4b O 231/09 – Integralhelm

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1557

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 16. Dezember 2010, Az. 4b O 231/09

Rechtsmittelinstanz: 2 U 6/11

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

III. Das Urteil ist für die Beklagte wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

T a t b e s t a n d

Die Klägerin ist seit dem 29. September 2006 eingetragene Inhaberin des europäischen Patentes 797 XXX (Anlage K 1, nachfolgend: „Klagepatent“), welches am 18. März 1996 angemeldet wurde. Die Offenlegung der Anmeldung erfolgte am 1. Oktober 1997, die Veröffentlichung der Patenterteilung am 22. September 1999. Das Klagepatent, welches auch für die Bundesrepublik Deutschland erteilt wurde, steht in Kraft und wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Registernummer DE 696 04 XXX (Anlage K 3) geführt. Das Klagepatent, dessen Verfahrenssprache Englisch ist, betrifft einen Integralhelm für Motorräder oder dergleichen mit einer Vorrichtung zum Öffnen und Schließen des Kinnbügels. Der für den vorliegenden Rechtsstreit maßgebliche Patentanspruch 1 hat in der englischen Verfahrenssprache folgenden Wortlaut:

“An integral helmet for motorcyclists, racing-motorists, sports-people and the like comprising a cap (2), a raisable and rotatably openable visor (8), a raisable chin-protector (3), provided with two side flanges (3a) for the attachement at the opposite sides of said cap (2) and a device for opening and closing said chin-protector, formed by two articulated structures placed at the sides of said cap, in correspondence of said side flanges (3a), characterized in that each of said articulated structures comprises:
a first pin (5) and a second pin (4) integral with cap (2), a third pin (7) and a fourth pin (6) integral with the side flange (3a) of said chin-protector, a support plate (1) integral with said cap (2), provided with an upwards arched guide-slit (11), said first pin (5) being connected to said third pin (7) through a first balance rod (9) freely rotating on said first and said third pin, said second pin (4) being connected to said fourth pin (6) through a second balance rod (10) freely rotating on said second and said fourth pin, said fourth pin (6) being also inserted in a sliding translatable manner in said guide slit (11) provided in said support plate (1), said chin protector being raisable and openable with a rotatory-translatory motion according to a substantially elliptic trajectory, which provides for a forward movement at the start of the raising, so as to release it from the cap, and an subsequent backwards movement, so as to cause it to substantially mate, in position of complete opening, the top of the cap.”

In der veröffentlichten deutschen Übersetzung hat der Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut:

„Integralhelm für Motorradfahrer, Motorsportrennfahrer, Sportler und dergleichen, mit eine Haube (2), einem anhebbaren und drehbar zu öffnenden Visier (8), einem anhebbaren Kinnschutz (3), der mit zwei Seitenflanschen (3a) zur Befestigung an den gegenüberliegenden Seiten der genannten Haube (2) versehen ist, und einer Vorrichtung zum Öffnen und Schließen des Kinnschutzes, die von zwei angelenkten Strukturen gebildet wird, welche entsprechend den genannten Seitenflanschen (3a) an den Seiten der Haube angeordnet sind, dadurch gekennzeichnet, dass jede der angelenkten Strukturen einen ersten Stift (5) und einen zweiten Stift (4) einstückig mit der Haube (2), einen dritten Stift (7) und einen vierten Stift (6) einstückig mit dem Seitenflansch (3a) des Kinnschutzes und eine mit der Haube (2) einstückig ausgebildete Trägerplatte (1), die mit einem nach oben gerichteten gebogenen Führungsschlitz (11) versehen ist, aufweist, wobei der erste Stift (5) über einen ersten Ausgleichsstab (9), der an dem ersten und dem dritten Stift frei drehbar ist, mit dem dritten Stift (7) verbunden ist, der zweite Stift (4) über einen zweiten Ausgleichsstab (10), der an dem zweiten und dem vierten Stift frei drehbar ist, mit dem vierten Stift (6) verbunden ist und der vierte Stift (6) auch in einer gleitend verschiebbaren Weise in den in der Trägerplatte (1) vorgesehenen Führungsschlitz (11) eingesetzt ist, und wobei der Kinnschutz entsprechend einem im wesentlichen elliptischen Bahnverlauf mit einer Dreh- und Vorwärtsbewegung anhebbar und zu öffnen ist, was am Beginn des Anhebens zu einer Vorwärtsbewegung führt, so dass ein Ablösen des Kinnschutzes von der Haube erfolgt, und was eine nachfolgende Rückwärtsbewegung ergibt, so dass der Kinnschutz in der Position der vollständigen Öffnung mit der Oberseite der Haube im wesentlichen in Eingriff steht.“

Nachfolgend wiedergegeben sind die Figuren 1, 3 und 4, welche aus der Klagepatentschrift stammen und eine bevorzugte Ausführungsform der Erfindung zeichnerisch wiedergeben. Figur 1 zeigt eine Seitenansicht des erfindungsgemäßen Integralhelms in geschlossener Position, Figur 3 zeigt nur die Vorrichtung zum Öffnen und Schließen des Kinnschutzes und Figur 4 fünf aufeinanderfolgende relative Positionen der verschiedenen Bestandteile der Vorrichtung gemäß Figur 3 während der Öffnungsbewegung des Kinnschutzes.

Die Beklagte, ein bekanntes deutsches Automobilunternehmen, befasst sich unter anderem mit der Herstellung und dem Vertrieb von Motorrädern und Motorradzubehör. So vertreibt die Beklagte auch eine Reihe von Motorradhelmen, wozu ein Integralhelm mit der Bezeichnung „A“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform) gehört. Der Aufbau der angegriffenen Ausführungsform kann den von der Klägerin als Anlage K 6 überreichten Photographien entnommen werden, von welchen nachfolgend die zweite Photographie wiedergegeben wird. Die Photographie zeigt die angegriffene Ausführungsform ohne Kinnschutz und Visier mit von der Klägerin eingefügten Bezugszeichen.

Als Anlagen K 7 und K 8 überreichte die Klägerin weitere Photographien sowie als Anlage K 9 ein Muster der angegriffenen Ausführungsform, bei dem das Visier abmontiert wurde, worauf insgesamt Bezug genommen wird.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die angegriffene Ausführungsform Gebrauch von der Lehre nach dem Klagepatent mache. Es sei für die technische Funktion unerheblich, ob die Verbindung des ersten und dritten Stiftes über den ersten Ausgleichsstab in der Weise erfolge, dass der Ausgleichsstab nur an einem der beiden Stifte frei drehbar sei. Jedenfalls liege eine äquivalente Verwirklichung vor.

Sie beantragt, nachdem sie in der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2010 den Antrag zu Ziffer I.4. zurückgenommen und die Anträge zu Ziffer I.1. und 2.e) eingeschränkt hat,

I. die Beklagte zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- Eur – ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihrem Vorstand zu vollziehen ist, in der Bundesrepublik Deutschland zu unterlassen,

Integralhelme für Motorradfahrer, Motorsportrennfahrer, Sportler und dergleichen mit einer Haube, einem anhebbaren und drehbar zu öffnenden Visier, einem anhebbaren Kinnschutz, der mit zwei Seitenflanschen zur Befestigung an den gegenüberliegenden Seiten der genannten Haube versehen ist, und einer Vorrichtung zum Öffnen und Schließen des Kinnschutzes, die von zwei angelenkten Strukturen gebildet wird, welche entsprechend den genannten Seitenflanschen an den Seiten der Haube angeordnet sind,

anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

wobei jede der angelenkten Strukturen einen ersten Stift und einen zweiten Stift integral mit der Haube, einen dritten Stift und einen vierten Stift integral mit dem Seitenflansch des Kinnschutzes und eine mit der Haube integral ausgebildete Trägerplatte, die mit einem nach unten gerichtet gebogenen Führungsschlitz versehen ist, aufweist, wobei der erste Stift über einen ersten Ausgleichsstab, der an dem ersten und dem dritten Stift frei drehbar ist, mit dem dritten Stift verbunden ist, der zweite Stift über einen zweiten Ausgleichsstab, der an dem zweiten und dem vierten Stift frei drehbar ist, mit dem vierten Stift verbunden ist und der vierte Stift auch in einer gleitend verschiebbaren Weise in den in der Trägerplatte vorgesehenen Führungsschlitz eingesetzt ist, und wobei der Kinnschutz entsprechend einem im wesentlichen elliptischen Bahnverlauf mit einer Dreh- und Vorwärtsbewegung anhebbar und zu öffnen ist, was am Beginn des Anhebens zu einer Vorwärtsbewegung führt, so dass ein Ablösen des Kinnschutzes von der Haube erfolgt, und was eine nachfolgende Rückwärtsbewegung ergibt, so dass der Kinnschutz in der Position der vollständigen Öffnung mit der Oberseite der Haube im wesentlichen in Eingriff steht,

hilfsweise

es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- Eur – ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihrem Vorstand zu vollziehen ist, in der Bundesrepublik Deutschland zu unterlassen,

Integralhelme für Motorradfahrer, Motorsportrennfahrer, Sportler und dergleichen mit einer Haube, einem anhebbaren und drehbar zu öffnenden Visier, einem anhebbaren Kinnschutz, der mit zwei Seitenflanschen zur Befestigung an den gegenüberliegenden Seiten der genannten Haube versehen ist, und einer Vorrichtung zum Öffnen und Schließen des Kinnschutzes, die von zwei angelenkten Strukturen gebildet wird, welche entsprechend den genannten Seitenflanschen an den Seiten der Haube angeordnet sind,

anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

wobei jede der angelenkten Strukturen einen ersten Stift und einen zweiten Stift integral mit der Haube, einen dritten Stift und einen vierten Stift stabil verankert mit dem Seitenflansch des Kinnschutzes und eine mit der Haube stabil verankert ausgebildete Trägerplatte, die mit einem nach unten gerichtet gebogenen Führungsschlitz versehen ist, aufweist, wobei der erste Stift über einen ersten Ausgleichsstab, der an dem ersten Stift frei drehbar und auf der Achse des dritten Stifts drehbar gelagert ist, mit dem dritten Stift verbunden ist, der zweite Stift über einen zweiten Ausgleichsstab, der an dem zweiten frei drehbar und auf der Achse des vierten Stifts drehbar gelagert ist, mit dem vierten Stift verbunden ist und der vierte Stift auch in einer gleitend verschiebbaren Weise in den in der Trägerplatte vorgesehenen Führungsschlitz eingesetzt ist, und wobei der Kinnschutz entsprechend einem im wesentlichen elliptischen Bahnverlauf mit einer Dreh- und Vorwärtsbewegung anhebbar und zu öffnen ist, was am Beginn des Anhebens zu einer Vorwärtsbewegung in vertikaler Richtung führt, so dass ein Ablösen des Kinnschutzes von der Haube erfolgt, und was eine nachfolgende Rückwärtsbewegung ergibt, so dass der Kinnschutz in der Position der vollständigen Öffnung mit der Oberseite der Haube im wesentlichen in Eingriff steht,

2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 26. September 2009 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, der nicht durch Abzug von Fixkosten und variablen Gemeinkosten gemindert ist,

wobei die Beklagte zum Nachweis der Angaben zu b) und c) die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen oder Lieferscheine) in Kopie vorzulegen hat;

3. die vorstehend unter Ziffer I.1. bezeichneten, in ihrem Besitz oder Eigentum befindlichen Erzeugnisse zu vernichten oder an einem vom Kläger zu bestimmenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten des Beklagten herauszugeben;

II. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziffer I.1. bezeichneten und seit dem 26. September 2009 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie stellt eine Verletzung des Klagepatentes in Abrede. Die angegriffene Ausführungsform mache weder mit wortsinngemäßen noch mit äquivalenten Mitteln von der Lehre nach dem Klagepatent Gebrauch. Es sei technisch nicht unerheblich wie die Verbindung zwischen dem ersten und dem dritten Stift erfolge; entsprechend sei es auch nicht unerheblich, ob lediglich eine freie Drehbarkeit des Ausgleichsstabes über einen Stift erfolge. Der Anspruch gebe anderes vor. Entsprechend liege auch keine äquivalente Verwirklichung vor, da die abgewandelte Lösung nicht gleichwertig sei. Es werde das Gegenteil zur Lehre des Anspruchs umgesetzt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre nach dem Klagepatent weder wortsinngemäßen noch äquivalenten Gebrauch, so dass die mit der vorliegenden Klage geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung und Schadensersatzfeststellung sowie Vernichtung abzuweisen sind.

I.
Die Erfindung nach dem Klagepatent betrifft einen Integralhelm für Motorradfahrer, Motorsportrennfahrer und Sportler im allgemeinen, der mit einer Vorrichtung ausgerüstet ist, der in zuverlässiger Weise das Öffnen und Schließen des Kinnschutzes der Kinnschutz-Visier-Einheit ermöglicht und einen verminderten vertikalen Raum in dem Helm benötigt, wenn sich der Kinnschutz oder die Kinnschutz-Visier-Einheit in der Position der vollständigen Öffnung befindet. Ein Integralhelm entsprechend des Oberbegriffs des Anspruchs 1 ist, so die Klagepatentschrift, aus der EP-A 0258XXX bekannt.

Zum Hintergrund der Erfindung führt das Klagepatent aus, dass bei sogenannten Integralhelmen im Unterschied zu Jethelmen ein Teil der Fronthaube dem Bereich des Kinns des Benutzers entspricht, wobei bei einigen Ausführungsformen jener Teil mit der Haube einstückig ausgebildet und bei anderen Ausführungsformen getrennt verwirklicht sowie abnehmbar oder drehbar mit der Haube verbunden ist, so dass dieser Teil anhebbar ist, in einigen Fällen zusammen mit dem Visier. Im Allgemeinen ist dieser Vorderteil, der üblicherweise als „Kinnschutz“ bezeichnet wird, dann, wenn er anhebbar ausgebildet ist, so gestaltet, dass er an seinen gegenüberliegenden Seiten einen Teil hat, der im Wesentlichen wie der Seitenbereich der Haube gebogen ist. Ferner ist der Teil in der Größe derart bemessen, dass er zusammen mit dem Kinnschutz einen gebogenen Arm oder Flansch bildet, und zwar derart, dass er an einem mit der Haube einstückig verbundenen Stift angelenkt sein kann. Genauer gesagt ist bei den vorhandenen Lösungen, bei welchen der Kinnschutz geöffnet werden kann und anhebbar ist, sowohl das Visier als auch der Kinnschutz um Stifte drehbar, die einstückig an den gegenüberliegenden Seiten der Haube angebracht sind, und es sind verschiedene Mittel vorgesehen, um den Kinnschutz und/oder das Visier in der geschlossenen Position zu verriegeln.

An diesen aus dem Stand der Technik bekannten Integralhelmen mit Kinnschutz, bei denen das Anheben des Kinnschutzes oder der Kinnschutzgruppe oder –einheit vorgesehen ist, um diesen Teil durch Drehen um an der Haube befestigte Stifte zu bewirken, sieht es das Klagepatent als nachteilig an, dass der Kinnschutz einen großen Raum einnimmt, wenn er sich in der vollständig geöffneten Position befindet. Da der Kinnschutz tatsächlich im allgemeinen bezüglich der Haube eine vorstehende Position einnimmt, ergibt die Drehung des Kinnschutzes um einen festen Stift (einen auf jeder Seite der Haube) und sein Kippen an der Haubenoberseite für den Kinnschutz oder die Kinnschutz-Visier-Einheit in der offenen Position einen großen Abstand von der Haube und deshalb einen hohen vertikalen Raum, der von der Haube eingenommen wird. Dies führt zu aerodynamischen und ästhetischen Schwierigkeiten. Ein anderer Nachteil zum Öffnen des Kinnschutzes besteht darin, dass spezielle Vorrichtungen benötigt werden, um in jedem Fall ein stabiles Halten des Kinnschutzes in der offenen Position sicherzustellen, um ein plötzliches und unerwünschtes Schließen zu verhindern. Derartige Vorrichtungen können es auch erforderlich machen, dass durch den Benutzer eine Folge von Vorgängen durchgeführt werden muss, die ihn vom Fahren ablenken kann und in speziellen Situationen sogar unangenehme Bedingungen entstehen lässt.

Vor dem Hintergrund dieses Standes der Technik hat es sich die Erfindung nach dem Klagepatent zur Aufgabe gemacht, einen Integralhelm zu verwirklichen, der mit einer Vorrichtung zum Öffnen des Kinnschutzes ausgerüstet und derart gestaltet ist, dass die Nachteile der gegenwärtigen Mechanismen zum Öffnen und Drehen des Kinnschutzes und des zugehörigen Visiers vermieden werden, was zu offensichtlichen Vorteilen sowohl in praktischer als auch ästhetischer Hinsicht führt. Eine andere Aufgabe der Erfindung besteht darin, einen Integralhelm mit einer Vorrichtung zum Öffnen des Kinnschutzes anzugeben, die derart aufgebaut ist, dass sowohl beim Öffnen als auch beim Schließen die höchste Stabilität des Kinnschutzes in der gewünschten Position gegeben ist, ohne Risiken einer willkürlichen Verschiebung aus dieser Position. Eine weitere Aufgabe besteht in der Verwirklichung eines Integralhelms für Motorradfahrer, der mit einem zu öffnenden und kippbaren Kinnschutz ausgerüstet ist, um die Forderungen der Widerstandfähigkeit voll zu erfüllen, die für diese Helmart durch die neuesten internationalen Normen gegeben sind. Hierzu schlägt das Klagepatent in der durch die Klägerin erfolgten deutschen Übersetzung des Patentanspruches 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:

1. Integralhelm für Motorradfahrer, Motorsportrennfahrer, Sportler und dergleichen, mit

2. einer Haube (2),

3. einem anhebbaren und drehbar zu öffnenden Visier (8),

4. einem anhebbaren Kinnschutz (3), der mit zwei Seitenflanschen (3a) zur Befestigung an den gegenüberliegenden Seiten der genannten Haube (2) versehen ist und

5. einer Vorrichtung zum Öffnen und Schließen des Kinnschutzes,

5.1 die von zwei angelenkten Strukturen an den Seiten der Haube gebildet wird,

5.2 welche entsprechend den genannten Seitenflanschen (3a) angeordnet sind,

6. wobei jede der angelenkten Strukturen aufweist:

6.1 einen ersten Stift (5) und einen zweiten Stift (4) einstückig mit der Haube,

6.2 einen dritten Stift (7) und einen vierten Stift (6) einstückig mit dem Seitenflansch des Kinnschutzes (3a) und

6.3 eine mit der Haube (2) einstückig ausgebildete Trägerplatte (1), die mit einem nach oben gerichteten gebogenen Führungsschlitz (11) versehen ist,

7. wobei der erste Stift (5) über einen ersten Ausgleichsstab (9), der an dem ersten und dem dritten Stift frei drehbar ist, mit dem dritten Stift (7) verbunden ist,

8. der zweite Stift (4) über einen zweiten Ausgleichsstab (10), der an dem zweiten und dem vierten Stift frei drehbar ist, mit dem vierten Stift (6) verbunden ist und

9. der vierte Stift (6) auch in einer gleitend verschiebbaren Weise in den in der Trägerplatte vorgesehenen Führungsschlitz (11) eingesetzt ist, und

10. wobei der Kinnschutz entsprechend einem im Wesentlichen elliptischen Bahnverlauf mit einer Dreh- und Vorwärtsbewegung anhebbar und zu öffnen ist,

10.1 was am Beginn des Anhebens zu einer Vorwärtsbewegung führt, so dass ein Ablösen des Kinnschutzes von der Haube erfolgt,

10.2 und was eine nachfolgende Rückwärtsbewegung ergibt, so dass der Kinnschutz in der Position der vollständigen Öffnung mit der Oberseite der Haube im Wesentlichen im Eingriff steht.

III.
Von dieser vorstehend in einer Merkmalsgliederung beschriebenen Lehre des Klagepatentes macht die angegriffene Ausführungsform weder wortsinngemäßen noch äquivalenten Gebrauch. Unabhängig von der Frage der Verwirklichung der zwischen den Parteien im Streit stehenden Merkmale 6.2 und 6.3 sowie 9. und 10.1 macht die angegriffene Ausführungsform jedenfalls von dem Merkmal 7 keinen Gebrauch.

Gemäß Merkmal 7 ist der erste Stift (5) über einen ersten Ausgleichsstab (9), der an dem ersten und dem dritten Stift frei drehbar ist, mit dem dritten Stift (7) verbunden. Eine wortsinngemäße Verwirklichung scheidet vorliegend aus, da das Merkmal ausdrücklich eine freie Drehbarkeit des ersten Ausgleichsstabes an dem ersten und dritten Stift vorsieht, d.h. nicht nur eine freie Drehbarkeit an einem der beiden Stifte. Eine solche freie Drehbarkeit um beide Stifte weist die angegriffene Ausführungsform hingegen nicht auf, was zwischen den Parteien außer Streit steht. Bei der angegriffenen Ausführungsform ist der Ausgleichsstab an dem dritten Stift nicht frei drehbar, da dieser einstückig mit dem Ausgleichsstab ausgebildet ist. Zwar mag es, wie die Klägerin meint, dem Klagepatent technisch lediglich darauf ankommen, dass die einzelnen Glieder im Verhältnis zueinander um ein Gelenk frei rotieren können, so dass es lediglich erforderlich ist, dass der Ausgleichsstab an der Achse des dritten Stiftes drehbar gelagert ist. Ein solch rein funktionales Verständnis steht jedoch im Widerspruch zum Wortlaut des Merkmals, welches ausdrücklich eine freie Drehbarkeit des ersten Ausgleichsstabes an dem ersten und dritten Stift vorsieht. Die gebotene funktionale Betrachtung darf bei räumlich-körperlich definierten Merkmalen jedoch nicht dazu führen, dass sein Inhalt auf die bloße Funktion reduziert und das Merkmal in einem Sinn interpretiert wird, der mit der räumlich-körperlichen Ausgestaltung, wie sie dem Merkmal eigen ist, nicht mehr in Übereinstimmung steht. Anderenfalls würde die Grenze zwischen wortsinngemäßer und äquivalenter Benutzung aufgelöst (vgl. Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten der Praxis, 4. Aufl. Rn. 24). Eine solche wie von der Klägerin vorgenommene rein funktionale Betrachtung, würde sich daher über die ausdrücklichen Angaben im Merkmal 7 hinwegsetzten, was nicht zulässig ist. Eine wortsinngemäße Verletzung des Merkmals liegt daher nicht vor.

Hingegen vermag die Kammer auch eine äquivalente Verwirklichung nicht festzustellen. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgeht, dass die erforderliche Gleichwirkung gegeben ist, und man ferner zu ihren Gunsten unterstellt, dass der Fachmann die abgewandelten Mittel der angegriffenen Ausführungsform auf Grund seiner Fachkenntnisse ohne erfinderisches Bemühen auffinden konnte, fehlt es an der Voraussetzung, dass der angesprochene Durchschnittsfachmann die bei dem angegriffenen Integralhelmverwirklichte Abwandlung als eine der im Wortsinn des Patentanspruchs 1 beschriebenen Lösung gleichwertige Alternative in Betracht zieht. Es ist insofern nicht ausreichend, dass der Fachmann auf Grund seines Fachwissens eine Abwandlung als technisch sinnvoll und objektiv gleichwirkend zu der in den Patentansprüchen formulierten Lehre erkennt. Vielmehr müssen seine Überlegungen beim Auffinden der Abwandlung an der in den Patentansprüchen zum Ausdruck gebrachten technischen Lehre anknüpfen. Solches ist nicht zu erkennen. Denn der Patentanspruch gibt eine konkrete Ausgestaltung eines erfindungsgemäßen Integralhelms vor und für eine andersartige Ausgestaltung, gegenteilig zum Wortlaut des Patentanspruchs, gibt es keinen Anhaltspunkt. Das Klagepatent stellt, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, eine Viergelenkanordnung unter Schutz. Dabei wird jedoch die Anordnung der Gelenke vom Klagepatent nicht offen gelassen, sondern in einer bestimmten räumlich- körperlichen Ausgestaltung die Anordnung der Stifte und Ausgleichstäbe zueinander im Zusammenhang mit dem Seitenflansch des Kinnschutzes und der Haube beschrieben. Dies folgt aus dem Patentanspruch und der Beschreibung. Danach sollen zwei Stifte einstückig oder wie die Klägerin meint, integral, mit der Haube verbunden sein, während die beiden weiteren Stifte einstückig/integral mit dem Seitenflansch in Verbindung stehen. Die Stifte an Haube und Seitenflansch werden über die Ausgleichsstäbe, welche frei drehbar sind, miteinander verbunden. Die Bewegung des Kinnschutzes wird über den vierten Stift, der sich auf dem Seitenflansch des Kinnschutzes befindet, vermittels des Führungsschlitzes, der sich auf einer Trägerplatte befindet, die einstückig mit der Haube ausgebildet, übertragen. Diese konkrete räumlich-körperliche Ausgestaltung bewirkt eine Bewegung des Kinnschutzes zunächst nach vorne, um dann entlang der Haube nach hinten verschoben zu werden. Hierdurch wird die erfindungsgemäße Aufgabe erfüllt, die Nachteile aus dem Stand der Technik zu vermeiden, insbesondere den großen Abstand des Kinnschutzes von der Haube und deshalb einen hohen vertikalen Raum. Entsprechend wird auch in dem einzigen Ausführungsbeispiel eine Anordnung gezeigt, welche konkret dem Wortlaut des Anspruchs entspricht.

Für eine andere Ausgestaltung gibt das Klagepatent vor dem Hintergrund dieser im Anspruch konkret beschriebenen Ausgestaltung keinen Anhaltspunkt. Insbesondere ist weder zu erkennen noch von der Klägerin dargetan worden, aus welchem Grunde das Klagepatent gerade für eine zum Wortlaut des Anspruchs gegenteilige Ausgestaltung Anlass geben sollte. Eine äquivalente Verwirklichung scheidet daher aus.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 108 ZPO.

Der Streitwert beträgt 500.000,- EUR.