2 U 111/08 – Tintenpatrone (2)

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1083

Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 28. Mai 2009, Az. 2 U 111/08

I.
Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 11. September 2008 verkündete Urteil der 4a Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Abschnitt I. des landgerichtlichen Urteilsausspruches folgende Fassung erhält:

Die Antragsgegnerinnen werden verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,– Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu insgesamt 6 Monaten, welche an ihrem jeweiligen Geschäftsführer bzw. Vorstand zu vollziehen ist, zu unterlassen,

Tintenpatronen zur Verwendung in einem Tintendrucker, welche einen Patronenhauptkörper aufweisen mit einer Frontfläche, einer der Frontfläche gegenüber liegenden Rückfläche, wenigstens einer Seitenfläche, welche die Frontfläche mit der Rückfläche verbindet, einer Bodenfläche, welche die Rückfläche und die Seitenfläche verbindet und einer der Bodenfläche gegenüber liegenden oberen Fläche, welche die Frontfläche, die Rückfläche und die Seitenfläche verbindet,

im Geltungsbereich des deutschen Gebrauchsmusters 20 2006 020 XXX anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

bei denen der Patronenhauptkörper an seiner Rückfläche ein Tintenzuführungsventil und an einer Grenze zwischen der Seitenfläche und der Bodenfläche eine Eingriffsnut aufweist, die sich in Längsrichtung des Patronenhauptkörpers von der Rückfläche bis zu einer unmittelbar benachbarten Frontfläche ausgebildeten Endfläche der Eingriffsnut erstreckt,

wobei diese Eingriffsnut einen Nutteil mit einer geringen Tiefe, der an der Rückfläche ausmündet, einen Grenztnutteil, der sich an den Nutteil mit der geringen Tiefe anschließt und sich allmählich in vertikaler Richtung vergrößert, und einen tiefen Nutteil, der sich an den Grenznutteil anschließt, aufweist,

sowie eine obere Nut aufweist, die an der Grenze der Seitenfläche und der Oberseite ausgebildet ist und sich in Längsrichtung des Patronenhauptkörpers von der Frontfläche bis zur Rückfläche erstreckt,

wenn die sich einander gegenüber liegenden Oberflächen eines an der Tintenpatrone befindlichen Vorsprungs für einen Tintenerfassungssensor die Form eines Prismas beispielsweise gemäß nachstehender Abbildung aufweisen:

II.
Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung ist davon abhängig, dass die Antragstellerin zuvor eine Sicherheitsleistung in Höhe von 125.000,– Euro erbringt.

III.
Die Antragsgegnerinnen haben auch die Kosten des Berufungsverfahrens je zur Hälfte zu tragen.

IV.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt für das Verfahren gegen jede der Antragsgegnerinnen jeweils 500.000,– Euro.

G r ü n d e :

Die Berufung der Antragsgegnerinnen ist zulässig, aber unbegründet. Zutreffend hat das Landgericht im angefochtenen Urteil, auf dessen Ausführungen zunächst Bezug genommen wird, im einzelnen dargelegt, dass und aus welchen Gründen die Antragstellerin das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung in Bezug auf Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund glaubhaft gemacht hat.

Zutreffend ist das Landgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die angegriffenen Tintenpatronen der Antragsgegnerinnen mit der in Schutzanspruch 1 des Verfügungsgebrauchsmusters beschriebenen technischen Lehre wortsinngemäß übereinstimmen und diese gegenüber dem Stand der Technik schutzfähig ist. Auch der von den Antragsgegnerinnen im Berufungsverfahren neu eingeführte und auch im Löschungsverfahren ergänzend vorgelegte Stand der Technik ändert an diesem Ergebnis nichts.
I.

Das Verfügungsgebrauchsmuster betrifft mit seinem im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Schutzanspruch 1 eine Tintenpatrone, die in einem Gehäuse eines Tintenstrahldruckers untergebracht ist (vgl. Verfügungsgebrauchsmusterschrift Figuren 1 und 2) und mit diesem Gehäuse zusammen eine Einheit bildet, die die Verfügungsgebrauchsmusterschrift als Nachfülleinheit bezeichnet (vgl. Schutzansprüche 8 – 10 und Absätze [0033] und [0048] ff.). Zum Austausch der Patrone wird eine Gehäuseklappe geöffnet, die vorhandene Patrone herausgenommen, die neue Patrone eingeschoben, bis die Tintenzuführnadel in sie eingreift und die Gehäuseklappe anschließend geschlossen, so dass die Tintenpatrone wieder sicher im Gehäuse gehalten wird (Verfügungsgebrauchsmusterschrift Absätze [0001] bis [0005]).

Die Aufgabe (das technische Problem) der Erfindung besteht nach den Angaben der Verfügungsgebrauchsmusterschrift, soweit Schutzanspruch 1 betroffen ist, darin, eine Tintenpatrone zur Verfügung zu stellen, die der Benutzer einfach und innerhalb kurzer Zeit auswechseln kann (Absätze [0005] und [0006]).

Die zur Lösung dieses Problems in Schutzanspruch 1 vorgeschlagene Tintenpatrone kombiniert folgende Merkmale:

1. Es handelt sich um eine Tintenpatrone (63) zur Verwendung in einem Tintendrucker;
2. die Tintenpatrone weist einen Patronenhauptkörper (111) auf;
2.1 der Patronenhauptkörper hat eine Frontfläche (117);
2.2 der Patronenhauptkörper hat eine der Frontfläche gegenüber liegende Rückfläche (114);
2.3 der Patronenhauptkörper hat wenigstens eine Seitenfläche (112, 113), welche die Frontfläche mit der Rückfläche verbindet;
2.4 der Patronenhauptkörper hat eine Bodenfläche, welche die Frontfläche, die Rückfläche und die Seitenfläche verbindet;
2.5 der Patronenkörper hat eine der Bodenfläche gegenüber liegende obere Fläche (122), welche die Frontfläche, die Rückfläche und die Seitenfläche verbindet;
2.6 der Patronenhauptkörper hat ein an der Rückfläche vorgesehenes Tintenzuführungsventil (115);
2.7 der Patronenhauptkörper weist eine Eingriffsnut (116) auf;
2.7.1 die Eingriffsnut ist an einer Grenze zwischen der Seitenfläche und der Bodenfläche ausgebildet;
2.7.2 die Eingriffsnut erstreckt sich in Längsrichtung des Patronenhauptkörpers von der Rückfläche bis zu einer unmittelbar benachbart zur Frontfläche ausgebildeten Endfläche (121) der Eingriffsnut;
2.7.3 die Eingriffsnut weist einen Nutteil (118) mit einer geringen Tiefe auf, der an der Rückfläche mündet,
2.7.4 einen Grenznutteil (119), der sich an den Nutteil mit der geringen Tiefe anschließt und sich allmählich in vertikaler Richtung vergrößert, und
2.7.5 einen tiefen Nutteil (120), der sich an den Grenznutteil anschließt;
2.8 der Patronenhauptkörper hat eine obere Nut (149), die
2.8.1 an der Grenze der Seitenfläche und der Oberseite ausgebildet ist und
2.8.2 sich in Längsrichtung des Patronenhauptkörpers von der Frontfläche bis zur Rückfläche erstreckt.

Wird eine Tintenpatrone mit den vorstehend aufgeführten Merkmalen in einem Gehäuse untergebracht, dessen Ausgestaltung in der Verfügungsgebrauchsmusterschrift als Bestandteil der in den Ansprüchen 8 – 10 genannten Nachfülleinheit näher beschrieben ist (vgl. ferner die Figuren 1, 2 und 5 – 8 der Verfügungsgebrauchsmusterschrift), so wird sie zum Herausnehmen beim Öffnen einer Zugklappe an der Gehäusefrontseite durch ein an der Klappe angebrachtes Zugelement auf die Öffnung hin nach vorn gezogen, so dass der Benutzer die Patrone besser ergreifen und aus der Öffnung herausnehmen kann. Beim Einsetzen in den Aufnahmeabschnitt des Gehäuses wird die neue Patrone vom Zugelement getragen und beim Einsetzen in den Aufnahmeabschnitt von ihm geführt (vgl. Verfügungsgebrauchsmusterschrift Absätze [0011], [0015] und [0019]). Das Zusammenwirken der Patrone mit einem solchen Gehäuse ist nicht nur Gegenstand von Unteransprüchen und in den Figurendarstellungen behandelter bevorzugter Ausführungsformen, sondern wird, soweit die Tintenpatrone mit dem besagten Zugelement der Gehäuseplatte zusammenwirken soll, auch im allgemeinen Teil der Verfügungsgebrauchsmusterbeschreibung erörtert (Absatz [0019]). Auch wenn Schutzanspruch 1 nur die Tintenpatrone und weder die auch das Gehäuse umfassende Nachfülleinheit noch die beim Austausch mit der Patrone zusammenwirkenden Funktionsteile des Gehäuses beschreibt, müssen die Merkmale des Schutzanspruches 1 nach dem Verständnis des angesprochenen Durchschnittsfachmanns so ausgelegt werden, dass die schutzbeanspruchte Tintenpatrone mit einem solchen Gehäuse und insbesondere mit einem Zugelement der Gehäuseklappe beim Einsetzen und Entnehmen in der beschriebenen Weise zusammenwirken kann. Ob es solche Gehäuse gibt, ob die in Schutzanspruch 1 beschriebene Patrone in ein solches eingesetzt wird oder in ein anders gestaltetes Gehäuse, bei dem es zu dem vom Verfügungsgebrauchsmusters vorausgesetzten Zusammenwirken der Patrone mit dem Zugelement nicht kommt, ist für die schutzbeanspruchte technische Lehre unerheblich.

Aus diesem Wirkungszusammenhang ergibt sich zugleich, dass die Zuordnung der Patronenflächen entgegen der Auffassung der Antragsgegnerinnen keineswegs beliebig ist, sondern dass sich die Flächenbezeichnungen auf die Position der Patrone in Montageausrichtung beziehen, in der das in der Gebrauchsmusterschrift dargestellte Zusammenwirken von Patrone und Halterung bzw. Führung stattfindet.

Dass die Rückfläche diejenige Wand der Patrone ist, die der Frontfläche gegenüber liegt und beim Einbau in Einführungsrichtung vorausläuft, ergibt sich für den Fachmann aus Merkmal 2.6, denn das dort für die Rückfläche vorgesehene Tintenzuführungsventil wird im allgemeinen an einer Wand angebracht, die in Montagerichtung vorausläuft, damit gleichzeitig beim Einschieben die Tintenzuführungsnadel in das Tintenzuführungsventil einstechen kann. Da die hier in Rede stehende Tintenpatrone horizontal eingesetzt wird, muss die Rückfläche in Montageausrichtung senkrecht stehen. Letzteres gilt auch für die Frontfläche, die nach Merkmal 2.2 der Rückfläche gegenüber liegt und somit diejenige Fläche ist, die nach dem Einsetzen der Patrone dem Benutzer zugewandt ist und die Frontansicht der Tintenpatrone bildet. Geht man hiervon aus und berücksichtigt zusätzlich die Vorgaben der Merkmale 2.3 und 2.4, muss die Seitenfläche ebenfalls eine der senkrecht stehenden Wandungen sein und zwischen Front- und Rückfläche liegen, damit sie von der in Merkmal 2.4 genannten Bodenfläche und der in Merkmal 2.5 vorgegebenen der Bodenfläche gegenüber liegenden oberen Fläche ebenfalls mit Front- und Rückfläche verbunden werden kann. Die in Merkmal 2.4 genannte Bodenfläche ist demzufolge bei einer etwa quaderförmigen Ausbildung des Patronenhauptkörpers die eine der beiden waagerechten Flächen, und die in Merkmal 2.5 genannte obere Fläche ist dem entsprechend die andere und liegt der Bodenfläche gegenüber. Definiert werden die Seiten-, die Boden- und die obere Fläche auch durch die Vorgaben der Merkmalsgruppen 2.7 und 2.8. Die in der Merkmalsgruppe 2.7 näher beschriebene Eingriffsnut befindet sich nach Merkmal 2.7.1 an einer Grenze zwischen der Seiten- und der Bodenfläche, und die obere Nut, mit der sich die Merkmalsgruppe 2.8 befasst, ist an der Grenze der Seitenfläche und der Oberseite angeordnet. Dass die Bodenfläche auch durch die Eingriffsnut definiert wird, also diejenige in Montageausrichtung waagerechte Fläche ist, an deren Grenze sich die in der Merkmalsgruppe 2.7 beschriebene Eingriffsnut befinden soll, ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass die in Schutzanspruch 1 beschriebene Tintenpatrone mit dem Zugelement der Öffnungsklappe des Gehäuses zusammenwirken können soll und dieses Zugelement in aller Regel nicht am freien Ende der Öffnungsklappe, sondern an deren Schwenkende angebracht ist und mit der Klappe um deren Schwenkachse verschwenkt wird.

Auch wenn Schutzanspruch 1 konkret kein Funktionsteil nennt, mit dem die Eingriffsnut zusammenwirken muss, so ist dem angesprochenen Durchschnittsfachmann aus den Erörterungen der Beschreibung betreffend das Zusammenwirken der Tintenpatrone mit der Öffnungsklappe des Gehäuses und den übrigen Funktionsteilen des Aufnahmeabschnittes klar, dass die Eingriffsnut zwei Funktionen hat. Die erste Funktion besteht darin, dass sie Freiräume an den Seitenwänden und im Bodenbereich der Tintenpatrone bilden soll, damit diese an korrespondierenden Rippen bzw. Vorsprüngen im Aufnahmeabschnitt des Gehäuses vorbeigeführt werden kann (vgl. Figuren 15 und 16 der Verfügungsgebrauchsmusterschrift); die entsprechenden Freiräume sind weiterhin notwendig, damit die Patrone beim Einsetzen und Herausnehmen auch an den Haken des Zugelementes vorbeigeführt werden kann. Diesen Zwecken dient im wesentlichen der in Merkmal 2.7.3 beschriebene Nutabschnitt geringer Tiefe. Der sich daran anschließende in Merkmal 2.7.4 gelehrte Grenznutteil dient dazu, im weiteren Verlauf des Einführvorganges ein weiteres Absenken des in Einschubrichtung hinteren Teils der Patrone zu ermöglichen und hierbei auch die Abstützung durch die Haken des Zugelementes möglichst aufrecht zu erhalten. Diese Funktionen sind der Grund dafür, weshalb sich der Grenznutteil allmählich in Vertikalrichtung vergrößern und nicht stufenartig und übergangslos die Nuttiefe erweitern soll. Der sich daran anschließende in Merkmal 2.7.5 beschriebene tiefe Nutteil muss bei eingesetzter Tintenpatrone Raum bieten für die Aufnahme des Zugelementes, das sich in dieser Position um die Schwenkachse der Gehäuseklappe drehen können muss, um deren Öffnen und Schließen zu ermöglichen. Sie wirkt dabei mit der in Merkmal 2.7.2 genannten Endfläche der Eingriffsnut zusammen, die unmittelbar benachbart zur Frontfläche ausgebildet sein muss. Mit „unmittelbar benachbart zur Frontfläche“ wird zum Ausdruck gebracht, dass die Eingriffsnut an ihrem vorderen Ende nicht die Frontfläche durchbricht, sondern eine kleine Wandstärke stehen bleiben muss, mit der das Hakenteil des Zugelementes beim Herausziehen der Patrone zusammenwirken kann. Daraus folgt zwar keine konkrete Abstandsvorgabe für die Entfernung der End- von der Frontfläche. Nach dem Verständnis des angesprochenen Durchschnittsfachmanns ist aber klar, dass der Abstand eher kurz bemessen werden soll, weil mit zunehmend größerem Abstand sich entweder die Position des Hakenteils gegenüber der Schwenkachse verändert und die Schwenkbewegung des Hakens und damit auch dessen Platzbedarf in den tiefen Nutteil vergrößert oder die Schwenkachse für die Klappe weiter von der Gehäusefront weg nach innen bzw. unter den Boden des Gehäuses verlegt werden müsste, was die Ausgestaltung der Klappe komplizierter machte. Wird der Hakenteil zu groß und stößt beim Verschwenken an die obere Wandung des tiefen Nutteils, würde die Tintenpatrone schon in der Anfangsphase des Herausziehens angehoben und hierauf müsste auch bei der Ausgestaltung der oberen Gehäuseführung Rücksicht genommen werden.

Die obere Nut hat die Aufgabe, am oberen Ende der Seitenflächen des Patronenkörpers Freiräume zu bilden, die es ermöglichen, die Patrone beim Einsetzen und Entnehmen an korrespondierenden Vorsprüngen des Gehäuses entlang zu führen und so für eine exakte Ausrichtung in senkrechter Richtung parallel zur Einsetzebene zu sorgen.

Aus den dargestellten Funktionen der Eingriffsnut und der oberen Nut erschließt sich dem angesprochenen Durchschnittsfachmann auch, dass der Querschnitt dieser Nuten nicht unbedingt U-förmig mit zwei gegenüberliegenden Wandungen und einem Nutboden sein muss, sondern dass der technisch verstandene Sinngehalt des Schutzanspruches 1 auch etwa rechtwinklige Querschnitte mit Nutboden und nur einer Wandung umfasst; da beide Nuten im Grenzbereich zwischen Seiten- und Bodenwand bzw. Seiten- und oberer Wand, also im Eckbereich der Patrone liegen sollen, bietet sich eine solche – auch im bevorzugten Ausführungsbeispiel des Antragsschutzrechtes verwirklichte – Ausgestaltung im übrigen schon deshalb an, weil anderenfalls bei einer „klassischen“ Nut mit zwei gegenüber liegenden Wandungen im Gehäuse entsprechende Ausnehmungen vorhanden sein müssten, um den von der äußeren Nutwandung gebildeten Vorsprung aufzunehmen.

II.

Zu Recht hat hat das Landgericht das Antragsschutzrecht für gegenüber dem Stand der Technik schutzfähig gehalten.

1.
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerinnen ist die Technizität der schutzbeanspruchten Lehre zu bejahen, die darauf gerichtet ist, das problemlose Einsetzen und Herausnehmen der Tintenpatrone in verhältnismäßig kurzer Zeit zu ermöglichen, und als Lösung eine Patrone mit den vorbezeichneten technischen Merkmalen vorsieht.

2.
Der in erster Instanz entgegengehaltene Stand der Technik ist ebenso wie der im Berufungsverfahren neu eingeführte nicht neuheitsschädlich, denn hierzu genügt es nicht, dass alle schutzbeanspruchten Merkmale einer Kombination aus unterschiedlichen Entgegenhaltungen bekannt sind und miteinander zum Gegenstand der Erfindung kombiniert werden können, sondern eine einzige Entgegenhaltung muss sämtliche Merkmale der schutzbeanspruchten Kombination bereits in sich vereinigen.

a)
Die europäische Patentanmeldung 0 478 244 verwirklicht offensichtlich nicht die Merkmalsgruppe 2.7. Es ist lediglich im Grenzbereich zwischen der Oberseite und den Seitenwänden jeweils eine Abschrägung bzw. Einziehung vorgesehen, die weder aus unterschiedlich tiefen Abschnitten besteht noch bis unmittelbar benachbart zur Frontfläche reicht, sondern deren Endfläche im erheblichen Abstand von der Frontfläche endet, und auch ein Zusammenwirken dieser Endfläche mit dem Zugelement einer Öffnungsplatte wird dort nicht gelehrt.

b)
Bei der aus der US-Patentschrift 6 062 667 bekannten Vorrichtung fehlen ebenfalls die Nuten, vielmehr sind an den Seitenwänden der Kassette vorspringende Leisten angebracht, wobei die Zwischenräume zwischen den Vorsprüngen ebenfalls in erheblichem Abstand von der Frontfläche enden und auch hier ein Zusammenwirken mit dem Zugelement der Öffnungsklappe des Aufnahmegehäuses nicht gelehrt wird. Auch hier fehlen die drei Abschnitte der Eingriffsnut, denn der Freiraum unter dem längeren Vorsprung ist von einheitlicher Breite, und der Freiraum oberhalb des oberen Vorsprungs erweitert sich im Ende des oberen Vorsprungs nicht allmählich, sondern stufenförmig und übergangslos, was das Antragsschutzrecht gerade nicht will.

c)
Aus der US-Patentanmeldung 2004/ 0 135 857 ergibt sich nach den eigenen Ausführungen der Antragsgegnerinnen in der Berufungsbegründung nur, dass an einer Tintenpatrone unterschiedliche Arten Führungsnuten oder Vorrichtungen ausgebildet sein können; eine derart allgemeine Beschreibung kann jedoch die konkret im Verfügungsgebrauchsmuster gelehrte Konfiguration nicht vorwegnehmen, und die in den Absätzen [0169] bis [0172] der Entgegenhaltung in Bezug genommenen Ausführungen beziehen sich nur auf das vorspringende Bauteil (112), welches die elektrischen Kontakte für die Tintenpatrone aufnimmt, aber nicht auf die Gestaltung des Patronenhauptkörpers. Der aus der PCT-Anmeldung WO 01/ 49 498 bekannte Stand der Technik steht dem Gegenstand des Antragsschutzrechtes noch ferner.

3.
Auch der im Berufungsverfahren neu vorgelegte Stand der Technik rechtfertigt im Ergebnis keine andere Beurteilung. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist es nicht möglich, diese Entgegenhaltungen nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO auszuklammern, denn sie sind in dem das Verfügungsgebrauchsmuster betreffenden Löschungsverfahren vorgelegt worden, und diese nach Abschluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung eingetretene Tatsache bestreitet auch die Antragstellerin nicht. Unstreitiges muss immer berücksichtigt werden (vgl. BGH, NJW 2008, 448; Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl., § 531, Rdn. 10 u. 21 m.w.N.)

a)
Auch wenn man die seitlichen Freiräume neben den oben und unten vorgesehenen Vorsprüngen der aus der europäischen Patentanmeldung 1 541 357 bekannten Tintenpatrone als Nuten ansieht, weisen die bodenseitig vorhandenen „Nuten“ die in den Merkmalen 2.7.2 bis 2.7.5 des Schutzanspruches 1 angegebenen drei Abschnitte nicht auf, und am Boden ist auch keine unmittelbar benachbart zur Frontfläche ausgebildete Endfläche vorgesehen, die „Nut“ geht bis zur Frontseite durch. Auch das Zusammenwirken mit einem Zugelement einer Öffnungsklappe ist nicht vorgesehen. Stattdessen wird die auszuwechselnde Patrone an den auf der Frontseite angegebenen Vorsprüngen 2. und 4. ergriffen und kann so aus dem Gehäuse herausgezogen werden.

b)
Die europäische Patentanmeldung 1 080 916 betrifft eine vertikal einzusetzende Patrone, die zwar zum Herausnehmen von dem Zugelement eines oberen Deckels angehoben wird, im weiteren Verlauf der Wandung unterhalb des von dem Zugelement ergriffenen Vorsprungs (46) ist jedoch keine Nut vorgesehen, die der in der Merkmalsgruppe 2.7 des Antragsschutzrechts beschriebenen Eingriffsnut entspräche. Die seitlichen Freiräume seitlich der dreieckförmigen Rippe (47) zur Verstärkung des von dem Zugelement ergriffenen Vorsprungs können nur aufgrund unzulässiger rückschauender Betrachtungsweise als Eingriffsnut im Sinne des Verfügungsgebrauchsmusters angesehen werden.

c)
Der entgegengehaltene Stand der Technik vermochte dem Durchschnittsfachmann am Prioritätstag des Antragsschutzrechtes den Gegenstand seines Schutzanspruches 1 auch nicht nahezulegen. Hinsichtlich des erstinstanzlich entgegen gehaltenen Standes der Technik hat das Landgericht dies im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt; auf die dortigen Erörterungen kann zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden. Der entsprechende Stand der Technik lag dem Europäischen Patentamt auch vor, bevor es die Erteilung des parallelen europäischen Patentes 1 790 480 beschlossen hatte, dessen erteilter Hauptanspruch mit Schutzanspruch 1 des Verfügungsgebrauchsmusters übereinstimmt.

Auch der erstmals im Berufungsverfahren zusätzlich vorgelegte Stand der Technik ändert an diesem Ergebnis nichts, weil es für den Durchschnittsfachmann keine Veranlassung gab, etwa den Gegenstand der Patentanmeldung 1 080 916 mit einer der anderen genannten Entgegenhaltungen zu kombinieren, denn auch wenn man die aus der europäischen Patentanmeldung 1 080 916 bekannte vertikal einzusetzende Patrone nebst Gehäuse in eine horizontal zu beschickende Vorrichtung umgewandelt hätte, hätte sich an der Unterseite keine Eingriffsnut mit den drei im Verfügungsgebrauchsmuster vorausgesetzten unterschiedlich tiefen Abschnitten ergeben, auf der Unterseite wäre über die überwiegende Strecke des Einsetzvorgangs keine Führung der Tintenpatrone möglich.

III.

Die Antragsgegnerinnen können auch nicht ernsthaft in Abrede stellen, dass die angegriffenen Tintenpatronen die Merkmale des Schutzanspruches 1 wortsinngemäß verwirklichen.

1.
Geht man von den Ausführungen im vorstehenden Abschnitt I. aus, ist zwischen Seitenwand und Bodenfläche auf beiden Seiten eine Eingriffsnut vorhanden, die, wie die Muster zeigen, unterschiedlich tiefe Abschnitte besitzt, wobei der Grenznutteil sich in seiner Tiefe allmählich in Vertikalrichtung vergrößert. Die Endfläche dieser Nut befindet sich trotz eines Abstandes von wenigen Millimetern immer noch unmittelbar benachbart zur Frontfläche. Sind die in der Merkmalsgruppe 2.7 genannten Abschnitte einer Eingriffsnut räumlich-körperlich vorhanden und kann die Tintenpatrone infolge dieser Ausgestaltung mit einem Gehäuse zusammenwirken, wie es in der Verfügungsgebrauchsmusterschrift beschrieben wird, ist eine Übereinstimmung mit Schutzanspruch 1 zweifellos gegeben. Mit einem solchen Gehäuse der Antragstellerin können auch die angegriffenen Patronen so zusammenwirken, wie es in der Verfügungsgebrauchsmusterschrift im einzelnen beschrieben ist; sie werden ausdrücklich zum Ersatz der entsprechenden Patronen der Antragstellerin angeboten.

2.
Der zusätzlich von den Antragsgegnerinnen erhobene Erschöpfungseinwand geht schon deshalb ins Leere, weil die Antragstellerin die sich mit der Nachfülleinheit bestehend aus Patrone und Gehäusehauptkörper befassenden Schutzansprüche 8 bis 10 nicht geltend macht. Schutzanspruch 1 betrifft nur die Patrone, und es ist in keiner Weise ersichtlich, dass die Antragstellerin mit dem Inverkehrbringen einer solchen Patrone gegenüber deren Erwerber ihr Einverständnis damit zum Ausdruck gebracht hat, dieser dürfe zur Deckung seines Ersatzbedarfes auch Patronen von Wettbewerbern verwenden.

3.
Der „Kartellrechtseinwand“ des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gem. Art. 82 EG geht schon deshalb fehl, weil gewerbliche Schutzrechte gerade darauf gerichtet sind, ihrem Inhaber eine Ausschließlichkeitsposition zu vermitteln, die er dann selbstverständlich auch durchsetzen können muss (vgl. EuGH, GRUR 2004, 524, 526 – IMS/Health; Benkard/Rogge, PatG GbMG, 10. Aufl., § 24 PatG, Rdn. 16). Insoweit gibt es auch zwischen Patenten und sich als schutzfähig erweisenden Gebrauchsmustern keinen Unterschied. Man kann der Antragstellerin auch nicht vorhalten, sie handle missbräuchlich, weil sie das Verfügungsgebrauchsmuster mit dem geltend gemachten Schutzanspruch 1 überhaupt habe eintragen lassen. Auch Schutzanspruch 1 umschreibt eine neue technische und schutzfähige Entwicklung, die nicht deshalb vom Ausschließlichkeitsschutz ausgeklammert wird, weil Wettbewerbern für die Geltungsdauer des Schutzrechtes der Vertrieb übereinstimmend ausgebildeter Patronen untersagt ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes führt eine marktbeherrschende Stellung des Schutzrechtsinhabers äußerstenfalls zu dessen Verpflichtung, Zwangslizenzen an seine Wettbewerber zu vergeben (EuGH GRUR 2004, 524, 525 ff. – IMS/Health; BGH GRUR 2004, 966 – Standard-Spundfass; Schulte/Kühnen, PatG, 8. Auflage, § 24 Rdn. 47 ff.). Auch dazu bedarf es außergewöhnlicher Umstände (die Weigerung der Benutzungsgestattung durch den Schutzrechtsinhaber muss das Auftreten eines neuen Erzeugnisses verhindern, nach dem eine mögliche Nachfrage besteht, sie darf nicht gerechtfertigt und muss geeignet sein, jeglichen Wettbewerb auf einem abgeleiteten Markt auszuschließen, vgl. EuGH, a.a.O., S. 526, Erwägungsgrund 38), für deren Vorliegen das Vorbringen der Antragsgegnerinnen nichts erkennen lässt.

IV.

Der Verfügungsgrund ergibt sich daraus, dass die Antragsgegnerinnen mit den Preisen für die angegriffenen Patronen diejenigen der Antragstellerin für entsprechende Artikel deutlich unterbieten und der Antragstellerin nicht zugemutet werden kann, diesen Zustand bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens hinzunehmen.

V.

Als unterlegene Partei haben die Antragsgegnerinnen auch die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen. Allerdings hat der Senat die Vollziehung der einstweiligen Verfügung nach §§ 925, 936 ZPO davon abhängig gemacht, dass die Antragstellerin zuvor eine Sicherheitsleistung erbringt; es darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Antragstellerin in einem Hauptsacheverfahren in der seit der Antragstellung vergangenen Zeitspanne von etwa 10 Monaten allenfalls ein erstinstanzliches Urteil erstritten hätte, aus dem sie nur gegen Sicherheitsleistung hätte vollstrecken können. Da wegen der eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten im Eilverfahren auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die einstweilige Verfügung im Hauptsacheverfahren als ungerechtfertigt erweist und die Antragsgegnerin der Antragstellerin Schadenersatz nach § 945 ZPO leisten muss, kann die Vollziehung einer Unterlassungsverfügung wegen Gebrauchsmusterverletzung keinen geringeren Anforderungen unterliegen als die Vollstreckung eines erstinstanzlichen Unterlassungsurteils.

Die Höhe der Sicherheitsleistung soll dem Umstand Rechnung tragen, dass das Landgericht im Hauptsacheverfahren den Haupttermin zur mündlichen Verhandlung auf. März 2010 anberaumt hat und infolge dessen etwa ein Jahr die einstweilige Verfügung zu beachten ist, bevor eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren ergeht.