Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2771
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 08. März 2018, Az. 4b O 3/18
- Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsklägerin.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung durch die Verfügungsbeklagte darf die Verfügungsklägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
- Tatbestand
- Die Verfügungsklägerin nimmt die Verfügungsbeklagte im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen der Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 2 107 XXX B1 (Verfügungspatent) auf Unterlassung in Anspruch.
- Die Verfügungsklägerin ist allein verfügungsberechtigte und eingetragene Inhaberin des Verfügungspatents, das am 19.03.2009 unter Inanspruchnahme einer österreichischen Priorität vom 04.04.2008 angemeldet wurde. Der Hinweis auf die Erteilung des Verfügungspatents wurde am 08.08.2012 veröffentlicht. Das Verfügungspatent steht in Kraft.
- Das Verfügungspatent betrifft einen Formkörper. Patentanspruch 1 des in deutscher Sprache angemeldeten und erteilten Verfügungspatents lautet wie folgt:
- „Formkörper, insbesondere Matte, zur Schwingungsisolierung mit einem zelligen Polyurethanelastomer (1, 2) und mit einem Gummigranulat, dadurch gekennzeichnet, dass das zellige Polyurethanelastomer (1, 2) eine Dichte von zumindest 150 kg/m³ aufweist und das Gummigranulat Körner (3) aus geschäumten Gummielastomer aufweist oder daraus besteht.“
- Die Verfügungsbeklagte entstand am 20.06.2013 durch formwechselnde Umwandlung aus der A GmbH. Sie stellt her, bietet an und vertreibt unter der Bezeichnung „B (Unterschottermatten)“ und „C (Lagerungen für Masse-Feder-Systeme)“ Entkopplungs- und Schutzmatten zur Verwendung unter Schienenanlagen. „B“ und „C“ sind in ihren hier interessierenden stofflichen Eigenschaften identisch und bilden insoweit die angegriffene Ausführungsform. Sie besteht aus einer Materialmischung mit Polyurethanschaum, Moosgummi, Mischgranulat und Polyurethanbindemittel.
- Bereits im Jahr 2004 begann die Verfügungsbeklagte, eine Unterschottermatte zu entwickeln. Ziel war es, eine Unterschottermatte herstellen zu können, die den für das Projekt der E vorgegebenen technischen Anforderungen für den Einsatz in Gleisanlagen gerecht werden konnte. Eine solche Unterschottermatte stand im März 2005 zur Verfügung. Mit Prüfbericht vom 04.04.2005 stellte die F GmbH die Übereinstimmung der „G“ mit den „H E“ fest. Wegen der Einzelheiten des Prüfberichts wird auf die Anlage CBH 5 verwiesen. Daraufhin wurden die Matten von der Verfügungsbeklagten in Serie gefertigt und durchgehend an verschiedene Abnehmer geliefert.
- Auf den Antrag der Verfügungsklägerin ordnete die Kammer mit Beschluss vom 20.06.2017 ein selbstständiges Beweisverfahren (Az. 4b O 46/17) zu der Frage an, ob die angegriffene Ausführungsform die Lehre der Ansprüche 1 und 14 und der Unteransprüche 8, 9 und 11 des Verfügungspatents verwirklicht. Die Verfahrensbevollmächtigten der Verfügungsklägerin erhielten von dem gerichtlichen Gutachten erstmals am 22.11.2017 Kenntnis unter der Auflage, seinen Inhalt gegenüber der Verfügungsklägerin persönlich geheim zu halten. Daraufhin haben die Verfahrensbevollmächtigten der Verfügungsklägerin am 10.01.2018 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt.
-
Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, sie habe einen Verfügungsanspruch. Unstreitig stellten Herstellung und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform durch die Verfügungsbeklagte eine Benutzung der Lehre des Verfügungspatents dar. Auf ein privates Vorbenutzungsrecht könne sie – die Verfügungsbeklagte – sich nicht mit Erfolg berufen. Die von der Verfügungsbeklagten in dieser Hinsicht vorgelegten Unterlagen seien widersprüchlich, so dass unklar sei, ob die Erzeugnisse der Verfügungsbeklagten vor dem Prioritätstag sämtliche Merkmale des Verfügungspatentanspruchs aufwiesen. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Verfügungsbeklagte die technische Lehre des Verfügungspatents subjektiv erkannt habe. Den Unterlagen sei nicht zu entnehmen, dass es der Verfügungsbeklagten auf die Dichte des Polyurethanelastomers oder auch nur auf die eingesetzten Materialien angekommen sei. Da die in der angegriffenen Ausführungsform verwendete Mischungsrezeptur nicht der Rezeptur vom Prioritätstag entspreche, habe zudem eine Weiterentwicklung des Produkts der Verfügungsbeklagten stattgefunden, die nicht mehr von einem etwaigen Vorbenutzungsrecht gedeckt sei. Jedenfalls sei ein solches Vorbenutzungsrecht durch die Umwandlung der I GmbH in die Verfügungsbeklagte erloschen.
Auch ein Verfügungsgrund sei gegeben. Selbst wenn zwischen den Parteien ursprünglich eine Zusammenarbeit geplant gewesen sei, könne daraus nicht geschlossen werden, der Verfügungsklägerin seien die angegriffenen Entkopplungsmatten bekannt gewesen. Im Jahr 2007 seien verschiedene Produkte der Verfügungsbeklagten auf dem Markt gewesen. Unklar sei daher, ob die bei der Verfügungsklägerin belassenen Produkte überhaupt mit der angegriffenen Ausführungsform identisch seien. Tatsächlich sei die Verfügungsklägerin erst unmittelbar vor Einleitung des Besichtigungsverfahrens in den Besitz einer angegriffenen Ausführungsform gelangt. Im Übrigen sei die Verfügungsklägerin nicht gehalten gewesen, sich auf eigene Analysen der angegriffenen Ausführungsform zu beschränken und sich auf die damit verbundenen Unsicherheiten im gerichtlichen Verfahren einzulassen
Schließlich sei die Erfindung nach dem Verfügungspatent neu. Jedenfalls sei eine etwaige Vorbenutzung nicht offenkundig gewesen, da keiner der Abnehmer von den Merkmalen der Entkopplungsmatten hätte Kenntnis erhalten können. - Die Verfügungsklägerin beantragt,
- der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben,
- es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an einem der Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft der Verfügungsbeklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen, in Deutschland
Unterschottermatten und/oder Lagerungen für Masse-Feder-Systeme zur Schwingungsisolierung und/oder Emissionsminderung im Schienenverkehr, welche folgende Merkmale aufweisen:
1. Formkörper zur Schwingungsisolierung
2. mit einem zelligen Polyurethanelastomer und mit einem Gummigranulat, dadurch gekennzeichnet, dass
3. das zellige Polyurethanelastomer eine Dichte von zumindest 150 kg/m³ aufweist
4. und das Gummigranulat Körner aus geschäumten Gummielastomer aufweist oder daraus besteht,
herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu diesen Zwecken einzuführen oder zu besitzen. - Die Verfügungsbeklagte beantragt,
- den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen,
- hilfsweise für den Fall des Erlasses einer einstweiligen Verfügung diese nur gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
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Die Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, für den Erlass einer einstweiligen Verfügung fehle es bereits an einem Verfügungsanspruch, da ihr ein Vorbenutzungsrecht zustehe. Sie behauptet, sie habe seit dem Jahr 2005 die von ihr entwickelte Unterschottermatte nach der aus der Anlage CBH 7 ersichtlichen Mischungsrezeptur hergestellt. Dabei sei von Anfang an für die Entwicklung und für die Fertigung der Matten als Polyurethanelastomer der Produktionsabfall des unter der Marke „J“ vermarkteten Polyurethanschaummaterials verwendet worden, das – insoweit unstreitig – über den gesamten Zeitraum eine Dichte von unverändert 350 bis 700 kg/m³ aufgewiesen habe bzw. aufweise. Dass die gerichtliche Sachverständige in dem Verfahren 4b O 46/17 eine geringere Dichte ermittelt habe, liege an der von ihr verwendeten Messmethode. Soweit in dem als Anlage CBH 7 vorgelegten Datenblatt die relativen Mengenangaben nicht mit den absoluten Mengenangaben übereinstimmten, habe dies seine Ursache in der Verwendung eines Datenblattes eines anderen Produkts, in dem nur die absoluten Mengen geändert worden seien. Diese Diskrepanz sei später mit dem als Anlage CBH 18 vorgelegten Datenblatt geändert worden. Die heute verwendete Mischungsrezeptur weiche von der in der Anlage CBH 18 angegebenen Mischungsrezeptur hinsichtlich der Mengenverhältnisse der eingesetzten Ausgangsmaterialien geringfügig ab. Ursächlich dafür sei die Inbetriebnahme einer neuen Pressanlage bei der Verfügungsbeklagten gewesen. Um die physikalischen Eigenschaften der zuvor verwendeten Unterschottermatten gewährleisten zu können, sei eine Anpassung der Mischungsrezeptur entsprechend der Anlage CBH 11 erforderlich gewesen.
Darüber hinaus fehle es aber auch am Verfügungsgrund. Die Sache sei nicht dringlich, weil der Verfügungsklägerin die angegriffenen Entkopplungsmatten bereits seit vielen Jahren bekannt gewesen seien. Dazu behauptet die Verfügungsbeklagte, die Verfügungsklägerin habe bereits im Zeitpunkt der Anmeldung des Verfügungspatents Muster der angegriffenen Entkopplungsmatten in ihrem Besitz gehabt, jedenfalls aber vor Einleitung des Besichtigungsverfahrens. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte die Verfügungsklägerin ein Verfügungsverfahren einleiten können, weil es der Durchführung eines Besichtigungsverfahrens nicht bedurft hätte. Eine inhaltliche Analyse der der Verfügungsklägerin vorliegenden Matten hätte gereicht. Selbst wenn man für die Dringlichkeit auf den Zugang des Sachverständigengutachtens bei dem Verfahrensbevollmächtigten der Verfügungsklägerin abstellen wollte, habe diese mit dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zu lange zugewartet.
Schließlich sei der Rechtsbestand des Verfügungspatents mehr als erschüttert, weil die von der Verfügungsbeklagten entwickelten Entkopplungsmatten bereits vor dem maßgeblichen Zeitrang des Verfügungspatents der breiten Öffentlichkeit frei zugänglich gewesen seien. - Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
- Die Akte 4b O 46/17 lag vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Die Kammer hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des präsenten Zeugen K. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.04.2018 Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
- Die Verfügungsklägerin hat keinen Verfügungsanspruch. Ein solcher ergibt sich nicht aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG. Die Wirkung des Verfügungspatents tritt gemäß § 12 PatG gegenüber der Verfügungsbeklagten nicht ein, weil diese im Prioritätszeitpunkt des Verfügungspatents bereits im Inland die Erfindung in Benutzung genommen hatte.
- I.
Das Verfügungspatent betrifft einen Formkörper, insbesondere eine Matte, zur Schwingungsisolierung mit einem zelligen Polyurethanelastomer und mit einem Gummigranulat. - In der Verfügungspatentschrift wird einleitend zum Stand der Technik ausgeführt, dass aus der DE 29 01 744 bereits Elastikbelag für Sportstätten aus einem gebundenen Granulat bekannt gewesen sei, bei dem ca. 50 Gew.-% bis 90 Gew.-% Polyurethanweichschaumflocken verwendet worden seien, um dem Belag gute Dämpfungseigenschaften zu verleihen. Es sei allerdings festgestellt worden, dass für die konkrete Anwendung in Sportstätten die Elastizität der Flocken nicht ausreiche. Daher werde in der genannten Schrift vorgeschlagen, dem Elastikbelag auch 10 Gew.-% bis 15 Gew.-% Gummigranulat zuzusetzen.
- Die DE 23 11 654 A1 offenbare ebenfalls Sporthallenbeläge. In mehreren Ausführungsbeispielen werde ein solcher Belag mit einer Grundschicht aus einem Polyurethan-Verbund-Weichschaum, insbesondere mit einem spezifischen Gewicht von etwa 200 kg/m³, vorgeschlagen. In diesen Verbundweichschaum seien auch alte Polyurethanschaumflocken eingearbeitet. Alternativ bestehe die Grundschicht aus mit Polyurethan gebundenem Gummiabrieb.
- Anders als im Stand der Technik gehe es der Erfindung, so die Verfügungspatentschrift, jedoch nicht um einen Elastikbelag für Sportstätten, sondern um eine Matte bzw. einen Formkörper zur Schwingungsisolierung, welche(r) vor allem zur Körperschallisolierung und Schwingungsentkoppelung bzw. Lagerung von haustechnischen Anlagen und insbesondere zur Lagerung von Maschinen oder Maschinenfundamenten eingesetzt werden solle. Im Gegensatz zur Verwendung von Elastikbelägen in Sportstätten träten in diesem Anwendungsbereich wesentlich höhere statische Kräfte auf, die durch die Auflast der Anlagen, Maschinen und Maschinenfundamente vorgegeben seien.
- In diesem Bereich erörtere die EP 1 219 749 A2 eine Gleiskonstruktion für in eine Fahrbahn eingelassene Schienen und spreche auch ein Gummi-Schaumstoff-Formteil an. Einen Verbundschaumstoff-Quader aus Polyurethan mit einem Füllstoff vorrangig aus Polyurethanschaumkörnern und gegebenenfalls unter Beigabe von geschäumten Kautschuk und einem aufgeschäumten Verbinder beschreibe die CH 532 462 A. Die DE 40 04 208 A1 offenbare einen schwingungsdämpfenden Formkörper mit einer Schalldämmvorrichtung an Straßenbahnschienen, wobei der Formkörper unter anderem aus geschäumten Polyurethan und Gummireifenteilen bestehe.
- Vor diesem Hintergrund sieht die Verfügungspatentschrift die Aufgabe (das technische Problem) der Erfindung darin, einen gattungsgemäßen Formkörper speziell für den genannten Einsatzzweck zu optimieren.
- Dies soll durch einen Formkörper mit den Merkmalen des Verfügungspatentanspruchs 1 erfolgen, die nachstehend in gegliederter Form wiedergegeben werden.
- 1. Formkörper, insbesondere Matte, zur Schwingungsisolierung
1.1 mit einem zelligen Polyurethanelastomer (1, 2) und
1.2 mit einem Gummigranulat;
2. das zellige Polyurethanelastomer (1, 2) weist eine Dichte von zumindest 150 kg/m³ auf;
3. das Gummigranulat weist Körner (3) aus geschäumten Gummielastomer auf oder besteht daraus. - In der Verfügungspatentschrift wird ausgeführt, durch die Dichte von zumindest 150 kg/m³ werde sichergestellt, dass das zellige Polyurethanelastomer nicht zu weich ist, während durch die Verwendung von Körnern aus geschäumten Gummielastomer ein Gummigranulat zum Einsatz komme, das deutlich weicher reagiere als die üblicherweise z.B. aus Altreifen hergestellten Gummigranulate, welche kompakt und wesentlich härter seien. Durch diese beiden Maßnahmen liegen die elastischen Eigenschaften des zelligen Polyurethanelastomers und des geschäumten Gummigranulats im Gegensatz zum genannten Stand der Technik zumindest größenordnungsmäßig in ähnlichen Bereichen. Dabei wird ausgenutzt, dass die Steifigkeit bei geschäumten Gummielastomeren mit der Belastung progressiv zunimmt, während die Steifigkeit von zelligem Polyurethanelastomer mit der Belastung eher degressiv zunimmt. Aus der Mischung dieser beiden Materialien kann ein Formkörper hergestellt werden, der eine zumindest näherungsweise lineare Steifigkeitszunahme bei zunehmender Belastung über einen relativ weiten Belastungsbereich aufweist.
- II.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Verfügungsbeklagte durch Herstellung, Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform die technische Lehre des Verfügungspatents benutzt. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht unstreitig sämtliche Merkmale des Verfügungspatentanspruchs 1. - Bei der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich um Formkörper zur Schwingungsisolierung (Merkmal 1). Die angegriffene Ausführungsform besteht aus Gummigranulaten, Moosgummi und Polyurethan-Schaumgranulaten auf Recyclingbasis, die mit Polyurethanelastomer gebunden sind. Damit weist sie ein zelliges Polyurethanelastomer in Form der Polyurethan-Schaumgranulate auf (Merkmal 1.1) und Gummigranulat in Form der Gummigranulate und des Moosgummis (Merkmal 1.2). Unstreitig hat das zellige Polyurethan eine Dichte von über 150 kg/m³ (Merkmal 2). Ebenso weist das Gummigranulat mit dem Moosgummi Körner aus geschäumtem Gummielastomer auf (Merkmal 3).
- III.
Die Wirkung des Verfügungspatents tritt jedoch gemäß § 12 PatG gegenüber der Verfügungsbeklagten nicht ein. Denn diese hatte die Erfindung im Prioritätszeitpunkt des Verfügungspatents bereits im Inland in Benutzung genommen. - 1.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Begründung eines Vorbenutzungsrechts im Sinne von § 12 PatG ist hier der 04.04.2008. Gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 PatG ist der Zeitpunkt der Anmeldung des Verfügungspatents maßgebend, steht dem Patentinhaber jedoch ein Prioritätsrecht zu, kommt es gemäß § 12 Abs. 2 PatG auf den Anmeldetag der Prioritätsanmeldung an. Das ist vorliegend der 04.04.2008. - Für den Erwerb des Vorbenutzungsrechts zu diesem Zeitpunkt ist zwar auf die zu dieser Zeit allein existente A GmbH abzustellen. Mit dieser ist die Verfügungsbeklagte allerdings als Rechtsträgerin identisch. Dies ergibt sich aus § 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG. Demnach hat die Eintragung einer formwechselnden Umwandlung im Handelsregister die Wirkung, dass der formwechselnde Rechtsträger in der in dem Umwandlungsbeschluss bestimmten Rechtsform weiter besteht. Ausweislich des als Anlage CBH 14 vorgelegten Handelsregisterauszugs ist die Verfügungsbeklagte durch formwechselnde Umwandlung aus der A GmbH entstanden. Damit besteht die A GmbH als Rechtsträger weiterhin, allerdings in der im Umwandlungsbeschluss bestimmten Rechtsform. Laut Handelsregisterauszugs ist das die Verfügungsbeklagte in der Rechtsform der GmbH & Co. KG.
- 2.
Die Verfügungsbeklagte befand sich am 04.04.2008 im Erfindungsbesitz. - Nach ständiger Rechtsprechung des BGH setzt die nach § 12 PatG erforderliche Benutzungshandlung oder Veranstaltung voraus, dass der Handelnde selbstständigen Erfindungsbesitz erlangt hat. Erfindungsbesitz ist gegeben, wenn die sich aus Aufgabe und Lösung ergebende technische Lehre objektiv fertig und subjektiv derart erkannt ist, dass die tatsächliche Ausführung der Erfindung möglich ist (BGH GRUR 2012, 895 – Desmopressin m.w.N.). Das ist hier der Fall.
- a)
Die Verfügungsbeklagte hielt die technische Lehre des Verfügungspatents am 04.04.2008 objektiv in Händen. - Die Verfügungsbeklagte begann im Jahr 2004 mit der Entwicklung einer Unterschottermatte für den Einsatz bei den E, die den technischen Anforderungen an einem Einsatz in Gleisanlagen gerecht werden sollte. Bereits im Oktober 2005 hatte die Verfügungsbeklagte eine entsprechende Unterschottermatte entwickelt und getestet, für die sie folgende Mischungsrezeptur verwendete: 315 kg Mischgranulat, 395 kg Moosgummi, 90 kg Polyurethanschaum und 88 kg Polyurethanbindemittel mit 6 kg Wasser, wobei sie für den Polyurethanschaum Recyclingabfälle des Materials „J“ verwendete. Dies hat die Verfügungsbeklagte durch die von ihr vorgelegten Unterlagen und die Aussage des Zeugen K glaubhaft gemacht.
- Die Zusammensetzung der von der Verfügungsbeklagten entwickelten Unterschottermatte ergibt sich aus der als Anlage CBH 7 vorgelegten Mischungsrezeptur vom 17.10.2005. Dass die angegebenen absoluten Mengen der Bestandteile der Unterschottermatte nicht mit den prozentualen Mengenangaben übereinstimmen, hat der Zeuge K damit erklärt, dass die Rezeptur von einer anderen Mischungsrezeptur für ein Rasenheizungssystem übernommen worden sei und die absoluten Mengenverhältnisse angepasst worden seien. Die Aussage des Zeugen K ist glaubhaft, da sie in sich und auch im Hinblick auf die zu den Akten gereichten Unterlagen widerspruchsfrei ist. Bereits mit eidesstattlicher Versicherung vom 16.03.2018 hatte der Zeuge K erklärt, es sei irrtümlich übersehen worden, auch die prozentualen Mengenangaben in dem Datenblatt für die Mischungsrezeptur entsprechend den absoluten Mengenangaben zu ändern. Dementsprechend hat der Zeuge K in seiner Vernehmung auch vermutet, dass die fehlerhaften prozentualen Mengenangaben noch das Mischungsverhältnis für das Rasenheizungssystem wiedergeben. Diese Aussage wird zudem durch die als Anlage CBH 18 vorgelegte Mischungsrezeptur vom 27.04.2006 bestätigt. Diese weist dieselben absoluten Mengenangaben wie die als Anlage CBH 7 vorgelegte Mischungsrezeptur vom 17.10.2005 auf, aber abweichende prozentuale Mengenangaben. Letztere entsprechen jedoch in der Mischungsrezeptur vom 27.04.2006 den jeweils angegebenen absoluten Mengenangaben. Der Zeuge K hat dies plausibel damit erklärt, dass es sich bei der als Anlage CBH 18 vorgelegten Mischungsrezeptur vom 27.04.2006 um die korrigierte Fassung des Datenblattes handele.
- Ebenso wenig spricht gegen die Entwicklung einer Unterschottermatte mit den in der Mischungsrezeptur vom 17.10.2005 angegebenen Bestandteilen und Mengenangaben, dass die Mischungsrezeptur ausweislich des als Anlage CBH 7 vorgelegten Datenblatts für das „L“ gelten soll, obwohl die Unterschottermatte nach dem schriftsätzlichen Vortrag der Verfügungsbeklagten betriebsintern „Unterschottermatte“, „USM“, „Entkopplungsmatte“ oder „M“ genannt wurde. Dies hat der Zeuge K glaubhaft damit erklärt, dass die Bezeichnung „L“ auf ein Produkt zurückgehe, das die Verfügungsbeklagte bereits im Programm gehabt habe. Es handele sich um eine Mischung für ein Rasenheizungssystem. Die Verfügungsbeklagte könne von vorhandenen Produkten und Mischungen ausgehen und diese für andere Zwecke verwenden. Die Mischung „L“ sei jedoch für die Unterschottermatte für die E angepasst worden. Bestätigt wird dies durch die als Anlage CBH 18 vorgelegte Mischungsrezeptur vom 27.04.2006. Diese gibt als Produkt „L (USM)“ an, stellt somit also klar, dass sie für eine Unterschottermatte (= USM) gilt. Auch aus einem Besprechungsprotokoll von Mitarbeitern der Verfügungsbeklagten und der N im Anlagenkonvolut CBH 2 (dort Seite 30) ergibt sich, dass die Qualität zwar O sei, aber für den Einsatzzweck „G“ heiße. Soweit der Zeuge K dazu bekundet hat, dass die Aussage nach seinem Verständnis bedeute, dass die Rezeptur gleich bleibe und der Name für die Vermarktung angepasst werde, handelt es sich erkennbar um eine Vermutung. Zum einen hat der Zeuge K unmittelbar davor erklärt, er können zu der Namensgebung nichts sagen. Zum anderen hat er abschließend bekräftigt, er bleibe dabei, dass die in den Anlagen CBH 7 und CBH 18 angegebenen Mischungsrezepturen für die Gleisanlagen der E bestimmt gewesen seien.
- Weiterhin hat die Verfügungsbeklagte glaubhaft gemacht, dass von Beginn an der Polyurethanschaumstoff „J“ in der neu entwickelten Unterschottermatte zum Einsatz kam. Die als Anlage CBH 9 vorgelegte Liefervereinbarung und Lieferrechnung lassen zwar nicht zwingend den Schluss zu, dass „J“ in der Unterschottermatte Verwendung fand, belegt aber, dass die Verfügungsbeklagte jedenfalls seit 2006 das Produkt „J“ in ihrem Betrieb zur Verfügung stand. Dass „J“ tatsächlich von Anfang an zum Einsatz kam, hat der Zeuge K glaubhaft bekundet. Er hat detailreich geschildert, wie es überhaupt im Betrieb zur Verwendung des Produkts „J“ kam, dieses Produkt bereits in dem Rasenheizungssystem Verwendung fand und davon ausgehend auch in der Unterschottermatte von Anfang an zum Einsatz kam. Es bestehen keine Zweifel, dass für den PU-Schaum in den Mischungsrezepturen der neuen Unterschottermatte von Anfang an das Recycling-Produkt „J“ Verwendung fand. Zweifel werden auch nicht dadurch geweckt, dass die in den Datenblättern für das Produkt „J“ angegebene Dichte 350 bis 700 kg/m³ beträgt, während die gerichtliche Sachverständige Dr. P in dem Verfahren 4b O 46/17 eine Dichte von gemittelt 331 kg/m³ für das Polyurethanelastomer ermittelte. Die Verfügungsbeklagte hat insofern zutreffend darauf hingewiesen, dass die gerichtliche Sachverständige keine exakte Dichtemessung vorgenommen hat. Sie hat das in körniger Form vorliegende Polyurethanelastomer in einen Behälter gefüllt und das Gewicht des eingefüllten Materials ins Verhältnis zum eingefüllten Volumen gesetzt, ohne das körnige Material in irgendeiner Form, und sei es nur durch Klopfen oder Rütteln, zu verdichten. Es liegt auf der Hand, dass das Messergebnis für das Volumen an Polyurethanelastomer aufgrund der Räume zwischen den Körnern deutlich höher ist als das Volumen reinen Polyurethanelastomers ohne diese Räume. Damit liegt die tatsächliche Dichte des Polyurethanelastomers zwangsläufig deutlich höher als die im Gutachten ermittelte Dichte, worauf die Sachverständige selbst hingewiesen hat. Wird weiterhin berücksichtigt, dass die gerichtliche Sachverständige bei einer Messung sogar eine mittlere Dichte von 350 kg/m³ ermittelte, kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Dichte tatsächlich über 350 kg/m³ liegt und auch der gerichtlichen Sachverständigen das Produkt „J“ zur Prüfung vorlag.
- Damit war die technische Lehre objektiv fertig. Denn bei der von der Verfügungsbeklagten im Jahr 2005 entwickelten Unterschottermatte handelte es sich um einen Formkörper zur Schwingungsisolierung (Merkmal 1) mit zelligem Polyurethanelastomer in Form des Polyurethanschaums „J“ (Merkmal 1.1) und mit einem Gummigranulat in Form von Mischgranulat und Moosgummi (Merkmal 1.2). Unstreitig weist der Polyurethanschaumstoff „J“ eine Dichte von über 150 kg/m³ auf (Merkmal 2). Bei dem Moosgummi handelt es sich um Körner aus geschäumtem Gummielastomer (Merkmal 3).
- b)
Die Verfügungsbeklagte hatte am 04.04.2008 die technische Lehre des Verfügungspatents auch subjektiv derart erkannt ist, dass ihr die tatsächliche Ausführung der Erfindung möglich war (BGH GRUR 2012, 895 – Desmopressin m.w.N.). - Nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofes in der Entscheidung „Desmopressin“ (GRUR 2012, 895) liegt die für den Erfindungsbesitz erforderliche subjektive Erkenntnis vor, wenn das Handeln planmäßig auf die Verwirklichung einer technischen Lehre gerichtet ist, die alle Merkmale des erfindungsgemäßen Gegenstands verwirklicht. Daran fehlt es, wenn das technische Handeln über das Stadium von Versuchen noch nicht hinausgegangen ist oder ein Gegenstand benutzt worden ist, der lediglich in einzelnen Exemplaren „zufällig“ die erfindungsgemäßen Eigenschaften aufgewiesen hat. Denn in beiden Fällen ist das Handeln nicht von einer Erkenntnis getragen, die es jederzeit möglich macht, die technische Lehre wiederholbar auszuführen, so dass es auch nicht gerechtfertigt ist, daran eine Besitzstand vermittelnde Rechtsposition anzuknüpfen. Von derartigen Fällen eines unbewussten oder zumindest nicht hinreichend gefestigten Gebrauchs der technischen Lehre hebt sich ein Handeln ab, das planmäßig auf die Verwirklichung derselben gerichtet ist. Dieses ist als Erfindungsbesitz begründend anzusehen, weil ihm die gesicherte Erkenntnis zu Grunde liegt, dass die Erfindung ausgeführt werden kann. Nur insoweit kann es auch auf die Kenntnis des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung ankommen. Hingegen ist es nicht erforderlich, dass der Handelnde über die Erkenntnis der gesicherten Ausführbarkeit der Erfindung hinausgehendes Wissen um vorteilhafte Wirkungen der Erfindung hat (BGH GRUR 2012, 895, 896 – Desmopressin m.w.N.).
- Nach diesen Grundsätzen hatte die Verfügungsbeklagte im Prioritätszeitpunkt die technische Lehre des Verfügungspatents subjektiv erkannt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sie das Ergebnis ihrer Entwicklungsarbeiten in einer Mischungsrezeptur festhielt, nach der sie in den folgenden Jahren die Unterschottermatte herstellte. Damit hatte sie die Materialzusammensetzung als für eine Unterschottermatte zum Einsatz in Gleisanlagen vorteilhaft erkannt, und das Datenblatt für die Mischungsrezeptur verkörpert quasi die planmäßige Verwirklichung der Lehre des Verfügungspatents. Dass weder in den die Entwicklung der Unterschottermatte dokumentierenden Unterlagen (Anlage CBH 2), noch in den technischen Bedingungen der E für Gummigranulatmatten (Anlage CBH 4) oder dem Prüfbericht der F GmbH vom 04.04.2005 (Anlage CBH 5) die Dichte des Polyurethanelastomers wiedergegeben ist, ist ebenso unbeachtlich wie der Umstand, dass die Dichte des Polyurethanelastomers nicht gegenüber den Abnehmern der Unterschottermatte angegeben wird. Denn für die subjektive Erkenntnis der technischen Lehre ist es nicht erforderlich, dass diese irgendwo schriftlich niedergelegt ist. Vielmehr belegt der Umstand, dass das Produkt „J“ nunmehr seit über zehn Jahren in der von der Verfügungsbeklagten entwickelten Unterschottermatte Verwendung findet, dass sie den Einsatz eines Polyurethanelastomer mit dieser Dichte als für die technischen Anforderungen geeignet ansieht. Hingegen kommt es nicht darauf an, dass die Verfügungsbeklagte die technischen Wirkungen der Dichte des Polyurethanelastomers für die Eigenschaften der von ihr entwickelten Unterschottermatte tatsächlich erkannt oder auch nur die physikalischen Zusammenhänge verstanden hat, da diese keinen Eingang in den Verfügungspatentanspruch gefunden haben (vgl. BGH GRUR 2012, 895, 896 – Desmopressin).
- Abgesehen davon geht die Kammer aber auch davon aus, dass die Verfügungsbeklagte um die mit der von ihr verwendeten Mischungsrezeptur verbundenen Vorteile und technischen Wirkungen weiß. Nach der Beschreibung des Verfügungspatents trägt die Dichte des Polyurethanelastomers von mehr als 150 kg/m³ dazu bei, dass das zellige Polyurethanelastomer nicht zu weich ist. Die elastischen Eigenschaften sowohl des Polyurethanelastomers als auch des geschäumten Gummigranulats ergänzen sich dergestalt, dass der Formkörper eine näherungsweise lineare Steifigkeitszunahme bei zunehmender Belastung über einen relativ weiten Belastungsbereich aufweist. Der als Anlage CBH 5 vorgelegte Prüfbericht der Q GmbH deutet darauf hin, dass diese Wirkungen auch mit der von der Verfügungsbeklagten entwickelten Unterschottermatte erzielt werden sollen. Denn zu den technischen Anforderungen der E für Gummigranulatmatten gehört auch eine bestimmte statische Steifigkeit der Unterschottermatte. Bei einer Flächenpressung von 25 kN/m² soll sowohl für den trockenen als auch für den wassergesättigten Zustand eine Einsenkung von gerade einmal 1,5 bis 2,00 mm erreicht werden. Zur Erzielung dieses Wertes ist auch die Dichte des eingesetzten Polyurethanelastomers von Bedeutung. Die Messkurven zur Ermittlung der statischen Steifigkeit sind im Prüfbericht der Q GmbH wiedergegeben (Abbildungen 1 und 2 der Anlage CBH 5). Diese zeigen jedenfalls für den Bereich oberhalb von 1.250 N (bei einem Prüfkörper von 450 mm x 450 mm entspricht dies > 6 kN/m²) einen näherungsweise linearen Verlauf, was letztlich auf die ausgewählten Materialien und ihre Eigenschaften zurückzuführen ist.
- Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, die Verfügungsbeklagte habe den Einsatz der einzelnen Materialien, insbesondere eines Polyurethanelastomers mit einer Dichte oberhalb von 150 kg/m³ nur zufällig verwirklicht. Vielmehr liegt der Mischungsrezeptur und der Verwendung von „J“ mit einer Dichte von mehr als 350 kg/m³ ein planmäßiges Handeln der Verfügungsbeklagten aufgrund der Erkenntnis zugrunde, dass die Erfindung ausgeführt werden kann. Dies ergibt sich auch aus der Aussage des Zeugen K, der in Bezug auf eine durch die Änderung der Pressanlage erforderlich gewordene Änderung der Mischungsrezeptur erläuterte, dass sie dafür zwar Versuche hätten machen müssen, sie aber wüssten, an welchen Stellschrauben sie drehen müssen, um dieselben technischen Anforderungen an eine Unterschottermatte bei geänderten Herstellungsbedingungen zu erzielen.
- 3.
Die Verfügungsbeklagte nahm die Erfindung vor dem 04.04.2008 im Inland in Benutzung. - Der Begriff der Benutzung im Sinne von § 12 PatG umfasst die in §§ 9 und 10 PatG umschriebenen Benutzungsarten, zu denen an sich der Patentinhaber ausschließlich befugt ist und die er jedem anderen verbieten kann (Benkard/Scharen, PatG 11. Aufl.: § 12 Rn 11).
- Die Verfügungsbeklagte hat ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland. Die Benutzung der von ihr entwickelten Unterschottermatte erfolgte jedenfalls im Wege der Herstellung. Darüber hinaus ist aber auch unstreitig, dass die Verfügungsbeklagte die Unterschottermatten an Abnehmer lieferte. Ob diese Lieferungen vor dem 04.04.2008 an Abnehmer in der Bundesrepublik Deutschland erfolgten, lässt sich aus der von der Verfügungsbeklagten als Anlage CBH 13 vorgelegten Liste aller Verkäufe von Unterschottermatten nicht entnehmen. Darauf kommt es letztlich aber nicht an, da auch der Export der Unterschottermatten von der Bundesrepublik Deutschland ins Ausland ein Inverkehrbringen in der Bundesrepublik Deutschland darstellt (Benkard/Scharen, PatG 11. Aufl.: § 9 Rn 11). Darüber hinaus ist allgemein anerkannt, dass das Vorbenutzungsrecht des Herstellers umfassend und mengenmäßig nicht beschränkt ist und den Wechsel der Benutzungsart erlaubt (BGH GRUR 2012, 895 – Desmopressin).
- 4.
Herstellung, Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform werden vom Vorbenutzungsrecht der Verfügungsbeklagten erfasst. Der Umstand, dass die Mischungsrezeptur der angegriffenen Ausführungsform von der Mischungsrezeptur der vorbenutzten Unterschottermatte abweicht, führt im Streitfall nicht dazu, dass die angegriffene Ausführungsform aus dem sachlichen Umfang des Vorbenutzungsrechts der Verfügungsbeklagten herausfällt. - a)
Der Umfang des Vorbenutzungsrechts ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht abschließend geklärt (zum Meinungsstand vgl. BGH GRUR 2002, 231, 233 – Biegevorrichtung). Zuletzt hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Biegevorrichtung“ entschieden, dem Vorbenutzer sei eine Benutzung der patentgemäßen Lehre lediglich in dem durch diesen beschriebenen Umfang eröffnet; Weiterentwicklungen über den Umfang der bisherigen Benutzung hinaus seien ihm dann verwehrt, wenn sie in den Gegenstand der geschützten Erfindung eingreifen (GRUR 2002, 231, 234). Zur Begründung führt der Bundesgerichtshof aus, § 12 PatG schränke das Recht des Patentinhabers zur alleinigen Benutzung der im Patent unter Schutz gestellten Erfindung ein. Mit dieser Einschränkung wolle das Gesetz aus Billigkeitsgründen einen vorhandenen oder bereits angelegten gewerblichen Besitzstand des Vorbenutzers schützen und damit die unbillige Zerstörung in zulässiger, insbesondere rechtlich unbedenklicher Weise geschaffener Werte verhindern. Auf der Grundlage seines erst zu einem späteren Zeitpunkt in rechtlich relevanter Weise angelegten bzw. geschaffenen Ausschließlichkeitsrechts solle der Patentinhaber nicht auch die Personen von der Benutzung der unter Schutz gestellten Erfindung ausschließen können, die sie bereits vorher benutzt oder konkrete Anstalten für eine solche Benutzung getroffen haben. Die Regelung enthalte insoweit eine an Billigkeitsgründen orientierte Ausnahme von der umfassenden alleinigen Berechtigung des Patentinhabers. Weiterentwicklungen, die über den Umfang der bisherigen Benutzung hinaus in den Gegenstand der geschützten Erfindung eingreifen, würden die Befugnisse des Vorbenutzers in einer von Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung nicht mehr gedeckten Weise erweitern. Mit der Befugnis zur Benutzung auch solcher Abwandlungen würde zu seinen Gunsten nicht lediglich der bei der Anmeldung des Patents vorhandene Besitzstand geschützt, sondern dieser unter gleichzeitiger weiterer Einschränkung des Rechts an dem Patent auf ursprünglich nicht Vorhandenes erstreckt. Hierfür fehle es sowohl im Hinblick auf die Funktion der Regelung als auch auf das ihr zu Grunde liegende Regel-Ausnahmeverhältnis an einer Rechtfertigung (vgl. BGH GRUR 2002, 231, 233 f – Biegevorrichtung). - Höchstrichterlich nicht geklärt ist bislang die Frage, wie Änderungen einer die geschützte technische Lehre wortsinngemäß verwirklichenden Ausführungsform einzuordnen sind, die lediglich eine die technische Lehre wortsinngemäß verwirklichende Alternative darstellen, ohne weiter als die vorbenutzte Ausführung in den Gegenstand des Patents einzugreifen – im Falle einer eine Bereichsangabe umfassenden geschützten chemischen Zusammensetzung also beispielweise eine Ausführung, die von einem im geschützten Bereich liegenden Wert auf einen anderen, ebenfalls im geschützten Bereich liegende Wert übergeht (vgl. Benkard/Scharen, PatG 11. Aufl.: § 12 Rn 22).
- b)
In der Literatur wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass Weiterentwicklungen in einem bestimmten Umfang noch vom Vorbenutzungsrecht umfasst sind. So soll nach Scharen eine den Wortsinn des Patentanspruchs verwirklichende Abwandlung einer wortsinngemäßen Vorbenutzung auf diesem Besitzstand beruhen, wenn sie angesichts des einschlägigen Stands der Technik zum Prioritätsdatum und des durch die Benutzung belegten allgemeinen damaligen Fachwissens aus fachlicher Sicht eine bloße Weiterentwicklung darstellt, wie sie immer vorkommen kann, wenn die Bedürfnisse des eigenen Betriebs sie notwendig machen oder zweckmäßig erscheinen lassen. Auf den vor dem Prioritätszeitpunkt vorhandenen Besitzstand kann eine Abwandlung, die sich wie die Vorbenutzung innerhalb des gegenständlichen Bereichs des betreffenden Patentanspuchs hält, hingegen nicht zurückgeführt werden, wenn die Erkenntnis der anderen Ausführung zum Prioritätszeitpunkt eines Rückgriffs auf die Offenbarung bedurft hätte, die erst als Folge der Anmeldung des Patents Eingang in das Fachwissen finden konnte bzw. gefunden hat, sei es etwa in der Form eines Unteranspruchs oder einer anderen Anspruchskategorie (Benkard/Scharen, PatG 11. Aufl.: § 12 Rn 22; vgl. auch Kraßer/Ann, Patentrecht 7. Aufl.: § 34 II. c) 4.; OLG Jena GRUR-RR 2008, 115, 117 – Bodenbelagsbeschichtungen). - Keukenschrijver möchte vom Vorbenutzungsrecht nicht nur Abwandlungen erfasst sehen, die im Patent keinen Niederschlag gefunden haben und für die dieses keine Anregungen gibt. Vielmehr sollen auch im Patent offenbarte Abwandlungen erfasst werden, soweit es sich um Selbstverständliches oder Naheliegendes – für sich gesehen Gemeinfreies – handelt, das dem Fachmann ohne weiteres auch ohne diese Offenbarung zur Verfügung gestanden hätte. Hingegen sollen dem Vorbenutzer solche Abwandlungen nicht gestattet sein, die er nicht ohne schöpferische Tätigkeit hätte auffinden können, deren Bekanntsein oder Naheliegen sich aber aus der Offenbarung des Patents ergibt (Keukenschrijver GRUR 2001, 944, 947).
- c)
Die Kammer ist der Auffassung, dass entsprechend den vorstehenden Grundsätzen jedenfalls solche Weiterentwicklungen unter das Vorbenutzungsrecht fallen, die für den Vorbenutzer ohne weiteres auffindbar und nicht im Patent offenbart waren. Bereits aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen wäre ein Vorbenutzungsrecht wenig wert, wenn es lediglich zur identischen Weiterbenutzung der vorbenutzten Ausführungsform berechtigte (vgl. Keukenschrijver GRUR 2001, 944, 947), so dass Abwandlungen von dem das Vorbenutzungsrecht umgrenzenden Besitzstand umfasst sein müssen. Bei der Bestimmung seiner Grenzen ist zu berücksichtigen, dass der Besitzstand nicht allein durch die spezifische Ausgestaltung der objektiv vorbenutzten Ausführungsform gebildet wird, sondern auch durch die subjektive Erkenntnis des Vorbenutzers von der Ausführbarkeit der technischen Lehre. Gerade dieses durch den Besitzstand verkörperte subjektive Wissen rechtfertigt es, dass der Vorbenutzer davon ausgehend auch auf das im Prioritätszeitpunkt in der Fachwelt vorhandene allgemeine Fachwissen zurückgreift und sich – wenn nötig oder auch nur zweckmäßig – die Erkenntnisse zu Nutze zu macht, die der einschlägige Stand der Technik möglich macht. Schon die Möglichkeiten technischer Weiterentwicklung, die auch und gerade die im eigenen Betrieb bereits gefundenen technischen Lösungen betreffen und die Weiterentwicklung mit Hilfe der eigenen konkreten Kenntnisse und des einem Fachmann frei zugänglichen Wissens verwirklichen, gehören deshalb zu dem vor dem Prioritätszeitpunkt vorhandenen Besitzstand des Vorbenutzers (vgl. Benkard/Scharen, PatG 11. Aufl.: § 12 Rn 22). - d)
Ob Abwandlungen, die im Patent offenbart sind, aber ausgehend von der vorbenutzten Ausführungsform ohne erfinderisches Bemühen auffindbar waren, noch vom Vorbenutzungsrecht umfasst sind, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Denn auch wenn man nur solche Abwandlungen, die im Patent keinen Niederschlag gefunden haben und für die das Patent auch keine Anregung gab, als vom Vorbenutzungsrecht umfasst ansieht, führt die Änderung der Mischungsrezeptur durch die Verfügungsbeklagte nicht aus dem sachlichen Umfang des Vorbenutzungsrechts heraus. Die als Anlage CBH 11 vorgelegte geänderte Mischungsrezeptur, die nach der Aussage des Zeugen K noch heute Verwendung findet, verlangt dieselben Materialien wie die vor dem 04.04.2008 verwendete Mischungsrezeptur gemäß Anlage CBH 7 bzw. 18. Dass auch heute noch das Produkt „J“ als Polyurethanelastomer verwendet wird, hat der Zeuge K durch seine Aussage glaubhaft bekundet. Lediglich das Mengenverhältnis der Materialien hat sich geringfügig geändert. Statt der vorbenutzten 35,5 % Mischgranulat, 44,5 % Moosgummi, 10,1 % Polyurethanschaum und 9,9 % Bindemittel werden in der angegriffenen Ausführungsform ca. 31 % Mischgranulat, 45 % Moosgummi, 13 % Polyurethanelastomer und 11 % Polyurethanbindemittel verwendet. Dieses Mischungsverhältnis war durch eine Änderung des Verfahrens zur Herstellung der Formkörper im Betrieb der Verfügungsbeklagten bedingt. Die Verfügungsbeklagte hat insofern durch die Aussage des Zeugen K in der mündlichen Verhandlung glaubhaft gemacht, sie habe im Jahr 2007 eine neue Verarbeitungsanlage mit größeren Zylindern in Betrieb genommen, die bei der Herstellung der Formkörper zu geänderten Druckverhältnissen führten. Um die technischen Anforderungen an die Unterschottermatte weiterhin erfüllen zu können, sei es notwendig gewesen, die Mischungsrezeptur geringfügig anzupassen. - Damit bewegt sich die Änderung der Mischungsrezeptur jedoch im Rahmen des Vorbenutzungsrechts. Denn sie stellt sich lediglich als eine an bloßen Zweckmäßigkeitsüberlegungen orientierte Anpassung an die geänderten Bedürfnisse des eigenen Betriebs dar, wie sie in jedem Betrieb üblicherweise vorkommen. Das geänderte Mischungsverhältnis war für die Verfügungsbeklagte ohne weiteres auffindbar. Der Zeuge K hat insofern bekundet, man könne im Vorhinein nicht genau sagen, welche Änderungen man vornehmen müsse, um den geänderten Druckverhältnissen gerecht zu werden. Daher hätten sie Versuche machen und sich herantasten müssen. Aber sie hätten schon gewusst, an welchen Stellschrauben sie hätten drehen müssen. Andernfalls wäre auch nicht erklärlich, wie die Verfügungsbeklagte eine neue Pressanlage erwerben konnte, ohne davon ausgehen zu können, die damit erforderlichen Anpassungen der Mischungsrezepturen beherrschen zu können. Danach kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Verfügungsbeklagte ausgehend von der vorbenutzten Mischungsrezeptur in irgendeiner Weise auf den Offenbarungsgehalt des Verfügungspatents hätte zugreifen müssen, um zu der abgewandelten Mischungsrezeptur zu gelangen. Dass die abgewandelte Mischungsrezeptur Merkmale bevorzugter Ausführungsformen aus dem Verfügungspatent aufweist oder dort offenbarten Unteransprüchen entspricht, die die vorprioritäre Mischungsrezeptur nicht verwirklichte, ist nicht vorgetragen.
- Andere Änderungen der Mischungsrezeptur als die eine, durch die geänderte Verarbeitungsanlage bedingte Anpassung, wie sie in der Anlage CBH 11 zum Ausdruck kommt, wurden nach der Aussage des Zeugen K seitens der Verfügungsbeklagten nicht vorgenommen und wurden auch von der Verfügungsklägerin nicht behauptet.
- 5.
Berechtigte aus dem Vorbenutzungsrecht ist die Verfügungsbeklagte. Dem steht die Entstehung der Verfügungsbeklagten durch die formwechselnde Umwandlung der A GmbH nicht entgegen. - Gemäß § 12 Abs. 1 S. 3 PatG kann das Vorbenutzungsrecht nur zusammen mit dem Betrieb vererbt oder veräußert werden. Eine Übertragung des Vorbenutzungsrechts, von Betriebsteilen oder des gesamten Betriebs hat jedoch nicht stattgefunden. Vielmehr sind die A GmbH und die Verfügungsbeklagte – wie bereits ausgeführt – als Rechtsträger identisch. Eine wie auch immer geartete nicht zulässige Vervielfältigung des Vorbenutzungsrechts hat durch die formwechselnde Umwandlung nicht stattgefunden.
- IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. - Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.
- Streitwert: 320.000,00 EUR