Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2554
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 15. November 2016, Az. 4a O 70/15
I. Der Beklagte wird verurteilt,
1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,
Einrichtungen zum Installieren von Versorgungsleitungen und/ oder Datenleitungen für mehrere Arbeitsplätze in einem Raum einer Schule, mit einem aus vorbereiteten Elementen gerüstartig aufbaubaren System, das Aufnahmen in Form von in Längsrichtung des Raumes verlaufenden Kanälen unterhalb der Decke eines Raumes und oberhalb einer normalen Greifhöhe anzuordnende Versorgungsleitungen und/ oder Datenleitungen aufweist, die mit in Greifhöhe anzuordnenden Versorgungsanschlüssen verbunden sind, die in nach unten gerichteten, Arbeitsplätzen zugeordneten Säulen angeordnet sind,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
bei denen die Säulen um eine unterhalb einer Decke des Raumes und oberhalb einer normalen Greifhöhe anbringbare, im Bereich der Kanäle befindliche, horizontale Achse zwischen einer vertikalen Stellung, in der sich die Versorgungsanschlüsse in Greifhöhe befinden, und einer horizontalen Stellung verschwenkbar sind, die Versorgungsanschlüsse einer Säule in einem Anschlusskasten zusammengefasst sind, die Versorgungsanschlüsse an einer ersten Seite des Anschlusskastens angeordnet sind und in der horizontalen Stellung der Säulen die erste Seite des Anschlusskastens mit den Versorgungsanschlüssen dem Kanal zugewandt ist;
2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zulegen, in welchem Umfang er die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 09.09.2012 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der Einkaufspreise,
b) der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefer- und Bestellmengen, zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer und der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei der Beklagte hinsichtlich der Angaben zu lit. a) und b) Kopien von Auftragsbestätigungen und Rechnungen und für den Fall, dass keine Rechnungen vorhanden sind, Kopien von Lieferscheinen vorzulegen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,
wobei dem Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften seiner nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern der Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist, wobei dieser Wirtschaftsprüfervorbehalt sich nicht auf die öffentliche Hand bezieht;
3. die vorstehend zu Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 09.09.2012 im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, denen durch den Beklagten oder mit dessen Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass das Gericht mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents DE 10165XXX C5 erkannt hat ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an den Beklagten zurückzugeben und ihm für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe verbindlich zugesagt wird;
4. die im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/ oder Eigentum des Beklagten befindlichen unter Ziffer I. 1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach Wahl des Beklagten an einen von der Klägerin zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten des Beklagten herauszugeben.
II. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr und A B durch die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 09.09.2012 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 250.000,00 vorläufig vollstreckbar. Daneben ist das Urteil hinsichtlich der Auskunft und Rechnungslegung (Ziff. I. 2. des Tenors) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 28.000,00, weiterhin ist der Kostenpunkt gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
T a t b e s t a n d
Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen Verletzung des deutschen Patents 101 65 XXX C5 (im Folgenden: Klagepatent), dessen eingetragene Inhaberin die Klägerin seit dem 05.06.2015 ist (vgl. Mitteilung des DPMA v. 05.06.2015, Anlage rop 1), auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung sowie Feststellung einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach in Anspruch.
Das Klagepatent wurde unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 18.04.2000 am 15.02.2001 angemeldet. Am 02.10.2008 wurde die Patenterteilung veröffentlicht. Eingetragener Patentinhaber war zunächst Herr A B. Mit Übertragungs- und Abtretungsvertrag vom 20.05.2015 wurde das Klagepatent auf die Klägerin übertragen und ihr das Recht zur Geltendmachung etwaiger Ansprüche des früheren Patentinhabers eingeräumt. Wegen des konkreten Inhalts der Vereinbarung (Anlage rop 16) wird auf diese Bezug genommen.
Im Rahmen eines Einspruchsverfahrens ist das Klagepatent, das eine Einrichtung zum Installieren von Versorgungsleitungen betrifft, in dem Umfang, in dem es die als Anlage rop 2 vorgelegte geänderte Patentschrift erkennen lässt, aufrechterhalten worden. Wegen des genauen Entscheidungsinhalts wird auf den Beschluss des DPMA vom 01.07.2010 (Anlage rop 4) verwiesen.
Der Klagepatentanspruch 1 lautet danach:
„Einrichtung zum Installieren von Versorgungsleitungen und/ oder Datenleitungen für mehrere Arbeitsplätze,
mit einem aus vorbereiteten Elementen gerüstartig aufbaubaren System,
das Aufnahmen in Form von Kanälen unterhalb der Decke eines Raumes und oberhalb einer normalen Greifhöhe anzuordnende Versorgungsleitungen und/ oder Datenleitungen aufweist,
die mit in Greifhöhe anzuordnenden Versorgungsanschlüssen verbunden sind, die in nach unten gerichteten, Arbeitsplätzen zugeordneten Säulen angeordnet sind,
dadurch gekennzeichnet, dass die Säulen (21) um eine unterhalb einer Decke des Raumes und oberhalb einer normalen Greifhöhe anbringbare, im Bereich der Kanäle (18) befindliche horizontale Achse (53) zwischen einer vertikalen Stellung, in der sich die Versorgungsanschlüsse (23) in Greifhöhe befinden und einer horizontalen Stellung verschwenkbar sind.“
Ein mit dem Klagepatent inhaltsgleiches Gebrauchsmuster, DE 201 21 XXX U1 (im Folgenden: DE ‘XXX), wurde im Rahmen eines Löschungsverfahrens vernichtet (vgl. Beschluss des BPatG vom 09.06.2010, Az.: 35 W (pat) 429/09, Anlage B 3). Ein im Hinblick auf diese Entscheidung beim BGH anhängiges Rechtsbeschwerdeverfahren wurde von den Parteien wegen Ablaufs der Schutzdauer des Gebrauchsmusters übereinstimmend für erledigt erklärt.
Auf die von dem Beklagten am 08.12.2014 erhobene Nichtigkeitsklage, Az.: 6 Ni 79/14, hat das Bundespatentgericht, nachdem es am 12.04.2016 einen Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG (Anlage B 8) erteilt hat, das Klagepatent entsprechend eines von der Klägerin gestellten Hilfsantrags 3 (gesondert vorgelegt als Anlage rop 15) mit Urteil vom 14.09.2016 beschränkt aufrechterhalten. Die beschränkte Fassung des Anspruchs 1 lautet wie folgt (in den Anspruch aufgenommene Ergänzungen sind fett gedruckt):
„Einrichtung zum Installieren von Versorgungsleitungen und/oder Datenleitungen für mehrere Arbeitsplätze in einem Raum einer Schule
mit einem aus vorbereiteten Elementen gerüstartig aufbaubaren System,
das Aufnahmen in Form von in Längsrichtung des Raumes verlaufenden Kanälen für unterhalb der Decke eines Raumes und oberhalb einer normalen Greifhöhe anzuordnende Versorgungsleitungen und/ oder Datenleitungen aufweist,
die mit in Greifhöhe anzuordnenden Versorgungsanschlüssen verbunden sind, die in nach unten gerichteten, Arbeitsplätzen zugeordneten Säulen angeordnet sind, wobei
die Säulen (21) um eine unterhalb einer Decke des Raumes und oberhalb einer normalen Greifhöhe anbringbare, im Bereich der Kanäle (18) befindliche horizontale Achse (53) zwischen einer vertikalen Stellung, in der sich die Versorgungsanschlüsse (23) in Greifhöhe befinden, und einer horizontalen Stellung verschwenkbar sind,
die Versorgungsanschlüsse (23) einer Säule (21) in einem Anschlusskasten (22) zusammengefasst sind,
die Versorgungsanschlüsse (23) an einer ersten Seite des Anschlusskastens (22) angeordnet sind und
in der horizontalen Stellung der Säulen (21) die erste Seite des Anschlusskastens (22) mit den Versorgungsanschlüssen (23) dem Kanal (18) zugewandt ist.“
Wegen der übrigen Ansprüche des beschränkten Klagepatents, die lediglich im Hinblick auf ihre Nummerierung eine Änderung erfahren haben, wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht am 14.09.2016 (Anlage rop 14) Bezug genommen. Eine Begründung des Urteils steht noch aus.
Eine bevorzugte Ausführungsform der klagepatentgemäßen Einrichtung zum Installieren von Versorgungsleitungen ist mit der Fig. 1 nachfolgend in verkleinerter Form eingeblendet:
Die Figur 1 zeigt die Seitenansicht eines Raumes, an dessen Decke 12 sich ein gerüstartig aufgebautes System im Sinne des Klagepatents befindet, durch welches die Installation von Versorgungsleitungen zu in dem Raum befindlichen Computer-Arbeitsplätzen (einzelne Bestandteile sind mit den Kennziffern 13 – 17 markiert) realisiert ist. Das gerüstartig aufgebaute System weist mindestens einen in Längsrichtung des Raumes verlaufenden Kanal 18 auf, indem sich die Versorgungsleitungen befinden und der mit Hängehaltern 19 an der Decke 12 aufgehängt ist. Das Ende des Kanals 18 ist mit einem Halter 20 an der Rückwand 11 des Raumes befestigt. An jedem Computer-Arbeitsplatz zweigt von dem Kanal 18 eine Säule 21 ab, an deren Anschlusskasten 22 sich Versorgungsanschlüsse 23 (Kennziffer in dieser Abbildung nicht vorhanden; siehe nachfolgend Fig. 4) befinden. In die Versorgungsanschlüsse 23 sind Anschlusselemente von Leitungen 24 eingesteckt, die zu den Computer-Arbeitsplätzen führen, und über die die einzelnen Arbeitsplätze miteinander verbunden werden können.
Eine Detailansicht eines Kanals 18 und der Säule 21 mit den dargestellten Elementen wird nachfolgend verkleinert mit der Fig. 4 abgebildet:
Der Beklagte bietet an und vertreibt das nachfolgend eingeblendete „Decken-Medienversorgungssystem mit abschwenkbaren Modulen“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform) zum Einsatz in Schulräumen:
Die vertikale Position, in die die Säulen maximal verschenkt werden können, liegt bei etwa 60°. Die Neigung der Säulen gegenüber der horizontalen Stellung liegt im Bereich von ca. 5°. Der an der Säule der angegriffenen Ausführungsform befindliche Anschlusskasten weist eine sechseckige Form auf. Die Versorgungsanschlüsse der angegriffenen Ausführungsform sind an dem Anschlusskasten, wie nachfolgend mit dem Lichtbild Ziff. 4 der Anlage rop 10 gezeigt, platziert:
Weitere Abbildungen des Systems können dem als Anlage rop 9 vorgelegten screenshot von der Internetseite des Beklagten mit der Adresse www.C.de sowie den weiteren Lichtbildern (Anlage rop 10) entnommen werden.
Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache von dem Hauptanspruch 1 des Klagepatents, wie er durch die Entscheidung des BPatG in dem Nichtigkeitsverfahren, Az.: 6 Ni 79/14, durch Urteil vom 14.09.2016 beschränkt aufrechterhalten worden ist, unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch.
Insbesondere seien die Säulen der angegriffenen Ausführungsform auch im Sinne des Klagepatents zwischen einer vertikalen und einer horizontalen Stellung verschwenkbar. Die technische Lehre des Klagepatents setze keine Verschwenkbarkeit in die vertikel Stellung um eine bestimmte Winkelstellung voraus. Allein maßgeblich sei, dass die Versorgungsanschlüsse durch die Verschwenkbarkeit der Säule um die anspruchsgemäße horizontale Achse in Greifhöhe gebracht werden könne.
Nachdem das Klagepatent nur noch in einer beschränkten Anspruchsfassung aufrechterhalten worden ist, hat die Klägerin ihren ursprünglichen Unterlassungsantrag mit Schriftsatz vom 21.09.2016 an die beschränkte Anspruchsfassung angepasst.
Die Klägerin beantragt:
wie erkannt.
Der Beklagte beantragt:
die Klage abzuweisen;
hilfsweise:
der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits jedenfalls hinsichtlich des zurückgenommenen Teils aufzuerlegen;
weiter hilfsweise:
ihm Vollstreckungsschutz zu gewähren, erforderlichenfalls gegen Sicherheitsleistung;
weiter hilfsweise:
den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Erledigung der erhobenen Nichtigkeitsklage auszusetzten.
Der Beklagte ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform verletzte das Klagepatent nicht.
Dies zum einen deshalb, weil die Säule der angegriffenen Ausführungsform nicht aus einer vollständig horizontalen in eine vollständig vertikale Stellung verschwenkt werden kann – was die Lehre des Klagepatents jedoch verlange. Zum anderen deshalb, weil sich die Versorgungsanschlüsse nicht lediglich an einer Seite des sechseckig ausgestalteten Anschlusskastens, sondern an drei Seiten desselben befinden.
Selbst dann, wenn von einer Verletzung des Klagepatents auszugehen sei, fehle es im Hinblick auf den Schadensersatzanspruch jedenfalls an seinem, des Beklagten, Verschulden. Insoweit exkulpiere es ihn jedenfalls, dass das Gebrauchsmuster durch den Beschluss des BPatG vom 09.06.2010 (Anlage B 3) gelöscht worden sei.
Auch werde eine – noch zu erhebende – Nichtigkeitsberufung Erfolg haben. Neben einer fehlenden erfinderischen Tätigkeit werde sich das Klagepatent insbesondere deshalb als nicht rechtsbeständig erweisen, weil die im Rahmen des erstinstanzlichen Nichtigkeitsverfahrens ergänzten Merkmale g2) und g3) in der ursprünglichen Anmeldung nicht als zur Erfindung gehörig seien.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll zur Sitzung vom 13.10.2016 Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die zulässige Klage ist begründet.
Da die angegriffene Ausführungsform von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch macht, stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie auf Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach aus §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 1 und 3 PatG i. V. m. §§ 242, 259 BGB zu.
I.
Gegenstand des Klagepatents ist eine Einrichtung zum Installieren von Versorgungsleitungen.
Versorgungsleitungen werden unter anderem in Schulen, Hochschulen, in Instituten für Erwachsenenbildung und in Laboren oder dergleichen benötigt, wobei dort insbesondere ein Bedarf besteht, zu einzelnen Lern- und Arbeitsplätzen oder zu einer Gruppe von Lern- und Arbeitsplätzen Computer mit den zugehörigen Versorgungsleitungen zuzuordnen (Abs. [0002]). Hier besteht darüber hinaus häufig auch ein Bedürfnis, die Computer untereinander oder einen Computer mit einem Beamer zu vernetzen (Abs. [0002]).
In dem Stand der Technik, den das Klagepatent einleitend schildert, sind sog. Deckenampeln oder Flügel zum Verfügbarhalten von Versorgungsleitungen bekannt (Abs. [0003]). Hieran kritisiert das Klagepatent, dass diese knapp oberhalb der Greifhöhe einer erwachsenen Person angebracht sind, weshalb der Anschluss eines Endverbrauchsgeräts an diese Versorgungsleitungen erfordert, dass sich der Nutzer entweder über die normale Greifhöhe hinaus streckt oder Hilfsmittel wie Leiter oder Hocker benutzt (Abs. [0003]). Für hochgewachsene Personen können die Vorrichtungen dennoch eine gewisse Gefahr bedeuten, weil sie für diese in Kopfhöhe oder nur knapp darüber angeordnet sind (Abs. [0003]). Des Weiteren können die vorbekannten Vorrichtungen, die eine Breite von 30 cm bis 60 cm aufweisen, die Raumbeleuchtung behindern oder Schatten werfen, was eine zusätzliche Beleuchtung aus den Versorgungseinheiten heraus, notwendig macht (Abs. [0003]).
Das Klagepatent greift weiter auch die in der DE 9411XXX U1 (Gebrauchsmusterschrift vorgelegt als Anlage rop 3) offenbarte Einrichtung auf, bei der sich die Versorgungsanschlüsse in Säulen befinden, die wiederum fest mit einem im Bereich der Decke eines Raumes angeordneten Kanal und/ oder mit dem Boden des Raumes verbunden sind.
Eine weitere vorbekannte Einrichtung enthält die US 3 556 455 (Patentschrift vorgelegt als Anlage rop 6), die für die Anwendung in Operationssälen vorgesehen ist (Abs. [0005]). Auch bei dieser Vorrichtung ist eine starre Säule vorgesehen, die mit Bedienknöpfen und Versorgungsanschlüssen ausgestattet ist (Abs. [0005]). Aus der Säule, die sich in Greifhöhe befindet, ist eine Stange ausfahrbar, die chirurgische Instrumente aufnehmen kann (Abs. [0005]). Aus der Stange ist ein weiterer Gehäuseteil nach unten beweglich, so dass Versorgungsanschlüsse und Bedienknöpfe aus der Greifhöhe noch niedriger verfahrbar sind (Abs. [0005]).
Nach der DE 6949024 U ist im Stand der Technik auch ein Deckenstativ bekannt, das an seinem unteren Ende eine Säule aufweist, an die ein elektromedizinisches Gerät so angebracht werden kann, dass es sich in Greifhöhe befindet (Abs. [0006]). Die Säule ist durch einen in einem Rahmen eingesetzten Schlitten horizontal beweglich gehalten, wobei der Rahmen seinerseits quer zur Verfahrrichtung des Schlittens über Schienen verfahrbar ist (Abs. [00006]).
Diesen Stand der Technik, den das Klagepatent über die bereits dargestellten Nachteile hinaus, nicht weiter ausdrücklich kritisiert, berücksichtigend, strebt das Klagepatent die Bereitstellung einer Einrichtung zum Installieren von Versorgungsleitungen an, die einen flexiblen Aufbau und eine flexible Installation von Versorgungsleitungen ermöglicht, die leicht zu bedienen ist und die zu möglichst geringen Behinderungen führt (Abs. [0007]).
II.
Diese Aufgabe (technisches Problem) soll durch eine Einrichtung nach Anspruch 1 gelöst werden (Abs. [0008]), der wie folgt gegliedert werden kann, wobei in der nachfolgenden Gliederung auch die im Rahmen der Nichtigkeitsentscheidung ergänzten Merkmale (fett gedruckt) aufgenommen sind:
a) Einrichtung zum Installieren von Versorgungsleitungen und/ oder Datenleitungen für mehrere Arbeitsplätze
a.1) in einem Raum einer Schule
b) mit einem aus vorbereiteten Elementen gerüstartig aufbaubaren System,
c) das Aufnahmen in Form von
c.1) in Längsrichtung des Raums verlaufenden
c.2) Kanälen für unterhalb der Decke eines Raumes und oberhalb einer normalen Greifhöhe anzuordnende Versorgungsleitungen und/ oder Datenleitungen aufweist,
d) die mit in Greifhöhe anzuordnenden Versorgungsanschlüssen verbunden sind,
e) die in nach unten gerichteten, Arbeitsplätzen zugeordneten Säulen angeordnet sind,
dadurch gekennzeichnet, dass
f) die Säulen um eine unterhalb der Decke des Raumes und oberhalb einer normalen Greifhöhe anbringbare, im Bereich der Kanäle befindliche, horizontale Achse zwischen einer vertikalen Stellung, in der sich die Versorgungsanschlüsse in Greifhöhe befinden, und einer horizontalen Stellung verschwenkbar sind,
g) die Versorgungsanschlüsse einer Säule
g.1) in einem Anschlusskasten zusammengefasst sind,
g.2) die Versorgungsanschlüsse an einer ersten Seite des Anschlusskastens angeordnet sind und
g.3) in der horizontalen Stellung der Säulen die erste Seite des Anschlusskastens mit den Versorgungsanschlüssen dem Kanal zugewandt ist.
Nach der Lehre des Klagepatents werden die erfindungswesentlichen Vorteile eines leichten Zugriffs auf die Versorgungsleitungen und eines flexiblen Auf- und Abbaus derselben, ohne dass es zu größeren Behinderungen kommt, durch einen gerüstartigen Aufbau der Installationseinrichtung erzielt (Abs. [0009]: „[…] Der besondere Vorteil des gerüstartigen Systems, […].“; für ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel beschrieben in: Abs. [0032]). Bestandteile dieses gerüstartigen Aufbaus sind die Kanäle, die deutlich außerhalb der normalen Greifhöhe liegen, sowie die von diesen abgehenden Säulen mit den Versorgungsleitungen (Abs. [0009] am Anfang), die – wie der Anspruchswortlaut mit dem Merkmal f) und der Merkmalsgruppe g) zeigt – in einer bestimmten Art und Weise angeordnet und ausgestattet sind.
III.
Es liegt eine Verletzung Klagepatents durch den Beklagten im Sinne von § 9 Satz 2 PatG vor.
Die angegriffene Ausführungsform macht wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch. Mit Ausnahme des Merkmals f) und des Merkmals g2) steht dies zwischen den Parteien außer Streit. Der Benutzungstatbestand begegnet insoweit keinen Bedenken. Aber auch die zwischen den Parteien streitigen Merkmale sind auf der Grundlage der unter Ziff. III. dargestellten Auslegung des Klagepatents bei der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht.
Gem. § 14 Satz 1 PatG wird der Schutzbereich eines Patents durch die Patentansprüche bestimmt, wobei auch die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen sind (§ 14 Satz 2 PatG). Dabei ist bei der für die Bestimmung des Schutzbereichs gebotenen Auslegung des Patentanspruchs nicht die sprachliche oder logisch-wissenschaftliche Bedeutung der im Patentanspruch verwendeten Begriffe maßgeblich, sondern deren technischer Sinn, der unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung, wie sie sich objektiv für den von dem Klagepatent angesprochenen Fachmann aus dem Patent ergeben (BGH, GRUR 1975, 422 (424) – Streckwalze). Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der patentierten Erfindung beitragen (BGH, GRUR 2007, 410 (413) – Kettenradanordnung).
1.
Nach dem Anspruchswortlaut des Merkmals f),
„die Säulen um eine unterhalb der Decke des Raumes und oberhalb einer normalen Greifhöhe anbringbare, im Bereich der Kanäle befindliche, horizontale Achse zwischen einer vertikalen Stellung, in der sich die Versorgungsanschlüsse in Greifhöhe befinden, und einer horizontalen Stellung verschwenkbar sind“,
ist die vertikale Stellung, die die Achse nach dem Verschwenken aus der horizontalen Stellung einnehmen soll, dadurch gekennzeichnet, dass sich die in der Säule befindlichen Versorgungsanschlüsse in Greifhöhe befinden („[…] einer vertikalen Stellung, in der sich die Versorgungsanschlüsse in Greifhöhe befinden, […]“).
Dafür, dass diese Greifhöhe nach der Lehre des Klagepatents nur bei einer vollständig exakten vertikalen Ausrichtung der Säule erreicht werden kann, bestehen aus der Sicht des Fachmannes, einem Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau, der Einrichtungen zur Versorgung von Arbeitsplätzen plant und konstruiert, auch bei der gebotenen funktionsorientierten Betrachtung keine Anhaltspunkte.
Nach der Lehre des Klagepatents ist der Verschwenkbarkeit der Säulen in eine vertikale Position die Funktion zugewiesen, einen Zugriff auf die Versorgungsanschlüsse mit dem Ziel der Energieversorgung des Computers oder dessen Kopplung mit anderen Medien zu ermöglichen, und zwar auf eine Art und Weise, die keine weiteren Hilfsmittel – etwa wie im Stand der Technik in der Form eines Hockers oder einer Leiter – erfordert:
„Das Verbringen von Energie und/ oder Medien in den Greifraum oberhalb von Tischplatten der Arbeitsplätze verläuft gesichert innerhalb der Säulen zu den Versorgungsanschlüssen, die in einer Höhe von etwa 160 cm bis 180 cm angeordnet sind. Dort können sie auch von Kindern oder kleingewachsenen Personen gut erreicht werden.“ (Abs. [0009]).
Aus diesen Angaben leitet der Fachmann ab, dass für die einfache Zugriffsmöglichkeit die Höhe der Säulen, nachdem sie in ihre vertikale Stellung verbracht worden sind, maßgeblich ist. Das Erreichen einer Greifhöhe hängt jedoch neben dem Grad der Verschwenkung auch davon ab, in welcher Höhe außerhalb der normalen Greifhöhe sich die Kanäle befinden (in den Abschnitten [0009] und [0028] wird beispielsweise eine Höhe von 250 cm genannt), denn auf dieser Höhe liegt nach dem Anspruchswortlaut auch die horizontale Achse, um die die Säulen verschwenkbar sein sollen, und wie lang die Säule selbst ist. Die genaue Ausgestaltung dieser Faktoren für eine Zugriffsmöglichkeit auf die Säule überlässt das Klagepatent dem Fachmann.
Zwar darf – was der Fachmann berücksichtigen wird – die Verschwenkbarkeit der Säule in die vertikale Position nicht so gering sein, dass ein Zugriff auf die Versorgungsleitungen, die sich – wie die Merkmalsgrupp g) erkennen lässt – in einem Anschlusskasten an der Säule befinden, dass sich die Säule zwar in Greifhöhe befindet, die Position des Anschlusskastens aber so ungünstig liegt, dass die Anschlüsse für die Versorgungsleitungen nach oben, in Richtung Säule zeigen. Denn dies würde einer einfachen Bedienbarkeit entgegenstehen. Aber insoweit enthält der Fachmann aus der Beschreibung des Klagepatents einen Hinweis, wenn es in Abschnitt [0031] heißt:
„Darüber hinaus wird bevorzugt vorgesehen, dass der Anschlusskasten 22 um annähernd 360° verdrehbar ist, so dass er jeweils in die günstigste Position ausrichtbar ist.“
Eine weitere Beschreibung der Verdrehbarkeit des Anschlusskastens in diesem Sinne befindet sich in Abs. [0036]. Diese ist des Weiteren in dem Unteranspruch 2 unter Schutz gestellt.
Aus diesen Beschreibungsstellen leitet der Fachmann ab, dass zwar das Verbringen der Säule in eine Greifhöhe durch ein Verschwenken in ihre vertikale Position herbeigeführt werden muss. Der einfache Zugriff des Anschlusskastens, der sich bereits in Greifhöhe befindet, kann jedoch auch durch die flexible Ausrichtung des Anschlusskastens bewirkt werden.
Die horizontale Stellung, die der Patentanspruch in seinem Wortlaut in Bezug nimmt, dient der Abgrenzung zu der vertikalen Position, in der sich die Säule in Greifhöhe befindet. Die horizontale Position ist mithin dadurch gekennzeichnet, dass die Säule sich außerhalb der Greifhöhe, das heißt außerhalb einer Höhe befindet, in der sie für den Nutzer eine Gefahr darstellt. Vor diesem Hintergrund spricht der Anspruchswortlaut auch davon, dass die horizontale Stellung der Achse sich an einer horizontalen Achse im Bereich der Kanäle orientiert.
Das Verschwenken in eine horizontale Position dient darüber hinaus auch dem Erreichen des erfindungswesentlichen Vorteils, die Raumbeleuchtung durch das Installationssystem möglichst wenig zu beeinträchtigen. Denn die horizontale Stellung gleicht sich der Deckenflucht an, während ein in den Raum ragender Gegenstand eher geeignet ist, einen Schattenwurf oder ein Versperren vorhandener Lichtquellen zu verursachen.
Ein anderes Verständnis ergibt sich für den Fachmann auch nicht daraus, dass in den Fig. 8 – 10 und den dazugehörigen Beschreibungsstellen Abs. [0042], [0043] Säulen gezeigt und beschrieben werden, die in eine vollständig vertikale Position verschwenkbar sind. Denn dabei handelt es sich lediglich um Ausführungsbeispiele, auf die die Lehre des Klagepatents grundsätzlich nicht beschränkt werden kann (BGH, GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungsvorrichtung).
Auch sofern – worauf der Beklagte hinweist – die Einspruchsabteilung des Deutschen Patent- und Markenamtes in seiner Einspruchsentscheidung über das Klagepatent vom 01.07.2010 (Anlage rop 4) zu erkennen gegeben hat, dass die Lehre des Klagepatents die vollständige vertikale Ausrichtung der Säule verlange,
„[…], denn eine Säule ist nach allgemeinen Verständnis ein auf seiner gesamten Länge vertikal ausgerichteter Körper (vgl. Anspruch 1/ Merkmal e) „nach unten gerichtete Säule“). Somit kann im vorliegenden Fall nur ein solcher Körper als Säule bezeichnet werden, bei dem zumindest zeitweise (d.h. im vorliegenden Fall entweder in der Arbeits- oder Ruheposition) dessen senkrechte Ausrichtung vorgesehen ist.“ (Beschluss v. 01.07.2010, S. 10, Anlage rop 4),
veranlasst dies die Kammer zu keiner anderen Auslegung.
Der dargestellte Beschlussinhalt bindet das Verletzungsgericht vorliegend jedenfalls nicht, denn es ist bereits eine neue, die Einspruchsentscheidung berücksichtigende Patentschrift veröffentlicht worden (vgl. Anlage rop 2), anhand derer eine Auslegung vorliegend auch erfolgt (vgl. dazu Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 8. Auflage, 2016, Kap. A., Rn. 77). Die Entscheidungsbegründung ist dennoch zwar als fachkundige Äußerung zu berücksichtigen (vgl. insoweit (BGH, GRUR 1998, 895 – Regenbogenbecken; Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 8. Auflage, 2016, Kap. A., Rn. 74), es ist jedoch davon auszugehen, dass der Fachmann auch das von der Einspruchsabteilung zur Begründung ihrer Auffassung herangezogene Merkmal e) in das bereits dargestellte Verständnis von der klagepatentgemäßen Lehre einordnen wird. Die Säulen dienen in diesem Zusammenhang dazu, den Weg zwischen den Kanälen, die in einiger Entfernung zu den zu versorgenden Arbeitsplätzen oberhalb der Greifhöhe angeordnet sind, zu überbrücken, und eine Verbindung zu ermöglichen. Dies kann jedoch – wie bereits dargestellt – auch dann geschehen, wenn die Säulen nicht in eine vollständig vertikale Position verbracht werden.
Eine Stützte für dieses Verständnis ist auch dem gerichtlichen Hinweises des BPatG vom 12.04.2016 zu entnehmen. In diesem heißt es (auf S. 6 unter Pkt. 2.6, Anlage B 8):
„Der Begriff der Säule ist im Kontext der Streitpatentschrift nicht auf vertikal angeordnete Konstruktionsteile beschränkt, da die Säule erfindungsgemäß zwischen einer vertikalen und einer horizontalen Stellung verschwenkbar sein soll.“
Diesen ebenfalls als sachverständige Stellungnahme zu berücksichtigenden Ausführungen ist zwar nicht zwingend zu entnehmen, dass eine vertikale Anordnung der Säule nicht jedenfalls zu irgendeinem Zeitpunkt verlangt wird, eine Abgrenzung zu dem allgemeinen Fachverständnis scheint vielmehr zunächst nur derart zu erfolgen, dass eine Säule nicht stets eine vertikale Anordnung voraussetzt. Jedoch geben die Ausführungen einen Anhaltspunkt dafür, dass der Fachmann von dem allgemeinen Fachverständnis einer Säule als vertikal angeordneter Vorrichtung, welches die Einspruchsabteilung zugrunde gelegt hat, im Zusammenhang mit der Lehre des Klagepatents abweicht.
Weiter wird die Ansicht der Einspruchsabteilung dadurch relativiert, dass auch das BPatG in seiner Beschwerdeentscheidung über die Löschung des parallelen Gebrauchsmusters ‘XXX wie folgt ausgeführt hat:
„Unter nach unten gerichteten Säulen (Merkmal f) sind im Gegensatz zur Auffassung der Gebrauchsmusterabteilung […] nicht notwendig senkrecht ausgerichtete Säulen zu verstehen. Diese verworrene Annahme der Gebrauchsmusterabteilung ist nicht begründet, da es in der Technik auch Säulen gibt, die nicht senkrecht verlaufen, […]. Nach Auffassung des Senats kann eine Säule nicht durch ihre Lage oder Richtung definiert werden, damit ist auch die von der Gebrauchsmusterabteilung […] getroffene Unterscheidung zwischen Arm und Säule hinfällig.“ (vgl. BPatG, Beschl. v. 09.06.2010, Az.: 35 W 429/09, S. 10, Anlage B 3).
Letztlich ist für das hier dargelegte Auslegungsergebnis auch unerheblich, ob die D13 des Nichtigkeitsverfahrens (Druckschrift DVE 8031/32/ Deckungsversorgungseinheiten, Dräger Medizintechnik GmbH, Lübeck, Druckvermerk 9048294/PP6923.54D/059E; vorgelegt als Anlage B 4; Bezeichnung stimmt mit der Bezeichnung im Löschungs- und Einspruchsverfahren überein) in eine Schrägstellung wie vorliegend angenommen, bereits vorwegnimmt. Denn es existiert kein Auslegungsgrundsatz dahingehend, dass ein Patent stets so ausgelegt werden muss, dass es sich von dem vorbekannten Stand der Technik abgrenzt.
Wie das Lichtbild Ziff. 4. der Anlage rop 10 erkennen lässt, ist die Säule der angegriffenen Ausführungsform mit dem Anschlusskasten in eine vertikale Position so verschwenkbar, dass ein Zugriff auf die Versorgungsanschlüsse durch den Nutzer ohne weitere Hilfsmittel möglich ist. Sofern der Beklagte vorträgt, dass die Säule in ihrer maximalen horizontalen Position nicht vollständig horizontal angeordnet ist, sondern sich eine Neigung von 5° ergibt, so bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dies dem Erreichen des von der Erfindung erzielten Vorteils entgegensteht. Das Lichtbild Ziff. 3 (Anlage rop 10) lässt im Gegenteil vermuten, dass die Neigung eher gering ist und eine etwaige Raumbeleuchtung durch sie nicht wesentlichen beeinträchtigt wird.
Die Gestaltung der angegriffenen Ausführungsform entspricht mithin einer im Sinne des Klagepatents von einer horizontalen in eine vertikale Position verschwenkbaren Säule.
2.
Merkmal g2) setzt voraus, dass
„die Versorgungsanschlüsse an einer ersten Seite des Anschlusskastens angeordnet sind“.
Mit dieser Vorgabe macht der Anspruchswortlaut – wie sich bei einer Gesamtbetrachtung mit den Merkmalen der Merkmalsgruppe g) ergibt – räumlich-körperliche Vorgaben zur Anordnung der Versorgungsanschlüsse an der Säule. Die Anordnung der Versorgungsanschlüsse der angegriffenen Ausführungsform auf drei Seiten der sechseckigen Form führt aus dieser klagepatentgemäßen Anordnung nicht heraus. Wie das Merkmal g3),
„in der horizontalen Stellung der Säulen die erste Seite des Anschlusskastens mit den Versorgungsanschlüssen dem Kanal zugewandt ist“,
erkennen lässt, hat das Klagepatent eine Seiteneinteilung vor Augen, die an der Position des Kanals, der sich wiederum – orientiert an der Raumeinteilung – im Deckenbereich befindet (Merkmal c2.)), ausgerichtet ist. Eine Unterteilung der in horizontaler Stellung der Säule zur Decke neigenden Seite derart, dass deren Seitenbereiche abgeschrägt sind, steht der Anordnung der Versorgungsanschlüsse an dieser Seite des Anschlusskastens vor diesem Hintergrund nicht entgegen. Denn die Beklagte trägt nicht vor und die von der Klägerin vorgelegten Lichtbildern von der angegriffenen Ausführungsform (Anlage rop 9, Anlage rop 10) lassen dies auch nicht erkennen, dass eine Schrägstellung der Seiten des Anschlusskastens um 30° dazu führt, dass die Versorgungsanschlüsse nicht mehr dem Kanal zugewandt sind. Vielmehr sind diese auf dem Lichtbild Ziff. 3 der Anlage rop 10 weiterhin in Richtung des Kanals der angegriffenen Ausführungsform gelegen.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass auch Verletzungshandlungen der Beklagten im Sinne von § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG vorliegen.
IV.
Da die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent verletzt, stehen der Klägerin die aus dem Tenor ersichtlichen Ansprüche gegen den Beklagten zu.
1.
Der Beklagte ist gem. § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung verpflichtet.
2.
Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche stehen der Klägerin in dem begehrten Umfang gem. § 140b Abs. 1, 3 PatG i. V. m. §§ 242, 259 BGB zu, damit sie in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch (vgl. Ziff. 4.) zu beziffern.
Die Klägerin ist zur Geltendmachung der Ansprüche insbesondere auch aktivlegitimiert. Insoweit gelten die Ausführungen zur Sachlegitimation hinsichtlich des Schadensersatzfeststellunsantrags unter Ziff. 4. entsprechend.
Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben auch angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Der Beklagte wird durch die von der Klägerin verlangte Auskunft auch nicht erkennbar unzumutbar belastet.
3.
Der Rückrufanspruch steht der Klägerin gem. § 140a Abs. 1 Satz 2 PatG, der Vernichtungsanspruch gem. § 140a Abs. 3 Satz 1 PatG zu.
Tatsachen, die die Unverhältnismäßigkeit der Vernichtung bzw. des Rückrufs der angegriffenen Ausführungsform begründen, sind weder vorgetragen noch erkennbar.
4.
Der Beklagte ist gem. § 139 Abs. 2 PatG dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet.
Soweit die Klägerin Schadensersatzansprüche für Handlungen geltend macht, die in einen Zeitraum fallen, zu dem sie ausweislich Ziff. I., II. Satz 1 des Abtretungs- und Übertragungsvertrags (Anlage rop 16) selbst Inhaberin des Klagepatents war (ab dem 20.05.2015), hat sie die für die Geltendmachung der Ansprüche erforderliche Sachlegitimation (vgl. auch BGH, GRUR 2013, 713, Rn. 54 – Fräsverfahren). Zur Geltendmachung von Ansprüchen wegen Schäden, die Herrn B durch Handlungen vor dem 20.05.2015 entstanden sind, ist die Klägerin gem. Ziff. I., II. Satz 2, 3 des Vertrages durch die zwischen den Parteien vereinbarte Abtretung berechtigt.
Als Fachunternehmer hätte es dem Beklagten oblegen, zu prüfen, ob die angebotenen und gelieferten Produkte bei ihren Abnehmern im Rahmen des durch das Klagepatent beanspruchen Verfahrens angewendet werden. Bei einer entsprechenden Überprüfung wäre dies für sie auch ohne weiteres zu erkennen gewesen. Indem sie eine entsprechende Prüfung unterließ, hat der Beklagte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet, § 276 Abs. 2 BGB.
Der Beklagte kann sich auch nicht deshalb exkulpieren, weil das parallele Gebrauchsmuster mit Beschluss des BPatG vom 09.06.2010, Az.: 354 W (pat) 429/09 (Anlage B 3) gelöscht worden ist, und der BGH diese Löschungsentscheidung zumindest inzident im Rahmen der späteren Kostenentscheidung in dem Rechtsbeschwerdeverfahren (Beschluss v. 20.12.2011, Az.: X ZB 6/10, Anlage B 5) bestätigt hat.
In der Regel ist die Benutzung einer patentierten und damit geprüften Erfindung auch bei einem Irrtum über deren Rechtsbeständigkeit als schuldhaft anzusehen (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 8. Auflage, 2016, Kap. D., Fn. 344). Zur Exkulpation des rechtsirrig vom mangelnden Rechtsbestand eines Patents ausgehenden Verletzers reichen auch (nicht rechtskräftige) Nichtigkeitsentscheidungen von Kollegialgerichten, die einen für den Irrenden günstigen Inhalt haben, nicht ohne weiteres aus (a. a. O.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen, dem irrig Handelnden ungünstigen Beurteilung durch die Gerichte nicht gerechnet werden brauchte (Kühnen, ebd., Kap. D., Rn. 345).
Eine solche Ausnahme liegt hier nicht vor.
Zwar ist das parallele Gebrauchsmuster mit Beschluss des BPatG vom 09.06.2010 (Anlage B 3) gelöscht worden, und ist das Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem BGH, Az.: X ZB 6/10, nach Ablauf der höchstmöglichen Schutzdauer Ende Februar 2011 übereinstimmend für erledigt erklärt worden. Jedoch lag zu diesem Zeitpunkt ein Beschluss des DPMA vom 01.07.2010 (Anlage rop 4) im Hinblick auf das Einspruchsverfahren das Klagepatent betreffend vor, durch den das Klagepatent beschränkt aufrechterhalten wurde. Dies berücksichtigend konnte der Beklagte gerade nicht davon ausgehen, dass im Hinblick auf das Klagepatent eine ihn benachteiligende Beurteilung nicht mehr vorgenommen werden würde.
Die Klägerin hat an der begehrten Feststellung auch das erforderliche rechtliche Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Die Entstehung eines Schadens auf Seiten der Klägerin ist hinreichend wahrscheinlich. Eine Bezifferung dieses Schadens ist ihr nicht möglich, weil sie ohne Verschulden über die Informationen, die sie mit dem Klageantrag Ziff. I. 2. begehrt, in Unkenntnis ist.
V.
Eine Aussetzung der Verhandlung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die das Klagepatent betreffende Nichtigkeitsklage gem. § 148 ZPO ist nicht geboten.
Unbeschadet dessen, dass eine Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung des BPatG vom 14.09.2016 (Az.: 6 Ni 79/14) noch nicht anhängig ist, sprechen vorliegend auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Rechtsbestandsentscheidung, deren Begründung noch nicht vorliegt, auf nachweisbar unrichtigen Annahmen oder einer nicht mehr vertretbaren Argumentation beruht (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 8. Auflage, 2016, Kap. E., Rn. 530).
Soweit der Beklagte sich darauf stützt, dass eine Kombination der D5 (Druckschrift „D“ Nr. 24 v. 11.06.1998, S. 1, 10-12; Bezeichnung stimmt mit derjenigen im Löschungs- und Einspruchsverfahren überein) mit der D13 (s.o.), einer erfinderischen Tätigkeit entgegenstehe, so stimmt dies zwar mit den Ausführungen des BPatG in seiner Beschwerdeentscheidung in dem Einspruchsverfahren (vgl. S. 10 f., Anlage B3) und in seinem gerichtlichen Hinweis gem. § 83 PatG im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens (vgl. S. 9, Anlage B 8) überein. Diese Ausführungen basieren jedoch auf einer Anspruchsfassung, in der die Merkmalsgruppe g) nicht enthalten war.
Soweit der Beklagte geltend macht, bei der Hinzufügung der Merkmal g2) und g3) handele es sich um eine unzulässige Erweiterung, klingen diese Bedenken auch in dem gerichtlichen Hinweis des BPatG an (vgl. S. 10, unter Pkt. 3.4, Anlage B 8). Das BPatG hat jedoch das Klagepatent in Kenntnis dieses Problems in der hier geltend gemachten Fassung des Hilfsantrags 3 aufrechterhalten. Es erscheint auch die Annahme einer Offenbarung der Merkmale durch die Figur 8 – 10 nicht unvertretbar. Aufgrund der Beschreibung in Abschnitt [0042] erkennt der Fachmann, dass die Figuren 8 – 10 zusammen gehören. In Fig. 8 wird eine frontale Ansicht auf die Versorgungsanschlüsse gewährt, und in Abschnitt [0042] wird ausgeführt, der Anschlusskasten werde um die horizontale Achse 53 verschenkt. Führt der Fachmann dieses Verschwenken gedanklich anhand der Fig. 8 aus, so zeigen die Versorgungsanschlüsse des Anschlusskastens in Richtung Kanal 18.
VI.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Eine etwaige in der Modifikation des Unterlassungsantrags zum Ausdruck kommende Klagerücknahme ist jedenfalls von so geringem Umfang, dass sie sich in der Kostenfolge nicht niederschlägt. Das Klagebegehren bleibt auf das Unterlassen von Nutzungshandlungen im Zusammenhang mit der ursprünglich angegriffenen Ausführungsform gerichtet.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht mit Ausnahme der gesonderten Vollstreckbarkeit wegen der Kosten, insoweit ist die Entscheidung auf § 709 Satz 1, 2 ZPO gestützt, auf § 709 Satz 1 ZPO.
VII.
Dem Beklagten muss nicht gestattet werden, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung abzuwenden. Er hat nicht hinreichend dargelegt, dass ihm durch die Vollstreckung eines stattgebenden Urteils ein nicht zu ersetzender Nachteil im Sinne von § 712 Abs. 1 ZPO entstehen würde.
VIII.
Der Streitwert wird gem. § 51 Abs. 1 GKG auf EUR 250.000,00 festgesetzt.