4b O 258/09 – Autositz

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1367

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 11. März 2010, Az. 4b O 258/09

I. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf vom 22. Dezember 2009, Az. 4b O XXX/09, wird aufgehoben.

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Verfügungsklägerin.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

V. Der Streitwert wird auf 1.000.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Verfügungsklägerin ist alleinige und eingetragene Inhaberin des europäischen Patents EP 1 425 XXX (Anlage AST 1, im Folgenden: Verfügungspatent). Das Verfügungspatent, das eine Führungsschiene für einen Kraftfahrzeugsitz betrifft, wurde am 11. September 2002 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 13. September 2001 (DE 20115XXX) angemeldet. Die Anmeldung wurde am 9. Juni 2004 veröffentlicht, der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 9. November 2005 bekannt gemacht. Nachdem die Fa. A gegen das Verfügungspatent Einspruch eingelegt, diesen aber im Hinblick auf einen mit der Verfügungsklägerin geschlossenen Vergleich mit Schriftsatz vom 21. September (Anlage AG 14) zurückgenommen hatte, stellte die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts das Einspruchsverfahren mit Entscheidung vom 19. Oktober 2009 (Anlage AG 7) ein. Die Verfügungsklägerin hatte zuvor mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2009 (Anlage AG 6) wegen der Einspruchsrücknahme die Zurückweisung des Einspruchs beantragt. Die Verfügungsbeklagte hat das Verfügungspatent unter dem 18. Dezember 2009 durch Erhebung der Nichtigkeitsklage angegriffen (Anlage AG 4).

Anspruch 1 des in deutscher Verfahrenssprache angemeldeten und erteilten Verfügungspatents lautet:

„1. Führungsschiene für einen Kraftfahrzeugsitz mit Anbauteilen zur Anbindung eines Sitzgestells oder eines Sicherheitsgurts, dadurch gekennzeichnet, dass wenigstens ein Teil der Anbauteile (2, 2‘‘a, 2‘‘b) zumindest mit einem Teilbereich (20) stumpf auf eine Oberfläche der Führungsschiene (1) aufgesetzt ist und durch Laserschweißen mit der Führungsschiene (1) verbunden ist.“

Die Verfügungsbeklagte stellt her und liefert einen Fahrzeugsitzunterbau zum Einbau in Kraftfahrzeuge des Typs „B“, welcher eine Führungsschiene mit einem hieran angeschweißtem Element umfasst (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform). Der Kraftfahrzeugtyp „B“, in dem die angegriffene Ausführungsform verbaut wird, wird vom Fahrzeughersteller als Baureihe „C“ bezeichnet. Im Jahr 2006 erhielt die Verfügungsbeklagte vom Fahrzeughersteller den Konstruktionsauftrag sowie den Auftrag für die Serienlieferung der in der Baureihe C zu verwendenden angegriffenen Ausführungsform. Auch die Verfügungsklägerin hatte ein Angebot für die Fahrzeugsitze in der Baureihe C abgegeben, war aber nicht beauftragt worden. Seit Dezember 2008 liefert die Verfügungsbeklagte die angegriffene Ausführungsform als Bestandteil der Sitze für die Baureihe C. Fahrzeuge dieser Baureihe wurden am 10. Januar 2009 auf der „D“ erstmals präsentiert und ab dem 28. März 2009 in Showrooms deutscher Autohäuser ausgestellt. Ferner befand sich seit März 2009 ein Exemplar des von der Verfügungsbeklagten hergestellten Autositzes, welcher die angegriffene Ausführungsform umfasst, in einem Bürogebäude der E in F, und zwar in der Nähe des Arbeitsplatzes eines Herrn G, welcher Mitarbeiter der Fa. H und als „Resident Engineer“ im Betrieb der E tätig ist. Die von der Verfügungsklägerin zur Gerichtsakte gereichten Lichtbilder (Anlage AST 6) zeigen die angegriffene Ausführungsform.

Mit Beschluss vom 22. Dezember 2009 hat die Kammer auf Antrag der Verfügungsklägerin eine einstweilige Verfügung gegen die Verfügungsbeklagte erlassen, durch die es ihr unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagt wird,

Führungsschienen für einen Kraftfahrzeugsitz mit Anbauteilen zur Anbindung eines Sitzgestells oder eines Sicherheitsgurts

in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, wobei

wenigstens ein Teil der Anbauteile zumindest mit einem Teilbereich stumpf auf eine Oberfläche der Führungsschiene aufgesetzt ist und durch Laserschweißen mit der Führungsschiene verbunden ist.

Gegen diese einstweilige Verfügung hat die Verfügungsbeklagte, nachdem sie ihr am 20. Januar 2010 zugestellt worden war, mit Schriftsatz vom 26. Januar 2010 (Bl. 37f. GA) Widerspruch eingelegt.

Die Verfügungsklägerin meint, das Verfügungspatent sei rechtsbeständig. Auch im Übrigen bestehe die erforderliche Dringlichkeit für den Erlass der einstweiligen Verfügung. Sie, die Verfügungsklägerin, habe in einer für die Frage der Dinglichkeit relevanten Weise erst am 18. November 2009 von der konkreten Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform erlangt. Der stellvertretende Leiter der Patentabteilung, Herr Dr. I, habe am 23. September 2009 einen sogenannten Benchmark-Termin durchgeführt, weil ein anderer Wettbewerber der Verfügungsklägerin, die Fa. J, Patentverletzungsklage gegen die Verfügungsklägerin erhoben habe und es deswegen erforderlich geworden sei, Produkte der Fa. J auf Verletzungen von Patenten der Verfügungsklägerin zu untersuchen und so gegebenenfalls Verhandlungsmasse gegenüber der Fa. J zu gewinnen. Ferner habe auch die Verfügungsbeklagte zu diesem Zeitpunkt bereits Klage aus der Verletzung eines Patents gegen die Verfügungsklägerin erhoben, so dass mit derselben Zielsetzung wie gegenüber der Fa. J auch Sitze der Verfügungsbeklagten untersucht worden seien. Insgesamt seien auf diesem Benchmark-Termin 30 bis 40 Sitze untersucht worden, die angegriffene Ausführungsform sei nicht darunter gewesen. Erst Ende Oktober sei Dr. I von Mitarbeitern darauf angesprochen worden, dass bei der angegriffenen Ausführungsform ein neues Schienenprofil zur Anwendung komme. Daraufhin habe Dr. I die Beschaffung eines entsprechenden Sitzgestells der Verfügungsbeklagten veranlasst. Dieses Muster sei am 17. November 2009 im Hause der Verfügungsklägerin eingetroffen und dort am 18. November 2009 untersucht und fotografiert worden.

Schließlich meint die Verfügungsklägerin, auch ein Verfügungsanspruch sei gegeben. Die angegriffene Ausführungsform mache von der technischen Lehre des Verfügungspatents wortsinngemäß Gebrauch.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf vom 22. Dezember 2009, Az. 4b O XXX/09, aufrecht zu erhalten.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf vom 22. Dezember 2009, Az. 4b O XXX/09 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen;

hilfsweise: die Vollziehung der einstweiligen Verfügung davon abhängig zu machen, dass die Verfügungsklägerin zuvor eine Sicherheitsleistung in Höhe von 20 Millionen EUR erbringt.

Die Verfügungsbeklagte ist der Auffassung, es bestehe kein Verfügungsgrund. In zeitlicher Hinsicht fehle es an der Dringlichkeit, weil die Antragstellerin nicht erst seit dem 18. November 2009 Kenntnis habe:

Zum einen liege es auf der Hand, dass Herr G – der als „Resident Engineer“ tätige Mitarbeiter der Fa. H – das bei der E in F vorhandene Muster eines Sitzes einschließlich der angegriffenen Ausführungsform nicht nur wahrgenommen, sondern auch in Augenschein genommen habe; Kenntnisse des Herrn G müsse sich die Verfügungsbeklagte als eigenes Wissen zurechnen lassen. Zum anderen habe Herr K, ein Mitarbeiter der Verfügungsbeklagten, am 20. Oktober 2009 ein Vorstellungsgespräch bei der Verfügungsklägerin in Coburg geführt, bei dem auch Herr L, der für das Ressort Produktion zuständige Geschäftsführer der Verfügungsklägerin, anwesend gewesen sei. Herr L habe während des einige Stunden dauernden Gesprächs Herrn K auch auf ein Erzeugnis der Verfügungsbeklagten angesprochen, nämlich auf den „M“. Dabei habe Herr L auch Details dieses Erzeugnisses angesprochen wie beispielsweise Segmente am Bauteil „N“, welche die Verbindungsstelle zwischen „N“ und Führungsschiene bilden.

Ferner meint die Verfügungsbeklagte, das Verfügungspatent sei nicht rechtsbeständig und werde für nichtig erklärt werden. Seine technische Lehre sei durch die DE 43 51 255 (Anlage AG 4.4, im Nichtigkeitsverfahren als Entgegenhaltung D4 eingeführt) neuheitsschädlich vorweg genommen. Auch beruhe die technische Lehre des Verfügungspatents nicht auf erfinderischer Tätigkeit, sondern werde durch eine Kombination von Entgegenhaltungen nahegelegt, unter anderem durch eine Kombinatin mit der DE ‘255 mit einer offenkundigen Benutzung eines Sitzunterbaus in Fahrzeugen der früheren B (interne Fahrzeugbezeichnung O und P).

Schließlich bestreitet die Verfügungsbeklagte, das Verfügungspatent zu verletzen. Unter anderem wendet sie gegen den Verletzungsvorwurf ein, bei der angegriffene Ausführungsform sei nur ein einziges Anbauteil vorhanden, während das Verfügungspatent durch die Verwendung des Plurals lediglich eine Vorrichtung mit mindestens zwei Anbauteilen beanspruche.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erweist sich nach Durchführung der mündlichen Verhandlung als zulässig aber unbegründet, so dass die einstweilige Verfügung der Kammer vom 22. Dezember 2009 aufzuheben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückzuweisen ist. Es lässt sich auf Grundlage des wechselseitigen Parteivorbringens und der jeweiligen Glaubhaftmachungen nicht feststellen, dass der Antrag in zeitlicher Hinsicht dringlich und damit der erforderliche Verfügungsgrund gegeben ist.

I.

Das Verfügungspatent betrifft eine Führungsschiene für einen Kraftfahrzeugsitz mit Anbauteilen zur Anbindung eines Sitzgestells, eines Sicherheitsgurtes oder dergleichen.

Aus dem Stand der Technik sind Kraftfahrzeugsitze bekannt, wie sie in der DE 196 16 915 (Anlage AST 3) und der DE 197 15 626 (Anlage AST 4) offenbart sind, und bei denen zur Anbringung eines Sitzgestells Befestigungswinkel oder rohrschellenartige Bauteile verwendet werden, welche wiederum an Befestigungsstellen mittels Schrauben oder Nieten fixiert sind. Über die Befestigungsstellen müssen bei einem Crash zum Teil extrem hohe Kräfte quasi punktförmig übertragen werden. Das macht es erforderlich, die Befestigungsstellen sehr massiv auszubilden. Hieran kritisiert das Verfügungspatent, dass für die Befestigungsstellen vergleichsweise viel Material und Bauraum eingesetzt werden muss.

Das Verfügungspatent stellt sich vor diesem technischen Hintergrund die Aufgabe, Mittel zur Anbindung von Anbauteilen an Führungsschienen von Kraftfahrzeugsitzen zur Verfügung zu stellen, die sich durch hohe Belastbarkeit, geringen Materialeinsatz und automatisierte Fertigbarkeit auszeichnen.

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Verfügungspatent eine Vorrichtung mit den folgenden Merkmalen vor:

1) Führungsschiene (1) für einen Kraftfahrzeugsitz,

2) mit Anbauteilen (2) zur Anbindung eines Sitzgestells oder eines Sicherheitsgurts,

3) wenigstens ein Teil der Anbauteile (2, 2‘‘a, 2‘‘b) ist zumindest mit einem Teilbereich (20) stumpf auf eine Obrfläche der Führungsschiene (1) aufgesetzt,

4) wenigstens ein Teil der Anbauteile (2, 2‘‘a, 2‘‘b) ist durch Laserschweißen mit der Führungsschiene (1) verbunden.

Im Rahmen der allgemeinen Erfindungsbeschreibung schildert es das Verfügungspatent als Vorteil des Laserschweißens, dass dieses im Vergleich zu anderen Schweißverfahren eine vergleichsweise geringe thermische Belastung von Führungsschienen und Anbauteilen verursacht, so dass Wärmeverzug und übermäßige Gefügeveränderungen praktisch ausgeschlossen werden können.

II.

Ein Verfügungsgrund lässt sich nicht feststellen. Dieser ist, neben dem Bestehen eines Verfügungsanspruchs, gemäß §§ 940, 935 ZPO Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Das bedeutet, dass eine einstweilige Verfügung nur dann erlassen werden darf, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig und damit eine Dringlichkeit für eine Regelung im Eilverfahren gegeben ist. In Patentstreitigkeiten folgt daraus das Erfordernis, dass erstens die für die Eilmaßnahme sprechende zeitliche Dringlichkeit gegeben sein muss, und dass zweitens die Abwägung der widerstreitenden Interessen des Rechtsschutzsuchenden und des in Anspruch Genommenen hinsichtlich der einstweiligen Regelung zugunsten des Antragstellers bzw. Verfügungsklägers ausfallen muss. Der Verfügungsgrund ist vom Antragsteller bzw. Verfügungskläger darzulegen und glaubhaft zu machen. Die Sondervorschrift des § 12 Abs. 2 UWG findet keine Anwendung (OLG Düsseldorf Mitt. 1980, 117; OLG Düsseldorf GRUR 1983, 79 (90) – einstweilige Verfügung in Patentsachen; OLG Düsseldorf GRUR 1994, 508 – Dringlichkeit; LG Düsseldorf GRUR 2002, 692 (695) – NMR – Kontrastmittel).

1.

Vorliegend hat die Verfügungsklägerin jedenfalls im Hinblick auf die erforderliche zeitliche Dringlichkeit einen Verfügungsgrund nicht darzutun und glaubhaft zu machen vermocht. Wer in Kenntnis der maßgeblichen Umstände und der ihm fortdauernd drohenden Nachteile ohne überzeugenden Grund längere Zeit mit der Stellung eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zuwartet und dadurch die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs verzögert, gibt zu erkennen, dass er auf eine vorläufige Regelung nicht dringend angewiesen ist (Benkard – Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl., § 139 Rn. 153c; Schulte / Kühnen, PatG, 8. Aufl., § 139 Rn 393; Meier-Beck, GRUR 1998, 861, 867; Berneke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl., Rn 67; Hefermehl /Köhler / Bornkamm, UWG, 26. Aufl., § 12 Rn 3.15).

Ob die Zeitspanne, die zwischen positiver Kenntniserlangung von der behaupteten Verletzungshandlung und dem Einreichen eines Verfügungsantrages bei Gericht verstrichen ist, dringlichkeitsschädlich ist, bemisst sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls. Starre und feste (Monats-)Fristen, die automatisch und zwangsläufig für jede Konstellation Geltung beanspruchen könnten, gibt es nicht. Es sind höchstens „Regelfristen“ anzuerkennen, die als Richtschnur dienen, jedoch je nach Fallgestaltung unter- oder überschritten werden können.

2.

Vorliegend lässt sich im Ergebnis nicht feststellen, dass die Verfügungsklägerin durch ihre am 17. Dezember 2009 bei Gericht eingegangene Antragsschrift so zeitnah nach Erlangung positiver Kenntnis von der Beschaffenheit der angegriffenen Ausführungsform gerichtlich geltend gemacht hat, dass die zeitliche Dringlichkeit bejaht werden kann.

Die Verfügungsklägerin hat ihr Vorbringen, der stellvertretende Leiter ihrer Patentabteilung, Herr Dr. I, habe die angegriffene Ausführungsform erst am 18. November 2009 untersucht, durch dessen eidesstattliche Versicherung vom 10. Dezember 2009 (Bl. 14 GA) glaubhaft gemacht. Ihr weiterer, erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2010 gehaltene Vortrag, Herr Dr. I sei nicht schon im Zusammenhang mit der Untersuchung von Sitzen der Verfügungsbeklagten beim Benchmark-Termin am 23. September 2009, sondern erst Ende Oktober 2009 und auch nur zufällig auf die angegriffene Ausführungsform aufmerksam gemacht worden, ist durch die weitere eidesstattliche Versicherung des Herrn Dr. I vom 25. Februar 2010 (Bl. 138 GA) glaubhaft gemacht.

Ungeachtet dessen und auch unter der Voraussetzung, dass dieses Vorbringen zuträfe, hat sie die ihr obliegende Darlegung und Glaubhaftmachung der Umstände, welche die zeitliche Dringlichkeit ihres Antrags begründen, nicht erbracht. Es kommt nicht alleine auf den Kenntnisstand des Dr. I in dessen Eigenschaft als stellvertretender Leiter der Patentabteilung an, sondern auf die Kenntnis derjenigen Personen im Betrieb der Verfügungsklägerin, welche in leitender Position tätig sind, und von denen aufgrund ihrer betrieblichen Stellung erwartet werden kann, dass sie ihre Kenntnisse von einem etwaigen Verstoß gegen ein Schutzrecht unternehmensintern weitergeben und dadurch dessen Verfolgung durch die zuständige Stelle ermöglichen (Kühnen/Geschke, Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 4. Auflage, Rn. 1127; OLG Frankfurt am Main, NJW 2000, 1961). Hiernach kommt es auf die Kenntnis jedenfalls aller Geschäftsführer der Verfügungsklägerin an, zumal wenn ihr Ressort technische Belange der Produkte der Verfügungsklägerin umfasst. Ebenfalls erheblich ist ferner die Kenntnis leitender Angestellter, die im genannten Sinne die Verantwortung dafür haben, dass ihnen bekannte Rechtsverstöße verfolgt werden. Nichts anderes ergibt sich im Ergebnis aus der von der Verfügungsklägerin in Bezug genommenen Literaturmeinung (Donle, in: Festschrift für Klaka, Seite 6ff., zur Gerichtsakte gereicht als Anlage AST 19): Hiernach kommt es – und anderes macht die Verfügungsklägerin auch selber nicht geltend – auf die Kenntnis derjenigen Personen an, die für die Verfolgung von Rechtsverstößen verantwortlich sind. Dazu zählen die Geschäftsführer einer Gesellschaft, zumal dann, wenn sie für ein Ressort mit Bezügen zu den Produkten einer Gesellschaft und damit zu technischen Belangen betraut sind.

Im Hinblick hierauf kommt es zwar nicht auf einen Kenntnisstand des Herrn G an, schon allein deswegen, weil dieser kein Mitarbeiter der Verfügungsklägerin ist. Indes hat die Verfügungsbeklagte durch die Beibringung der eidesstattlichen Versicherung des Herrn K vom 22. Januar 2010 (Bl. 139 GA), dessen Inhalt sie sich als Vortrag zu eigen gemacht hat, dargelegt und glaubhaft gemacht, dass Herr L in seiner Eigenschaft als der für das Ressort Produktion zuständige Geschäftsführer der Verfügungsklägerin schon am 20. Oktober 2009 positive Kenntnis von der konkreten Beschaffenheit der angegriffenen Ausführungsform hatte, und dass diese Kenntnis insbesondere die für die Verletzung des Verfügungspatents erheblichen Details der Konstruktion der angegriffenen Ausführungsform umfasste.

Die Verfügungsklägerin wendet sich nicht gegen die inhaltliche Richtigkeit der eidesstattlichen Versicherung des Herrn K. Mit ihrem Einwand in tatsächlicher Hinsicht, aus der Erklärung des Herrn K ergebe sich nicht, dass Gegenstand des fraglichen Vorstellungsgespräches gerade die angegriffene Ausführungsform gewesen sei, bleibt sie ohne Erfolg. Herr K schildert insoweit ausdrücklich, dass Herr L ein Erzeugnis für die Baureihe C angesprochen habe, also diejenige Baureihe, in der die angegriffene Ausführungsform verbaut wird. Ferner bezeichnet er das fragliche Bauteil als Führungsschiene mit dem hieran angebrachten „N“. Wie die Verfügungsbeklagte in der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2010 unbestritten vorgebracht hat, ist „N“ in ihrem Betrieb die Bezeichnung für das Anbauteil, das bei der angegriffenen Ausführungsform an die Führungsschiene angeschweißt ist. Schließlich gibt Herr K an, dass „N“ ein an die Führungsschiene stumpf lasergeschweißtes Bauteil sei. Es steht zwischen den Parteien außer Streit, dass bei der angegriffenen Ausführungsform wenigstens ein Bauteil stumpf an die Führungsschiene angefügt ist, und zwar durch Laserschweißen, so wie dies aus den Lichtbildern der angegriffenen Ausführungsform (Anlage AST 6) ersichtlich ist. Auf diesen Lichtbildern ist auch erkennbar, dass das Sitzgestell der Verfügungsbeklagten, welches die angegriffene Ausführungsform aufweist, aus einer Schwinge besteht, welche über zwei verschwenkbare Arme gelagert ist. Es ist demnach nachvollziehbar, dass dasjenige Bauteil, an welchem diese Arme an der Unterseite schwenkbar gelagert sind, als Lager für die Schwinge verstanden und dementsprechend verkürzend als „N“ bezeichnet wird. Es unterliegt demnach keinem vernünftigen Zweifel, dass dasjenige Erzeugnis der Verfügungsbeklagten, welches Gegenstand des Vorstellungsgespräches des Herrn K am 20. Oktober 2009 war, mit der angegriffenen Ausführungsform übereinstimmt.

Daraus folgt, dass bei der Verfügungsklägerin, welche sich jedenfalls das Wissen des Geschäftsführers für das Ressort Produktion, also des Herrn L, zurechnen lassen muss, schon am 20. Oktober 2009 positive Kenntnis von der angegriffenen Ausführungsform und insbesondere von der Tatsache vorhanden war, dass bei der angegriffenen Ausführungsform eine stumpf gefügte Laserschweißverbindung gemäß Merkmal 4) des Verfügungspatents vorhanden ist. Dann fehlt es unter Anwendung der oben dargelegten Maßstäbe an einer zeitlichen Dringlichkeit des Verfügungsantrags. Die Verfügungsklägerin hat nichts dazu dargetan, ab wann Herr L die entsprechende Kenntnis hatte. Es ist aufgrund ihrer Darlegungsobliegenheit demnach davon auszugehen, dass er diese Kenntnis zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 20. Oktober 2009 erlangt hat. Selbst wenn auf dieser Grundlage aus Rechtsgründen davon auszugehen wäre, dass die am Tag zuvor, also am 19. Oktober 2009 ergangene Einstellungsentscheidung im Einspruchsverfahren (Anlage AG 7) für den Lauf der Dringlichkeitsfrist deshalb eine Zäsurwirkung entfaltet, weil sich hierdurch die maßgeblich Tatsachengrundlage verändert haben könnte (vgl. hierzu OLG Düsseldorf InstGE 10, 124 – „Inhalator“), ließe sich gleichwohl nicht feststellen, dass die Verfügungsklägerin alles Erforderliche getan hat, um die angegriffene Ausführungsform so schnell wie möglich zum Gegenstand eines Verfügungsverfahren zu machen. Es ist nämlich nicht ersichtlich, was die Verfügungsklägerin aufgrund des Kenntnisstandes ihres Geschäftsführers L und im Hinblick auf die Beendigung des Einspruchsverfahrens durch die Einstellungsentscheidung veranlasst hat. Selbst nach dieser für die Verfügungsklägerin günstigen Sichtweise bleibt für den gesamten Zeitraum zwischen der Einstellung des Einspruchsverfahrens und der Erhebung des Verfügungsantrags, also für eine Zeitspanne von nahezu zwei Monaten im Dunkeln, welche Maßnahmen die Verfügungsklägerin ergriffen hat, um auf Grundlage des nach Beendigung des Einspruchsverfahrens aufrechterhaltenen Verfügungspatents gegen die ihr positiv bekannte angegriffene Ausführungsform vorzugehen. Dass die Beschaffung und Untersuchung eines Musters durch Herrn Dr. I kausal auf den Kenntnisstand des Herrn L zurückzuführen ist, hat die Verfügungsklägerin nicht dargetan; eine solche Betrachtungsweise müsste zudem unterstellen, dass jedenfalls die eidesstattliche Versicherung des Herrn Dr. I vom 25. Februar 2010 (Bl. 138 GA) inhaltlich unwahr wäre, da er dort ausführt, Anlass für seine Beschaffung und Untersuchung des Musters sei ein zufälliger Hinweis gewesen – also nicht einer, der auf Kenntnissen des Herrn L beruhte.

Diese Zeitspanne von beinahe zwei Monaten, hinsichtlich derer die Verfügungsklägerin zu den von ihr ergriffenen Maßnahmen zur Verfolgung eines etwaigen Rechtsverstoßes keine Darlegungen gemacht hat, schließt eine Dringlichkeit des Verfügungsantrags aus. Dies muss um so mehr deshalb gelten, weil zwischen den Parteien außer Streit stehen, dass sie scharfe Wettbewerber als Zulieferer von Automobilhersteller sind und deshalb wechselseitig ihr Marktverhalten ständig beobachten, und weil überdies unstreitig die Verfügungsklägerin selber an der Ausschreibung für Sitze der Baureihe C erfolglos teilgenommen hatte und Fahrzeuge dieser Baureihe spätestens ab März 2009 öffentlich zugänglich waren. Auch wenn die Verfügungsklägerin keine Marktbeobachtungspflicht trifft, war sie aufgrund dieser Umstände gehalten, ab dem Zeitpunkt ihrer positiven Kenntnis und jedenfalls ab der Beendigung des Einspruchsverfahrens alles daran zu setzen, einen Verfügungsantrag gegen die angegriffene Ausführungsform vorzubereiten und mit keiner der erforderlichen Maßnahmen auch nur geringe Zeit zuzuwarten. Ähnliches gilt für den – unstreitigen – Umstand, dass schon zum Zeitpunkt des Benchmark-Termins bei der Verfügungsklägerin, also am 23. September 2009, dieser eine Patentverletzungsklage der Verfügungsbeklagten zugestellt war. In einer Situation, in der es der Verfügungsklägerin nach ihrem eigenen Vorbringen darum ging, Verletzungen eigener Patente durch die Verfügungsbeklagte ausfindig zu machen, um dieser entsprechende Vorwürfe als „Verhandlungsmasse“ entgegenhalten zu können, hätte es der Verfügungsklägerin um so eiliger sein müssen, die positive Kenntnis von der angegriffenen Ausführungsform so schnell wie irgend möglich für die gerichtliche Geltendmachung eigener Ansprüche nutzbar zu machen.

III.

Es kann demnach dahinstehen, ob der Rechtsbestand des mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Verfügungspatents in so hohem Maße gesichert erscheint, dass auf seiner Grundlage eine einstweilige Verfügung nach der gebotenen Abwägung der Parteiinteressen erlassen werden kann. Ebenso wenig bedarf es einer Entscheidung dazu, ob die angegriffene Ausführungsform die technische Lehre des Verfügungspatents verwirklicht.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.

Bei der Festsetzung des Streitwerts war der entsprechenden Angabe der Verfügungsklägerin zu folgen. Die Wertfestsetzung stand gemäß § 51 GKG im freien Ermessen der Kammer und war durch Schätzung zu bestimmen. Eine Wertangabe des Verfügungsklägers hat besondere Bedeutung, wenn diese zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der Erfolg des geltend gemachten Anspruchs noch nicht absehbar ist (Berneke, in: Ahrens: Wettbewerbsprozess, 6. Aufl., Kap. 40 Rn. 27 mit zahlreichen Einzelnachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung). Die besondere indizielle Bedeutung einer solchen Wertangabe liegt darin begründet, dass der Verfügungskläger das für die Streitwertfestsetzung maßgebliche Angriffsinteresse besonders gut einschätzen kann. Demgegenüber bleibt die Verfügungsbeklagte mit ihrem Vorbringen, der Streitwert sei höher festzusetzen, zu pauschal, indem sie sich auf die Angabe beschränkt, ein Unterlassungsgebot habe für sie im Hinblick auf laufende Ausschreibungen eines sehr hohe wirtschaftliche Bedeutung. Das lässt einen Bezug zum maßgeblichen Angriffsinteresse der Verfügungsklägerin nicht erkennen. Auch sind die angegebenen Zahlen („Umsätze im zweistelligen Millionenbereich“) zu vage.

Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien vom 05.03.2010 und 10.03.2010 sind bei der Entscheidungsfindung unberücksichtigt geblieben.