4b O 32/08 – Kindertrage II

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1027

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 30. Oktober 2008, Az. 4b O 32/08

I. Der Beklagte wird verurteilt,
1.
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, zu unterlassen,
Schulterhalfter zum Tragen eines Kindes umfassend eine Traggeschirreinrichtung, die Brustgurte und ein Vorderteil umfasst, wobei das Vorderteil zumindest im oberen Bereich flexibel ist und wobei der untere Bereich des genannten Vorderteils mit dem unteren Teil des Traggeschirrs verbunden ist und an seinen seitlich getrennten Seitenkanten mit den Brustgurten verbunden ist, so dass eine Kindertragetasche gebildet wird,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen und/oder zu einem dieser Zwecke einzuführen oder zu besitzen,
bei denen eine Verbindungsvorrichtung von wählbar anpassbarer Länge ein erstes Endteil und ein zweites Endteil aufweist, die mit dem Vorderteil an Positionen verbunden sind, die seitlich gegeneinander beabstandet sind und die einen wesentlichen gegenseitigen Abstand haben; und dass die Verbindungsvorrichtung eine Anpassausrüstung umfasst, die es ermöglicht, den effektiven Abstand zwischen den beiden Endteilen selektiv festzulegen;

2.
der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang er die unter Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 17. Februar 2007 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen sowie der Namen und Anschriften der einzelnen Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, deren Auflagenhöhe, ihres Verbreitungszeitraums und Verbreitungsgebiets,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei
– es dem Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern der Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
– der Beklagte zum Nachweis der Angaben zu a) und b) die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen oder Lieferscheine) in Kopie vorzulegen hat.
II. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die von dem Beklagten seit dem 17. Februar 2007 begangenen Handlungen unter Ziffer I. 1. entstanden ist und/oder zukünftig noch entstehen wird.
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 250.000,00 €.
V. Der Streitwert wird auf 250.000,00 € festgesetzt.

T a t b e s t a n d

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des am 18. Juni 2002 unter Inanspruchnahme einer schwedischen Priorität vom 28. Juni 2001 angemeldeten, in englischer Verfahrenssprache verfassten europäischen Patents EP 1 399 XXX B1 mit dem Titel „Schulterhalfter zum Tragen eines Kindes“ (nachfolgend: „Klagepatent“, Anlage K 3, deutsche Übersetzung in Anlage K 3a), zu dessen benannten Vertragsstaaten unter anderem die Bundesrepublik Deutschland gehört. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents erfolgte am 17. Januar 2007.
Der Beklagte hat die aus der Anlage B 4 ersichtliche Nichtigkeitsklage vom 10. September 2008 beim Bundespatentgericht eingereicht. Die Nichtigkeitsklage ist der Klägerin bislang nicht zugestellt worden.
Der im vorliegenden Rechtsstreit allein interessierende Patentanspruch 1 des Klagepatents hat in deutscher Übersetzung folgenden Wortlaut:

„Ein Schulterhalfter zum Tragen eines Kindes umfassend eine Traggeschirreinrichtung, die Brustgurte und ein Vorderteil umfasst, wobei das Vorderteil zumindest im oberen Bereich flexibel ist und wobei der untere Bereich des genannten Vorderteils mit dem unteren Teil des Traggeschirrs verbunden ist und an seinen seitlich getrennten Seitenkanten mit den Brustgurten verbunden ist, so dass eine Kindertragetasche gebildet wird, dadurch gekennzeichnet, dass eine Verbindungsvorrichtung von wählbar anpassbarer Länge, ein erstes Endteil und ein zweites Endteil aufweist, die mit dem Vorderteil an Positionen verbunden sind, die seitlich gegeneinander beabstandet sind und die einen wesentlichen gegenseitigen Abstand haben; und dass die Verbindungsvorrichtung eine Anpassungsausrüstung umfasst, die es ermöglicht, den effektiven Abstand zwischen den beiden Endteilen selektiv festzulegen.“

Nachfolgend eingeblendet ist die Figur 1 des Klagepatents, welche eine schematische Darstellung eines bevorzugten Ausführungsbeispiels der klagepatentgemäßen Lehre zeigt.

Der Beklagte vertreibt als eingetragener Kaufmann unter der Firma A in Deutschland die Kindertrage „B“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform, siehe das als Anlage K6a vorgelegte Muster). Die Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aus der in der jeweiligen Produktverpackung befindlichen Gebrauchsanweisung (s. Anlage K 6, deutsche Übersetzung in Anlage B 3) mit entsprechenden Abbildungen, von der nachfolgend die Seiten 60 und 61 der Anlage B 3 (= Seiten 6 und 7 der Anlage K 6) eingeblendet sind.

Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache vom Anspruch 1 des Klagepatents in wortsinngemäßer Weise Gebrauch. Sie nimmt den Beklagten daher auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Vernichtung sowie Feststellung der Schadensersatzverpflichtung in Anspruch.

Die Klägerin beantragt,
wie erkannt.

Der Beklagte beantragt,
1. die Klage abzuweisen,
2. hilfsweise, den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Nichtigkeitsklage auszusetzen.

Der Beklagte meint, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent nicht. Die angegriffene Ausführungsform weise kein Vorderteil auf, welches zumindest in einem oberen Bereich flexibel sei. Auch sei der untere Bereich des Vorderteils mit dem unteren Teil des Traggeschirrs nicht verbunden. Es komme bei der angegriffenen Ausführungsform bereits unabhängig von den im Anspruch 1 beschriebenen Voraussetzungen zur Bildung einer Kindertragetasche. Es fehle der angegriffenen Ausführungsform darüber hinaus an einer Verbindungsvorrichtung von wählbar anpassbarer Länge, die ein erstes Endteil und ein zweites Endteil aufweist, die mit dem Vorderteil an Positionen verbunden sind, die seitlich gegeneinander beabstandet sind und die einen wesentlichen Abstand haben. Schließlich umfasse die Verbindungsvorrichtung keine Anpassausrüstung, die es ermöglicht, den effektiven Abstand zwischen den beiden Endteilen selektiv festzulegen.
Seinen Hilfsantrag auf Aussetzung des Rechtsstreits gründet der Beklagte darauf, dass seine Nichtigkeitsklage unter dem Gesichtspunkt fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit erfolgreich sein werde.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Klage ist begründet. Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre des Klagepatents in wortsinngemäßer Weise Gebrauch, so dass die Klägerin gegen den Beklagten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Vernichtung sowie Feststellung der Schadensersatzverpflichtung hat. Eine Veranlassung für eine Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf die Nichtigkeitsklage gemäß Anlage B 4 besteht nicht.

I.
Das Klagepatent betrifft ein Kindertrageschultergeschirr.
In seinen einleitenden Bemerkungen erwähnt das Klagepatent als Stand der Technik die SE 516108, welche ein Schulterhalfter zum Tragen eines Kindes offenbart, das u.a. Brustgurte, die an der Vorderseite des Trägers gelegen sind, und ein Vorderteil umfasst, das zumindest in seinem oberen Bereich flexibel ist und dessen unterer Bereich mit dem Halfter verbunden ist und dessen seitliche Kanten mit den Brustgurten derart verbunden sind, dass eine Kindertragetasche gebildet wird, die Beinöffnungen umfasst.

Ohne sich mit etwaigen Nachteilen dieses Standes der Technik auseinander zu setzen, bezeichnet es das Klagepatent als Ziel seiner technischen Lehre, Mittel, die es erlauben, die Weite des Vorderteils lokal in horizontaler Richtung zu verändern, so dass der freie Umfang der Taschenöffnung, die das Kind aufnimmt, angepasst werden kann, beispielsweise in Bezug auf die Größe des Kindes und/oder die Dicke der von dem Kind getragenen Kleidung und/oder um die Form eines Vorderteils zu verändern, um einen bequemen Kindersitz bereitzustellen. Als weiteres Ziel erwähnt das Klagepatent es, solche Änderungen zu ermöglichen, während das Kind in der Tasche getragen wird, ohne die Tragesicherheit des Traggeschirrs beeinflussen zu müssen. Hinsichtlich weiterer vom Klagepatent vorgegebener, im vorliegenden Rechtsstreit nicht näher interessierender Ziele wird auf Seite 2, Zeilen 7 bis einschließlich 22 der deutschen Übersetzung des Klagepatents verwiesen.

Die genannten Ziele erreicht das Klagepatent mit den nachfolgend wiedergegebenen Merkmalen des Anspruchs 1:

1. Schulterhalfter zum Tragen eines Kindes
2. umfassend eine Traggeschirreinrichtung (10, 11, 12, 14, 31, 36, 37), die Brustgurte (31) und ein Vorderteil (22) umfasst,
3. wobei das Vorderteil (22) zumindest in einem oberen Bereich flexibel ist,
4. wobei der untere Bereich des genannten Vorderteils (22) mit dem unteren Teil des Traggeschirrs verbunden ist,
5. und an seinen seitlich getrennten Seitenkanten (25) mit den Brustgurten (31) verbunden ist,
6. so dass eine Kindertragetasche gebildet wird.
7. Eine Verbindungsvorrichtung (60, 60`, 60„) von wählbar anpassbarer Länge weist ein erstes Endteil (61, 62) und ein zweites Endteil (69) auf,
8. die mit dem Vorderteil (22) an Positionen verbunden sind, die seitlich gegeneinander beabstandet sind und die einen wesentlichen Abstand haben.
9. Die Verbindungsvorrichtung umfasst eine Anpassausrüstung (61), die es ermöglicht, den effektiven Abstand zwischen den beiden Endteilen (62, 69) selektiv festzulegen.

II.
Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Klagepatents in wortsinngemäßer Weise. Dies ist hinsichtlich der Merkmale 1, 2 und 5 zwischen den Parteien zu Recht unstreitig, so dass diesbezüglich nähere rechtliche Ausführungen der Kammer entbehrlich sind. Darüber hinaus macht die angegriffene Ausführungsform allerdings auch von der in den weiteren Merkmalen des Anspruchs 1 enthaltenen technischen Lehre wortsinngemäßen Gebrauch.

1)
Das Merkmal 3 setzt voraus, dass das Vorderteil der Traggeschirreinrichtung zumindest in einem oberen Bereich flexibel ist.

In diesem Zusammenhang erkennt der Fachmann zunächst, dass der betreffende Anspruchswortlaut keine globale Flexibilität des gesamten Vorderteils verlangt, sondern eine solche im „oberen Bereich“ genügen lässt, so dass etwaige unflexible Bereiche im Mittelteil a priori unerheblich sind. Anhand der Passage auf Seite 8, Zeilen 9 – 14 der deutschen Übersetzung des Klagepatents ergibt sich zudem, welchen Umfang an Flexibilität im Sinne von Merkmal 3 das Klagepatent bereits ausreichen lässt: Es genügt, wenn der Kantenbereich (122) zumindest an den seitlichen Endteilen (125) und hinsichtlich des Faltens dieses Teils um die Faltlinie (124) flexibel ist.

Ausgehend von diesen Grundsätzen steht es hier der wortsinngemäßen Verwirklichung des Merkmals 3 nicht entgegen, dass die angegriffene Ausführungsform – wie der Beklagte vorbringt – in der Mitte mehrere von unten nach oben durchgehende steife Plastikteile und ein unbewegliches Plastikelement in der Kopfstütze aufweise. Hinsichtlich des mittleren Bereichs ist dies unerheblich, weil es sich dabei nicht um den „oberen Bereich“ im Sinne des Klagepatents handelt. In Bezug auf die nach oben durchgehenden Elemente gilt, dass diese der Annahme einer Flexibilität im Sinne des Klagepatents nicht entgegenstehen, weil die mit dem Merkmal 3 verbundenen Vorteile durch die angegriffene Ausführungsform ohne Weiteres erreicht werden: Der Tragelappen ist herauf- und herunterklappbar, so dass verschiedene Einstellungen im Interesse eines Wetterschutzes und einer Stabilisierung des Kopfes und des Nackens des Kindes möglich sind. Zudem wird auch eine Verbindung zwischen dem Tragelappen und den Halteschlaufen ermöglicht. Dies wird unter anderem dadurch erreicht, dass jedenfalls die seitlichen Elemente des oberen Bereichs aus nicht versteiftem, weichem Gewebe bestehen. Im Übrigen lässt sich anhand des zur Akte gereichten Musters der angegriffenen Ausführungsform erkennen, dass die vom Beklagten argumentativ in Bezug genommen Plastikteile ihrerseits nicht völlig steif sind, sondern sich ohne nennenswerten Kraftaufwand biegen lassen.

2)
Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht auch das Merkmal 4 in wortsinngemäßer Weise, da der untere Bereich des Vorderteils mit dem unteren Teil des Traggeschirrs verbunden ist. Dies geschieht bei der angegriffenen Ausführungsform in der Weise, dass der „front connector“ den „front connector clip“ in Eingriff nimmt, wie unter anderem anhand der nachfolgend eingeblendeten Abbildungen 9, 10 und 11 auf Seite 64 der Anlage B 3 ersichtlich wird.

Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang argumentiert, die angegriffene Ausführungsform bilde eine patentgemäße Kindertragetasche auch schon ohne eine Befestigung des unteren Bereichs des Vorderteils an den Brustgurten, da eine Tragetasche – entsprechend dem Stand der Technik – in Gestalt eines windelförmigen Beutels gebildet werde, indem der untere Teil des Vorderteils zwischen den Beinen des Kindes nach vorne geklappt werde, während das Kind auf dem oberen Teil liege, überzeugt dies nicht. Dem Beklagten kann – entsprechend der Argumentation im Parallelverfahren 4b O 260/07 – nicht darin gefolgt werden, dass die Kindertragetasche gebildet werde, bevor sie mit dem unteren Teil des Tragegeschirrs verbunden wird. Es mag zutreffen, dass durch das Befestigen der Beinschlaufen („Legstraps“) an dem Schlaufenkopf („Leg Strap Button“, vgl. Figur 7 der B 3, S. 63 der B 3) schon ein derartiger „windelartiger Fortsatz“ entsteht. Eine patentgemäßer Kindertragetasche entsteht aber erst durch die Befestigung des Tragelappens an den Halteschlaufen mittels der Verbindungsstücke, da erst dann die erforderliche Stabilität und funktionale Eignung gegeben ist, um in diesem ein Kind tragen zu können. Wie die Aufgabenstellung zeigt (S. 2, Z. 4 ff. der deutschen Übersetzung des Klagepatents in Anlage K3a), sollen die mit dem Klagepatent bezweckten Änderungen erreicht werden, ohne die Tragesicherheit beeinflussen zu müssen. Der „windelartige Fortsatz“ dient indes lediglich dem Zweck, das Hineinsetzen des Kindes in den Tragebeutel in der Weise zu erleichtern, dass das Kind auf einen Tragelappen gelegt wird und dessen unterer Teil windelartig um das Kind gelegt wird, wodurch insbesondere die richtige Positionierung der Beine des Kindes erleichtert wird. Insofern vermag der Hinweis des Beklagten auf die unterschiedliche Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform und des Klagepatents hinsichtlich der Größeneinstellung im Beinbereich nicht aus der wortsinngemäßen Verwirklichung des Merkmals 4 herauszuführen; der Einwand, die Verbindung zum Schultertrageriemen werde bei der angegriffenen Ausführungsform zur Größeneinstellung im Beinbereich überhaupt nicht benötigt, ist damit unerheblich.

Im Übrigen gilt – wie im Parallelverfahren 4b O 260/07 -, dass der „windelartige Fortsatz“ für Babies mit einem Gewicht von 5 – 14 Kilogramm nicht zur Anwendung kommt (vgl. S. 65 f. der Anlage B 3), so dass jedenfalls insoweit ein Verletzungsfall gegeben ist.

3)
Nach dem Merkmal 6 sollen die vorangegangenen Merkmale – insbesondere 4 und 5 – des Oberbegriffs des Anspruchs 1 des Klagepatents der Bildung einer Kindertragetasche dienen.

a)
Es bedarf keiner Entscheidung der Kammer dazu, ob das Merkmal 6 gegebenenfalls eine reine Zweckangabe beinhaltet, deren Erfüllung im Hinblick darauf, dass Anspruch 1 des Klagepatents ein Erzeugnis schützt, für die Frage der Patentverletzung unerheblich wäre. Denn jedenfalls wird bei der angegriffenen Ausführungsform durch Verwirklichung des Merkmals 6 die Bildung einer erfindungsgemäßen Kindertragetasche erreicht.

b)
Hinsichtlich der Ausgestaltung der Kindertragetasche erwähnt das Klagepatent in den Merkmalen 2 – 5 seines Anspruchs 1 folgende Bestandteile, die an deren Konstruktion beteiligt sind: zum einen Brustgurte und zum anderen ein Vorderteil, die eine Traggeschirreinrichtung bilden. Aus diesen Elementen soll in der im Anspruch 1 näher definierten Weise eine Tragetasche konstruiert werden, in welche ein Kind hineingesetzt und so getragen werden kann.

aa)
Wie beispielsweise die oben bereits eingeblendeten Abbildungen 9, 10 und 11 der Anlage B 3 verdeutlichen, sind die genannten Elemente auch bei der angegriffenen Ausführungsform in patentgemäßer Weise an der Bildung einer solchen Kindertragetasche beteiligt. Die genannten Abbildungen zeigen die Entstehung einer Kindertragetasche durch Verbindung des „Front Pieces“ mit den Halteschlaufen, in dem ein Kind am Oberkörper des Trägers getragen werden kann.

bb)
Ohne Erfolg negiert der Beklagte die Existenz einer Kindertragetasche bei der angegriffenen Ausführungsform unter Verweis auf die Figuren 1 und 3 nebst zugehöriger Beschreibung des Klagepatents auf Seite 4, Zeilen 25 – 28 sowie Seite 5, Zeilen 46 f. Soweit er daraus den Schluss zieht, nach der Lehre des Klagepatents seien die Brust des Trägers und die Verbindungsmittel zwingend an der Bildung der Kindertragetasche beteiligt, ist dem zu widersprechen. Eine derartige Einschränkung des Merkmalsbegriffs „Kindertragetasche“ ist im Anspruchswortlaut nicht niedergelegt, und zwar weder im Merkmal 6 selbst noch im Hinblick auf den systematischen Zusammenhang mit den anderen Merkmalen. Mangels eines entsprechenden Anhaltspunktes im Anspruchswortlaut vermögen die oben erwähnten Ausführungsbeispiele keine Grundlage für ein restriktives Verständnis des Merkmals 6 zu begründen; erforderlich wäre dafür vielmehr die Feststellung, dass sich unter Heranziehung der Beschreibung und der Figuren (vgl. Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 PatG) ergäbe, dass nur bei Befolgung dieser Ausführungsbeispiele derjenige technische Erfolg erzielt werden kann, der patentgemäß mit den im Anspruch bezeichneten Mitteln erreicht werden soll (vgl. zuletzt BGH, GRUR 2008, 779 – Mehrgangnabe): Dies behauptet der Beklagte indes selbst nicht und dafür ist auch sonst nichts ersichtlich – die klagepatentgemäße Aufgabe kann auch mittels eines Tragegeschirrs gelöst werden, bei dem das Kind nicht notwendig direkt mit der Brust des Trägers und mit den Verbindungsmitteln in Kontakt kommt.

4)
Das Merkmal 7 lehrt, dass eine Verbindungseinrichtung von wählbar anpassbarer Länge ein erstes und ein zweites Endteil aufweist.

Die angegriffene Ausführungsform weist unstreitig folgende Endteile in diesem Sinne auf: Das erste Endteil der „size adjustment straps“ ist in der im Tatbestand wiedergegebenen Abbildung „Frontteil“ (Seite 60 der Anlage B 3) zu sehen, während das korrespondierende zweite Endteil zur Außenseite des Vorderteils gewandt ist und sich damit auf der dem ersten Endteil gegenüberliegenden Seite befindet. Bei den „head support straps“ sind die Endteile in Abb. 21 auf Seite 69 der Anlage B 3 bei hochgefaltetem „top cover“ zu sehen, wobei das erste Endteil hier am der Innenseite des Vorderteils zugewandten, mit einer Anpassungsschnalle versehenen Ende liegt, während das zweite Endteil der Außenseite des Vorderteils zugewandt ist:

Anhand der Abbildung „Vorderteil“ auf Seite 60 der Anlage B 3 ist wiederum die seitlich gegeneinander bestehende, wesentliche Beabstandung der jeweils beiden Endteile erkennbar – insbesondere bezüglich der „size adjustment straps“, die durch schwarze Gurte miteinander verbunden sind.

Soweit der Beklagte die Verwirklichung des Merkmals 7 bestreitet, führt er nur solche Argumente an, die sich allein auf die Voraussetzungen des Merkmals 8 beziehen, so dass auf die dortigen Urteilsausführungen verwiesen werden kann.

5)
Das Merkmal 8 setzt voraus, dass die in Merkmal 7 definierten Endteile mit dem Vorderteil an Positionen verbunden sind, die seitlich gegeneinander beabstandet sind und einen wesentlichen Abstand haben.

Soweit der Beklagte als Argument für die Nichtverwirklichung des Merkmals 8 vorbringt, die zugehörigen Gurte seien nicht mit dem Vorderteil bzw. dem Tragelappen verbunden, sondern vielmehr direkt mit den Schließen zur Befestigung des Vorderteils an den Tragegurten, ist dem zu widersprechen.

Das Gegenteil ergibt sich hinsichtlich der „head adjustement straps“ bereits anhand der von ihm selbst in den Rechtsstreit eingeführten Figur 4 auf Seite 11 der Klageerwiderung: Unwidersprochen ist anhand dieser erkennbar, dass – wie dort durch gestrichelte Linien angedeutet wird, der Gurt fest mit dem Vorderteil vernäht ist. Dem Beklagten mag zuzugestehen sein, dass der Gurt an seinen Enden jeweils eine Schlaufe aufweist, an welcher der jeweilige Verschlussring befestigt ist. Allerdings existiert vor der Schlaufe eine Naht, mittels derer der Gurt am Vorderteil befestigt ist. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass es sich um einen durchgehenden Gurt mit insgesamt vier Nahtpunkten handelt – dass der Gurt zwischen den beiden mittleren Nähten noch weiter verläuft, ist ohne Belang. Der Klägerin ist darin zuzustimmen, dass man den Gurt an dieser Stelle auch durchtrennen könnte, ohne dass die Funktion der angegriffenen Ausführungsform insoweit beeinträchtigt würde.

6)
Das Merkmal 9 beansprucht, dass die Verbindungsvorrichtung eine Anpassausrüstung umfasst, die die selektive Festlegung eines effektiven Abstandes zwischen den beiden Endteilen ermöglicht.

Der Beklagte begründet die Nichtverwirklichung des Merkmals 9 allein damit, dass sich bei der angegriffenen Ausführungsform der einzig sinnvoll zu definierende Abstand zwischen den beiden Schließen zur Befestigung des Vorderteils an den Trageriemen befinde. Dies beruht indes auf den unzutreffenden Annahmen des Beklagten zum Merkmal 8, so dass darauf entsprechend verwiesen werden kann.

III.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Unterlassung im aus Ziffer I. 1. des Urteilstenors näher ersichtlichem Umfang aus Art. 64 Abs. 1 und 3 EPÜ i.V.m. §§ 9, 139 Abs. 1 PatG. Mit dem Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform hat der Beklagte das Klagepatent zumindest in fahrlässiger Weise verletzt, so dass er der Klägerin gemäß Art. 64 Abs. 1 und 3 EPÜ i.V.m. §§ 9, 139 Abs. 2 PatG auch zum Schadenersatz verpflichtet ist. Da die konkrete Schadenshöhe derzeit noch nicht feststeht, ist ein berechtigtes Interesse der Klägerin daran anzuerkennen, die entsprechenden Verpflichtungen des Beklagten zunächst dem Grunde nach feststellen zu lassen (§ 256 ZPO). Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, diese Ansprüche zu beziffern, hat der Beklagte im zuerkannten Umfang über die Benutzungshandlungen Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen (§ 140b PatG, §§ 242, 259 BGB). Wie bereits im entsprechenden Klageantrag berücksichtigt, war dem Beklagten hinsichtlich der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger ein Wirtschaftsprüfervorbehalt einzuräumen (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 3,176 – Glasscheibenbefestiger). Im Umfang der nach §§ 242, 259 BGB geschuldeten Angaben steht der Klägerin auch ein Anspruch auf Vorlage der entsprechenden Rechnungen oder Lieferscheine zu (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE, 5, 249 – Faltenbalg). Der zuerkannte Vernichtungsanspruch findet seine rechtliche Grundlage in § 140 a PatG.

IV.
Dem Antrag des Beklagten auf Aussetzung des Verletzungsrechtsstreits gem.
§ 148 ZPO im Hinblick auf seine Nichtigkeitsklage vom 10.09.2008 (Anlage B 4) ist nicht stattzugeben.

Die Entscheidung über die Aussetzung steht im Ermessen des Verletzungsgerichtes, wobei dieses summarisch anhand des ihm vorgelegten Sachverhaltes die Erfolgsaussichten der Nichtigkeitsklage überprüft.

Die Prognose, ob sich das Klageschutzrecht im anhängigen Nichtigkeitsverfahren als rechtsbeständig erweisen wird, kann notwendigerweise nur vor dem Hintergrund des Sach- und Streitstandes in eben diesem Verfahren angestellt werden.

Aufgrund der Tatsache, dass die Aussetzung für die Klägerin wegen der langen Verfahrensdauer von Nichtigkeitsklagen einen erheblichen Einschnitt in ihre Rechte, vor allem den zeitlich begrenzten Unterlassungsanspruch bedeutet und außerdem ein Missbrauch vermieden werden soll, kommt eine Aussetzung in der Regel nach der derzeit gültigen Rechtsprechung in der I. Instanz nur dann in Betracht, wenn es in hohem Maße wahrscheinlich erscheint, dass das Klagepatent aufgrund des Einspruchs oder der Nichtigkeitsklage widerrufen oder vernichtet wird (BGH, GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug). Vor allem kommt eine Aussetzung zumeist dann nicht in Betracht, wenn der dem Klageschutzrecht entgegengehaltene Stand der Technik demjenigen entspricht, der bereits im Erteilungsverfahren oder in einem erfolglos durchgeführten Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren berücksichtigt worden ist.

Vorliegend wird das Aussetzungsermessen noch erheblich dadurch reduziert, dass der Beklagte erst am 10.09.2008 Nichtigkeitsklage einreichte, obwohl der Verletzungsstreit schon seit November 2007 anhängig war (vgl. Kühnen/Geschke, a.a.O., Rn 617). Damit gibt der Beklagte zu erkennen, dass er seiner Nichtigkeitsklage – zu Recht – selbst nur geringe Erfolgsaussicht beimisst, was im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Interessen zu berücksichtigen ist, da eine Aussetzung regelmäßig bereits dann nicht veranlasst ist, wenn die Nichtigkeitsklage erst so kurzfristig vor dem Haupttermin im Verletzungsprozess erhoben wird, dass dem Patentinhaber eine angemessene Erwiderung auf das Nichtigkeitsvorbringen nicht mehr möglich ist (vgl. LG Düsseldorf, InstGE 3, 54 – Sportschuhsohle). Hinzu kommt, dass der Beklagte erstmals mit Schriftsatz vom 29.09.2008 seine Ausführungen im Nichtigkeitsverfahren zum Gegenstand des Verletzungsrechtsstreits machte, wobei die fremdsprachigen Entgegenhaltungen nicht einmal in deutscher Übersetzung vorgelegt wurden. Eine Aussetzung wäre vor diesem Hintergrund nur dann veranlasst, wenn die Prognoseentscheidung eindeutig zugunsten des Beklagten ausginge. Eine solche Situation liegt hier jedoch gerade nicht vor.

Die Entgegenhaltung D 5 (= Anlage B 1 im vorliegenden Rechtsstreit ) wird im Rahmen der Nichtigkeitsklage nun lediglich noch unter dem Gesichtspunkt einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit geltend gemacht, während der Beklagte vor Einreichung der Nichtigkeitsklage noch eine Neuheitsschädlichkeit der D 5 behauptete. Hierzu konnte die Klägerin im Hinblick auf das kurzfristige Vorbringen des Beklagten zum Nichtigkeitseinwand noch nicht erwidern. Im Übrigen sind die Ausführungen des Beklagten dazu, warum der Fachmann im Prioritätszeitpunkt überhaupt Anlass hatte, die Entgegenhaltung D 5 entweder mit der D 4 oder der D 6 zu kombinieren, nicht von solchem Gehalt, dass sich daraus – vor allem bei dem hier aus den oben erwähnten Gründen anzuwendenden strengen Prüfungsmaßstab – eine überwiegende Erfolgswahrscheinlichkeit ableiten ließe.

Hinsichtlich der übrigen Entgegenhaltungen war der Klägerin eine Erwiderung innerhalb der kurzen Zeit nach deren Einführung in den Verletzungsrechtsstreit und mit Rücksicht darauf, dass ihr die Nichtigkeitsklage noch nicht einmal zugestellt war, nicht zumutbar, so dass diese bei der Ausübung des Aussetzungsermessens a priori außer Betracht zu bleiben hatten.

V.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.