2 U 814/03 – Bahnsteig

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 324

Thüringer Oberlandesgericht
Urteil vom 10. März 2004, Az. 2 U 814/03

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 22.05.2003, Az. 3 O 988/02, wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist – nach unstreitiger Übertragung durch den Anmelder – Inhaberin des rechtskräftigen Europäischen Patents 0 357 161, betreffend einen Bahnsteig, dessen deutscher Anteil unter der Nummer 589 02 550.3-08 am 02.12.1992 im Patentblatt des Deutschen Patentamtes bekannt gegeben wurde. Der im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachte Patentanspruch 1 des Klagepatents enthält folgende Merkmale:

a) ein Bahnsteig
b) mit Hohlraum für eine Leitungstrasse
c) unter einer plattierten Laufebene
d) der teils aus Betonfertigteilen besteht,
gekennzeichnet durch
e 1) quer zur Bahnsteiglängsachse sind mit Abstand zueinander U-förmige Betonsockel
e 2) mit nach oben weisenden Höckern
f) auf dem U-förmigen Betonsockel liegen zueinander parallele, in Bahnsteiglängsachse sich erstreckende Längsträger
g) auf den Längsträgern ruhen, in einem fugenbildenden Abstand, Laufplatten
h) die Laufplatten überdecken die Längsträger quer und überragen sie wenigstens einseitig zur Bildung einer Fluchtnische
i) die Laufplatten sind in ihren Fugen mit Vergussmasse verfüllt.

Wegen der Beschreibung und der Zeichnungen, insbesondere der Fig. 4 des Klagepatentes wird auf die Klagepatentschrift (Anlage K 1) Bezug genommen.

Die Beklagte errichtete im Jahre 2000 für den Bahnhof G einen Bahnsteig, der die durch die Anlage B 2 bildlich dargestellte Ausführungsform besitzt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dadurch sei ihr Klagepatent verletzt worden. Sie hat beantragt, die Beklagte insoweit zur Unterlassung sowie zur Rechnungslegung zu verurteilen und ihre Schadensersatzpflicht festzustellen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und die Auffassung vertreten, bei der von ihr gewählten Ausführungsform habe sie sich berechtigt auf ein Patent DE 42 05 192 C 2 gestützt. Mehrere Merkmale des Klagepatents seien nicht, auch nicht in Form äquivalenter Benutzung, erfüllt.

Das Landgericht hat die Klage im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, das Merkmal g) sei deshalb nicht äquivalent benutzt worden, da die Beklagte insoweit den Sinngehalt des Klagepatentes verlassen habe.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre zuletzt gestellten, erstinstanzlichen Anträge weiter. Sie trägt im einzelnen vor, dass sämtliche Merkmale des Klagepatents entweder wortsinngemäß oder äquivalent benutzt worden seien.

Sie beantragt,

das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Erfurt vom 22.05.2003 – 3 O 988/02 – abzuändern und die Beklagten zu verurteilen,

I.1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft oder von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollziehen an den Beklagten zu 2) und 3)

zu unterlassen,

Bahnsteige herzustellen, herstellen zu lassen, zu liefern, anzubieten, zu importieren oder zu den genannten Zwecken zu besitzen, welche folgende Merkmale aufweisen:

a) es handelt sich um einen Bahnsteig
b) mit einem Hohlraum für eine Leitungstrasse
c) unter einer Laufebene,
d) der Bahnsteig besteht aus teils Betonfertigteilen,
e1) quer zur Bahnsteiglängsachse sind mit Abstand zueinander quaderförmige Fundamente, insbesondere aus Beton, angeordnet,
e2) auf der Oberseite seiner Fundamente sind mit Abstand zueinander und gegen Verschieben gesicherte Sockel so angeordnet, dass Fundamente und Sockel zusammen eine U-förmige Konstruktion mit nach oben weisenden Höckern bilden,
f) auf den Sockeln liegen in Bahnsteiglängsrichtung zueinander parallele Längsträger,
g) auf den Längsträgern sind Platten, insbesondere Filigranplatten, angeordnet und befestigt,
h) diese Platten überdecken die Längsträger quer,
i) auf diesen Platten befinden sich ein begehbarer Belag, insbesondere aus Ortbeton,
j) die Platten und/oder die begehbare Belagschicht überragen wenigstens einen Längsträger zur Bildung einer Fluchtnische,
k) die Platten (insbesondere Filigranplatten) sind in ihren Fugen mit einem Füllmittel, beispielsweise Mörtel und/oder Ortbeton, gefüllt.

I.2. der Klägerin durch Vorlage eines mit dem 28.11.1992 beginnenden Verzeichnisses Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die unter I.1. bezeichneten Handlungen begangen haben und zwar unter Angabe,

2.1. der Stückzahl der nach I.1. hergestellten Bahnsteige/Beton-fertigteile, aufgeschlüsselt nach Herstellungszeit und Herstellungsort, Fläche der Laufplatten des Bahnsteiges,
2.2. der beim Vertrieb damit erzielten Erlöse unter Aufschlüsselung der einzelnen Kostenfaktoren für Gestehungskosten sowie erzielten Gewinn,
2.3. der Abnehmer mit Name und Anschrift,
2.4. von Art und Umfang der für Bahnsteige oder Betonfertigteile betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagehöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
2.5. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Ort des Bahnsteiges, Verwenders der Betonfertigteile, geplanter Herstellungszeit und Angebotspreis, Namen und Anschrift der Angebotsempfänger;

II. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr allen Schaden zu ersetzen, der ihr aus Handlungen der Beklagten seit dem 28.11.1992 gem. Ziff. 1.1. bereits entstanden ist oder noch entstehen wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Aus zutreffenden Erwägungen heraus hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Ein Anspruch der Klägerin aus § 139 PatG besteht nicht, weil die Beklagte die zugunsten der Klägerin patentierte Erfindung weder wortsinngemäß noch in äquivalenter Form benutzt und damit dessen Schutzbereich nicht verletzt hat.

1.)

a)
Maßgeblich für die Bestimmung des Schutzbereichs des klägerischen Patents ist der Inhalt der Patentansprüche (§§ 69 EPÜ, 14 PatG). Die Merkmale des Hauptanspruches (sog. Merkmalsanalyse, vgl. BGH GRUR 1986, 803, 804 f. – Formstein) sind zwischen den Parteien unstreitig. Die von der Beklagten betonte Unterscheidung zwischen Oberbegriff und kennzeichnendem Teil kann dabei dahinstehen, da es für die Erfassung des Patentes nicht von Bedeutung ist, ob ein in Wirklichkeit erfinderisches Merkmal lediglich im Oberbegriff auftaucht (vgl. BGH GRUR 1994, 357 – Muffelofen).

Maßgeblich ist für den vorliegenden Rechtsstreit der Patentanspruch 1 als Hauptanspruch, auf den allein sich die Klägerin bezieht. Dieser Hauptanspruch muss alle Merkmale enthalten, die zur Lösung der gestellten Aufgabe gemäß der Erfindung erforderlich sind. Die unstreitigen Merkmale des Patentanspruches 1 sind:

a) ein Bahnsteig
b) mit Hohlraum für eine Leitungstrasse
c) unter einer plattierten Laufebene
d) der Bahnsteig besteht teils aus Betonfertigteilen
e 1) quer zur Bahnsteiglängsachse sind mit Abstand zueinander U-förmige
Betonsockel
e 2) mit nach oben weisenden Höckern
f) auf dem U-förmigen Betonsockel liegen zueinander parallele, in
Bahnsteiglängsachse sich erstreckende Längsträger
g) auf den Längsträgern ruhen, in einem fugenbildenden Abstand,
Laufplatten
h) die Laufplatten überdecken die Längsträger quer und überragen sie
wenigstens einseitig zur Bildung einer Fluchtnische
i) die Laufplatten sind in ihren Fugen mit Vergussmasse verfüllt.

Die Klägerin kann nur dasjenige, was in den Patentansprüchen als wesentliche Merkmale der Erfindung angegeben ist, dem Schutzbereich des Patents nach § 14 Satz 1 PatG zuordnen. Für die Beurteilung des Schutzbereichs des Patents sind nach § 14 Satz 2 PatG bei der Auslegung die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen.

Sind allerdings nur in der Beschreibung oder den Zeichnungen wesentliche Merkmale der Erfindung niedergelegt, so sind sie für die Beurteilung des Inhalts der Patentansprüche unmaßgeblich, solange sie nicht im Wortlaut der Patentansprüche ihren Niederschlag gefunden haben. Auch Anwendungsbeispiele, die durch die im Patentanspruch angegebenen Lösungsmerkmale nicht erforderlich sind, rechnen nicht zum Gegenstand des Patents. Ansonsten können die Beschreibung und die Zeichnungen bei der Auslegung der in den Patentansprüchen verwendeten technischen Begriffe sowie zur Klärung der Bedeutung und der Tragweite der Erfindung verwendet werden (BGH GRUR 1994, 597, 599 – Zerlegvorrichtung für Baumstämme). Auch das in der Beschreibung dargestellte technische Problem der Erfindung und seine Lösung ist wesentlich für die Bestimmung des Schutzbereichs der Patentansprüche.

Ohne Bedeutung für die Ermittlung des Schutzumfanges ist der Inhalt der Erteilungsakten. Das gilt entgegen der Auffassung der Beklagten auch für Angaben, die nur in der Prioritätspatentschrift, nicht dagegen in der Streitpatentschrift offenbart sind (vgl. Benkard-Ullmann PatG, 9. A., § 14 Rn. 33 m.w.N.). Daher spielt der Unterschied zwischen dem Wortlaut der prioritätsbegründenden Offenbarung und dem Wortlaut des Klagepatents keine entscheidende Rolle.

b)
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist in Bezug auf die Merkmale c), g) und i) davon auszugehen, dass vom Schutzbereich des Klagepatents (nur) solche Laufplatten erfasst sind, die vorgefertigt sind und die nach ihrer Aneinanderreihung und Verfugung die (oberste) Laufebene des Bahnsteiges bilden. Dass dieses Verständnis von Laufplatte und Laufebene dem Klagepatent zugrunde liegt, zeigt bereits die (mangelnde) Differenzierung in Fig. 1 in Bezug auf die Darstellungselemente 1 und 7. Eine Laufebene, wie sie der Patentanspruch 2 erwähnt, ist demzufolge nur die Oberfläche der Laufplatte. Das gilt auch für das Darstellungselement 57 in Fig. 5.

Fig. 4 und die entsprechende Erläuterung in Sp. 5 z. 12 ff. der Beschreibung können demgegenüber nicht dafür herangezogen werden, dass auch andere Gestaltungen der Laufebene, nämlich durch Bedeckung mit Ortbeton oder Pflastersteinen, zum Schutzbereich des Patents gehören. Fig. 4 enthält nämlich ein Ausführungsbeispiel, das den technischen Begriff der „Laufplatte“ nicht in dem genannten Sinne erläutert, sondern ein Ausführungsbeispiel erwähnt, das über den Wortlaut des Patentanspruches 1 hinausgeht und daher keine eigenständige Bedeutung hat. Fig. 4 dient in erster Linie als Darstellung eines Ausführungsbeispiels für ein Oberflächengefälle, nicht aber als Erläuterung oder gar Ausweitung des Begriffes der „Laufplatte“. Laufplatten im Sinne des Klagepatents sind stets vorgefertigte Platten. Dies zeigen die Ausführungsbeispiele in den Patentansprüchen 2 – 9, die auf besondere Ausgestaltungen der Laufplatten hinweisen, die immer nur mit den Zeichnungsnummern 1, 34 oder 54 bezeichnet sind. Dies sind nach den Zeichnungen Fig. 1 – 5 aber immer nur vorgefertigte Platten. Außerdem entspricht dieses Verständnis des Begriffes „Laufplatte“ der Beschreibung in Bezug auf die Erstellung des Bahnsteigkörpers in Sp. 1 Z. 42 – Sp. 2 Z. 11. Eine solche Auslegung entspricht auch der beschriebenen Problemlösung (Sp. 1 Z. 30 ff.), wonach der Bahnsteig preiswert herstellbar ist, was nur durch Verwendung vorgefertigter Teile gewährleistet wird. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil in Sp. 2 Z. 33 der Beschreibung die Verwendung von Ortbeton in Erwägung gezogen wird. Denn dies steht in einem ganz anderen Zusammenhang, nämlich im Zusammenhang mit der Herstellung der Betonsockel.

Insoweit ist der Schutzbereich des Klagepatents entgegen der Auffassung der Klägerin also bereits eingeschränkt. In Bezug auf alle anderen Merkmale ist eine Ermittlung des Schutzbereichs des Klagepatents durch Auslegung nicht erforderlich, weil die Merkmale in ihrer Bedeutung und Tragweite zwischen den Parteien unstreitig oder so ausreichend klar sind, dass es keiner Auslegung bedarf.

2.)

Die angegriffene Ausführungsform der Beklagten macht, was für eine Patentverletzung erforderlich wäre, nicht von sämtlichen Merkmalen wortsinngemäß oder äquivalent Gebrauch (vgl. Mes PatG, § 14 Rn. 32). Eine äquivalente Benutzung liegt vor, wenn der Fachmann aufgrund von Überlegungen, die am Sinngehalt der Patentansprüche anknüpfen, die bei der angegriffenen Ausführungsform eingesetzten abgewandelten Mittel mit Hilfe seiner Fachkenntnisse zur Lösung des der Erfindung zugrunde liegenden Problems als gleichwirkend auffinden konnte (vgl. BGH GRUR 1994, 597, 600 – Zerlegevorrichtung für Baumstämme). Dazu im Einzelnen:

a)
Dass die Ausführungsform der Beklagten einen Bahnsteig betrifft, der teils aus Betonfertigteilen besteht (Merkmale a) und d) der Merkmalsanalyse), ist unzweifelhaft und wird von der Beklagten nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Daran ändert auch die Vorlage eines (älteren) Schweizer Patentes, das nur ganz allgemein den vorgefundenen Stand der Technik im Verkehrswegebau dokumentiert, nichts.

Auch die Verwendung des Merkmales f), nämlich das Aufbringen von Längsträgern, ist von der Beklagten nicht bestritten. Hier kann ohne weiteres eine wortsinngemäße Verwendung angenommen werden.

b)
Hinsichtlich des Merkmales b) geht der Senat von einer Benutzung aus. Ein durch die Zusammensetzung von Bauteilen entstehender Hohlkörper ist auch bei der angegriffenen Ausführungsform identisch vorhanden. Demselben Zweck muss das (identisch) benutzte Merkmal nicht dienen (vgl. BGH GRUR 1991, 436, 441 – Befestigungsvorrichtung II), auch wenn das Klagepatent eine gewisse Zweckbestimmung für den Hohlraum anspricht. Denn das Klagepatent erfährt durch eine Wirkungs- oder Funktionsangabe keine Einschränkung (vgl. BGH aaO. S. 441 – Befestigungsvorrichtung II). Es kommt deshalb in Bezug auf das identische Vorhandensein eines Hohlraumes bei der Ausführungsform der Beklagten nicht darauf an, dass der entstandene Hohlraum nicht geeignet ist, eine Leitungstrasse aufzunehmen, weil der Hohlraum von der Beklagten vollständig verschlossen wurde.

Gleiches gilt für das Merkmal h). Auch hier ist die Ausführungsform der Beklagten insoweit identisch, als die Längsträger quer überragt werden. Dass der Zweck der Bildung einer Fluchtnische aufgrund der örtlichen Besonderheiten des Bahnhofes G nicht erreicht wird, weil die Höhe des Bahnsteiges eine Fluchtnische nicht erforderlich macht, ist demgegenüber unerheblich (vgl. BGH aaO. – Befestigungsvorrichtung II).

c)
In Hinblick auf das Merkmal e) liegt eine identische Gebrauchmachung der Lehre des Patents zweifelsfrei nicht vor. Bei der Ausführungsform der Beklagten sind die Sockel, die zum Einsatz gelangen, dreiteilige Elemente, während die Klägerin vorgefertigte oder unter Verwendung von Ortbeton hergestellte einstückige U-förmige Betonsockel vorsieht. Die Beklagte kann sich zwar insoweit nicht auf eine Erfindungsqualität ihrer abgewandelten Ausführungsform berufen, die darin bestehen soll, dass solche dreiteiligen Elemente eine geringere Beanspruchung des Bodenbereiches unterhalb des Fundamentes zur Folge habe, die bei vorhandenen Entwässerungsleitungen bedeutsam und wünschenswert sei. Denn dieser Erfindungsgedanke kann dem – nach dem Vortrag der Beklagten benutzten – Patent DE 42 05 192 C2 nicht entnommen werden. Dort geht es um eine erwünschte Höhenflexibilität bzw. einen verbesserten Korrosionsschutz (vgl. Sp. 1 Z. 42 ff. bzw. Sp. 1 Z. 32 ff. der Beschreibung des Patentes DE 42 05 192 C2). Eine weitergehende erfinderische Qualität wegen der Bodenentlastung ist auch nicht nachvollziehbar dargelegt.

Allerdings liegt zur Überzeugung des Senats bezüglich des Merkmals e) eine äquivalente Benutzung deshalb vor, weil sich dem Fachmann aus dem Stand der Technik und der Lehre des Klagepatents ohne weiteres erschließt, dass die Betonsockel zur Bildung der Höcker auch aus mehreren Teilen zusammengesetzt werden können. Die Beschreibung des Klagepatents weist insoweit in Sp. 2 Z. 33 ff. sogar auf eine Abweichung von der Vorfertigung hin.

d)
In Bezug auf das Merkmal c) wie auch bei den (inhaltlich entsprechenden) Merkmalen h) und i) der Merkmalsanalyse liegen jedoch weder eine wortsinngemäße noch eine äquivalente Benutzung vor. Zur Herstellung der Laufebene werden bei der Ausführungsform der Beklagten nicht vorgefertigte, aneinandergereihte und verfugte Laufplatten, sondern vorgefertigte Filigranplatten verwendet werden, auf die eine vor Ort gegossene Betonschicht gegossen wird, um eine weitere Pflasterung aufzunehmen.

aa)
Eine wortsinngemäße Verwendung des Patentes liegt insoweit unzweifelhaft nicht vor. Denn die Laufebene ist bei der angegriffenen Ausführungsform weder plattiert, weil sie nicht nur aus vorgefertigten Platten besteht, noch ruhen die Laufplatten in einem fugenbildenden Abstand, wobei die Fugen mit Vergussmasse verfüllt werden. Vielmehr wählt die Ausführungsform eine andere Laufebene, die nicht nur aus Platten besteht, sondern zusätzlich aus einer vor Ort gegossenen Betonschicht, die mit einer Pflasterung abschließt.

Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, die von der Beklagten eingesetzten Filigranplatten stellten als konstruktives Element dieselbe plattierte Laufebene dar wie ihre Laufplatten in fugenbildendem Abstand. Zum einen handelt es sich – wie bereits ausgeführt – bei den Filigranplatten nicht um die plattierte Laufebene, da diese bei der Ausführungsform der Beklagten erst durch die vor Ort zu gießende Ortbetonschicht (und den Pflasterauftrag) gebildet wird. Daran ändert auch nichts, dass die Kanten der Filigranplatten als Ersatz für eine verlorene oder verschiebbare Schalung verwendet werden. Denn jedenfalls werden die Filigranplatten selbst dadurch nicht zur Laufebene. Zum anderen hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch – von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen – darauf hingewiesen, dass die Filigranplatten deshalb keine Laufeben seien, weil Träger bis zum Sockel durchragen, also ein Verbund (Stabilelement) entsteht, der die Filigranplatten von einer Laufplatte oder Laufebene unterscheidet.

bb)
Insoweit kann auch nicht von einer äquivalenten Benutzung gesprochen werden. Eine äquivalente Benutzung liegt vor, wenn der Fachmann aufgrund von Überlegungen, die am Sinngehalt der Patentansprüche anknüpfen, die bei der angegriffenen Ausführungsform eingesetzten abgewandelten Mittel mit Hilfe seiner Fachkenntnisse zur Lösung des der Erfindung zugrunde liegenden Problems als gleichwirkend auffinden konnte (vgl. BGH GRUR 1994, 597, 600 – Zerlegevorrichtung für Baumstämme). Hierbei ist aber auch der (nach den obigen Ausführungen gegenüber der Auffassung der Klägerin eingeschränkte) Schutzbereich des Klagepatents zu berücksichtigen.

(1)

Eine technische Gleichwirkung der angegriffenen Ausführungsform kann zwar noch angenommen werden. Bei beiden Erfindungen entsteht nämlich eine ebene Lauffläche für Bahnreisende. Die durch das Klagepatent angestrebte Wirkung tritt also im wesentlichen auch bei der Ausführungsform der Beklagten ein. Dies ist aber im Bahnsteigbau auch eine Selbstverständlichkeit.

(2)

Der Fachmann konnte das ausgetauschte Mittel, hier also die von der Beklagten vorgesehene Verwendung vorgefertigter Filigranplatten, auf die eine vor Ort gegossene Betonschicht gegossen wird, um eine weitere Pflasterung aufzunehmen, aufgrund seiner Fachkenntnisse jedoch nicht anhand von solchen Überlegungen auffinden, die am Sinngehalt der Patentansprüche der Klägerin anknüpfen (vgl. BGH GRUR 2002, 511 ff. – Kunststoffrohrteil; BGH GRUR 1994, 597, 600 – Zerlegvorrichtung für Baumstämme). Zum Fachwissen zählt zwar der gesamte Stand der Technik, zu dem der Gedanke, eine Betonschicht für eine Bahnsteigfläche mit Hilfe einer Schalung vor Ort zu gießen, unzweifelhaft auch gehört. Dies gilt auch für das Aufbringen einer Pflasterung. Allerdings, und darauf hat bereits das Landgericht zu Recht abgestellt, knüpft der Gedanke, eine vor Ort zu gießende Betonebene als Laufebene zu verwenden, nicht mehr an den Sinngehalt des Klagepatentes an, sondern hat diesen bereits verlassen. Hierzu im Einzelnen:

Das Klagepatent hatte sich zur Aufgabe gestellt (vgl. Sp. 1 Z. 30 ff.) einen Bahnsteig vorzuschlagen, der

– sehr schnell und preiswert herstellbar ist,
– eine kurze Sperrzeit für Gleise benötigt,
– notwendige Reparaturarbeiten sowie Nachinstallationen auf oder unter dem
gesamten Bahnsteig ohne Erdarbeiten ermöglicht
– eine Fluchtnische für Rangierer bietet und
– maschinelles Durcharbeiten der Gleise im Bahnhof ermöglicht.

Betrachtet man diese Aufgaben des Klagepatents in Bezug auf die Verwirklichung bei den Patentansprüchen c), h) und i), so ist in Hinblick auf die hier nur maßgebliche Gestaltung der Laufebene nur von Bedeutung, ob diese

– sehr schnell und preiswert herstellbar ist und
– notwendige Reparaturarbeiten sowie Nachinstallationen auf oder unter dem
gesamten Bahnsteig ohne Erdarbeiten ermöglicht.

Alle weiteren Aufgaben des Klagepatents stehen mit der Ausführung der Laufebene nicht in Verbindung. Für das Ausgießen einer Betonfläche ist keine Gleissperrung erforderlich. Dies hat das Landgericht ohne ausreichende Begründung angenommen, kann jedoch, wie die Klägerin nachvollziehbar dargelegt hat, nur dann gelten, wenn es sich um einen Bahnsteig handelt, der zwischen Gleisen liegt oder eine Anfuhr von Baumaterialien nur auf dem Schienenweg möglich ist. All dies ist im Streitfall jedoch nicht gegeben. Das Vorhandensein einer Fluchtnische und die Durcharbeitungsmöglichkeit stehen allein mit der Gamma-Form des Bahnsteiges in Verbindung, nicht aber mit der Beschaffenheit der Lauffläche.

In Hinblick auf die Reparaturerleichterungen verlässt die Ausführungsform zur Überzeugung des Senats den Sinngehalt des Klagepatentes aber bereits unzweifelhaft. Denn die Einstiegsluken werden nach dem Klagepatent auch an vorgefertigten Platten angebracht, so dass das „Baukastensystem“ nicht verlassen werden muss, um einfache Einstiegsmöglichkeiten zu erreichen. Diesen Vorteil gibt es bei einer durchgegossenen Ortbetonschicht nicht.

Schließlich wird der Sinngehalt des Klagepatentes vor allem durch das Aufbringen einer durchgängigen Ortbetonschicht auch in Bezug auf die angestrebte schnelle und kostengünstige Bauweise verlassen. Denn jeder Schritt, der eine Bearbeitung der Lauffläche vor Ort erforderlich macht, verlängert die Bauzeit und erhöht die Kosten. Es bedarf keine besonderen Erläuterung und wird auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen, dass die Aneinanderreihung von vorgefertigten Elementen, die sogar besondere Vorrichtungen für die leichte Montage haben (vgl. Sp. 1 Z. 42 – 53; Sp. 2 Z. 2 – 6 bzw. Sp. 4 Z. 39 – 40), eine schnellere und kostengünstigere Herstellung des Bahnsteiges ermöglichen als die Vormontage von Sockeln und Filigranplatten, auf die dann erst vor Ort, also mit besonderem zusätzlichen Aufwand, eine Betonschicht gegossen wird und ein Pflaster verlegt wird.

Wesentliche Lehre des Klagepatents ist insoweit das Ausnutzen von Vorteilen eines „Baukastensystems“ bei der Montage unter Vermeidung von zusätzlichem Aufwand bei der Herstellung des Hohlkörpers und der Lauffläche. Durch die Anwendung dieser Lehre wird die Zeit- und Kostenersparnis erreicht. Dass die Klägerin selbst bei dem Ausführungsbeispiel, wie es in Fig. 4 des Klagepatentes dargestellt wird, auf solche Vorteile verzichtet, kann nicht ausschlaggebend sein, da nach den obigen Ausführungen dieses Beispiel nicht zum Schutzbereich ihres Patentes zählt. Im Ergebnis zu Recht ist das Landgericht also davon ausgegangen, dass durch die angegriffene Ausführungsform ein Verzicht der Beklagten auf den Vorteil der Erfindung der Klägerin zum Ausdruck kommt bzw. eine Inkaufnahme von Nachteilen vorliegt, die die Erfindung gerade beseitigen wollte (vgl. BGH GRUR 1991, 444, 447 – Autowaschvorrichtung; BGH GRUR 1993, 886, 889 – Weichvorrichtung). Denn die Ausführungsform der Beklagten nimmt zusätzlichen baulichen Aufwand, insbesondere auch Zeit- und Kostenaufwand für die Herstellung der Betonschicht in Kauf, durch deren Verwendung gleichzeitig ein Mittel aus dem Stand der Technik eingesetzt wird, das auf einen entscheidenden Vorteil der Erfindung (sehr schnelle und preiswerte Herstellbarkeit und Durchführbarkeit notwendiger Reparaturarbeiten sowie Nachinstallationen auf oder unter dem gesamten Bahnsteig ohne Erdarbeiten) verzichtet. Damit ist der Sinngehalt des klägerischen Patentes verlassen. Es handelt sich im übrigen auch um den Verzicht auf einen wesentlichen Vorteil der Erfindung, da das Kosten- und Zeitargument eine herausragende Bedeutung bei der Erlangung von Aufträgen hat und sich das Klagepatent gerade durch das ausgefeilte „Baukastensystem“ von dem allgemeinen Stand der Technik abhebt.

Eine äquivalente Benutzung scheidet auch deshalb aus, weil der Fachmann die abgewandelten Mittel bei der angegriffenen Ausführungsform in Bezug auf die Lauffläche deshalb nicht anhand der Lehre des Klagepatentes auffinden konnte, weil sie selbst Erfindungsqualität haben. Es handelt sich insoweit also um eine Verbesserung, die den Lösungsgedanken des Patents verlässt (vgl. Benkard-Ullmann aaO., § 14 Rn. 153). Die Beklagte beruft sich insoweit zu Recht darauf, ihre Ausführungsform habe sich bei der Gestaltung der Lauffläche an der Ausführung eines Bahnsteigs gemäß dem Patent DE 42 05 192 C2 (Anlage B 4) orientiert. Diese Erfindung hat sich nämlich mit den Nachteilen des Klagepatents auseinandergesetzt und sich (neben der Erreichung von Höhenflexibilität) insbesondere zur Aufgabe gestellt, das Problem der Passgenauigkeit und Witterungsanfälligkeit der Fugen bei der Aneinanderreihung von Laufplatten zu vermeiden. Insoweit ist also erfinderisches Bemühen eingesetzt worden, um diese Ausführungsform auffinden zu können (vgl. BGH GRUR 1994, 597, 600 – Zerlegvorrichtung für Baumstämme).

Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, die Beklagte verwende im Gegensatz zum Patent DE 42 05 192 C2 keine verlorene oder verschiebbare Schalung, sondern setze vielmehr die erhöhten Kanten der Filigranplatten dazu ein. Eine Abweichung vom Patent DE 42 05 192 C2 spielt im vorliegenden Rechtsstreit keine Rolle, soweit – wie dargelegt – gleichwohl der Sinngehalt des Klagepatentes verlassen wird.

Es handelt sich bei dem Patent DE 42 05 192 C 2 auch nicht um eine lediglich abhängige Erfindung. Voraussetzung für eine Abhängigkeit wäre, dass die Erfindung des jüngeren Patentes nicht genutzt werden kann, ohne zugleich auch die durch das ältere Patent geschützte Erfindung zu nutzen. Dies kann zwar im Falle der Weiterentwicklung einer Erfindung der Fall sein, Abhängigkeit kann aber dann nicht mehr vorliegen, wenn das jüngere Patent eine Lösung des technischen Problems mit anderen Mitteln bringt, die den Lösungsgedanken des klägerischen Patents verlassen. So verhält es sich im vorliegenden Falle, weil die Beklagte bzw. das Patent DE 42 05 192 C 2 nicht auf das reine „Baukastensystem“ als Lösungsvorschlag zurückgreifen, bei dem vormontierte Betonteile zusammengesetzt und die Fugen vergossen werden, sondern eine Kombination aus vorgefertigtem Sockel mit gegossener Laufebene vorgeschlagen wird, die im Klagepatent so überhaupt nicht vorkommt. Diese konkrete Ausführungsform kann auch mit keinem allgemeinen Merkmal umschrieben werden, das gegenüber der klägerischen Ausführungsform äquivalent oder naheliegend ist (vgl. BGH GRUR 1991, 436, 440 – Befestigungsvorrichtung II). Denn dazu reicht nicht aus, dass beide Ausführungsformen eine „Laufebene“ erreichen, weil dies bei einem Bahnsteig eine Selbstverständlichkeit ist. Dass der Gedanke, zur Vermeidung der Fugenproblematik bei der Laufebene eine gegossene Ebene zu verwenden, erfinderisches Bemühen erforderte bzw. erfinderisch ist, zeigt sich, obwohl dies kein für die Ablehnung der Abhängigkeit entscheidendes Kriterium ist, schließlich auch daran, dass das Patent DE 42 05 192 C 2 nach fachkundiger Prüfung erteilt wurde.

Liegt eine wortsinngemäße oder äquivalente Benutzung der Merkmale c), h) und i) nicht vor, so kann von einer Patentverletzung nicht die Rede sein.

Da die Klage deshalb zu Recht abgewiesen worden ist, war die Berufung mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes nicht erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO). Der Senat hat einen Einzelfall beurteilt und ist dabei von anerkannten Rechtsgrundsätzen nicht abgewichen.