4a O 402/02 – Motorradhelm

Düsseldorfer Entscheidung Nr.:  195

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 30. September 2003 , Az. 4a O 402/02

I.

Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt,

1.

es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- Euro – ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle bis zu zwei Jahren, zu vollziehen an dem Geschäftsführer, zu unterlassen,

Integralschutzhelme, insbesondere für Motorradfahrer, mit einer auf einem Menschenkopf aufsetzbaren und diesen im Wesentlichen umgebbaren Helmschale und einem die Unterkieferpartie des Kopfes umgreifenden Kinnbügel, der schwenkbar an der Helmschale angelenkt ist und mit Hilfe eines Betätigungselementes von einer heruntergeklappten, an der Helmschale arretierten Verriegelungsstellung in eine hochgeklappte Stellung schwenkbar ist,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen,

wenn als Betätigungselement ein Öffnungsschieber für die Entriegelung des Kinnbügels vorgesehen ist, dessen Betätigungsrichtung entgegen der Schwenkrichtung des Kinnbügels nach unten verläuft zur Erzeugung eines Momentes um die Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen Öffnungsrichtung;

2.

der Beklagten darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 25. Juni 2000 begangen hat, und zwar unter quartalsmäßiger Angabe

a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefer­mengen, -zeiten und -preisen und Typen­bezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Ab­nehmer,

b) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns.

II.

Es wird festgestellt,

dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 25. Juni 2000 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III.

Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.

IV.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

V.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,- Euro vorläufig vollstreckbar.

Die Sicherheit kann auch durch die unbedingte Bürgschaft einer in der Europäischen Union ansässigen, als Zoll- und Steuerbürgin zugelassenen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 29. März 1996 angemeldeten deutschen Patents 196 12 724 (Anlage K4, nachfolgend: Klagepatent), dessen Anmeldung am 2. Oktober 1997 offengelegt und dessen Erteilung am 25. Mai 2000 veröffentlicht worden ist.

Das Klagepatent steht in Kraft.

Es betrifft einen Integralschutzhelm.

Wegen Verletzung des Klagepatents nimmt die Beklagte die Klägerin – widerklagend – auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.

Gegen eine entsprechende Inanspruchnahme richtet sich die von der Klägerin zuvor erhobene negative Feststellungsklage, welche die Parteien zwischenzeitlich übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

Der Patentanspruch 1 des Klagepatents hat folgenden Wortlaut:

Integralschutzhelm, insbesondere für Motorradfahrer, mit einer auf einem Menschenkopf aufsetzbaren und diesen im wesentlichen umgebbaren Helmschale (3) und einem die Unterkieferpartie des Kopfes umgreifenden Kinnbügel(4), der schwenkbar an der Helmschale (3) angelenkt ist und mit Hilfe eines Betätigungselementes (6, 12) von einer heruntergeklappten, an der Helmschale (3) arretierten Verriegelungsstellung in eine hochgeklappte Stellung schwenkbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass als Betätigungselement (6, 12) ein Öffnungsschieber für die Entriegelung des Kinnbügels (4) vorgesehen ist, dessen Betätigungsrichtung entgegen der Schwenkrichtung des Kinnbügels (4) nach unten verläuft zur Erzeugung eines Momentes um die Schwenkstelle des Kinnbügels (4) entgegen dessen Öffnungsrichtung.

Die nachstehend wiedergegebenen Zeichnungen stammen aus der Klagepatentschrift und dienen zur Erläuterung der Erfindung anhand eines Ausführungsbeispiels.

Die Figur 1 zeigt einen Schutzhelm im Moment des Hochschwenkens des Kinnbügels durch den Helmträger. In der Figur 2 ist ein nicht maßstäblicher Ausschnitt des Schutzhelms nach der Figur 1 in einer Schnittstellung dargestellt, wobei der Kinnbügel heruntergeklappt und geschlossen ist.

Mit patentanwaltlichem Schriftsatz vom 14. Februar 2003 (Anlage B3) trat die Klägerin einem beim Deutschen Patent- und Markenamt gegen das Klagepatent anhängigen Einspruchsverfahren bei, über das noch nicht entschieden worden ist.

Die Klägerin bietet im Geltungsbereich des Klagepatents an und vertreibt unter den Bezeichnungen XC MX-1 und XC Modulo 1 Integralschutzhelme. Zur Ausführung XC MX-1 hat sie ein Augenscheinsobjekt vorgelegt, auf das Bezug genommen wird. Auf mehreren von der Klägerin (Anlage K3) und von der Beklagten (Anlage B6) in Kopie zur Gerichtsakte gereichten Fotografien sind die genannten Helme wie folgt abgebildet:

Die Beklagte sieht in diesen von ihr angegriffenen Ausführungsformen eine unberechtigte wortsinngemäße Benutzung des Klagepatents.

Mit patentanwaltlichem Schreiben vom 21. Oktober 2002 (Anlage K1) forderte sie die Klägerin dazu auf, bis zum 15. November 2002 eine beigefügte Lizenzvereinbarung zu unterzeichnen. Andernfalls werde sie gegen die Klägerin auf dem Rechtsweg vorgehen.

Zum Abschluss des Lizenzvertrages fand sich die Klägerin nicht bereit.

Die Klägerin hat mit der vorliegenden Klage ursprünglich negative Feststellung verlangt, dass die Beklagte nicht dazu berechtigt sei, sie wegen der angegriffenen Ausführungsformen auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch zu nehmen.

Nachdem die Beklagte hierauf widerklagend Patentverletzungsklage erhoben hat, haben die Parteien in der Sitzung vom 11. September 2003 die negative Feststelllungsklage übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Widerklagend beantragt die Beklagte,

zu erkennen, wie geschehen, mit der Maßgabe, dass sie Feststellung der Schadensersatzpflicht für seit dem 1. Juni 2000 und Auskunft und Rechnungslegung auch hinsichtlich der Herstellungsmengen und Herstellungszeiten verlangt.

Die Klägerin beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Sie macht geltend, entgegen dem Klagepatent werde der Kinnbügel bei den angegriffenen Ausführungsformen nicht mit Hilfe eines Betätigungselementes geschwenkt.

Hinzukomme, dass sich der Kinnbügel beim Herunterziehen des Öffnungsschiebers nicht entgegen der Öffnungsrichtung des Kinnbügels verschwenken lasse, was zur Folge habe, dass der Verriegelungsmechanismus von Kinnbügel und Helmschale beim Betätigen des Öffnungsschiebers nicht durch das Erzeugen eines Momentes um die Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen Öffnungsrichtung entlastet werde.

Die Beklagte tritt den Darlegungen der Klägerin entgegen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zur Gerichtsakte gereichten Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nunmehr allein noch anhängige Widerklage hat bis auf zwei geringfügige Zuvielforderungen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.

Der Beklagten stehen die widerklagend geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung und Schadensersatz nach den Paragraphen 9 Nummer 1, 14, 139 Absatz 1 und 2, 140 Absatz 1 und 2 des Patentgesetzes und den Paragraphen 242, 259 des Bürgerlichen Gesetzbuches zu, weil die Klägerin mit den von ihr vertriebenen Integralschutzrechten unberechtigt von dem Klagepatent Gebrauch macht.

I.

Das Klagepatent betrifft einen Integralschutzhelm, insbesondere für Motorradfahrer, mit einer auf einem Menschenkopf aufsetzbaren und diesen im wesentlichen umgebbaren Helmschale und einem die Unterkieferpartie des Kopfes übergreifbaren Kinnbügel, der schwenkbar an der Helmschale angelenkt ist und mit Hilfe eines Betätigungselementes von einer heruntergeklappten, an der Helmschale arretierten Verriegelungsstellung in eine hochgeklappte Stellung schwenkbar ist.

Hierzu nimmt das Klagepatent auf die europäische Patentanmeldung 0 518 178 (Patentschrift als Anlage K4/1 überreicht) Bezug, die einen Schutzhelm offenbart, dessen Schutzbügel über eine Zug- bzw. Drucktaste mit dem Daumen einhändig entriegelt und geöffnet werden kann. Mit der Taste steht ein Seilzug in Verbindung, der in dem Kinnbügel verläuft und einen Lösungshebel betätigt, der eine Schnappfeder außer Eingriff mit an der Helmschale befindlichen Verriegelungsbolzen bringt. Hierzu zieht der Helmträger an der Zugtaste und schwenkt gleichzeitig den Kinnbügel nach oben.

Zu einem solchen Konstruktionsentwurf führt das Klagepatent als nachteilig aus, dass es unter Umständen zu Verhakungen und zu einem unsauberen Öffnen des Helms kommen kann, was zur Folge hat, dass das Hochschwenken des Kinnbügels teilweise unter Kraftanstrengung zur Überwindung der Verhakung durchgeführt werden muss, und das Hinzunehmen der zweiten Hand unumgänglich ist.

Hiervon ausgehend liegt dem Klagepatent das technische Problem (die Aufgabe) zugrunde, einen Integralschutzhelm der eingangs genannten Art bereitzustellen, bei dem sich das Entriegeln und Hochschwenken des Kinnbügels auf einfache Weise verhakungsfrei durchführen lässt.

Zur Lösung des Problems schlägt das Klagepatent in seinem Schutzanspruch 1 einen Integralschutzhelm mit folgenden Merkmalen vor:

1.

Es handelt sich um einen Integralschutzhelm, insbesondere für Motorradfahrer;

2.

der Integralschutzhelm verfügt über eine auf einem Menschenkopf aufsetzbaren und diesen im Wesentlichen umgebbaren Helmschale

und

3.

einem die Unterkieferpartie des Kopfes umgreifenden Kinnbügel;

4.

der Kinnbügel ist schwenkbar an der Helmschale angelenkt und mit Hilfe eines Betätigungselementes von einer heruntergeklappten, an der Helmschale arretierten Verriegelungsstellung in eine hochgeklappte Stellung schwenkbar;

5.

als Betätigungselement ist ein Öffnungsschieber für die Entriegelung des Kinnbügels vorgesehen;

6.

die Betätigungsrichtung des Öffnungsschiebers verläuft entgegen der Schwenkrichtung des Kinnbügels nach unten zur Erzeugung eines Momentes um die Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen Öffnungsrichtung.

Durch die vorbeschriebene Anordnung des Öffnungsschiebers – so das Klagepatent in seiner allgemeinen Beschreibung weiter – wird eine Öffnungskraft erzeugt, die ein Moment um die Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen der Öffnungsrichtung bewirkt. Dadurch wird der Entriegelungsmechanismus entlastet, wodurch es beim Entriegeln nicht zu Verhakungen durch zu frühes Hochschwenken des Kinnbügels kommt. Diese Öffnungskraft kann auf einfache Weise durch den an der Unterkante des Kinnbügels abgestützten Daumen abgefangen werden, der dann nach dem Entriegeln den Kinnbügel nach oben schwenkt. Hierdurch ist ein einfaches Hochschwenken des Kinnbügels gewährleistet, ohne dass eine zweite Hand verwendet werden muss, um beispielsweise Verhakungen zu überwinden.

II.

Im Hinblick auf eine Verletzung des Klagepatents stimmen die Parteien zutreffend darin überein, dass durch die angegriffenen Ausführungsformen 1. bis 3. und 5. wortsinngemäß verwirklicht werden, so dass es hierzu keiner näheren Erläuterung bedarf.

1.

Die angegriffenen Ausführungsformen machen auch von dem Merkmal 4. wortlautgemäßen Gebrauch.

Das Merkmal besagt, dass der Kinnbügel schwenkbar an der Helmschale angelenkt und mit Hilfe eines Betätigungselementes von einer heruntergeklappten, an der Helmschale arretierten Verriegelungsstellung in eine hochgeklappte Stellung schwenkbar ist.

Entgegen den Darlegungen der Klägerin schreibt das Klagepatent in seinem Merkmal 4. nicht vor, dass das Verschwenken des Kinnbügels durch das Betätigungselement bewirkt werden soll. Für eine solche Betrachtungsweise gibt das Klagepatent in seiner allgemeinen Beschreibung ebensowenig einen Hinweis, wie in seiner Aufgabenstellung und Lösung.

Wie sich dem Fachmann aus dem Anspruchswortlaut, insbesondere dem Merkmal 5. erschließt, geht es dem Klagepatent mit dem Betätigungselement allein darum, den Kinnbügel aus seiner an der Helmschale arretierten Verriegelungsstellung lösen zu können, so dass er sich dann in die hochgeklappte Stellung verschwenken lässt. So heißt es in dem Merkmal 5., dass als Betätigungselement ein Öffnungsschieber vorgesehen ist, für die Entriegelung des Kinnbügels. In Übereinstimmung hierzu führt das Klagepatent in seiner allgemeinen Beschreibung aus, dass der Entriegelungsmechanismus durch Betätigen des Öffnungsschiebers entlastet wird und dass sich der Kinnbügel nach dem Entriegeln durch den an seiner Unterkante abgestützten Daumen nach oben schwenken lässt (Anlage K4, Spalte 1, Zeilen 38 bis 47).

Bei den angegriffenen Ausführungsformen lässt sich die Verriegelung des Kinnbügels an der Helmschale dadurch lösen, dass ein an dem Kinnbügel befindlicher Öffnungsschieber nach unten gezogen wird. Durch das Herunterziehen des Öffnungsschiebers wird ein durch den Kinnbügel verlaufender Hebel betätigt, dessen bügelförmige Enden Öffnungen an der Helmschale hintergreifen. Beim Betätigen des Hebels wird die von den bügelförmigen Enden und den von diesen Enden an der Helmschale hintergriffenen Öffnungen bewirkte Arretierung entriegelt, so dass sich der Kinnbügel nach oben verschwenken lässt.

Diese Konstruktion macht von dem Merkmal 4. des Klagepatents wortsinngemäßen Gebrauch.

2.

Durch die angegriffenen Ausführungsformen wird auch das Merkmal 6. des Klagepatents wortsinngemäß verwirklicht.

Das Merkmal schreibt vor, dass die Betätigungsrichtung des Öffnungsschiebers entgegen der Schwenkrichtung des Kinnbügels nach unten verläuft, zur Erzeugung eines Momentes um die Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen Öffnungsrichtung.

Entgegen dem von der Klägerin geltend gemachten Verständnis setzt eine Verwirklichung des Merkmals 6. nicht voraus, dass sich der Kinnbügel in der arretierten Stellung beim Betätigen des Öffnungsschiebers gegen die Helmschale verschwenken lässt.

Eine solche Betrachtungsweise ergibt sich nicht aus dem zur Schutzbereichsbestimmung des Klagepatents nach dem Paragraphen 14 des Patentgesetzes in erster Linie heranzuziehenden Anspruchswortlaut. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob der Anspruchswortlaut, nach welchem durch das Betätigen des Öffnungsschiebers ein Moment um die Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen Öffnungsrichtung erzeugt werden soll, nach seinem allgemeinen Sprachverständnis ein Verschwenken des Kinnbügels gegen die Helmschale nahelegt. Denn die patentrechtliche Beurteilung hat sich nicht am allgemeinen Sprachgebrauch, sondern daran zu orientieren, wie der Fachmann den Wortsinn nach dem Gesamtinhalt der Klagepatentschrift unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung versteht (Entscheidung des Bundesgerichtshofs, abgedruckt in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 1999, Seite 909, dort: Seite 911 – Spannschraube – mit weiteren Nachweisen). Bei der Auslegung des Patentanspruchs ist nicht am Wortlaut zu haften, sondern darauf abzustellen, welchen technischen Gesamtzusammenhang der Inhalt der Patentschrift dem Fachmann vermittelt; nicht die sprachliche Bedeutung der in der Patentschrift verwendeten Begriffe ist entscheidend, sondern das Verständnis des unbefangenen Fachmanns (Entscheidung des Bundesgerichtshofs, abgedruckt in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 1999, Seite 909, dort: Seite 912 – Spannschraube). Maßgeblich ist, welchen Begriffsinhalt das Patent bei unbefangener Erfassung der im Anspruch umschriebenen Lehre zum technischen Handeln einem vorgeschlagenen Merkmal zuweist (Entscheidung des Bundesgerichtshofs, abgedruckt in Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht BGH 2001, Seite 232, – Brieflocher).

Um den Sinngehalt und die Bedeutung des hier streitigen Merkmals 6 zu verstehen, wird der Fachmann daher zu ermitteln versuchen, was mit diesem Merkmal erreicht werden soll. Das Verständnis des Fachmanns wird sich in dieser Hinsicht entscheidend an dem in der Klagepatentschrift zum Ausdruck kommenden Zweck des genannten Merkmals orientieren (vergleiche: Entscheidung des Bundesgerichtshofs, abgedruckt in Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 1999, Seite 909, dort: Seite 911 – Spannschraube; Entscheidung des Bundesgerichtshofs, abgedruckt in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 2001, Seite 232 – Brieflocher; Benkard/Ullmann, Kommentar zum Patentgesetz/ Gebrauchsmustergesetz, 9. Auflage, Paragraph 14 Patentgesetz, Randziffer 72). Dabei wird der Fachmann nicht nur den Wortlaut der Ansprüche, sondern den gesamten Inhalt der Klagepatentschrift zu Rate ziehen.

Unter Heranziehung dieser Auslegungsgrundsätze wird der Fachmann erkennen, dass sich das Klagepatent mit seinem Merkmal 6. von dem aus dem europäischen Patent 0 518 178 (Anlage K4/1) bekannten Integralschutzhelm abgrenzt. Zur Entriegelung des Kinnbügels verfügt der aus dem europäischen Patent 0 518 178 bekannte Helm über eine Zug- beziehungsweise Drucktaste, die mit dem Daumen einhändig entriegelt und geöffnet werden kann. Mit der Taste in Verbindung steht ein in dem Kinnbügel verlaufender Seilzug, der einen Lösungshebel betätigt, wodurch eine Schnappfeder außer Eingriff mit an der Helmschale befindlichen Verriegelungsbolzen gebracht wird. Hierzu zieht der Helmträger an der Zugtaste und schwenkt zugleich den Kinnbügel nach oben.

An einem solchen Konstruktionsentwurf beanstandet das Klagepatent als nachteilig, dass es beim Entriegeln des Kinnbügels zu Verhakungen und einem unsauberen Öffnen des Helms kommen kann, wodurch das Hochschwenken teilweise unter Kraftanstrengung zur Überwindung der Verhakung durchgeführt werden muss (Anlage K4, Spalte 1, Zeilen 12 bis 25).

Diesen Nachteil will das Klagepatent dadurch vermeiden, dass die Betätigungsrichtung des Öffnungsschiebers – entsprechend dem Merkmal 6 – entgegen der Schwenkrichtung des Kinnbügels nach unten verläuft, um ein Moment um die Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen Öffnungsrichtung zu erzeugen.

Hierzu führt das Klagepatent weiter aus, dass die ein Moment um die Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen Öffnungsrichtung bewirkende Öffnungskraft den Entriegelungsmechanismus entlastet, wodurch es beim Entriegeln nicht zu Verhakungen durch ein zu frühes Hochschwenken des Kinnbügels kommt. Die Öffnungskraft kann auf einfache Weise durch den an der Unterkante des Kinnbügels abgestützten Daumen abgefangen werden, der dann nach dem Entriegeln den Kinnbügel nach oben schwenkt. Hierdurch ist ein einfaches Hochschwenken des Kinnbügels gewährleistet, ohne dass eine zweite Hand verwendet werden muss, um beispielsweise Verhakungen zu überwinden (Anlage K4, Spalte 1, Zeilen 38 bis 51).

Mit dem im Sinne des Merkmals 6. um die Schwenkstelle des Kinnbügels und entgegen dessen Öffnungsrichtung erzeugten Moment beschreibt daher das Klagepatent eine durch das Herunterziehen des Öffnungsschiebers gegen die Öffnungsrichtung des verschwenkbaren Kinnbügels wirkende Kraftentfaltung, durch die verhindert werden soll, dass der Kinnbügel beim Öffnen der Arretierung vorzeitig nach oben geschoben wird, was die Gefahr mit sich bringen würde, dass sich der Verriegelungsmechanismus verhakt.

Bestätigt wird der Fachmann in diesem Verständnis durch das vom Klagepatent in seiner Figur 1 beschriebene Ausführungsbeispiel, bei dem der Kinnbügel so ausgebildet ist, dass er in der Verriegelungsstellung formschlüssig an der Helmschale anliegt, was der Betrachtungsweise der Klägerin, wonach das Merkmal 6. ein Verschwenken des Kinnbügels entgegen dessen Öffnungsrichtung voraussetzt, entgegensteht.

Um den Kinnbügel von der Helmschale zu entriegeln, ist bei den angegriffenen Ausführungsformen an dem Kinnbügel ein Öffnungsschieber angeordnet. Der Öffnungsschieber lässt sich entgegen der Schwenkrichtung des Kinnbügels herunterziehen. Infolge dieser Betätigungsrichtung wird durch das Herunterziehen des Öffnungsschiebers verhindert, dass es zu einem Hochschwenken des Kinnbügels vor dem Öffnen des Verriegelungsmechanismus kommt. Hierdurch werden Verhakungen am Verriegelungsmechanismus durch ein vorzeitiges Hochschwenken des Kinnbügels vermieden.

Solche Ausführungen machen von dem Merkmal 6. des Klagepatents wortsinngemäßen Gebrauch.

III.

Aus der Verletzung des Klagepatents ergeben sich folgende Rechtsfolgen:

1.

Weil die Klägerin den Gegenstand des Klagepatents rechtswidrig benutzt hat, ist sie der Beklagten zur Unterlassung verpflichtet, Paragraph 139 Absatz 1 des Patentgesetzes.

2.

Außerdem kann die Beklagte von der Klägerin nach dem Paragraphen 139 Absatz 2 PatG Schadensersatz, allerdings nur unter Beachtung einer Karrenzfrist von einem Monat nach Veröffentlichung der Patenterteilung (Entscheidung des Bundesgerichtshofs, abgedruckt in Gewerblicher Rechts-schutz und Urheberrecht 1986, Seite 803 -Formstein), folglich hier für Benutzungshandlungen verlangen, die ab dem 25. Juni 2000 begangen worden sind. Denn als Fachunternehmen hätte die Klägerin die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, Paragraph 276 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Da es über­dies hinreichend wahrscheinlich ist, dass der Beklagten durch die rechtsverletzenden Handlungen der Klägerin ein Schaden entstanden ist, der von der Beklagten jedoch noch nicht beziffert werden kann, weil sie den Umfang der rechts­verletzenden Benutzungshandlungen ohne ihr Ver­schul­­­­den nicht im Einzelnen kennt, ist ein recht­liches Interesse der Beklagten an einer Feststellung der Scha­densersatzver-pflichtung anzuerkennen, Paragraph 256 der deutschen Zivilprozessordnung.

3.

Damit die Beklagte in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern, ist die Klägerin ihr gegenüber zur Rechnungslegung verpflichtet, Paragraph 242, 259 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Denn die Beklagte sind auf die zuerkannten Angaben angewiesen, über welche sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt und die Klägerin wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.

Mangels Inlandsbezug kann die Beklagte von der außerhalb des Geltungsbereichs des Klagepatents geschäftsan-sässigen Klägerin indes keine Rechnungslegung zu den Herstellungsmengen und -zeiten verlangen.

4.

Nach dem Paragraphen 140b des Patentgesetzes hat die Beklagte über den Vertriebsweg der rechtsverletzenden Erzeugnisse Auskunft zu erteilen. Die nach dem Absatz 2 dieser Vorschriften geschuldeten Angaben sind in der
Urteilsformel zu I.2. mit den Angaben zusammengefasst, welche zum Zwecke der Rechnungslegung vorzunehmen sind.

IV.

Das gegen das Klagepatent gerichtete Einspruchsverfahren, dem die Klägerin mit patentanwaltlichem Schriftsatz vom 14. Februar 2003 (Anlage B3) beigetreten ist, gibt keinen Anlass, das Verfahren im Verletzungsrechtsstreit nach dem Paragraphen 148 der deutschen Zivilprozessordnung auszusetzen.

Nach ständiger Recht­sprechung der Kammer (beispielsweise abgedruckt in: Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 1988, Seite 91 – Nickel-Chrom-Legierung; Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen 1995, Seite 121 – Hepatitis-C-Virus), die auch vom Oberlandes­gericht Düsseldorf (abgedruckt in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 1979, Seite 188 – Flachdachabläufe) und vom Bundesgerichtshof (abgedruckt in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 1987, Seite 284 – Transportfahrzeug) gebil­ligt wird, stellen der Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, da dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist (Paragraph 58 Absatz 1 Patentgesetz). Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich dem In­ter­esse des Patentinhabers an der Durchsetzung seines erteilten Patents Vorrang gebührt. Die Aussetzung kommt deshalb nur in Be­tracht, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Wider­ruf oder eine Vernichtung des Klagepatents zu erwarten ist. Dies wiederum kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der dem Klagepatent am nächsten kommende Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist oder wenn neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, dass das Klagepatent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch für eine Bejahung der Erfindungshöhe, die von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.

Ausgehend von diesen Voraussetzungen kommt eine Aussetzung des Verfahrens schon deshalb nicht in Betracht, weil der dem Klagepatent von der Klägerin entgegengehaltene Stand der Technik im Erteilungsverfahren von der fachkundig besetzten Prüfungsstelle des Deutschen Patent- und Markenamts berücksichtigt worden ist, es gleichwohl aber zu einer Erteilung des Klagepatents gekommen ist.

Das Einspruchsvorbringen der Klägerin rechtfertigt gegenüber dieser Entscheidung der Prüfungsstelle keine durchgreifenden Bedenken.

1.

Es ist nicht zu ersehen, dass der Gegenstand des Klagepatents in der Gesamtheit seiner Merkmale durch den entgegen gehaltenen Stand der Technik neuheitsschädlich im Sinne der Paragraphen 1 und 3 des Patentgesetzes vorweggenommen ist.

a)

Das von der Klägerin zur Einspruchsbegründung herangezogene europäische Patent 0 518 178 (Anlage K4/1) betrifft – wie bereits oben dargelegt – einen Integralschutzhelm mit einer den Kopf des Helmträgers umgebenden kalottenförmigen Helmschale (3) und einem die Unterkieferpartie des Kopfes übergreifenden Kinnbügel (5), der schwenkbar nach oben an der Helmschale angelenkt ist. Zum Entriegeln des Kinnbügels befindet sich an dessen Vorderseite eine Öffnungstaste (6,6‘), deren Betätigungsrichtung – sowohl nach der Figur 1, als auch nach den Figuren 2 und 3 – entgegen dem Merkmal 6. des Klagepatents in Schwenkrichtung des Kinnbügels verläuft.

b)

Die von der Klägerin druckschriftlich nicht vorgelegte deutsche Offenlegungsschrift 40 40 172 , von dessen Inhalt das Gericht über eine Internet-Recherche von Amts wegen Kenntnis genommen hat, offenbart einen Schutzhelm, der aus einer Helmschale (1) und einem daran verriegelbaren Kinnteil (3) besteht. Zur Entriegelung des Kinnteils ist eine Schwenktaste (8) vorgesehen. Für den Fall, dass die Schwenktaste blockiert ist oder eine Entriegelung aus son-stigen Gründen nicht erlaubt, lässt sich die Verriegelung über einen Drehknopf (9) lösen, der sich beispielsweise mit Hilfe einer Münze betätigen lässt, wodurch ein mit der Verriegelung verbundener Seilzug (7) – je nach Ausgestaltung des Drehknopfes – verkürzt oder nach unten gezogen wird.

Einen Öffnungsschieber, dessen Betätigungsrichtung entgegen der Schwenkrichtung des Kinnbügels nach unten verläuft zur Erzeugung eines Momentes um die Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen Öffnungsrichtung lehrt die deutsche Offenlegungsschrift nicht. Die Merkmale 5. und 6. des Klagepatents werden von ihr nicht vorweggenommen.

c)

Die deutsche Offenlegungsschrift 28 09 012 (Bestandteil von Anlage B3) schließlich lehrt einen Sturzhelm mit beweglicher Sonnenblende (11). Die Sonnenblende ist im Bereich ihrer Enden seitlich an den Sturzhelm angelenkt und im Bereich ihrer seitlichen Gelenke (10, 12) mit dem Helm durch ein elastisches Glied (13) verbunden. Beim Herunterschwenken der Sonnenblende tritt eine Arretierung ein, die sich mit Hilfe eines nach oben zu verschiebenden Knopfes (18) lösen lässt.

Einen an der Helmschale angelenkten, dort arretierbaren Kinnbügel lehrt die deutsche Offenlegungsschrift nicht. Um die Verriegelung der Sonnenblende und der Helmschale zu lösen, sieht die Offenlegungsschrift kein Betätigungselement vor, deren Betätigungsrichtung entgegen der Schwenkrichtung der Sonnenblende nach unten verläuft.

Aus der genannten Offenlegungsschrift lassen sich die Merkmale 3. bis 6. des Klagepatents nicht ersehen.

2.

Entgegen dem Einspruchsvorbringen der Klägerin bestehen auch an der Erfindungshöhe des Klagepatents keine durchgreifenden Bedenken.

Keine der von der Klägerin entgegengehaltenen Druckschriften lehrt dem Fachmann, die Verriegelung des Kinnbügels von der Helmschale mit Hilfe eines Öffnungsschiebers zu lösen, dessen Betätigungshebel entgegen der Schwenkrichtung des Kinnbügels nach unten verläuft, zur Erzeugung eines Moments um die Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen Öffnungsrichtung. Eine solche Funktionsweise hat den erfindungsgemäßen Vorteil, dass sie zu einer Entlastung des Verriegelungsmechanismus führt und Verhakungen am Verriegelungsmechanismus durch ein frühzeitiges Hochschwenken des Kinnbügels verhindert.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf den Paragraphen 91a Absatz 1, 92 Absatz 2 der deutschen Zivilprozessordnung.

Soweit die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, hat die Klägerin die hiermit korrespondierenden Kosten nach Paragraph 91a Absatz 1 der deutschen Zivilprozessordnung zu tragen. Dies entspricht dem bisherigen Sach- und Streitstand unter Berücksichtigung von billigem Ermessen. Weil die angegriffenen Ausführungsformen – wie oben dargelegt – unberechtigt von der Lehre des Klagepatents Gebrauch machen, hätte die von der Klägerin gegen eine Inanspruchnahme aus der Patentverletzung gerichtete negative Feststellungsklage keinen Erfolg gehabt.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den Paragraphen 709, 108 der deutschen Zivilprozessordnung.

VI.

Der Streitwert wird auf 100.000,- Euro festgesetzt (Paragraph 19 Abs. 1 Satz 3 des deutschen Gerichtskostengesetzes).

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