4a O 87/09 – Fahrradrahmen

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1486

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 14. September 2010, Az. 4a O 87/09

I. Die Beklagten werden verurteilt,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen Geschäftsführern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,

a) Sattelrohre für einen Fahrradrahmen, insbesondere einen Rennradrahmen,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
bei denen das Sattelrohr an seinem sattelstützseitigen Ende kreiszylindrisch ausgebildet ist und an seinem tretlagerseitigen Ende quer zur Rahmenlängsrichtung eine größere Breite als in Rahmenlängsrichtung aufweist, wobei das Sattelrohr eine kettenblattseitige Abflachung aufweist;

b) Fahrradrahmen, insbesondere Rennradrahmen, mit einem Oberrohr, einem über ein Gabelaufnahmeelement mit dem Oberrohr verbundenen Unterrohr und einem mit dem Oberrohr und dem Unterrohr verbundenen Sattelrohr
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
wobei das Sattelrohr an seinem sattelstützseitigen Ende kreiszylindrisch ausgebildet ist und an seinem tretlagerseitigen Ende quer zur Rahmenlängsrichtung eine größere Breite als in Rahmenlängsrichtung aufweist, wobei das Sattelrohr eine kettenblattseitige Abflachung aufweist;

2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 03.02.2007 begangen haben, und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses zu folgenden Angaben:

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten und Lieferpreisen unter Einschluss der Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten und Angebotspreisen unter Einschluss der Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten einschließlich Bezugspreisen und des erzielten Gewinns,

wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in dem Verzeichnis enthalten ist;

wobei hinsichtlich der Angaben zu a) und b) Rechnungen oder Lieferpapiere vorzulegen sind und

wobei die Angaben zu e) nur für die Zeit seit dem 26.04.2008 zu machen sind;

3. die vorstehend unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 01.09.2008 in den Verkehr gelangten und im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen

zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents EP 1 737 XXX erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird

und

endgültig zu entfernen, indem die Beklagten diese Erzeugnisse wieder an sich nehmen oder deren Vernichtung beim jeweiligen Besitzer veranlassen.

II. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I. 1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten zu 2) herauszugeben.

III. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind,

1. an die Klägerin für die zu Ziffer I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 03.02.2007 bis einschließlich 25.04.2008 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen und
2. der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 26.04.2008 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entsteht.

IV. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten als Gesamtschuldner auferlegt.

V. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000.000,00 Euro vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 1 737 XXX (nachfolgend: Klagepatent; Anlage TW 1), das am 15.04.2005 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 19.04.2004 angemeldet wurde. Die Offenlegung der Patentanmeldung erfolgte am 03.01.2007, der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 26.03.2008 veröffentlicht. Der deutsche Teil des Klagepatents (DE 50 2005 003 XXX) steht in Kraft. Die Beklagte zu 1) hat am 29.12.2008 Einspruch gegen das Klagepatent eingelegt, über den noch nicht entschieden wurde.

Die klagepatentgemäße Erfindung betrifft ein Sattelrohr für einen Fahrradrahmen sowie einen Fahrradrahmen mit einem entsprechend ausgestalteten Sattelrohr. Die hier maßgeblichen Schutzansprüche 1 und 10 lauten wie folgt:

1. Sattelrohr für einen Fahrradrahmen, insbesondere einen Rennradrahmen, wobei das Sattelrohr (18) an seinem sattelstützseitigen Ende (20) kreiszylindrisch ausgebildet ist und an seinem tretlagerseitigen Ende (22) quer zur Rahmenlängsrichtung (24) eine größere Breite (b) als in Rahmenlängsrichtung (24) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass das Sattelrohr (18) eine kettenblattseitige Abflachung (32) aufweist.

10. Fahrradrahmen, insbesondere Rennrad-Rahmen, mit einem Oberrohr (10), einem über ein Gabelaufnahmeelement (12) mit dem Oberrohr (10) verbundenen Unterrohr (14) und einem mit dem Oberrohr (10) und dem Unterrohr (14) verbundenen Sattelrohr (18), nach einem der Ansprüche 1 bis 9.

Hinsichtlich des Wortlauts der nur in Form von „insbesondere-Anträgen“ gestellten Patentansprüche 4, 5, 6 und 7 wird auf den Inhalt der Klagepatentschrift verwiesen.

Die nachfolgend (verkleinert) wiedergegebenen Figuren 1 und 7 der Klagepatentschrift veranschaulichen den Gegenstand der erfindungsgemäßen Lehre anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels. Figur 1 stellt die schematische Seitenansicht eines Fahrradrahmens mit erfindungsgemäßem Sattelrohr dar. Figur 7 zeigt die Schnittansicht eines erfindungsgemäßen Sattelrohres mit im unteren Bereich dargestellter Abflachung (32).

Die kanadische Beklagte zu 1) ist Herstellerin und Lieferantin der mit der vorliegenden Klage angegriffenen Fahrradrahmen RS, R3 und R3SL (angegriffene Ausführungsformen), welche von der Beklagten zu 2) in der Bundesrepublik Deutschland angeboten und vertrieben werden. Die konkrete Ausgestaltung dieser Fahrradrahmen ist den als Anlage TW 4 zur Akte gereichten Produktbeschreibungen zu entnehmen. Desweiteren hat die Klägerin Messungen an den Rahmen vorgenommen, die in den nachfolgend abgebildeten technischen Zeichnungen wiedergegeben werden (Anlage TW 6). Die erste Zeichnung zeigt das tretlagerseitige Ende des Sattelrohrs in Seitenansicht, die zweite Zeichnung in Rahmenlängsrichtung. Daneben sind Querschnitte des Sattelrohres entlang dreier unterschiedlicher Ebenen wiedergegeben.
Die Klägerin ist der Auffassung, die angegriffenen Ausführungsformen würden wortsinngemäß von der technischen Lehre der Klagepatentansprüche 1 und 10 Gebrauch machen. Insbesondere würden die Sattelrohre der angegriffenen Ausführungsformen an ihrer dem Kettenblatt zugewandten Seite eine erfindungsgemäße Abflachung aufweisen. Funktional diene diese Abflachung dazu, trotz der Verbreiterung des Sattelrohres zum sattelstützseitigen Ende hin ausreichend Raum für das Verschwenken des Kettenumwerfers zu lassen. Insofern sei die erfindungsgemäße Abflachung dadurch gekennzeichnet, dass das Sattelrohr auf der dem Kettenblatt zugewandten Seite eine geringere Breite aufweise als auf der gegenüberliegenden Seite.

Nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 02.09.2010 den zunächst gegen beide Beklagte gerichteten Antrag auf Vernichtung gegenüber der Beklagten zu 1) zurückgenommen hat, beantragt sie zuletzt,

zu erkennen wie geschehen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Klage bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den gegen das Klagepatent anhängigen Einspruch auszusetzen.

Die Beklagten sind der Auffassung, das Sattelrohr der angegriffenen Ausführungsformen weise keine erfindungsgemäße Abflachung auf, da sein Querschnitt am sattelstützseitigen Ende an der dem Kettenblatt zugewandten Seite genauso gestaltet sei wie an der von dem Kettenblatt abgewandten Seite. Bei einem solch vollsymmetrisch aufgebauten Sattelrohr könne keine Abflachung im Sinne des Klagepatents vorhanden sein. Insofern sei eine ebene Fläche von einer Abflachung zu unterscheiden. Letztere setze voraus, dass der Grundquerschnitt an einer Seite begradigt werde und damit die Symmetrie aufgegeben werde.

Weiter sind die Beklagten der Ansicht, das Klagepatent werde sich in dem anhängigen Einspruchsverfahren nicht als rechtsbeständig erweisen, da seine technische Lehre weder neu noch erfinderisch sei.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den sonstigen Inhalt der Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagten in dem tenorierten Umfang Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Feststellung der Entschädigungs- bzw. Schadensersatzpflicht zu, Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 u. 2, 140a Abs. 1 u. 3, 140b Abs. 1 u. 3 PatG, §§ 242, 259 BGB. Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.

I.
Die Erfindung gemäß dem Klagepatent betrifft ein Sattelrohr für einen Fahrradrahmen, insbesondere einen Rennradrahmen, sowie einen Fahrradrahmen mit einem erfindungsgemäßen Sattelrohr (Klagepatentschrift Abs. [0001]).

Herkömmliche Fahrradrahmen weisen ein Oberrohr und ein Unterrohr auf, die über ein Gabelaufnahmeelement miteinander verbunden sind. Desweiteren ist im hinteren Bereich des Fahrradrahmens ein Sattelrohr angeordnet, das sowohl mit dem Ober- als auch mit dem Unterrohr verbunden ist. Die Verbindung zwischen dem Sattelrohr und dem Unterrohr erfolgt dabei ggf. über ein Tretlager-Aufnahmeelement. In das Sattelrohr wird von oben die den Sattel tragende Sattelstütze eingesteckt. Insbesondere bei Rennrädern treten im Sattelrohr große Biegebelastungen auf. (Klagepatentschrift Abs. [0002])

Ausweislich der Klagepatentschrift ist aus der CH 26 65 40 bekannt, ein Sattelrohr derart auszugestalten, dass sich der Querschnitt in Richtung des Tretlagers verjüngt und das Sattelrohr zudem queroval ausgebildet ist, so dass am tretlagerseitigen Ende des Sattelrohres dessen Breite quer zur Rahmenlängsrichtung größer ist als in Rahmenlängsrichtung. Hierdurch sollen die auftretenden Kräfte von dem Sattelrohr besser aufgenommen bzw. übertragen werden können. Da die maximale Breite des Sattelrohres am tretlagerseitigen Ende insbesondere aufgrund des Kettenblatts und aufgrund des erforderlichen Verschwenkungsraumes für den Kettenumwerfer begrenzt ist, ist das Sattelrohr in seinen Abmessungen lediglich in Rahmenlängsrichtung verringert, quer zur Rahmenlängsrichtung aber nicht größer als bei herkömmlichen Rädern. Hinsichtlich der auftretenden Biegebelastungen am tretlagerseitigen Ende des Sattelrohes führt die dargestellte querovale Ausgestaltung des Sattelrohres daher zu keiner Verbesserung. (Klagepatentschrift Abs. [0003])

Ferner benennt die Klagepatentschrift als Stand der Technik die GB 608,223, die ein Sattelrohr beschreibt, das an seinem sattelstützseitigen Ende einen kreiszylindrischen und an seinem tretlagerseitigen Ende einen elliptischen Querschnitt aufweist, wobei eine Verringerung der Breite in Rahmenlängsrichtung und eine Verbreiterung quer zur Rahmenlängsrichtung erfolgt. (Klagepatentschrift Abs. [0004])

Die Klagepatentschrift führt aus, dass die Biegebelastungen am tretlagerseitigen Ende des Sattelrohres am größten seien und sodann kontinuierlich nach oben hin abnehmen würden. Die in dem Sattelrohr auftretenden Biegebelastungen würden in das Tretlager-Aufnahmeelement übertragen, wodurch die Tretlagersteifigkeit beeinflusst werde. Aus diesem Grund solle das Sattelrohr einen möglichst großen Durchmesser aufweisen. Die mögliche Ausdehnung des Sattelrohres sei jedoch an dem tretlagerseitigen Ende dadurch begrenzt, dass ausreichend Platz zum Verschwenken des Kettenumwerfers vorgesehen werden müsse, im mittleren Bereich des Sattelrohres müsse jedenfalls ein Schleifen des Hinterrades am Sattelrohr vermieden werden. (Klagepatentschrift Abs. [0005])

Vor diesem Hintergrund formuliert die Klagepatentschrift die Aufgabe (das technische Problem), ein Sattelrohr zu schaffen, durch das die Tretlagersteifigkeit verbessert und zugleich der übliche Rahmenaufbau beibehalten werden kann (Klagepatentschrift Abs. [0006], [0011]).

Dies soll gemäß dem Schutzanspruch 1 des Klagepatents durch ein Sattelrohr mit folgenden Merkmalen erreicht werden:

1. Sattelrohr für einen Fahrradrahmen, insbesondere einen Rennradrahmen.
2. Das Sattelrohr (18)
2.1 ist an seinem sattelstützseitigen Ende kreiszylindrisch ausgebildet und
2.2 weist an seinem tretlagerseitigen Ende (22) quer zur Rahmenlängsrichtung (24) eine größere Breite (b) als in Rahmenlängsrichtung (24) auf.
3. Das Sattelrohr (18) weist eine kettenblattseitige Abflachung (32) auf.

Daneben schützt Anspruch 10 des Klagepatents einen Fahrradrahmen mit folgenden Merkmalen:

1. Fahrradrahmen, insbesondere Rennradrahmen, mit einem Oberrohr (10), einem über ein Gabelaufnahmeelement (12) mit dem Oberrohr (10) verbundenen Unterrohr (14) und einem mit dem Oberrohr (10) und dem Unterrohr (14) verbundenen Sattelrohr (18).
2. Das Sattelrohr (18)
2.3 ist an seinem sattelstützseitigen Ende kreiszylindrisch ausgebildet und
2.4 weist an seinem tretlagerseitigen Ende (22) quer zur Rahmenlängsrichtung (24) eine größere Breite (b) als in Rahmenlängsrichtung (24) auf.
3. Das Sattelrohr (18) weist eine kettenblattseitige Abflachung (32) auf.

II.
Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der technischen Lehre der Klagepatentansprüche 1 und 10 wortsinngemäß Gebrauch.

Zwischen den Parteien ist zu Recht unstreitig, dass die angegriffenen Ausführungsformen die Merkmale 1 bis 2.2 der vorstehend wiedergegebenen Merkmalsgliederungen wortsinngemäß verwirklichen. Insofern bedarf es keiner weiteren Ausführungen. Darüber hinaus weisen die angegriffenen Ausführungsformen auch eine kettenblattseitige Abflachung des Sattelrohres im Sinne von Merkmal 3 auf.

Der Fachmann bestimmt den Begriff der „Abflachung“ in seinem technischen Gesamtzusammenhang (vgl. BGH, GRUR 1991, 909 – Spannschraube). Die Aufgabe des Klagepatents wird dadurch bestimmt, eine hohe Tretlagersteifigkeit zu erzielen (Klagepatentschrift Abs. [0006]). Zu diesem Zweck soll das Sattelrohr im tretlagerseitigen Bereich einen möglichst großen Durchmesser aufweisen (Klagepatentschrift Abs. [0005]). Der Durchmesser des Sattelrohres ist an seinem tretlagerseitigen Ende dadurch begrenzt, dass ausreichend Platz für das Verschwenken des Kettenumwerfers vorgesehen werden muss (Klagepatentschrift Abs. [0005]). Um dennoch einen möglichst großen Durchmesser des Sattelrohres zu erreichen, schlägt die Klagepatentschrift vor, (lediglich) auf der Seite des Kettenblattes eine Abflachung des Sattelrohres vorzusehen und hierdurch Platz für das Verschwenken des Kettenumwerfers zu schaffen (Klagepatentschrift Abs. [0009]). Dadurch wird eine Umkonstruktion anderer Bauteile entbehrlich (Klagepatentschrift Abs. [0011]).

Mit dem Begriff der „Abflachung“ wird allein die Ausgestaltung des Sattelrohres in seinem tretlagerseitigen Bereich auf der dem Kettenblatt zugewandten Seite beschrieben. Hinsichtlich des Querschnittes des Sattelrohres im sattelstützseitigen Bereich gibt Merkmal 2.3 zwingend eine kreiszylindrische Form vor. Entsprechende Angaben zum tretlagerseitigen Ende des Sattelrohres fehlen. Vielmehr heißt es hierzu lediglich, dass das Sattelrohr an seinem tretlagerseitigen Ende quer zur Rahmenlängsrichtung eine größere Breite aufweisen soll als in Rahmenlängsrichtung (Merkmal 2.4). Im Übrigen macht die Klagepatentschrift zu dem Querschnitt des Sattelrohres im tretlagerseitigen Bereich keine genaueren Angaben. Insbesondere muss das Sattelrohr nicht rund bzw. oval geformt sein. Soweit in der Klagepatentschrift von einer quer-ovalen Form des Sattelrohres die Rede ist, ist diese lediglich bevorzugt (Abs. [0008], [0016]) bzw. Gegenstand von Ausführungsbeispielen und Figuren (Abs. [0023-0025]), Figur 7). Diese vermögen hingegen den Schutzbereich des Klagepatents nicht einzuschränken (vgl. BGH, GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).

Ungeachtet der konkreten geometrischen Querschnittsform entnimmt der Fachmann dem beschriebenen funktionalen Zusammenhang, dass die Breite des Sattelrohres auf der mit der Abflachung versehenen Seite geringer sein muss als auf der gegenüberliegenden Seite. Erreicht wird dies dadurch, dass das Sattelrohr auf der dem Kettenblatt zugewandten Seite in geringerem Maße verbreitert wird als auf der von dem Kettenblatt abgewandten Seite. Eben dies wird in Figur 7 der Klagepatentschrift anhand der Abstände b1 und b2 verdeutlicht:

In dem gezeigten Ausführungsbeispiel der Erfindung beträgt der Abstand b1=25 mm und der Abstand b2=15,5 mm. Als Bezugspunkt für diese Messungen dient die in der vorstehenden Abbildung durch die horizontal verlaufende Linie angedeutete Mittelachse des Sattelrohres, die in der Rahmenmittelebene verläuft.

Vor diesem Hintergrund ist der Begriff der „Abflachung“ im Sinne des Klagepatents dahingehend zu verstehen, dass der Abstand der Außenkontur des Sattelrohres zur Rahmenmittelebene auf der dem Kettenblatt zugewandten Seite geringer ist als auf der von dem Kettenblatt abgewandten Seite. Insofern bewirkt die Abflachung eine Veränderung des Querschnitts des Sattelrohres. Dies hat auch die Einspruchsabteilung des EPA in ihrer vorläufigen Stellungnahme vom 14.10.2009 (Anlage B4, S. 10 oben) bestätigt. Ob darüber hinaus der Begriff der Abflachung die Ausbildung einer weitgehend ebenen Fläche voraussetzt, kann im vorliegenden Fall dahinstehen.

Denn selbst unter dieser zusätzlichen Voraussetzung würden die angegriffenen Ausführungsformen eine erfindungsgemäße Abflachung aufweisen. Sie verfügen über eine dem Kettenblatt zugewandte ebene Fläche, die näher an der Rahmenmittelebene liegt als die Außenkontur des Sattelrohres auf der von dem Kettenblatt abgewandten Seite. Nachfolgend werden zur Verdeutlichung der Querschnitt des Sattelrohres sowie eine Seitenansicht desselben wiedergegeben (vgl. Anlage TW 6):

In der Seitenansicht des Sattelrohres ist zu erkennen, dass sich das Sattelrohr von seinem sattelstützseitigen Ende in Richtung seines tretlagerseitigen Endes konisch verbreitert, die Breite auf beiden Seiten des Sattelrohres aber unterschiedlich stark zunimmt. Nach Anlage TW 6 beträgt sie im Schnitt A-A kettenblattseitig 20,48 mm und auf der anderen Seite 24,95 mm (68,1 mm : 2 = 34,05 mm abzüglich 13,57 mm bzw. 9,1 mm). Im Hinblick auf die Rahmenmittelebene ist der Querschnitt des Sattelrohres also keineswegs symmetrisch, sondern weist auf der dem Kettenblatt zugewandten Seite eine erfindungsgemäße Abflachung auf.

III.
Da die angegriffenen Ausführungsformen mithin Erzeugnisse darstellen, welche Gegenstand des Klagepatents sind, ohne dass die Beklagten zu einer Nutzung des Klagepatents berechtigt sind (§ 9 S. 2 Nr. 1 PatG), rechtfertigen sich die tenorierten Rechtsfolgen.

1.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten gemäß Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG einen Anspruch auf Unterlassung des weiteren Vertriebs der angegriffenen Ausführungsformen. Denn die Beklagten machen mit den angegriffenen Ausführungsformen von der Lehre der Schutzansprüche 1 und 10 in unberechtigter Weise Gebrauch. Die Beklagte zu 1), die die angegriffenen Fahrradrahmen im Ausland herstellt, vertreibt und liefert diese an die in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Beklagte zu 2), die diese wiederum in der Bundesrepublik Deutschland weiter vertreibt. Damit wirken beide Beklagte hinsichtlich des Vertriebs der angegriffenen Ausführungsformen in der Bundesrepublik Deutschland mittäterschaftlich zusammen.

2.
Des Weiteren haben die Beklagten der Klägerin als Gesamtschuldner Schadenersatz zu leisten (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 2 PatG), denn als Fachunternehmen hätten sie die Patentverletzung durch die angegriffenen Ausführungsformen bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, § 276 BGB. Die genaue Schadenshöhe steht derzeit noch nicht fest. Da es jedoch ausreichend wahrscheinlich ist, dass der Klägerin durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist und dieser von der Klägerin noch nicht beziffert werden kann, weil sie ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen ist, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an einer Feststellung der Schadenersatzverpflichtung dem Grunde nach anzuerkennen, § 256 ZPO. Darüber hinaus haben die Beklagten der Klägerin gemäß Art. II § 1 IntPatÜG im zuerkannten Umfang eine angemessene Entschädigung zu zahlen.

3.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten zudem Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b PatG, §§ 242, 259 BGB. Erst durch die Auskunft und Rechnungslegung wird die Klägerin in die Lage versetzt, die ihr zustehenden Schadensersatzansprüche beziffern zu können. Für die Beklagte ist die Auskunftserteilung nicht unzumutbar.
4.
Außerdem hat die Klägerin gemäß Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 3 PatG gegen die Beklagten einen Anspruch auf Rückruf und Entfernung der angegriffenen Ausführungsformen aus den Vertriebswegen. Es bestehen keine Anhaltspunkte für eine Unverhältnismäßigkeit des Rückrufs sowie der endgültigen Entfernung aus den Vertriebswegen im Sinne von § 140a Abs. 4 PatG.

5.
Schließlich hat die Klägerin gegen die Beklagte zu 2) einen Anspruch auf Vernichtung der streitgegenständlichen Fahrradrahmen aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 1 PatG. Die für den Vernichtungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen des § 140a Abs. 1 PatG liegen vor. Da die Beklagte zu 2) ihren Geschäftssitz in der Bundesrepublik Deutschland hat und die angegriffenen Ausführungsformen vertreibt, ist davon auszugehen, dass sie in der Bundesrepublik Deutschland im Besitz solcher Ausführungsformen ist.

IV.
Zu einer nach § 148 ZPO möglichen Aussetzung der Verhandlung zumindest bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts über den gegen das Klagepatent gerichteten Einspruch der Beklagten zu 1) besteht keine hinreichende Veranlassung.

Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung; BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die auch vom Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 – Steinknacker) und vom Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug) gebilligt wird, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, weil dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist. Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich dem Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung seines erteilten Patents Vorrang gebührt. Angesichts des Umstandes, dass ein Patent seinem Inhaber nur ein zeitlich begrenztes Monopolrecht verleiht und dass ein wesentlicher Teil dieses Rechtes, nämlich der Unterlassungsanspruch gegenüber einem Patentverletzer, durch eine Aussetzung der Verhandlung des Verletzungsrechtsstreits praktisch suspendiert würde, kommt eine Aussetzung wegen eines gegen das Klagepatent anhängigen Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens nur dann in Betracht, wenn ein Widerruf oder eine Vernichtung des Klageschutzrechtes nicht nur möglich, sondern mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Ist dies nicht der Fall, so verdient das Interesse des Patentinhabers an einer alsbaldigen Durchsetzung seiner – zeitlich ohnehin begrenzten – Rechte aus dem Patent den Vorrang vor dem Interesse der Gegenpartei, nicht aus einem Patent verurteilt zu werden, das sich möglicherweise später als nicht rechtsbeständig erweist. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht keine Veranlassung zur Aussetzung des vorliegenden Verletzungsrechtsstreits.

Die Einspruchsabteilung des EPA vertritt ausweislich ihrer vorläufigen Mitteilung vom 14.10.2009 (Anlage B4) bislang den Standpunkt, die technische Lehre des Klagepatents stelle sich auch unter Berücksichtigung der Entgegenhaltungen der Beklagten als neu und erfinderisch dar. Dass diese vorläufige Einschätzung keinen Bestand haben wird, kann schon deshalb nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, weil die Beklagten zwar die im Einspruchsverfahren eingereichten Schriftsätze, nicht aber die dort in Bezug genommenen Entgegenhaltungen zur Akte gereicht haben.

Soweit die Beklagten ihr Aussetzungsbegehren darauf stützen, die Rahmen „A“ (Anlage B10), „B“ (Anlagen B11, B12) und „C“ (Anlagen B13, B 14) seien der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag des Klagepatents (19.04.2004) bekannt gewesen und würden sämtliche Merkmale der klagepatentgemäßen Lehre offenbaren, kann dies ebenfalls nicht mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.

Hinsichtlich des Rahmens „A“ ist eine Aussetzung schon deshalb nicht veranlasst, weil die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes zu der Frage, welche technischen Merkmale der Rahmen hatte und wie diese der Öffentlichkeit zugänglich waren, eine Beweisaufnahme angeordnet hat (vgl. Anlage TW 10a). Soweit aber zur Feststellung der Rechtsbeständigkeit eines Patentes der Eintritt in die Beweisaufnahme geboten erscheint, kann im Rahmen des Verletzungsrechtsstreits nicht mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass das Klagepatent keinen Bestand haben wird (OLG Düsseldorf, GRUR 1979, 636 – Ventilbohrvorrichtung; OLG Düsseldorf, InstGE 8, 141-147). Im Übrigen vermag die Kammer anhand der von den Beklagten als Anlage B10 zur Akte gereichten Produktunterlagen nicht zu erkennen, dass das Sattelrohr an seinem tretlagerseitigen Ende quer zur Rahmenlängsrichtung eine größere Breite als in Rahmenlängsrichtung aufweist (Merkmal 2.2). Die Klägerin bestreitet dies unter Verweis auf die nachfolgend wiedergegebene, von ihr angefertigte technische Zeichnung (vgl. Anlage TW 10, dort Anlage A2).

Eine Verbreiterung des Sattelrohres in Richtung seines tretlagerseitigen Endes quer zur Rahmenlängsrichtung ist nicht zu erkennen. Vielmehr weist das Sattelrohr ausweislich dieser Zeichnung an seinem tretlagerseitigen Ende einen geringeren Durchmesser auf als an seinem sattelstützseitigen Ende. Dem sind die Beklagten nicht substantiiert entgegengetreten.

Auch im Hinblick auf den Rahmen „B“, von dem sich ein Muster als Anlage B12 bei der Akte befindet, ist eine offenkundige Vorbenutzung der klagepatentgemäßen Lehre nicht mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit festzustellen. Denn eine kettenblattseitige Abflachung im Sinne von Merkmal 3 ist bei dem dortigen Sattelrohr nicht zu erkennen. Vielmehr scheint das Sattelrohr an seinem tretlagerseitigen Ende polyorthogonal ausgebildet zu sein. Etwas anderes lässt sich auch den als Anlage B13 vorgelegten Produktinformationen nicht entnehmen.

Gleiches gilt für den Rahmen „C“, von dem sich ein Muster als Anlage B14 bei der Akte befindet. Auch bei diesem Rahmen ist eine kettenblattseitige Abflachung des Sattelrohres im Sinne von Merkmal 3 nicht zu erkennen. An seinem tretlagerseitigen Ende weist das Sattelrohr vielmehr einen ovalen Querschnitt auf. Eine Asymmetrie des Querschnitts in Bezug auf die Rahmenmittelebene ist nicht festzustellen. Eine solche ergibt sich auch nicht aus den als Anlage B13 vorgelegten Produktinformationen.

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 269 Abs. 3 S. 2, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 709 Satz 1, 108 ZPO.

Der Streitwert wird auf 1.000.000,00 Euro festgesetzt.