der zweiten Station zum Aufbringen einer Markierung an einer bestimmten Stelle an dem Reifen angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass das System einen Positioniermechanismus umfasst, welcher eine Ausrichtung zwischen dem Laserapplikator und dem Reifen in Abhängigkeit von der Referenzposition an dem Reifen, welche von der ersten Lesevorrichtung gelesen wurde, zum Aufbringen der Markierung an der bestimmten Stelle durch den Laserapplikator bereitstellt.
  87. Schließlich offenbart US 7,XXX XXX B2 (Abschnitt [0005]) ein Lasersystem zum Markieren von Reifen. Das Lasersystem weist Reifeninformation auf, welche in einem Speicher gespeichert ist, wobei die Reifeninformation Höhenprofile und Seitenwandvorlagen aufweist. Das Lasersystem weist eine Station auf, die ein Bildverarbeitungssystem aufweist, welches mit einem Lichtschnittsensor ausgestattet ist zum Messen des Höhenprofils der Reifenseitenwand, wobei das Bildverarbeitungssystem ferner eingerichtet ist zum Identifizieren des Typs und der Größe von Reifen durch Vergleich der Reifeninformation und der Höhenprofile, die in dem Speicher gespeichert sind.
  88. Vor diesem Hintergrund erkennt das Klagegebrauchsmuster ein Bedürfnis dahingehend, die Zuverlässigkeit der Lesbarkeit der Informationen auf dem Reifen zu verbessern (Absatz [0018]).
  89. Zur Lösung schlägt das Klagegebrauchsmuster in der nunmehr eingeschränkten Fassung ein Paar Reifen nach Maßgabe von Anspruch 29 vor, der sich wie folgt gliedern lässt:
  90. 1. Ein Paar Reifen bestehend aus einem ersten Reifen und einem zweiten Reifen.
  91. 2.1
    Die Reifen stimmen hinsichtlich Hersteller, Reifentyp, Reifengröße und DOT-Typecode überein.
  92. 2.2
    Die Reifen unterscheiden sich nicht hinsichtlich der relativen Lage der entsprechenden Angaben zu Hersteller, Reifentyp, Reifengröße und DOT-Typecode.
  93. 3. Mindestens einer der beiden Reifen weist zwei Markierungen auf.
  94. 3.1
    Der Informationsgehalt der zwei Markierungen ist nur teilweise identisch.
  95. 3.2
    Jede der zwei Markierungen ist ein 2D Matrixcode.
  96. 3.3
    Jede der zwei Markierungen ist eine Lasermarkierung.
  97. 3.4
    Eine erste der zwei Markierungen befindet sich auf einer ersten Seitenwand des mindestens einen Reifens und eine zweite der zwei Markierungen befindet sich auf einer zweiten Seitenwand desselben Reifens.
  98. II.
    Beide Parteien gehen übereinstimmend und zu Recht davon aus, dass die angegriffene Ausführungsform von sämtlichen Merkmalen des Klagegebrauchsmusters unmittelbar und wortsinngemäß Gebrauch macht, so dass es insoweit keiner vertieften Ausführungen zur Verletzung bedarf.
  99. III.
    Aus der Verletzung des Klagegebrauchsmusters ergeben sich nachstehende Rechtsfolgen:
  100. 1.
    Die Klägerin kann von den Beklagten Unterlassung aus § 24 Abs. 1 GebrMG verlangen.
  101. Beide Beklagte verletzen das Klagegebrauchsmuster, indem sie angegriffene Ausführungsformen in der Bundesrepublik Deutschland in Verkehr bringen.
  102. Für die Beklagte zu 2) ist dies zwischen den Parteien unstreitig.
  103. Aber auch in Bezug auf die Beklagte zu 1) lässt sich ein klagegebrauchsmusterverletzendes Inverkehrbringen feststellen. Die Klägerin hat insoweit eine Abbildung des Adressschilds zur Testkauflieferung vorgelegt, welches die Beklagte zu 1) als Absenderin ausweist. Das Versenden der angegriffenen Ausführungsform stellt wenigstens ein mittäterschaftliches Inverkehrbringen beider Beklagter dar. Demgegenüber fehlt es an einem tauglichen Bestreiten durch die Beklagten. Der pauschale Vortrag, die Beklagte zu 1) sei in den Vertrieb in Deutschland nicht involviert, widerlegt als solches nicht deren Auftreten und damit Tätigwerden als Versenderin. Insoweit obliegt den Beklagten eine sekundäre Darlegungslast, die darauf gerichtet ist, konkret zu den Umständen vorzutragen, die dazu geführt haben, dass die Beklagte zu 1) als Absenderin auf dem Versandpaket der angegriffenen Ausführungsform aufgeführt wird. Trotz Hinweises der Kammer in der ersten mündlichen Verhandlung haben die Beklagten ihrer Darlegungslast insoweit nicht genügt.
  104. Aus der festgestellten Vertriebshandlung beider Beklagten folgt eine Erstbegehungsgefahr im Hinblick auf sämtliche geltend gemachten Benutzungshandlungen.
  105. 2.
    Die Klägern hat gegen die Beklagten dem Grunde nach einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 24 Abs. 1 und 2 GebrMG. Die Beklagten begangen die Gebrauchsmusterverletzung schuldhaft. Als Fachunternehmen hätten sie die Schutzrechtsverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Es ist weiterhin nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin durch die Gebrauchsmusterverletzung ein Schaden entstanden ist. Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, die Höhe des ihr zustehenden Schadensersatzes zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung ihrer Ansprüche droht.
  106. 3.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagten ebenfalls einen Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung aus § 24b Abs. 1 und 3 GebrMG und §§ 242, 259 BGB im tenorierten Umfang. Erst durch die Auskunft und Rechnungslegung wird die Klägerin in die Lage versetzt, die ihr zustehenden Schadensersatzansprüche beziffern zu können. Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit der Auskunftserteilung bestehen nicht.
  107. 4.
    Die Ansprüche auf Rückruf und Vernichtung stehen der Klägerin gegen die Beklagten nach § 24a Abs. 1 und 2 GebrMG zu. Anhaltspunkte für eine Unverhältnismäßigkeit der Ansprüche sind nicht ersichtlich. Der Anspruch der Klägerin auf Ersatz der vorgerichtlichen Abmahnkosten gegen die Beklagten folgt aus § 24 Abs. 2 GebrMG.
  108. 5.
    Der Anspruch auf ein endgültiges Entfernen aus den Vertriebswegen war indes mangels Bestimmtheit des Antrags nicht zuzusprechen.
  109. Für das Patentrecht ist bereits entschieden, dass der Entfernungsanspruch neben dem Rückrufanspruch bestehen kann (vgl. BGH, GRUR 2017, 785 – Abdichtsystem). Indes sind im Antrag auf Entfernung aus den Vertriebswegen nach § 140a Abs. 3 PatG die konkreten Handlungen zu bezeichnen, die die beklagte Partei zur Erfüllung vornehmen soll. Welche Entfernungsmaßnahme von dem Beklagten ergriffen werden soll, ist im Klageantrag konkret anzugeben. Einem Antrag und einem Ausspruch, der bloß allgemein darauf gerichtet ist, dass der Beklagte das patentverletzende Erzeugnis endgültig aus den Vertriebswegen entfernt, fehlt die erforderliche Bestimmtheit, weil es dem Vollstreckungsverfahren überlassen bliebe zu bestimmen, welche Maßnahmen der Beklagte schuldet und welche nicht (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2020, 44647).
  110. Dies gilt entsprechend auch für das Gebrauchsmusterrecht. Die gewählte Antragsformulierung wird bereits durch die der Klägerin überlassene Wahl der Entfernungsmaßnahme den genannten Bestimmtheitsanforderungen nicht hinreichend gerecht.
  111. IV.
    Eine Aussetzung des Verletzungsprozesses im Hinblick auf das Löschungsverfahren ist indes weder gemäß § 19 S. 2 GebrMG notwendig noch nach § 19 S. 1 GebrMG angebracht. Wird ein Gebrauchsmuster im Löschungsverfahren (beschränkt) aufrechterhalten, so genügen für eine Aussetzung – anders als vor einer erstinstanzlichen Löschungsentscheidung – nicht schon berechtigte Zweifel am Rechtsbestand, sondern es ist der in einem Patentverletzungsprozess geltende Maßstab heranzuziehen, wonach eine Aussetzung nur angezeigt ist, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Schutzrecht dem erhobenen Angriff auf seinen Rechtsbestand nicht standhalten wird. Dies erscheint deshalb gerechtfertigt, weil nach Prüfung und Bejahung der Schutzfähigkeit durch die fachkompetente Löschungsabteilung eine Entscheidung vorliegt, welche die Vermutung der Rechtsbeständigkeit des Gebrauchsmusters (in seiner geltend gemachten Fassung) begründet. Es handelt sich dann nicht mehr nur um ein ungeprüftes Schutzrecht, sondern die Rechtsbestandssituation ist vergleichbar mit derjenigen, die bei einem erteilten Patent besteht. Auch wenn im Gebrauchsmusterverletzungsverfahren das Trennungsprinzip nicht gilt und das Verletzungsgericht infolgedessen selbständig über die Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters zu entscheiden hat, erscheint es sachgerecht, in einer solchen Situation denselben Maßstab anzuwenden wie bei einer Aussetzungsentscheidung betreffend ein Patent nach § 148 ZPO, um so der von einer fachkundigen Stelle beschiedenen Rechtsbeständigkeit entsprechend Rechnung zu tragen. In dieser Situation bedarf es somit hinreichender Erfolgsaussichten des anhängigen Beschwerdeverfahrens (vgl. OLG Düsseldorf in GRUR-RS 2019, 45774 m.w.N.).
  112. Die Kammer hält es indes nicht für hinreichend wahrscheinlich, dass die Beschwerde Erfolg haben und der nunmehr eingeschränkte Anspruch des Klagegebrauchsmusters vollständig gelöscht wird. Die Beklagte stützt ihre Einwände gegen die Entscheidung im Wesentlichen auf bereits im erstinstanzlichen Löschungsverfahren behandelten Stand der Technik und auf eine insoweit abweichende Bewertung der Schutzfähigkeit.
  113. 1.
    Vorliegend sieht die Kammer keine unzulässige Erweiterung in der Beschränkung des Anspruchs 29 durch die Merkmale 3.1. und 3.4.
  114. a)
    Mit der Löschungsabteilung sieht die Kammer die Merkmal 3.1., wonach der Informationsgehalt der zwei Markierungen, die auf einem der beiden Reifen sich befinden, nur teilweise identisch ist, bereits in der zuvor eingetragenen Fassung des Anspruchs „mindestens teilweise identisch“ als offenbart an.
  115. aa)
    Die Verwendung des Adverbs „mindestens“ schließt sowohl die Möglichkeit einer teilweisen auch einer vollständigen Übereinstimmung mit ein (vgl. Beschluss vom 31. Mai 2022, S. 7, Anlage rop 21). Auch wenn eine höhere Übereinstimmung des Informationsgehalts im Klagegebrauchsmuster bevorzugt gezeigt ist, handelt es sich um eine zulässige Einschränkung.
  116. Für diese Auffassung lässt sich anführen, dass Abs. [0057] die Markierungen mit einem mindestens teilweise identischen Informationsgehalt ebenso offenbart wie Markierungen die verschieden, also „nur teilweise“, identisch sind. Sofern für die Verschiedenheit Beispiele genannt sind, mag die Fehlertoleranz kein Bestandteil des Codeinhalts sein (vgl. Abs. [0058]), jedoch kann sich ein Unterschied im Umfang der maximal codierbaren Information auch auf den Codeinhalt auswirken. Bei diesem Verständnis stellt bereits diese Beschreibungsstelle für sich genommen eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung der „nur teilweisen Identität“ dar. Sofern der Fachmann darüber hinaus Abs. [0128] in den Blick nimmt, offenbart das Klagegebrauchsmuster einen Reifen mit zwei Markierungen (2D Matrixcodes, Bezugsziffern 156, 157) mit jeweils einem Informationsgehalt. Gemäß einer ersten Ausführungsform ist der erste Informationsgehalt mindestens teilweise identisch mit dem zweiten Informationsgehalt. Darüber hinaus können der erste Informationsgehalt und der zweite Informationsgehalt auch vollständig identisch sein (2. Ausführungsform). In diesem unmittelbaren Zusammenhang kommt der Einschränkung der mindestens teilweisen Identität die Bedeutung zu, dass der der Informationsgehalt nur zum Teil übereinstimmt, der andere Teil indes nicht übereinstimmt.
  117. Anders als die Beklagte meint, beschreibt das Merkmal 3.1. daher kein Aliud, sondern eine Konzentration auf einen bestimmten, eingegrenzten Erfindungsaspekt.
  118. Dass der technische Vorteil, durch Redundanz des Informationsgehalts sicherzustellen, dass mindestens einer der beiden 2D Matrixcodes bei Unleserlichkeit des einen lesbar bleibt, durch eine nur teilweise Identität zwingend ausgeschlossen ist, sieht die Kammer nicht. Der Vorteil bleibt in allen Fällen erhalten, in dem zumindest der redundante Teil von dem ersten und zweiten Informationsgehalt aus dem weiteren 2D Matrixcode lesbar ist und nicht überlappt wird (vgl. Abs. [0129]). Auch die Offenbarungsstelle in Absatz [0129] impliziert indes einen nicht-redundanten Teil und damit ebenfalls eine nur teilweise Übereinstimmung der Informationsgehalte. Insofern zeigt das Klagegebrauchsmuster gerade den Fall der – nach Auffassung der Beklagten – nicht optimalen Lösung der Aufgabe, wenn nur ein Teil der Markierungen übereinstimmt. Die Beklagte behauptet indes selbst nicht, dass die Aufgabe des Klagegebrauchsmusters, eine zuverlässige Lesbarkeit der Markierung zu gewährleisten, durch den eingeschränkten Anspruch überhaupt nicht mehr gelöst werde.
  119. bb)
    Ferner vermag die Kammer keinen Fall des § 1 Abs. 2 Nr. 4 GebrMG zu erkennen. Das Merkmal 3.1 vermittelt einen Teil der technischen Lehre, nämlich die Markierungen der Reifen in einer bestimmten Art und Weise auszugestalten, um die Reifen zuverlässig anhand bestimmter Angaben identifizieren zu können. Ein erkennbarer Vorteil ist, dass in dem nicht-redundanten Teil des 2D Matrixcodes vielfältige Informationen verarbeitet werden können, wie z.B. Anweisungen an eine Lesemaschine oder das Datum der Codierung, etc., die eine Zuordnung und Individualisierung erleichtern.
  120. b)
    Weiter ergibt sich das Merkmal 3.4 ebenfalls aus dem ursprünglich angemeldeten Gebrauchsmuster. Mit der Löschungsabteilung meint auch die Kammer, dass die unmittelbare und eindeutige Offenbarung der Markierungen auf zwei Seitenwänden desselben Reifens in den Absätzen [0098] und [0099] zu sehen ist (vgl. Beschluss vom 31. Mai 2022, S. 7, Anlage rop 21). Denn dort wird explizit beschrieben, dass in der Vorrichtung zum Ausstatten eines Reifens mit einer Markierung ein Reifenwender zum Einsatz kommt, mit dem – nachdem der Markierkopf eine Markierung auf die erste Seitenwand aufgebracht hat – der Reifen gewendet wird, so dass der Markierkopf so gegenüber dem Reifen positioniert ist, dass die Rotationsachse des Reifens und die Drehachse so übereinandern liegen, dass die zweite Seitenwand des Reifens aufgenommen und/oder markiert werden kann (vgl. Abs. [0098]). Im Zusammenhang mit der Ausführungsform, die zwei potentielle Markierungsstellen auf einer Seitenwand darstellt, erkennt der Fachmann, dass durch den Einsatz der entsprechenden Vorrichtung Reifen mit jeweils einer Markierung auf jeder Seitenwand hergestellt werden können. Sofern die Beklagte hierin eine Umdeutung der Offenbarungsstelle sehen möchte, erschließt sich dies nicht. Eine Umdeutung ist nicht erkennbar, sondern der Fachmann liest die Schrift im Zusammenhang. Das Merkmal 3.1 stellt ein zulässiges alternatives Ausführungsbeispiel dar (vgl. Beschluss vom 31. Mai 2022, S. 7, Anlage rop 21), das gegebenenfalls nicht so ausführlich behandelt worden ist wie das Ausführungsbeispiel mit zwei Markierungen auf einer Seite, aber dennoch ausreichend als zur Erfindung zugehörig offenbart wird.
  121. 2.
    Nach Ansicht der Kammer mangelt es dem Klagegebrauchsmuster auch nicht an dem erforderlichen erfinderischen Schritt.
  122. a)
    Der Umstand, dass bislang kein Patent auf den Schutzgegenstand erteilt wurde, der ebenfalls Gegenstand einer eingetragenen Fassung des Klagegebrauchsmusters ist, ist angesichts der nunmehr eingeschränkt bestehenden Fassung unerheblich. Mit dieser hat sich das EPA nicht auseinandergesetzt. Abgesehen davon führt auch sonst ein negativer Recherchebericht betreffend ein paralleles Patent nicht gleichsam automatisch zur Schutzunfähigkeit des Gebrauchsmusters.
  123. b)
    Die klagegebrauchsmustergemäße Erfindung ist nicht durch eine Kombination der D2 mit der D5 nahe gelegt, wie die Löschungsabteilung mit nachvollziehbarer Begründung ausgeführt hat, die auch die Kammer im Ergebnis für zutreffend hält.
  124. aa)
    So offenbart die D2 nicht die Merkmale 3.4 und 3.1.
  125. Auf Seite 9 in den Zeilen 28 ff. der D2 (Anlagen MB16, MB 16a) heißt es zwar, dass das Lasermarkierungssystem der Erfindung dazu genutzt werden kann, sowohl durch den Menschen lesbare als auch maschinenlesbare Zeichen wie 2D-Codes als auch eine Kombination aus beiden auf den Reifen aufzubringen. Es fehlt indes an einer eindeutigen Offenbarung von zwei 2D-Codes. Auch aus den Zeilen 4 ff. auf Seite 9 (Anlage MB 16) der Entgegenhaltung lässt sich nichts Entsprechendes entnehmen. Hier wird allein ausgeführt, dass die 2D-Codes im Vergleich zu Barcodes Vorteile aufweisen, z.B., da sie redundante Daten aufweisen, so dass der Code auch bei teilweiser Beschädigung weiter ausgelesen werden kann. Dies bezieht sich aber augenscheinlich auf einen einzelnen 2D-Code. Ferner wird auch in den Zeilen 7 ff. auf Seite 8 der D2 (Anlage MB 16) lediglich ausgeführt, dass bei 2D-Codes Redundanzen innerhalb der Codes eingebaut sind, so dass eine Lesbarkeit auch nach teilweiser Zerstörung des Codes weiterhin gegeben ist.
  126. Ferner ist die Kammer mit der Löschungsabteilung der Auffassung, dass die D2 nur die allgemeine Möglichkeit einer Markierung auf der Innen- oder Außenseite des Reifens zeigt, nicht jedoch eine gleichzeitige Anbringung von zwei Markierungen wie es für Merkmal 3.4 erforderlich wäre (vgl. Beschluss vom 31. Mai 2022, S. 8, Anlage rop 21). Für diese Auffassung spricht, dass neben der Möglichkeit der Anbringung der Lasergravur an der Innen- und Außenseite (Anlage MB 16, S. 9, Z. 26 ff.) – insoweit umfassender – verschiedene (andere) Stellen des Reifens genannt werden. Demgegenüber zeigt die D2 hinsichtlich des DOT-Codes eine erforderliche Anbringung auf unterschiedlichen Reifenseiten (Anlage MB 16, S. 1, Z. 24 ff.). Schließlich steht im Ergebnis zwischen den Parteien außer Streit, dass die Figuren 5 und 6 der D2 nur einen einzigen 2D-Code auf einer Seitenwand zeigen.
  127. Ausgehend von der D2 ist für den Fachmann jedenfalls keine Veranlassung ersichtlich, sich nach zwei Markierungen mit nur teilweise identischen Informationsgehalt umzusehen (Merkmal 3.1). Denn der Vorteil der 2D-Matrixcodes der D2 liegt gerade in ihrer inhärenten Redundanz, die als vorteilhaft hervorgehoben wird (Anlage MB 16 S. 3, Z. 13-17; S. 9, Z. 2-8). Insofern lehrt die D2 den Fachmann eher von der Idee weg, zwei Markierungen mit nur teilweise identischen Informationsgehalt vorzusehen, wie sie die Entgegenhaltung D5 (Anlage MB 12) in Absatz [0029] offenbart.
  128. Zusätzlich hierzu führt die Löschungsabteilung als weitere Überlegung an, dass selbst im Falle einer Kombination der D2 mit der D5 beide unterschiedlichen Codes aus der D5 auf die andere Seite des Reifens dupliziert würden, so dass zwei unterschiedliche Codes auf jeder Seite angebracht würden. Insoweit seien diese auf der jeweils selben Seite nicht getrennt voneinander zu betrachten, mit der Folge, dass es sich wieder auf beiden Reifenseite ein identischer Informationsgehalt ergäbe (Beschluss vom 31. Mai 2022, Seite 9, Anlage rop 21). Dieses Argument mag ebenfalls für einen erfinderischen Schritt der erfindungsgemäßen Lösung sprechen.
  129. c)
    Die Löschungsabteilung hat unter anderem ausgeführt, dass der Fachmann auch durch eine Zusammenschau von einer oder mehreren Druckschriften der im Löschungsverfahren diskutierten Entgegenhaltungen der D1 bis D10 der Fachmann nicht zur klagegebrauchsmustergemäßen Erfindung gelangt. Es mangele an Anregungen oder Hinweisen, so dass er keine Veranlassung hat, durch sein Fachwissen die Merkmale 3.1 oder 3.4 zum Inhalt einer oder mehrerer Druckschriften D1 – D10 zu ergänzen (Beschluss vom 31. Mai 2022, S. 8, Anlage rop 21). Die Ausführungen der Beklagten lassen die Kammer zu keinem anderen Schluss gelangen.
  130. aa)
    Die Beklagten konzentrieren ihren Vortrag im Wesentlichen auf die Entgegenhaltungen D10 und AG 11 und führen ein neues, bislang im erstinstanzlichen Löschungsverfahren nicht vorgebrachtes Argument im Beschwerdeverfahren ein.
  131. Da es sich allerdings um bereits im Löschungsverfahren bekannten Stand der Technik handelt, hält die Kammer es nicht für hinreichend wahrscheinlich, dass der Vortrag, es sei für den Fachmann am Prioritätstag Fachwissen gewesen, die fachübliche unterschiedliche Kennzeichnung asymmetrischer Reifen auf der Innen- und Außenseite abzubilden und es habe sodann in Kombination mit der D10 bzw. AG 11 nahe gelegen, diese unterschiedliche Kennzeichnung im Informationsgehalt des jeweiligen 2D-Matrixcodes abzubilden, zu einer Löschung des hiesigen Anspruchs führt.
  132. (1)
    Allein der Umstand, dass die Löschungsabteilung den erfinderischen Schritt ausgehend von der D10 nicht vertieft behandelt hat, lässt nicht den zwingenden Schluss zu, dass sie sich nicht damit auseinandergesetzt hat. Vielmehr belegt dies nur, dass die Löschungsabteilung den Angriff für weniger erfolgversprechend hält.
  133. (2)
    Die diversen das allgemeine Fachwissen belegenden Anlagen der Beklagten (Anlage MB 13, Anlagen AG 4 bis AG 10) zeigen unstreitig keine Markierungen asymmetrischer Reifen, welche 2D-Matrixcodes darstellen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt waren nur menschenlesbare Markierungen bei Asymmetrie der Reifenprofile vorbekannt.
  134. Der in der D10 abgebildete QR-Code der Klägerin enthält nach dem Vortrag der Parteien in der letzten mündlichen Verhandlung bereits die Symmetrieinformation (symmetrisch“ oder „asymmetrisch“) als Bestandteil des numerischen Codes. So zeigen die von den Beklagten gezeigten Screenshots der XXX-App (Bl. 303 GA) nicht die Funktionalität zum Anmeldezeitpunkt. Der Screenshot der Klägerin (Bl. 321 GA) zeigt hingegen das damals mögliche Ausleseergebnis, bei der nur der nummerische Code angezeigt wird und einige andere Informationen, wie z.B. dass es sich bei dem Reifen um einen Sommerreifen handelt. Zu Recht haben die Beklagten in diesem Zusammenhang angeführt, dass das Auslesen des Informationsgehalts der 2D-Matrixcodes kein Anspruchsinhalt des Klagegebrauchsmusters darstellt und daher unbeachtlich ist. Es erscheint im Hinblick auf den Offenbarungsgehalts der D10 für den Fachmann dennoch fraglich, ob dieser der D10 entnehmen kann, dass im nummerischen Code die Information anhand einer Ziffernfolge vorgehalten wird, wonach es sich um einen symmetrischen oder asymmetrischen Reifen handelt. Die Beklagten meinen, der Fachmann wende sich hier auch der AG 11 zu, welche thematisch den gleichen QR-Code wie die D10 zum Gegenstand hat, und entnimmt der dortigen Angabe „all the information relating to the tires“, dass die Symmetrieinformation mit umfasst ist. Selbst wenn man dieser Argumentation folgen wollte – und nicht der Ansicht der Klägerin, wonach der Fachmann weder der D10 noch der AG 11 aufgrund des fehlenden Entschlüsselungscodes einen Hinweis auf die Symmetrieinformation entnehmen könne – zeigen weder die D10 noch die AG 11 das Merkmal 3.4. Hiernach sind die nur teilweise identischen Codes auf zwei Seiten des gleichen Reifens anzubringen. Die Symmetrieinformation enthält aber nicht die unterschiedliche Verbauerkennung (z.B. Outside/Inside) bei asymmetrischen Reifen, welche den unterschiedlichen Informationsgehalt der beiden Markierungen auf zwei verschiedenen Seitenwänden darstellen könnte.
  135. Entgegen der Ansicht der Beklagten wird dies dem Fachmann auch nicht nahe gelegt. Denn nach seinem allgemeinen Fachwissen ist ihm bekannt, dass die Verbauerkennung eine relevante Information bei der Montage des Reifens auf die Felge ist, die der Monteur bei einem Reifenwechsel oder auch erstmaliger Anbringung der Reifen direkt erfassen können muss. Warum er diese Angabe nicht weiterhin menschenlesbar anbringen, sondern in den nur maschinenlesbaren QR-Code aufnehmen sollte, ist nicht ersichtlich. Vielmehr sind eher vielfältige Montagesituationen denkbar, in dem kein mit ausreichendem Netz versehenes Mobiltelefon oder anderes Auslesegerät zur Hand ist, um dann auf die relevante Information zugreifen zu können. Diese Überlegungen werden den Fachmann eher von einem solchen Vorgehen abhalten. Aus dem gleichen Grund wird der Fachmann auch in der AG 11 keinen Anlass finden, die Verbauerkennung in den QR-Code zu integrieren und auf beiden Reifenseiten anzubringen.
  136. bb)
    Sofern die Beklagten zu anfangs vorgetragen hat, dass der Fachmann aus dem einzigartigen („unique“) QR-Code in der D10 ableite, dass die jeweiligen QR-Codes nur einen teilweisen identischen Informationsgehalt haben können, und einen entsprechenden Vorteil aus der D5 kenne, stellt auch dies keine naheliegende Kombination dar, welche die erfindungsgemäße Lehre offenbart. So überzeugt bereits nicht der Ansatz, allein aus dem Begriff „einzigartig“ zu folgern, dass der Informationsgehalt der QR-Codes unterschiedlich ist.
  137. cc)
    Ausgehend von der D1, die nur vollständig identische Codes sowie keine Lasermarkierungen zeigt, und damit jedenfalls die Merkmale 3.1 und 3.3 nicht offenbart, ist kein Anlass ersichtlich, wieso der Fachmann sich der D10 zuwenden sollte.
  138. d)
    Etwaige Kombinationen der übrigen Entgegenhaltungen werden in hiesigem Verfahren von den Parteien nicht mehr vertiefter diskutiert, da sie noch weiter von der erfindungsgemäßen Lösung entfernt sind. Hieraus kann sich daher ebenfalls keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Löschung des Klagegebrauchsmusters in der Beschwerdeinstanz ergeben.
  139. V.
    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs.1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 ZPO. Auf Antrag der Klägerin waren Teilsicherheiten für die einzelnen titulierten Ansprüche festzusetzen, §§ 709, 108 ZPO.
  140. Der Streitwert wird auf EUR 250.000,00 festgesetzt.

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