4b O 100/08 – Olanzapin

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 892

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 12. August 2008, Az. 4b O 100/08

I.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

II.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsklägerin.

III.
Der Streitwert wird auf 1.250.000,00 € festgesetzt.

T a t b e s t a n d
Die Verfügungsklägerin ist Inhaberin des am 24. April 1991 unter Inanspruchnahme einer britischen Unionspriorität (GB 9009xxx) vom 25. April 1990 angemeldeten, u.a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland am 13. September 1995 erteilten europäischen Patents 0 545 xxx (Verfügungspatent, Anlage L 1, deutsche Übersetzung Anlage L 2). Das Verfügungspatent, dessen Schutzdauer durch ein ergänzendes Schutzzertifikat bis zum 27. September 2011 verlängert ist, betrifft den pharmazeutischen Wirkstoff mit dem internationalen Freinamen (INN) „Olanzapin“. Dieser Wirkstoff wird zur Behandlung von Schizophrenie und anderen Störungen des zentralen Nervensystems eingesetzt. Die Verfügungsklägerin vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland ein mit diesem Wirkstoff versehenes, seit 1996 zugelassenes Arzneimittel namens „Zyprexa“.

Die Ansprüche 1, 2 sowie 4 bis 9 des Verfügungspatents lauten in deutscher Übersetzung:

1. 2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno2,3-b1,5benzodiaze-pin oder ein Säureadditionssalz davon.

2. 2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno2,3-b1,5benzodiaze-pin oder ein pharmazeutisch brauchbares Säureadditionssalz davon.

4. Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Verwendung als Arzneimittel.

5. Verwendung einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung einer Störung im Zentralnervensystem.

6. Verwendung einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von Schizophrenie.

7. Verwendung einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung einer schizophrenieformen Krankheit.

8. Verwendung einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von akuter Manie.

9. Verwendung einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von leichten Angstzuständen.

Mit Urteil vom 4. Juni 2007 (Anlage L 3) hat das Bundespatentgericht das Verfügungspatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, da die in den Patentansprüchen 1 und 2 beschriebene Verbindung durch die Veröffentlichung „4-Piperazinyl-10H-thieno2,3-b1,5benzodiazepines as Potential Neuroleptics“ von Jiban K. Chakrabarti et al in J. Med. Chem. 1980, Volume 23, S. 878 bis 884 (im Folgenden: Veröffentlichung Chakrabarti 1980; Anlage L 10; deutsche Übersetzung Anlage L 10 a; Anlage K 4 im Nichtigkeitsverfahren) neuheitsschädlich vorweggenommen sei. Zwar sei die Verbindung dort nicht ausdrücklich erwähnt; der Durchschnittsfachmann lese sie aber ohne Weiteres und selbstverständlich mit.
Über die Berufung der Verfügungsklägerin vom 29. Juni 2007 (Anlage L 9) gegen das Urteil des Bundespatentgerichts hat der Bundesgerichtshof noch nicht entschieden. Er beabsichtigt, die mündliche Verhandlung im Dezember 2008 oder in den ersten zwei Monaten des Jahres 2009 zu terminieren (Anlage AG 50).

Die Verfügungsklägerin nahm und nimmt aus dem Verfügungspatent im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes 20 Generikahersteller auf Unterlassung und Auskunft in Anspruch, die in der Zeit von November 2007 bis Juli 2008 mit olanzapinhaltigen Arzneimitteln in den Markt eingetreten sind.

Die Verfügungsbeklagte vertreibt ein olanzapinhaltiges Arzneimittel unter der Bezeichnung Olanzapin Sandoz (Angegriffene Ausführungsform, Anlagen L 7 und L 8). Die angegriffene Ausführungsform war erstmals am 15. März 2008 in der Lauer-Taxe gelistet.

Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, der Verfügungsbeklagten sei der Vertrieb der – das Verfügungspatent verwirklichenden – angegriffenen Ausführungsform zu untersagen, obwohl das Bundespatentgericht das Verfügungspatent für nichtig erklärt hat. Das Urteil sei nicht rechtskräftig; die Ausschließlichkeitswirkungen des Verfügungspatents seien weiterhin zu beachten. Das Urteil des Bundespatentgerichts sei evident unrichtig und werde mit Sicherheit vom Bundesgerichtshof aufgehoben werden. Am Rechtsbestand des Verfügungspatents bestünden keinerlei vernünftige Zweifel. Auch angesichts der übrigen, im Rahmen einer Abwägung zu ihren Gunsten sprechenden schützwürdigen Interessen, sei die begehrte Eilmaßnahme zu erlassen.

Nachdem die Verfügungsklägerin mit ihrem bei Gericht am 14. April 2008 eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der Verfügungsbeklagten auch ein Herstellen untersagen lassen wollte, hat sie in der mündlichen Verhandlung vom 30. Juli 2008 den Antrag mit Blick auf diese Handlungsalternative zurückgenommen. Sie beantragt nunmehr,

I.
der Verfügungsbeklagten aufzugeben, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,– Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen Geschäftsführern der Verfügungsbeklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,

2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno2,3-b1,5benzodiaze-pin oder ein Säureadditionssalz davon (Ziffer 1) und/oder ein pharmazeutisch brauchbares Säureadditionssalz (Ziffer 2) davon

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;

II.
hilfsweise: eine Verbindung nach Ziff. I.1. und/oder Ziff. I.2. anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen, wenn die Verbindung augenfällig hergerichtet ist für die Verwendung
1. als Arzneimittel
und/oder
2. zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung einer Störung im zentralen Nervensystem
und/oder
3. zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von Schizophrenie
und/oder
4. zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung einer schizophrenieformen Krankheit
und/oder
5. zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von akuter Manie
und/oder
6. zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von leichten Angstzuständen.

III.
der Verfügungsklägerin aufzugeben, innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Zustellung dieser einstweiligen Verfügung Auskunft über den Umfang der vorstehend zu Ziffer I. (hilfsweise zu Ziffer II.) bezeichneten, seit dem 13. Oktober 1995 begangenen Handlungen zu erteilen, und zwar unter Angabe der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie der Bezeichnung der Arzneimittel und der Namen und Anschriften der Abnehmer.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte verneint das Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Der Rechtsbestand des Verfügungspatents sei nicht hinreichend gesichert. Dem Erlass einer einstweiligen Verfügung stehe schon das Urteil des Bundespatentgerichts entgegen. Die dortige Nichtigerklärung sei völlig zu recht erfolgt; das Verfügungspatent sei nicht neu. Es beruhe darüber hinaus ebenso wenig auf einer erfinderischen Tätigkeit. Das Verletzungsgericht habe diese fach- und sachkundige Entscheidung des Bundespatentgerichts, die auch in der Berufung vor dem Bundesgerichtshof Bestand haben werde, zu beachten. Im übrigen sei nicht zu erkennen, warum der Verfügungsklägerin durch ihren Markteintritt – und nicht etwa irgendwelcher anderer generischer Wettbewerber – mit der angegriffenen Ausführungsform ein besonderer wirtschaftlicher Schaden oder irgendwelche Verluste drohten. Einen erheblichen, später nur unzureichend auszugleichenden Schaden werde vielmehr sie erleiden, wenn ihr der Vertrieb mit der angegriffenen Ausführungsform untersagt werde.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten nebst Anlagen Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 14. April 2008 ist zurückzuweisen.

I.
Die Erfindung betrifft neue organische Verbindungen und deren Verwendung als Arzneimittel, insbesondere als Antipsychotika zur Behandlung ernster mentaler Zustände wie Schizophrenie und schizophrenieforme Krankheiten.

Die am Prioritätstag erhältlichen Arzneimittel waren, so das Verfügungspatent, oft mit nicht erwünschten, bei Langzeitverwendung zum Teil irreversiblen Nebenwirkungen verbunden. Es wurde insbesondere beobachtet, dass Patienten an therapiebedingten extrapyramidalen Symptomen, u.a. arzneimittelbedingten Parkinsonismus, akuten dystonischen Reaktionen, Akathisie, tardiver Dyskenesie und tardiver Dystonie leiden. Ein Großteil der bekannten Arzneimittel erzeugten zudem extrapyramidale Nebenwirkungen, wenn sie in Dosierungen verwandt werden, die eine heilsame Wirkung auf die Symptome der zu behandelnden Krankheit haben. Viele der Arzneimittel haben darüber hinaus sedierenden Effekt und einen unerwünschten Einfluss auf die affektiven Symptome der Krankheit mit der Folge, dass sie Depressionen verursachen. Die Heftigkeit der Nebenwirkungen und der Umstand, dass viele Patienten auf die Arzneimittel nicht ansprechen, führt bei einer beträchtlichen Anzahl von Patienten zu geringer Mitarbeit oder Abbruch der Behandlung.

Als Beispiele für häufig angewendete Antipsychotika erwähnt das Verfügungspatent „Haloperidol“, „Clozapin“ und „Flumezapin“. Ersteres wird als nachteilig kritisiert, weil es Berichten zufolge ein starkes Auftreten extrapyramidaler Symptome und auch tardive Dyskenesie verursachen kann. Zweites, ein trizyklisches Antipsychotikum, sei zwar mit dem Anspruch eingeführt worden, frei von extrapyramidalen Wirkungen zu sein, tatsächlich verursachte es jedoch bei einigen Patienten Agranulozytose (teilweise lebensbedrohliche Verringerung der weißen Blutzellen), weswegen es nunmehr nur unter strenger medizinischer Beobachtung und Kontrolle eingesetzt werden kann. „Flumezapin“, die Stammverbindung der in dem britischen Patent 1 533 235 (Anlage AG 3, Anlage K 2 im Nichtigkeitsverfahren) unter Schutz gestellten Thienobenzodiazepine, wurde bis zur klinischen Anwendung bei Schizophrenie-Patienten entwickelt, der Versuch jedoch beendet, nachdem sich bei den behandelten Patienten erhöhte Enzymgehalte einstellten, ein Anzeichen für mögliche Toxizität. Bezüglich seiner leberenzymgehalterhöhenden Tendenz ähnelt „Flumezapin“ dem seit langem angewendeten, aber in seiner Sicherheit in Frage gestellten Antipsychotikum „Chlorpromazin“. Bei klinischen Versuchen mit „Flumezapin“ zeigten zwei Patienten zudem extrapyramidale Nebenwirkungen

Ausgehend von diesem Stand der Technik bezeichnet das Verfügungspatent es (sinngemäß) als seine Aufgabe, einen Wirkstoff für eine relativ sichere und wirksame Behandlung eines breiten Spektrums von Störungen des Zentralnervensystems bereitzustellen, der insbesondere im Vergleich mit „Flumezapin“ und anderen verwandten Verbindungen überraschende sowie unerwartete Eigenschaften besitzt, und der die beim Einsatz der bekannten Antipsychotika eintretenden Nebenwirkungen nicht hervorruft.

Zur Lösung dieser Aufgabe gibt das Verfügungspatent die Verbindung 2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno2,3-b1,5benzodiazepin mit der folgenden Formel

oder ein Säureadditionssalz hiervon an.

Von den bekannten trizyklischen Antipsychotika wie „Clozapin“ unterscheidet sich die erfindungsgemäße Verbindung dadurch, dass sie am Phenylring in 7-Position anstelle eines Halogensubstituenten – als solche wurden hauptsächlich Chlor oder Fluor verwendet – ein Wasserstoffatom aufweist.

II.
Die Verfügungsklägerin hat einen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht. Ihr steht wegen wortsinngemäßer Verletzung des Verfügungspatentes ein Anspruch auf Unterlassung gemäß §§ 9, 139 Abs. 1 PatG i. V. m. Art. 2 Abs. 2, 64 Abs. 3 EPÜ und, da die Rechtsverletzung offensichtlich ist, ein Auskunftsanspruch gemäß § 140b PatG zu.

Zwischen den Parteien steht mit Recht – wie die Anlagen L 7 und L 8 bekräftigen – die wortsinngemäße Verwirklichung der Ansprüche 1 und 2 des Verfügungspatents außer Streit. Die angegriffene Ausführungsform ist ein Arzneimittel, das als Wirkstoff „Olanzapin“ beinhaltet.

Die Verfügungsbeklagte vertreibt ebenso unstreitig die angegriffene Ausführungsform seit dem 15. März 2008 in der Bundesrepublik Deutschland, ohne hierzu von der Verfügungsklägerin berechtigt worden zu sein.

III.
Die Verfügungsklägerin kann die ihr zustehenden Ansprüche jedoch nicht im Wege der einstweiligen Verfügung geltend machen. Die Regelung ist nicht dringlich. Das vorläufige Verbot des Vertriebs (und der darauf abzielenden Vorbereitungshandlungen) der angegriffenen Ausführungsform erscheint zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Verfügungsklägerin nicht nötig (§§ 935, 940 ZPO). Bei der hierzu vorzunehmenden Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen haben diejenigen der Verfügungsklägerin als verletzter Schutzrechtsinhaberin derzeit nicht den Vorrang gegenüber dem Interesse der Verfügungsbeklagten, den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform bis zu einer Entscheidung im Hauptsachverfahren fortsetzen zu können.

Notwendige Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist die hinreichende Sicherheit des Rechtsbestandes des Verfügungspatents, der im Verfügungsverfahren von den Verletzungsgerichten eigenständig einzuschätzen ist.
Hat das Verletzungsgericht Zweifel an der grundsätzlich zu respektierenden Schutzfähigkeit des Verfügungspatentes, verbietet sich in der Regel die Annahme eines Verfügungsgrundes und der Eilantrag ist zurückzuweisen (OLG Düsseldorf, Mitt 1996, 87, 88 – Captopril; OLG Karlsruhe, GRUR 1988, 900 – Dutralene; OLG Düsseldorf, GRUR 1983, 79, 80 – AHF-Konzentrat; OLG Hamburg, GRUR 1984, 1005 – Früchteschneidemaschine). Derartige Zweifel erwachsen insbesondere dann, wenn eine – nicht rechtskräftige – erstinstanzliche Nichtigkeitsentscheidung des Bundespatentgerichts vorliegt. Die Vernichtung des Schutzrechtes durch das sach- und fachkundig besetzte Bundespatentgericht, dessen originäre Aufgabe nach dem geltenden Trennungsprinzip die Beurteilung des Rechtsbestandes erteilter technischer Schutzrechte ist, steht der Feststellung des hinreichend sicheren Rechtsbestandes grundsätzlich entgegen.

In der den Parteien bekannten Parallelsache gegen die D GmbH hat das Oberlandesgericht Düsseldorf jedoch eine Ausnahme von diesem Grundsatz für erforderlich gehalten. In seinem Urteil vom 29. Mai 2008 (I –2 W 47/07) hat es ausgeführt:

„Eine Ausnahme von dem prinzipiellen Vorrang der erstinstanzlichen Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung ist von Verfassungs wegen (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) allerdings dort zwingend geboten, wo der Widerruf oder die Nichtigerklärung evident unrichtig ist und das selbst nicht fachkundig besetzte Verletzungsgericht diese Unrichtigkeit verlässlich erkennen kann, weil ihm die auftretenden technischen Fragen in Anbetracht des Sachvortrages der Parteien zugänglich sind und von ihm auf der Grundlage ausreichender Erfahrung in der Beurteilung technischer und patentrechtlicher Sachverhalte abschließend beantwortet werden können. Dem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes kommt im Bereich des Patentrechts ganz besonderes Gewicht zu, weil die Laufzeit eines Patents gesetzlich begrenzt ist (§ 16 Abs. 1 Satz 1 PatG, Art. 63 Abs. 1 EPÜ), so dass dem Schutzrechtsinhaber seine – trotz erstinstanzlicher Vernichtung fortbestehenden – gesetzlichen Verbietungsrechte für die Dauer einer Aussetzung des Hauptsacheverfahrens bzw. einer Verweigerung vorläufigen Rechtsschutzes endgültig und unwiederbringlich genommen werden. Diese Folge ist umso weniger akzeptabel, je länger das Rechtsmittelverfahren dauert, und sie führt wegen der bekanntermaßen mehrjährigen Dauer insbesondere von Nichtigkeitsberufungsverfahren dazu, dass der Schutzrechtsinhaber, dessen Patent – wie hier – wenige Jahre vor Ablauf der gesetzlichen Schutzdauer erstinstanzlich vernichtet wird, dem Eingriff beliebiger Verletzer schutzlos ausgesetzt ist, wenn innerhalb der verbleibenden Patentlaufzeit nicht mehr mit einer korrigierenden Berufungsentscheidung zu rechnen ist. Gerade zum Ende der Patentlaufzeit hin wird eine unberechtigte Vernichtungsentscheidung die Wettbewerber in besonderem Maße zu Verletzungshandlungen herausfordern, weil sie damit rechnen können, dass die patentierte Technik vor Erlass einer abändernden Rechtsmittelentscheidung ohnehin gemeinfrei wird, so dass nicht die Gefahr besteht, die unter der Geltung des Patentschutzes aufgenommenen Benutzungshandlungen zwischenzeitlich wieder einstellen zu müssen. Es wäre mit den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens schlechterdings unvereinbar, wenn sich das Verletzungsgericht in einer solchen Situation jedweder eigenen materiellen Prüfung der Nichtigkeitsentscheidung enthalten und sich an das noch nicht rechtskräftige Nichtigkeitsurteil auch dann gebunden sehen würde, wenn es sich um eine klare Fehlentscheidung handelt. In Konstellationen wie der geschilderten ist das Verletzungsgericht bei hinreichender eigener Sachkunde vielmehr aufgerufen, sich über das erkennbar unrichtige Votum der Nichtigkeitsinstanz hinwegzusetzen und den Erlass einer einstweiligen Verfügung trotz erstinstanzlicher Vernichtung des Verfügungspatentes in Betracht zu ziehen. Je länger die Restlaufzeit und je höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Berufungsurteil im Nichtigkeitsverfahren erst gegen Ende der Schutzfrist oder sogar erst nach Patentablauf ergeht, umso mehr käme der Verweis auf die im Nichtigkeitsverfahren ergangene Entscheidung einer Rechtsverweigerung für den Schutzrechtsinhaber gleich und umso eher wird der Erlass einer einstweiligen Verfügung ausnahmsweise geboten sein.“

Ausgehend von diesen Überlegungen ist vorliegend eine Ausnahmesituation, welche es rechtfertigt, sich unter Außerachtlassung des Trennungsprinzips über die erstinstanzliche Nichtigkeitsentscheidung hinwegzusetzen, nicht anzuerkennen. Die Kammer vermag mit den ihr im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln letztlich nicht mit der erforderlichen Verlässlichkeit festzustellen, dass die Vernichtung des Verfügungspatents im Ergebnis keinen Bestand haben wird. Angesichts der bestehenden Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatents und dem bekannt gewordenen Zeitplan im Nichtigkeitsberufungsverfahren erscheint eine einstweilige Regelung derzeit nicht geboten.

Im Einzelnen:

1)
Das Urteil des Bundespatentgerichts vom 4. Juni 2007 (Anlage L 3), mit dem das Verfügungspatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland wegen neuheitsschädlicher Vorwegnahme der Erfindung durch die Veröffentlichung Chakrabarti 1980 (Anlage L 10; deutsche Übersetzung Anlage L 10 a; Anlage K 4 im Nichtigkeitsverfahren) für nichtig erklärt worden ist, ist allerdings unzutreffend. Es kann unter Berücksichtigung sämtlicher von der Verfügungsbeklagten vorgelegten Privatgutachten verlässlich gesagt werden, dass der Durchschnittsfachmann im Prioritätszeitpunkt des Verfügungspatents die dort unter Schutz gestellte Erfindung nicht ohne weiteres und selbstverständlich aus der Veröffentlichung Chakrabarti 1980 „mitgelesen“ hat.

a)
Neu im Sinne des § 3 Abs. 1 PatG ist eine Erfindung, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört, diesem vielmehr etwas Weiteres, bisher nicht Bekanntes hinzufügt.
Der Fachmann muss mithin in der Erfindung des Schutzrechtes eine technische Lehre erkennen, die nicht schon in einer (einzelnen) Entgegenhaltung vollständig vorweggenommen ist, wobei sich der Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung nicht allein nach deren Wortlaut bestimmt. Es ist deshalb nicht nur das als offenbart anzusehen – und mit der technischen Lehre der Erfindung zu vergleichen – , was in der Entgegenhaltung explizit als technisches Problem und Lösung unmittelbar sowie eindeutig beschrieben oder benannt ist.
Vielmehr nimmt zum einen auch das am Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung teil, was aus Sicht des Fachmanns nach seinem allgemeinen Fachwissen für die Ausführung der dortigen Lehre selbstverständlich oder nahezu unerlässlich ist. Und zum anderen solche Abwandlungen, die sich dem Fachmann nach dem Gesamtzusammenhang der Entgegenhaltung bei aufmerksamer, weniger auf die Worte als auf ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne weiteres erschließen, so dass er sie gewissermaßen gleich in Gedanken „mitliest“. Dies muss nicht bewusst geschehen. Erfasst ist deshalb auch das, was der fachkundige Leser bei Kenntnisnahme der Entgegenhaltung beinahe automatisch und mühelos als deren Gegenstand erachtet und was sich diesem – trotz fehlender ausdrücklicher Benennung – sozusagen sofort aufdrängt (BGH GRUR 1995, 330 (332) – Elektrische Steckverbindung; BGH GRUR 2000, 296 (297) – Schmierfettzusammensetzung; Benkard/Mellulis, PatG, 10. Aufl., § 3 Rn 32 ff., 86; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 3 Rn 100; Schulte/Moufang, PatG, 7. Aufl., § 3 Rn 95 ff.).

Angesichts der im Rahmen des Rechtsbestandes eines Schutzrechtes neben der Neuheit gemäß § 3 PatG eigenständig zu diskutierenden Frage des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des § 4 PatG kann von einem solchen „Mitlesen“ nur dann ausgegangen werden, wenn tatsächlich keine weiteren Überlegungen, keine das Beschriebene „fort denkenden“ Schritte und/oder gar die Kombination solcher erforderlich sind, um zur technischen Lehre des Schutzrechtes zu gelangen. Bei dem nur Hinzugedachten muss es sich um eine bloße Selbstverständlichkeit handeln, die im Wege des (reinen) Erkenntnisaktes vom Fachmann erkannt wird. Es muss ein qualitativer Unterschied zum – von einem wertenden Akt geprägten – Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit bestehen. Anderenfalls würde die Grenze der beiden Prüfungskategorien verwischt und diese in nicht vorgesehener Weise miteinander vermengt werden.

Die Anerkennung der Neuheitsprüfung als (reinen) Erkenntnisakt bedeutet allerdings nicht, dass in dem Fall, in dem ein Merkmal der zur Diskussion stehenden technischen Lehre eines Schutzrechtes nicht ausdrücklich in der Entgegenhaltung offenbart und somit eine „Lücke“ zu schließen ist, der Gesamtzusammenhang der Entgegenhaltung vernachlässigt werden darf. Zur Beantwortung der Frage, was der Fachmann selbstverständlich ohne weiteres mitliest, ist es unerlässlich, den Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung in seiner Gesamtheit zu ermitteln. Nur danach kann beurteilt werden, ob und wenn ja, welche „Lücken“ der Fachmann automatisch in Gedanken wie schließt.

b)
Als Fachmann ist vorliegend ein erfahrener organischer oder pharmazeutischer Chemiker anzusehen, der mit der Struktur und Aktivität von noch in der Entwicklung sowie bereits in Gebrauch befindlicher antipsychotischer Wirkstoffe vertraut und in ein Team von Spezialisten eingebunden ist, das mit dem Auffinden neuer Wirkstoffe und mit deren Entwicklung befasst ist. Solch einem Team gehören neben organischen und pharmazeutischen Chemikern auch Pharmakologen, Galeniker sowie fachlich entsprechend ausgebildete, forschende Mediziner und medizinische Chemiker an.

c)
Der Durchschnittsfachmann hat in der Veröffentlichung Chakrabarti 1980, die den Wirkstoff „Olanzapin“ unstreitig nicht ausdrücklich zeigt, die technische Lehre des Verfügungspatents nicht im obigen Sinne ohne weiteres „mitgelesen“. Er entnimmt ihr nicht automatisch und selbstverständlich, ohne jegliche eigenen Überlegungen ein 2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno2,3-b1,5benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon. Die Veröffentlichung bezieht sich allein auf die konkret synthetisierten Verbindungen.

aa)
Die Veröffentlichung Chakrabarti 1980 (Anlage L 10; deutsche Übersetzung Anlage L 10 a, Anlage K 4 im Nichtigkeitsverfahren) befasst sich ausweislich ihres Titels mit 4-Piperazinyl-10H-thieno2,3-b1,5 benzodiazepinen als potentielle Neuroleptika. Sie berichtet über die Synthetisierung einer Reihe von 4-substituierten 10H-thieno2,3-b1,5benzodiazepinen. Um den Zusammenhang zwischen Struktur und Aktivität der Benzodiazepine zu untersuchen, wurden Modifikationen an den Substituenten an dem Phenylring sowie an dem Thiophenring und geeignete Veränderungen der basischen Seitenkette vorgenommen. Um die Aktivität zu vergleichen, wurden außerdem analoge 5-Piperazinyl-substituierte 4H- thieno2,3-b1,4benzodiazepine hergestellt. Die allgemeine Zentralnervensystemaktivität sowie die neuroleptische Aktivität wurden anhand von Tierversuchen ermittelt und mit verschiedenen Typen von Antipsychotika wie „Clozapin“, „Haloperidol“, „Thioridazin“ und „cis-Flupenthixol“ verglichen (Anlage L 10a, Seite 879, linke Spalte 2. Absatz).

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen der insgesamt 59 synthetisierten Verbindungen stellt die Veröffentlichung Chakrabarti 1980 in der – nachfolgend eingeblendeten Tabelle I – dar:

bb)
Die im Kopf der Tabelle gezeigten Strukturformeln mit den Bezeichnungen R, R1 und R2 bedeuten dem Fachmann keine freie, beliebige Kombinierbarkeit aller der in der Tabelle und/oder in dem Beschreibungstext für R, R1 und R2 genannten Atome bzw. Substituenten. In der Veröffentlichung finden sich keine allgemeinen Definitionen oder Listen, die erläutern oder besagen, für welche Stoffe R, R1 und R2 stehen können. Ebenso wenig ist ein ausdrücklicher Passus dahingehend vorhanden, dass sämtliche genannten Substituenten willkürlich miteinander kombiniert werden könnten. Die Schrift selber bietet dem Fachmann explizit keinen Anhalt für die Annahme, die dargestellten Untersuchungen beanspruchten Gültigkeit für alle Verbindungen, die sich aus den einzelnen Atomen bzw. Substituenten bilden lassen. Der Fachmann wird den gezeigten Strukturformeln samt der variablen Reste deshalb allein den Zweck beimessen, aufzuzeigen, welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede die konkret getesteten Verbindungen aufweisen, ohne vollständig die individuelle Struktur jeder der 59 Verbindungen einzeln zeigen zu müssen.

cc)
Die in der Veröffentlichung Chakrabarti 1980 getroffenen Aussagen leiten den Fachmann in keine andere Richtung. Mag er als fachkundiger Leser des Journal of Medicinal Chemistry auch – wie die Verfügungsbeklagte vorbringt – die Erwartung haben, in dieser international renommierten Zeitschrift für das Gebiet der medizinischen Chemie keinen rein experimentellen Testbericht präsentiert zu bekommen, sondern gerade verallgemeinerungsfähige Struktur-Wirkungs-Analysen vorzufinden, so blieb diese Erwartung vorliegend unerfüllt. Den dargestellten Untersuchungsergebnissen können nur Aussagen zu den konkret getesteten und synthetisierten Verbindungen entnommen werden, nicht hingegen allgemeine Struktur-Wirkungs-Angaben zu nicht hergestellten und nicht getesteten Verbindungen, die den Fachmann sodann dazu befähigen oder veranlassen würden, im Prioritätszeitpunkt den Wirkstoff „Olanzapin“ in Gedanken ohne weiteres in der Veröffentlichung Chakrabarti 1980 mitzulesen.

(1)
Im einleitenden Abstract der Veröffentlichung (Anlage L 10a, S. 878 oben, kursiv) wird auf die konkret untersuchten Verbindungen Bezug genommen. Gleiches geschieht im Rahmen des allgemeinen Beschreibungsteils (Anlage L 10a, S. 879, linke Spalte, 2. Absatz). In der Tabelle I befinden sich allein Testergebnisse für tatsächlich synthetisierten Verbindungen. Nur deren Zusammensetzung, Struktur, Wirkung und neuroleptische Aktivität ist abgebildet.

(2)
In den mit „Zusammenhänge zwischen Struktur und Aktivität“ (Anlage L 10a, S.879, linke Spalte, 4. Absatz bis rechte Spalte) überschriebenen Teil werden Erkenntnisse aus den konkreten Tests hinsichtlich der neuroleptischen Aktivität zusammengefasst, wobei sich auch diese Feststellungen nur auf die tatsächlich getesteten Verbindungen beziehen.

Dies folgt zum einen aus der erkennbaren Bezugnahme auf die in der Tabelle I dargestellten Messergebnisse. Zum anderen – und das ist das Entscheidende – waren die Struktur-Wirkungszusammenhänge von Antipsychotika in weitem Maße unbekannt. Eine Vorhersage von Struktur-Wirkungsbeziehungen war sehr schwer, eine zielgerichtete Suche nach wirksamen Antipsychotika nicht möglich. Bekannt war vielmehr nur, dass jede Änderung an einer Position eines der Ringe zu einer Veränderung der neuroleptischen Wirksamkeit des Antipsychotikums führt, wobei nicht endgültig geklärt war, aus welchem Grund, die Veränderung von bereits hergestellten und getesteten Verbindungen zu abweichenden Wirksamkeitsergebnissen führte. Der Test einer Verbindung ließ deshalb keinen (sicheren) Schluss auf die Wirksamkeit und die Tauglichkeit einer anderen (gedachten) Verbindung zu; die Fachwelt bediente sich des Prinzips „Trial and Error“. Dies bestätigen auch die von der Verfügungsbeklagten vorgelegten Privatgutachten (Privatgutachten von Prof. Dr. Dr. E, Anlage AG 12, S. 2; Prof. Dr. Oßwald, Anlage AG 10, S. 4 f.).
Diesen Wissensstand legt gerade auch die Veröffentlichung Chakrabarti 1980 zugrunde. Nicht nur dadurch, dass es dort hinsichtlich der unterschiedlichen Wirksamkeit von „Clozapin“ und seinem (Ring-C-substituierten) 2-Chlor-Isomer HF-2046 ausdrücklich heißt: „Es gibt keine eindeutige Erklärung dafür, wie die Transposition dieser Halogensubstitution zu einer tiefgreifenden Veränderung der Aktivität führen kann“ (Anlage L10a, Seite 878, rechte Spalte), sondern auch beispielsweise dadurch, dass zu Fluorverbindungen ausgeführt wird: „obwohl die 7,8 Difluorverbindung (29) eine gute Aktivität behielt, zeigten die 8-Fluor- (27) und 6,8 Difluor Positionsisomerverbindungen eine verminderte Aktivität (Anlage L10a, Seite 879, rechte Spalte). Dies hebt die Bedeutung der Positionierung des Halogens hervor. Gleiches folgt aus den Erläuterungen zu Octoclothepin, welches einen 8-Chlor-Substituenten am Ring C hat und als typisches Antipsychotikum mit den unerwünschten Nebenwirkungen beschrieben wird, während sein Ring-A-substituiertes 2-Chlor-Isomer Doclothepin als atypisches Antipsychotikum gilt. Des weiteren sind auch der Tabelle I keine linearen Gesetzmäßigkeiten zu entnehmen. Wie beispielsweise die Verbindungen 6 und 7 zeigen, ist es von entscheidender Bedeutung, ob bei einer Substituierung mit R1= H, R2 = 2-C3H6 oder 2-t-C4H6 ist. Die jeweiligen Wirkprofile unterscheiden sich. Gleiches bezeugen die Verbindungen 43 und 44, die sich „nur“ darin unterscheiden, dass R1 entweder H oder 7-F ist.

Angesichts dessen können die erläuterten Testergebnisse nur als Grundlage für weitere Überlegungen zur Wirksamkeit denkbarer anderer Verbindungen dienen. Ein automatisches Mitlesen unbekannter Verbindungen verbietet sich hingegen.

(3)
Ein sicherer und zwangsläufiger Schluss auf die nicht getestete Verbindung „Olanzapin“ folgt aus der Veröffentlichung Chakrabarti 1980 auch nicht insoweit, als dass es in ihr heißt, die Substitution des Phenylrings mit einem Halogenatom (Cl, F) in Position 7 verstärkt die Aktivität und eine kurze Alkylsubstitution (Me, Et, i-Pr) in Position 2 des Thiophenrings scheine die Aktivität zu erhöhen (Anlage L 10a, Seite 879, rechte Spalte).
Auch wenn der Fachmann mit der erwähnten „Substitution des Phenylrings“ nicht nur das Vorsehen eines Fluor- oder Chloratoms an Position 7 verbindet, sondern sich zugleich vergegenwärtigt, dass R1 auch die unsubstituierte Variante, sprich H sein kann (so z. B. die Privatgutachten von Prof. Dr. F, Anlage AG 8, S. 3, Prof. Dr. G, Anlage AG 7, S. 3; Dr. H, Anlage AG 11, S. 2), und diese unsubstituierte Variante am Phenylring bei einer Methylkette am Thiophenring die erfindungsgemäße Verbindung ist, so ist nicht einsichtig, weshalb der Fachmann bei aufmerksamer Lektüre der Veröffentlichung diese Variante als dort offenbart – und nicht nur rückschauend – automatisch und selbstverständlich mitlesen sollte. Die Veröffentlichung spricht an dieser Stelle nämlich nicht nur von einer Substitution des Phenylrings, sondern stellt diese in einen Zusammenhang mit den gewonnenen Testergebnissen: die erwähnte Substitution mit einem Halogenatom hat die neuroleptische Aktivität verstärkt. Es werden also gerade die tatsächlich substituierten Varianten und nicht die unsubstituierte Möglichkeit als vorteilhaft und neuroleptisch effektvoll beschrieben. Die Aktivitätssteigerung wird dabei erkennbar dem Halogenatom zugeschrieben.
Dies gewinnt verstärkte Bedeutung durch den Umstand, dass die in der Veröffentlichung Chakrabarti 1980 dargestellten Versuche nicht ohne Bezug zu bereits existierenden Antipsychotika unternommen wurden. Basis und Ausgangspunkt für die Synthetisierung der Verbindungen war das atypische Neuroleptikum „Clozapin“, welches zum damaligen Zeitpunkt das Antipsychotikum war. Es wird als eine wirksame antipsychotische Verbindung beschrieben, die nur minimale extrapyramidale Nebenwirkung aufweise. „Clozapin“ weist in seinem Phenylring ein Chloratom auf. Die weiteren zum damaligen Zeitpunkt gebräuchlichen Antipsychotika „Loxapin“, „Chlothiapin“, „HF-2046“ und „Clozapin“ besitzen gleichfalls einen Halogensubstituenten. Hinzu tritt, dass von den Autoren der Veröffentlichung fünf Verbindungen (9, 12, 17, 29 und 34) als potente neuroleptisch wirksame Verbindungen hervorgehoben werden, welche sich als effektiver als „Clozapin“ erwiesen haben. Vier der fünf genannten Verbindungen weisen an Position 7 des Phenylrings ein Halogenatom auf. Interessanterweise ist unter diesen vier Verbindungen auch die Verbindung (Nr. 9), welche sich von „Olanzapin“ „nur“ durch eben jenes Halogenatom unterscheidet.
Wieso der Fachmann angesichts dessen der eingangs genannten Aussage der Veröffentlichung Chakrabarti 1980 keinerlei Bedeutung beimessen soll, dieser vielmehr entgegengesetzt ohne weiteres auch eine unsubstituierte Verbindung ohne Halogenatom als von dieser Veröffentlichung augenscheinlich offenbart entnommen haben sollte, ist nicht zu erkennen. Auch den Privatgutachtern der Verfügungsbeklagten ist unter dem Blickwinkel des „Mitlesens“ insoweit nichts Überzeugendes zu entnehmen. Es genügt hier nicht, wenn die Offenbarung nur Hinweise für mögliche weitere Untersuchungen, Überlegungen oder Vermutungen zu möglichen anderen Stoffen enthält.
Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, ob zum damaligen Zeitpunkt ein „Halogendogma“ bestand oder nicht. Entscheidend ist hier, ob der Fachmann nach dem Gesamtinhalt der in Rede stehenden Veröffentlichung eine nicht halogenisierte Verbindung als von dieser selbstverständlich umfasst ansieht. Äußert sich die Veröffentlichung in der beschriebenen Weise, kann der Fachmann die Angabe zur Aktivitätssteigerung nicht ignorieren.
Im übrigen ist der Veröffentlichung Chakrabarti 1980 aus sich heraus nicht ohne weiteres zu entnehmen, dass, wenn ein unsubstituierter Phenylring Verwendung finden soll, (allein) die beschriebene kurze Alkylkette am Thiophenring die gewünschte Aktivität erbringen kann. Ein Anhalt, dass diese Kombination selbstverständlich auch von den Untersuchungen der Autoren der Veröffentlichung erfasst ist, findet sich nicht. Insbesondere nicht vor dem Hintergrund, dass nach dem Wissensstand im Prioritätszeitpunkt nur Vermutungen über die Wirksamkeit bis dahin unbekannter Verbindungen geäußert werden konnten.

(4)
Der Fachmann liest „Olanzapin“ auch nicht deshalb automatisch und ohne weiteres mit, weil die Veröffentlichung auf der Grundlage von „Clozapin“ den Gedanken aufgreift, dass die wünschenswerte pharmakologische Wirkung einer Verbindung dann gegeben sein kann, wenn der Phenylring im Vergleich zum Thiophenring elektronenarm ist, demzufolge ein elektronisches Ungleichgewicht zwischen den Ringen A und C in der trizyklischen Molekülstruktur von Vorteil für die Aktivitätsverteilung ist und durch Substitution erreicht werden sollte (Anlage L 10a, Seite 878, linke und rechte Spalte, Seite 879, rechte Spalte).
Es kann der Veröffentlichung Chakrabarti 1980 nicht entnommen werden, dass diese Erkenntnis für sich genommen eine ausreichende Grundlage für eine sichere Struktur-Wirkungs-Analyse ist, so dass das Prinzip des „Trial and Error“ hierdurch überholt wäre und für die gewünschte antipsychotische Wirksamkeit ohne schädliche Nebenwirkungen allein – unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Verbindung – ein elektronisches Ungleichgewicht zwischen den beiden Ringen ausschlaggebend wäre. Einer solch weitreichenden Verallgemeinerung stehen die Ausführungen unter (2) entgegen.
Und selbst wenn ein Ungleichgewicht in der Ladungsverteilung als günstig und für die Wirksamkeit des Antipsychotikums bzw. ihre Aktivitätsverteilung im mesolimbischen Bereich und im striatalen System (mit-)verantwortlich beschrieben wird, ist nicht dargetan, dass diese Erkenntnis den Fachmann ohne weiteres wie selbstverständlich zu „Olanzapin“ geführt hätte. Die Veröffentlichung Chakrabarti 1980 erwähnt als eine Möglichkeit zur Schaffung des Elektronenungleichgewichts die Substitution des Phenylrings mit einem Chloratom; dem Halogen wird also gerade elektronenziehende Wirkung zugesprochen. Soweit die Verfügungsbeklagte zur Begründung auf die Verbindung Nr. 9 abstellt und argumentiert, für den Fachmann hätte es wegen der Ähnlichkeiten von Fluor und Wasserstoff nahegelegen, das dortige Fluoratom durch ein Wasserstoffatom auszutauschen, überzeugt dies letztlich nicht. Eine schlichte Austauschbarkeit der genannten Atome ist jedenfalls mit Blick auf ihre elektronenziehende oder elektronenschiebende Wirkung nicht erkennbar. Die vorgetragene „Ähnlichkeit“ bei den pKA-Werten, die dem Privatgutachten von Roberts (Anlage „ AG 26, deutsche Übersetzung AG 26b, Nr. 49) entstammen, besteht nur hinsichtlich der sogenannten para-Position (H= 4,60; F= 4,65). In der ortho- oder meta-Position unterscheiden sie sich hingegen deutlich. Welche Veranlassung die Veröffentlichung Chakrabarti 1980 dem Fachmann gibt, die Unterschiede bei einer Anbindung der jeweiligen Atome an diesen Positionen unbeachtet zu lassen und stattdessen seinen Blick nur auf die elektronenziehende Wirkung im Falle eines Fluor- oder Wasserstoffatoms an der para-Position zu richten, blieb unerläutert. Ein (ausdrücklicher) Hinweis auf die Bedeutung der para-Position ist der Veröffentlichung jedenfalls nicht zu entnehmen.

(5)
Schließlich bedarf es an dieser Stelle keiner vertieften Auseinandersetzung mit der Bedeutung der einzelnen in der Tabelle I für die getesteten Verbindungen angegebenen CAR-Werte (Fähigkeit der getesteten Substanz, eine konditionierte Vermeidungsreaktion zu blockieren) und/oder der CAT-Werte (Fähigkeit der getesteten Verbindung an, eine Katalepsie hervorzurufen). Die Parteien behaupten nicht, dass diese Werte den Fachmann dazu veranlassen, den Wirkstoff „Olanzapin“ als selbstverständlich in der Veröffentlichung Chakrabarti 1980 mitoffenbart anzusehen.

2)
Die Erfindung des Verfügungspatents ist ebenso wenig durch die britische Patentschrift 1 533 235 (Anlage AG 3), welche dem deutschen Patent 25 52 403 (Anlage AG 4, Anlage K 2 im Nichtigkeitsverfahren) entspricht, neuheitsschädlich vorweggenommen.
Diese Thieno[1,5]-benzodiazepine, ein Verfahren zu ihrer Herstellung und sie enthaltende pharmazeutische Mittel betreffende Druckschrift enthält in ihrem Anspruch 1 zwar eine Markush-Formel, die auch den Wirkstoff „Olanzapin“ umfasst, wenn für die vorgesehenen Variablen jeweils die – im nachfolgend eingeblendeten Anspruchstext durch Unterstreichen hervorgehobenen – Alternativen gewählt werden.

Dies allein genügt jedoch für die Annahme einer neuheitsschädlichen Vorwegnahme nicht. Zwar vermitteln Formeln mit variablen Substituenten dem Durchschnittsfachmann eine Anzahl eindeutig definierbarer chemischer Stoffe, wobei es grundsätzlich keine zahlenmäßige Obergrenze der so vermittelten Stoffe gibt und es auch ohne Belang ist, ob die Stoffe leicht überschaubar sind. Der Bundesgerichtshof hat jedoch klargestellt, dass eine nur durch eine allgemeine Strukturformel gekennzeichnete Verbindung nur dann als neuheitsschädlich offenbart angesehen werden kann, wenn die Vorveröffentlichung einen konkreten Hinweis auf die beanspruchte Verbindung enthält und wenn der Fachmann aufgrund dieses Hinweises und seines allgemeinen Fachwissens in der Lage ist, die Verbindung herzustellen (BGH GRUR 1988, 447 (449) – Fluoran unter Verweis auf BGH GRUR 198, 696 (698) – a-Aminobenzylpenicillin; siehe auch Benkard/Mellulis, PatG, 10. Auf., § 3 Rn 85 d). Es bedarf mithin eines konkreten Hinweises auf den betreffenden Stoff, so dass dieser für den Fachmann aus der Vielzahl der gezeigten Stoffe ohne weiteres erkennbar ist. Nur dann bekommt er den betreffenden Stoff in die Hand und eine Verfügbarkeit ist zu attestieren. Anderenfalls müsste er sämtliche der unzähligen unter eine Formel fallenden Alternativen nacharbeiten, um hierbei irgendwann zu der beanspruchten Verbindung zu gelangen.

Von der in der DE 25 52 403 (Anlage AG 4) genannten Markush-Formel sind unstreitig circa 1012 Stoffe erfasst. Einen konkreten Hinweis im oben genannten Sinne auf die Verbindung „Olanzapin“ enthält die Druckschrift jedoch nicht. „Olanzapin“ findet sich insbesondere nicht in der Reihe der Beispielssubstanzen, die für jede der in der Druckschrift aufgeführten Grundgerüstvarianten ausdrücklich angegeben sind. Nichts anderes folgt aus Seite 6, Zeile 35 ff., wenn es dort heißt, die bevorzugten Verbindungen, die unter eine der genannten Formeln fallen, „sind solche, die eines oder mehrere der folgenden charakteristischen Merkmale aufweisen“ und im Anschluss hieran als Substituenten Wasserstoff und Alkylreste aufgelistet sind. Zunächst ist der zitierte Satz kein Hinweis auf einen konkreten Stoff; dies entspricht nur der Benennung der Variablen bei einer Markush-Formel. Ferner ist Wasserstoff unter (D) nur als Substituent für R2, nicht aber auch – wie für „Olanzapin“ erforderlich – als R1 genannt.
Schließlich kann auch kein konkreter, neuheitsschädlicher (Herstellungs-)Hinweis aus dem Beispiel 26a) (Anlage AG 4, Seite 25 Z. 20 ff.) abgeleitet werden. Das Beispiel befasst sich mit der Herstellung einer ethylsubstituierten Verbindung, nämlich 2-Ethyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno[2,3b][1,5]benzodiazepin. Diese Substanz unterscheidet sich von „Olanzapin“ mithin dadurch, dass „Olanzapin“ methylsubstituiert ist (Nomenklatur: 2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno[2,3b][1,5]-benzodiazepin).

3)
Die Veröffentlichung von Schauzu und Mager „A Free-Wilson-Study of 4-Piperazinyl-10H-thienobenzodiazepine Analogues“ in Pharmazie 38, H. 8 (1983) (Anlage AG 5, Anlage K 6 des Nichtigkeitsverfahrens) steht der Neuheit der Erfindung nach dem Verfügungspatent desgleichen nicht entgegen.

a)
Diese Veröffentlichung ist, wie bereits der Titel besagt, eine sogenannte Free-Wilson-Analyse. Hierbei handelt es sich unstreitig um eine rein mathematische/theoretische Analyse, deren Zweck es ist, durch mathematischen Vergleich von Substanzen zu berechnen, welchen Beitrag ein einzelner Substituent zu der Aktivität der Verbindung leistet. Die mathematischen Berechnungen beruhen auf experimentell erzielten Werten für die Bindungsaffinität eines Stoffes, welche miteinander verglichen werden. Demzufolge zeigt die Tabelle 1 der Anlage AG 5 die experimentellen (obtd=obtained=experimentell erzielten) Basiswerte als log L50 obtd bezeichnet, denen sodann berechnete Werte (calcd=calculated=errechnet) gegenüber gestellt werden. Darauf basierend wird der Einfluss der einzelnen Substituenten errechnet, wie in Tabelle 2 dargestellt.

Der rein mathematische bzw. theoretische Ansatz einer Free-Wilson-Analyse ist dem Fachmann bekannt. Er erwartet folglich in einer solchen Analyse nicht die Offenbarung eines Stoffes, sondern nur die Präsentation einer Berechnung bereits biologisch getesteter, d. h. existierender Stoffe, die anderenorts offenbart sind.

b)
Abgesehen davon kann der Anlage AG 5 auch nicht ohne weiteres – wie die Verfügungsbeklagte vorgetragen hat – die Offenbarung von „Olanzapin“ in der in der Tabelle 1 aufgeführten Verbindung Nr. 11 entnommen werden.

Das Abstract trägt unstreitig einen Widerspruch in sich. Während der Titel auf Piperazine (Verbindungen mit zwei Stickstoffatomen im Ring) Bezug nimmt, zeigt die über der Tabelle 1 abgebildete – im nachfolgenden eingeblendete – Strukturformel unstreitig ein Piperidin (Verbindung mit einem Stickstoff im Ring).

Werden die in der Verbindung Nr. 11 der Tabelle 1 genannten Substituenten in diese Formel übertragen, so führt dies unstreitig nicht zu „Olanzapin“. „Olanzapin“ ist ein Piperazinderivat.

Der Fachmann kann „Olanzapin“ deshalb nur dann als in der Anlage AG 5 vorveröffentlicht ansehen, wenn er – den Widerspruch erkennend – der Überschrift folgend die gezeigte Strukturformel „korrigiert“, in dem er im oberen Ring gegenüberliegend zu NMe ein weiteres Stickstoffatom (N) hinzufügt.
Eine derartige Korrektur der Anlage AG 5 führt jedoch nur dann zur Offenbarung der korrigierten – und nicht nur der gezeigten – Strukturformel, wenn es sich insoweit um eine erkennbare Ungereimtheit, einen Irrtum, einen Druckfehler, einen Zeichenfehler oder dergleichen handelt, die/der vom Fachmann aus dem Gesamtzusammenhang der Schrift ohne weiteres erkannt und berichtigt wird (BGH GRUR 1974, 148 (149) – Stromversorgungseinrichtung). Denn im Falle eines offensichtlichen und leicht mit eindeutigem Ergebnis zu korrigierenden Fehlers würde es auf eine unnatürliche Betrachtungsweise hinauslaufen, der fehlerhaften Darstellung in einer Druckschrift einen eigenen Offenbarungsgehalt beizumessen.

Dass vorliegend sowohl der Fehler wie auch die Korrektur aus der Druckschrift ohne weiteres zu erkennen sind, ist – anders als der Privatgutachter Roberts der Verfügungsbeklagten (Anlage AG 26b, Rn 95 ff.) ausführt – nicht ersichtlich.
Zwar kann die Anlage AG 5 wegen ihres Widerspruchs zwischen Titel und Strukturformel als fehlerhaft angesehen werden und die von der Verfügungsbeklagten aufgezeigte Lösung ist eine denkbare. Sie ist jedoch nicht zwingend. Der Widerspruch müsste aber – um zur Offenbarung der korrigierten Fassung führen zu können – aus der Anlage AG 5 selbst heraus sicher aufzulösen sein. Dies ist nicht der Fall. Unstreitig waren bzw. wurden sowohl Piperidinderivate wie auch Piperazinderivate im Bereich der Antipsychotika wissenschaftlich untersucht (Privatgutachten Dr. I, Anlage L 29 Nr. 3). Beide Varianten wären mithin sinnvoll gewesen. Als Referenzsubstanzen werden in der Druckschrift selbst „Clozapin“, ein Piperazinylderivat und „Haloperidol“, ein Piperidinderivat genannt. Der Fachmann kann deshalb bei Betrachtung der Veröffentlichung selbst nicht ohne weiteres eindeutig sagen, welche Angabe letztlich stimmt. Eine Fehlerkorrektur in nur eine Richtung ist nicht möglich; jedenfalls nicht ausschließlich und selbstverständlich in der Weise, wie die Verfügungsbeklagte dies vorschlägt. Wie die Anlagen L 27a und L 27b zeigen, haben zwei große chemische Datenbanken (Chemical Abstracts und Beilstein), die von promovierten Chemikern eingepflegt werden, um den Prioritätszeitpunkt an der Anlage AG 5 entweder keine Korrekturen vorgenommen oder sich an der gezeigten Strukturformel orientiert. In beiden Datenbanken sind die in der Anlage AG 5 untersuchten Verbindungen als Piperidinylverbindungen aufgenommen.
Sofern der Fachmann, nachdem er den Widerspruch erkannt hat, versuchen würde, diesen mit Hilfe eines Rückgriffs auf die als Fußnote 1 erkennbar angegebene Primärquelle zu den experimentellen Daten, Chakrabarti, J. med. Chem. 25, 1133 (1082) (Anlage L 15), zu lösen, stellt sich bereits die Frage, ob ein solcher Rückgriff im Rahmen der Neuheitsprüfung anzuerkennen wäre. Aber auch wenn dies zu bejahen wäre, bliebe zu berücksichtigen, dass der Fachmann dann zur Kenntnis nehmen müsste, dass sich die Verbindung Nr. 11 wie in der Anlage AG 5 aufgeführt, nicht in dieser Quelle wiederfindet, weil in der Veröffentlichung Anlage L 15 nur fluorierte Piperazine getestet sowie untersucht wurden. Die in der Anlage AG 5 gezeigte Strukturformel enthält vor diesem Hintergrund mithin sogar einen weiteren Fehler, da sie kein Fluoratom zeigt. Auch dieses wäre folglich hinzuzufügen. So ist es in der Fachwelt auch tatsächlich geschehen, wie die Veröffentlichung J. B. Press 1991 (Anlage L 28) zeigt. Press verweist auf die Anlage AG 5, das – seinem Verständnis nach – eine Free-Wilson-Analyse ist, die in der Verbindung Nr. 11 zu Flumezapin führt.

Überdies hat die Verfügungsklägerin vorgetragen, dass bei einer Recherche zu Neuroleptika das Dokument Anlage AG 5 in den Datenbanken nicht angegeben wird. Es wende sich vielmehr an einen Fachmann für die Behandlung von Vergiftungen durch Insektizide. Dem ist die Verfügungsbeklagte nicht entgegen getreten.

Der Fachmann nimmt folglich die von der Verfügungsbeklagten vorgetragene Sichtweise nicht ohne weiteres ein und sieht „Olanzapin“ als in der Anlage AG 5 veröffentlicht an.

4)
Trotz der unzutreffenden Begründung des Bundespatentgerichts kann die Kammer nicht mit der für eine Ausnahmeentscheidung erforderlichen Verlässlichkeit ausschließen, dass der Bundesgerichtshof die Entscheidung des Bundespatentgerichts – im Ergebnis – bestätigen und damit das Verfügungspatent rechtskräftig für nichtig erklären wird. Es bestehen jedenfalls angesichts der DE 25 52 403 (Anlage AG 4, Anlage K 2 des Nichtigkeitsverfahrens) gewichtige Zweifel am Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit, die sowohl den geltend gemachten Haupt- wie auch den Hilfsanspruch betreffen, und die im Rahmen des Eilverfahrens nicht eindeutig zu Gunsten der Verfügungsklägerin beseitigt werden können. Ob darüber hinaus auch Bedenken hinsichtlich der Veröffentlichung Chakrabarti 1980 (Anlage L 10, 10a) bestehen, bedarf deshalb keiner Klärung.

a)
Eine erfinderische Tätigkeit ist anzunehmen, wenn der über durchschnittliche Kenntnisse und Fähigkeiten verfügende Fachmann, wie er auf dem technischen Gebiet der Erfindung in einschlägig tätigen Unternehmen am Prioritätstag typischerweise mit Entwicklungs- und Forschungsaufgaben betraut wurde, und dem unterstellt wird, dass ihm der gesamte am Prioritätstag öffentlich zugängliche Stand der Technik bei seiner Entwicklungsarbeit zur Verfügung stand, nicht in der Lage war, den Gegenstand des Verfügungspatents aufzufinden, ohne eine das durchschnittliche Wissen und Können einschließlich etwaiger Routineversuche übersteigende Leistungen erbringen zu müssen.

b)
Die DE 25 52 403 (Anlage AG 4, Anlage K 2 im Nichtigkeitsverfahren) betrifft Thieno[1,5]-benzodiazepine, Verfahren zu ihrer Herstellung und sie enthaltende pharmazeutische Mittel, die sich für die Behandlung von milden Angstzuständen und bestimmten Arten von psychotischen Zuständen, wie z. B. Schizophrenien und akuten Manien eignen.

In ihrem Anspruch 1 sind Thieno[1,5]-benzodiazepine mittels einer Markush-Formel unter Schutz gestellt. Die gemäß den Ausführungen unter 2) gefasste Markush-Formel beinhaltet 1012 Stoffe, zu denen auch der Wirkstoff „Olanzapin“ gehört, wobei in der Druckschrift auf diesen Wirkstoff nicht ausdrücklich hingewiesen wird.

Die DE 25 52 403 erörtert allerdings verschiedene bevorzugte Ausführungsformen und beschreibt einige Herstellungsbeispiele, wobei vorliegend die auf Seiten 25 ff. unter C) genannten von Interesse sind, da nur sie pharmakologisch wirksame Verbindungen betreffen. Die Beispiele zu A) sind solche zur Herstellung von Ausgangsprodukten und die zu B) ausgeführten solche für Zwischenprodukte. Von den von C) erfassten Beispielen 25 bis 36 zeigt das Beispiel 26 (a) 2-Ethyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno[2,3b][1,5]benzodiazepin. Dies ist das Ethylderivat von „Olanzapin“; es unterscheidet sich von diesem „lediglich“ durch die Methylkette am Thiophenring. Mit dem in Beispiel 26 (a) beschriebenen Syntheseverfahren für Ethyl-Olanzapin ist bei Anpassung der eingesetzten Bestandteile – Methylderivat statt Ethylderivat – folglich „Olanzapin“ herzustellen. Das Methylderivat ist aus einer Kombination der in den Beispielen 1 (a) und 2 (n) beschriebenen Synthesen direkt zugänglich.

Das als zweites genannte Herstellungsbeispiel 26 (a) wird von der DE 25 52 403 ein weiteres mal hervorgehoben, wenn es auf Seite 7, Zeile 17 der Schrift als erstes der für besonders bevorzugt erklärten Verbindungen aufgelistet wird. Die Verbindung wird folglich in das Blickfeld des Fachmanns gerückt.

Wenn es zudem in den Zeilen 30 ff. der Seite 6 der DE 25 52 403 zu den dort offenbarten Strukturformeln heißt, „…. es ist jedoch selbstverständlich, dass der Thiophenring auch substitutiert sein kann durch einen oder zwei Reste aus der Gruppe C1-8-Alkyl, vorzugsweise C1-6-Alkyl…..“ wird dem Fachmann bedeutet, dass an dieser Stelle nicht allein eine einzige konkrete Substitution mit einem bestimmten Alkylrest in Frage kommt, sondern dass die als bevorzugt benannte Verbindung auch (vorzugsweise) methylsubstituiert sein kann. Methyl (einkettig) ist das C1-Alkyl, Ethyl (zweikettig) das C2-Alkyl. Dies sowie der Umstand, dass die Druckschrift sämtliche für „Olanzapin“ erforderlichen Permutationen zeigt, und es nach dem insoweit übereinstimmenden Parteivortrag grundsätzlich zum routinemäßigen Handeln des Fachmanns gehört, homologe Reihen zu untersuchen, sprechen dafür, dass der Fachmann ernsthaft erwog, von der gezeigten Verbindung das Methylderivat herzustellen.

Dass er hiervon durch den Umstand abgehalten wurde, dass die als bevorzugt beschriebene Verbindung kein halogenisiertes Antipsychotikum war, kann nicht sicher festgestellt werden.
Zwar herrschte im Prioritätszeitpunkt die Ansicht, dass ein Fluor- oder Chloratom für das Wirksamkeitsprofil eines atypischen Antipsychotikums wichtig ist. „Clozapin“ galt als das Schizophreniemittel ohne extrapyramidale Nebenwirkungen und gerade auch die weitere Entgegenhaltung, die zeitlich nach der DE 25 52 403 veröffentlichte Veröffentlichung Chakrabarti 1980 (Anlage L 10, L 10a) weist einen deutlichen Schwerpunkt in Richtung halogenisierter atypischer Antipsychotika auf. Es bestand schließlich eine gewisse Präferenz für Fluor (Privatgutachten Prof. Dr. K, Anlage L 13, Seite 2; Prof. Dr. J, Anlage L 17, Seite 3), weil Antipsychotika die Blut-Hirnschranke überwinden müssen und dies fluorierten Verbindungen unstreitig besser gelingt. Unstreitig verlängert Fluor zudem die Verweildauer der Substanz im Organismus und es ist vorteilhaft für eine geringe Reaktivität des Stoffes mit anderen Verbindungen im Körper. Es mindert also Neben- und Wechselwirkungen (Privatgutachten Prof. Dr. L, Anlage L 36).
Es ist jedoch nicht hinreichend sicher zu erkennen, dass der Fachmann bei Kenntnisnahme des gesamten Standes der Technik es als zwingende und ausschließliche Voraussetzung ansah, ein Halogen am Phenylring eines trizyklischen Antipsychotikum vorzusehen.
Die DE 25 52 403 selbst zeigt, dass Forschungen an nicht halogenierten Stoffen durchgeführt und als sinnvoll erachtet wurden. Von den insgesamt 79 Beispielen erfindungsgemäßer Verbindungen sind 21 nicht halogenisiert; unter den 73 als bevorzugt aufgelisteten Verbindungen (Anlage AG 4, S. 7 – S. 8) finden sich sämtliche Verbindungen ohne Halogen. Für alle Verbindungen heißt es auf Seite 13, Zeilen 48 ff. der Beschreibung, sie hätten eine wertvolle vorteilhafte Wirkung (Aktivität) auf das Zentralnervensystem. Diese Aktivität sei in umfangreichen Tierversuchen nachgewiesen worden. Eine Differenzierung zwischen halogenisierten und nicht halogenisierten Stoffen findet insoweit nicht statt. Der Fachmann nimmt in diesem Zusammenhang auch nicht nur die halogenisierte „Leitsubstanz“ der DE 25 52 403, „Flumezapin“, zur Kenntnis. Zu welcher im übrigen anzumerken ist, dass im Prioritätszeitpunkt gerade das Scheitern der klinischen Versuchen mit diesem Stoff bekannt war.
Nicht unberücksichtigt bleiben kann zudem, dass im Prioritätszeitpunkt das „atypische“ Antipsychotikum Quetiapin, wenn auch noch nicht klinisch getestet, so doch bereits druckschriftlich bekannt war. Die Anmeldung dieser den Wirkstoff unter Schutz stellenden EP 0 240 228 (Anlage AG 44) wurde im Oktober 1987 veröffentlicht. In der Druckschrift wird u. a. erläutert, dass der dortige Wirkstoff extrapyramidale Symptome vermeidet (Anlage AG 44, S. 2. Z. 40 ff., Z. 8, Z. 38 ff.). Der Fachmann wurde folglich auf das atypische Antipsychotika auszeichnende besonders vorteilhafte Nebenwirkungsprofil hingewiesen.
Schließlich fand der Fachmann auch in der Veröffentlichung Chakrabarti 1980 (Anlage L 10, L 10a) einen Anhalt auf ein wirksames atypisches Antipsychotikum ohne Halogen. Die dortige Verbindung Nr. 34 weist vergleichbare bzw. gegenüber „Clozapin“ verbesserte CAR- und CAT-Werte auf und wird als mit einem effektiveren Aktivitätsprofil ausgestattet angesehen. Die weitere Entwicklung der als bevorzugt genannten nicht halogenisierten Verbindung wird empfohlen.
Ob der Fachmann von einem routinemäßige Austausch des Ethylderivates durch das Methylderivat abgehalten worden wäre, weil die Erkenntnis herrscht(e), dass jede Veränderung an einer Position eines Ringes eines Thienobenzodiazepins zu einer nicht vorhersehbaren Änderung in der pharmakologischen Wirksamkeit des Antipsychotikums führt, kann angesichts der widersprüchlichen Privatgutachten ohne sachverständige Erläuterungen nicht abschließend geklärt werden. Die von der Verfügungsbeklagten vorgelegten Privatgutachten votieren bereits für eine neuheitsschädliche Vorwegnahme der Erfindung nach dem Verfügungspatent. Ihnen ist mit Blick auf den hier allein in Rede stehenden Austausch jedenfalls zuzugeben, dass in der DE 25 52 403 die Aussage zu finden ist, eine kurze, vorzugsweise auch eine Methylkette, könne „selbstverständlich“ anstelle einer Ethylkette verwandt werden. Dieser Austausch wird der Wirksamkeit der dort genannten Verbindungen nicht als entgegenstehend angesehen. Und auch in der Veröffentlichung Chakrabarti 1980 (Anlage L 10, L 10a) wird ausgeführt, dass eine kurze Alkylsubstitution in Position 2 des Thiophenrings die Aktivität zu erhöhen scheint (Seite 879, rechte Spalte). Die Substitution durch Methyl oder Ethyl wird folglich gleichgesetzt.

Insgesamt betrachtet kann deshalb nicht ohne weiteres verlässlich angenommen werden, dass der Fachmann die Aussagen in der DE 25 52 403 jedenfalls nicht insoweit beachtet, dass er das Beispiel 26a) routinemäßig fortschreibt und die ausdrücklich erwähnte Substitutionsmöglichkeit vornimmt.

5)
Neben dieser Unsicherheit mit Blick auf den Rechtsbestand des Verfügungspatents kommt vorliegend der derzeit beabsichtigte zeitliche Ablauf des Nichtigkeitsberufungsverfahrens zum Tragen.

Wie die Verfügungsbeklagte unwidersprochen vorgetragen hat, beabsichtigt der Bundesgerichtshof, die mündliche Verhandlung in dem Nichtigkeitsberufungsverfahren im Dezember 2008 oder in den ersten beiden Monaten des Jahres 2009 zu terminieren (Anlage AG 50). Auch wenn damit noch keine Festlegung auf einen (konkreten) Termin erfolgt und auch keine Aussage zur bevorstehenden Verfahrensweise vor dem Bundesgerichtshof (Sachverständigenbeauftragung, mündlich oder schriftlich etc.) getroffen worden ist, so besteht auf der Grundlage des beabsichtigten Zeitplans derzeit kein Raum für die (positive) Annahme, eine rechtskräftig Entscheidung über den Rechtsbestand des Verfügungspatents werde erst kurz vor Ablauf oder gar nach Ende der Schutzrechtsdauer getroffen werden. Die Verhandlung im Nichtigkeitsberufungsverfahren ist vielmehr in einem absehbaren Zeitraum von 5 bis 7 Monaten avisiert. Die Versagung effektiven Rechtsschutz ist mithin zurzeit nicht zu erkennen.

Ein Zuwarten der Verfügungsklägerin und ein Akzeptieren der – im Ergebnis möglicherweise zu haltenden – Nichtigkeitsentscheidung des Bundespatentgerichts bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs erscheint der Verfügungsklägerin auch deshalb zumutbar, weil die Verfügungsbeklagte unstreitig erst vor circa 3 ½ Monaten nach mehreren anderen Generikaherstellern in den Markt eingetreten ist und einen Marktanteil von nur 0,3 % hält.

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.