4a O 2/12 – Sicherheitsbeutel

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 2033

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 2. Juli 2013, Az. 4a O 2/12

I. Die Beklagte wird verurteilt,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle bis insgesamt zu zwei Jahren, zu vollstrecken an ihrem jeweiligen Geschäftsführer, zu unterlassen,

Sicherheitsbeutel für den Transport von Wertsachen, insbesondere Geldscheinen, mit einer Zugangsöffnung zu einem Innenraum des Sicherheitsbeutels und einer Verschlussvorrichtung, mittels der die Zugangsöffnung verschließbar ist, wobei der Sicherheitsbeutel in einem ersten Bereich luft- und flüssigkeitsdurchlässig ist und in einem zweiten Bereich aus einer Kunststoff-Folie besteht und wobei die Zugangsöffnung und die Verschlussvorrichtung in der Kunststoff-Folie ausgebildet sind,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen,

bei denen der luft- und flüssigkeitsdurchlässige erste Bereich von einem Kunststoff-Vlies oder -Gewebe gebildet ist und bei denen in die Verschlussvorrichtung zumindest ein Manipulationsindikator integriert ist;

2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte jeweils die zu I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 20.06.2009 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie die Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,

b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;

3. die unter Ziffer I.1 bezeichneten, seit dem 20.06.2009 in der Bundesrepublik Deutschland im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, die sich im Besitz dieser Erzeugnisse befinden, schriftlich darüber informiert werden, dass die Kammer mit hiesigem Urteil auf ein Verletzung des Klagepatents EP 1 778 XXX erkannt hat, ihnen ein Angebot zur Rücknahme dieser Erzeugnisse durch die Beklagte unterbreitet wird und den gewerblichen Abnehmern für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Erstattung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises bzw. eines sonstigen Äquivalents für die zurückgerufenen Erzeugnisse sowie die Übernahme der Verpackungs-, Transport- bzw. Versandkosten für die Rückgabe zugesagt wird;

4. an die Klägerin 6.764,– EUR zuzüglich 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 15.02.2012 zu zahlen.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 20.06.2009 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

IV. Das Urteil ist hinsichtlich des Rechnungslegungsausspruch I.2 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000,– EUR und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 750.000,– EUR vorläufig vollstreckbar.

Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus dem Europäischen Patent 1 778 XXX B1 (Klagepatent) auf Unterlassung, Rechnungslegung, Rückruf und Feststellung der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Anspruch.

Das Klagepatent, dessen eingetragene Inhaberin die Klägerin ist, wurde am 01.08.2005 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 19.08.2004 angemeldet und der Hinweis auf seine u.a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erfolgte Erteilung am 20.05.2009 bekannt gemacht. Gegen die Erteilung ist Nichtigkeitsklage erhoben worden, über die bislang nicht entschieden ist.

Das Klagepatent betrifft einen Sicherheitsbeutel. Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

„Sicherheitsbeutel für den Transport von Wertsachen, insbesondere Geldscheinen, mit einer Zugangsöffnung (15) zu einem Innenraum des Sicherheitsbeutels (10) und einer Verschlusseinrichtung (16), mittels der die Zugangsöffnung (15) verschließbar ist, wobei der Sicherheitsbeutel (10) in einem ersten Bereich (A) luft- und flüssigkeitsdurchlässig ist und in einem zweiten Bereich (B) aus einer Kunststoff-Folie (14) besteht und wobei die Zugangsöffnung (15) und die Verschlussvorrichtung (16) in der Kunststoff-Folie (14) ausgebildet sind, dadurch gekennzeichnet, dass der luft- und flüssigkeitsdurchlässige erste Bereich (A) von einem Kunststoff-Vlies oder -Gewebe (28) gebildet ist.“

Der von der Klägerin zuletzt mit Patentanspruch 1 kumulativ geltend gemachte Unteranspruch 12 lautet wie folgt:

„Sicherheitsbeutel nach einem der Ansprüche 1 bis 11, dadurch gekennzeichnet, dass in die Verschlussvorrichtung (16) zumindest ein Manipulationsindikator integriert ist.“

Im Hinblick auf die von der Klägerin lediglich „insbesondere“ geltend gemachten Unteransprüche wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Klagepatentschrift Bezug genommen.

Die nachfolgende Abbildung (einzige Figur der Klagepatentschrift) veranschaulicht den Erfindungsgegenstand anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels.

Die Beklagte vertreibt europaweit Versandtaschen. Darunter fallen unter anderem auch Sicherheitstaschen und Sicherheitsbeutel. Sie hat auf der Weltfachmesse A, die vom 12.-18.05.2011 in B stattfand, ausgestellt. Sie hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dort auch den von der Klägerin als Anlage K 7 zur Akte gereichten Sicherheitsbeutel (angegriffene Ausführungsform) ausgestellt, nicht aber verkauft zu haben.

Die Klägerin sieht hierdurch ihre Rechte aus dem Klagepatent verletzt und hat die Beklagte vorgerichtlich abgemahnt. Nachdem sie ihren ursprünglichen Vernichtungsantrag zurückgenommen und ihren Unterlassungsantrag auf eine kumulative Verletzung von Patentanspruch 1 mit Patentanspruch 12 eingeschränkt hat, beantragt die Klägerin sinngemäß,

zu erkennen wie geschehen, wobei die Klägerin auch die Festsetzung von Teilsicherheiten im Hinblick auf ihren Unterlassungsantrag einerseits und ihren Rückrufantrag andererseits begehrt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise, den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gegen das Klagepatent erhobene Nichtigkeitsklage auszusetzen.

Die Beklagte stellt den Verletzungsvorwurf in Abrede und macht geltend: Bei dem angegriffenen Sicherheitsbeutel sei die Zugangsöffnung und die Verschlusseinrichtung nicht in der Kunststoff-Folie ausgebildet. Die Zugangsöffnung sei zwischen dem ersten und zweiten Bereich vorhanden. Die Vorderseite des angegriffenen Sicherheitsbeutels werde nicht durch eine, sondern durch zwei sich überlappende Kunststoff-Folien gebildet. Die Zugangsöffnung werde nicht durch einen Schlitz in einer Kunststoff-Folie hergestellt, sondern durch die Überlappung der zwei Kunststoff-Folien. Desweiteren werde bei dem angegriffenen Sicherheitsbeutel der luft- und flüssigkeitsdurchlässige erste Bereich nicht von einem Kunststoffvlies oder Kunststoffgewebe gebildet. Er bestehe vielmehr aus CLAF (Cross-Laminated Airy-Fabric), einem querlaminierten luftdurchlässigen Material, bei dem es keine Kett- oder Schussfäden gebe, die miteinander verwoben seien. Vielmehr seien die querverlaufenden Fäden in Gänze auf die längsverlaufenden Fäden gelegt und die Fäden an ihren Kreuzungspunkten miteinander verschweißt. Eine derartige Gestaltung stelle auch kein Vlies dar. Ferner handle die Klägerin rechtsmissbräuchlich, da sie in einem zum Klagepatent parallelen US-Erteilungsverfahren im Hinblick auf den dort vorliegenden Stand der Technik die dortigen Patentansprüche in einer Weise eingeschränkt habe, die eine Verletzung des Patents durch den angegriffenen Sicherheitsbeutel ausschließen würde.

Im Übrigen werde sich das Klagepatent im anhängigen Nichtigkeitsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen, weshalb der Rechtsstreit zumindest auszusetzen sei.

Die Klägerin tritt dem Vorbringen der Beklagten und dem Aussetzungsantrag entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze und der mit ihnen vorgelegten Urkunden und Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung, Rückruf, Feststellung der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach sowie auf die Erstattung außergerichtlicher Kosten aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 3, 140b Abs. 1 und 3 PatG, i. V. m. §§ 242, 259 BGB zu.

I.

Das Klagepatent betrifft einen Sicherheitsbeutel für den Transport von Wertsachen, insbesondere von Geldscheinen. Er ist mit einer Zugangsöffnung zu seinem Innenraum versehen, welche sich mittels einer Verschlussvorrichtung verschließen lässt. Der Sicherheitsbeutel besteht aus einem ersten Bereich, der luft- und flüssigkeitsdurchlässig ist, und aus einem zweiten Bereich, der aus einer Kunststoff-Folie besteht. Die Zugangsöffnung und die Verschlussvorrichtung des Beutels sind in dieser Kunststoff-Folie ausgestaltet.

Wertsachen werden nach den einleitenden Ausführungen der Klagepatentschrift üblicherweise in derartigen Sicherheitsbeuteln transportiert, wobei der Beutel vom Absender gefüllt und verschlossen wird und der Empfänger dann aufgrund verschiedener Manipulationsindikatoren, die an der Verschlussvorrichtung angebracht sind, erkennen kann, ob der Beutel während des Transports geöffnet wurde oder ob versucht wurde, den Beutel zu öffnen. Die einzelnen Sicherheitsbeutel selbst werden wiederum in einem weiteren Transportbehälter transportiert. Wird dieser Transportbehälter unautorisiert geöffnet, dringt färbende Flüssigkeit oder eine färbendes Gas in den Behälter ein, welche dann in die Sicherheitsbeutel eindringen und die in ihnen transportierten Wertgegenstände markieren.

Nach den weiteren Darlegungen der Klagepatentschrift ist aus der EP 0 788 081 B1 ein Sicherheitsbeutel vorbekannt, der vollständig aus einem luft- und flüssigkeitsdurchlässigen Vlies-Werkstoff besteht, so dass er anders als ein aus luft- und flüssigkeitsdichter Kunststoff-Folie bestehender Sicherheitsbeutel nicht erst geöffnet werden muss, bevor die Färbeflüssigkeit auf den Beutelinhalt einwirken kann. Ferner verweist die Klagepatentschrift auf die EP 0 105 581 A2 und EP 0 792 816 A2, welche Sicherheitsbeutel zum Gegenstand haben, die aus einer thermoplastischen Kunststoff-Folie bestehen, die abschnittsweise gelocht ist und in diesem Bereich den Durchtritt der Färbeflüssigkeit erlaubt.

An den vorstehend benannten Patentschriften bezeichnet es das Klagepatent als nachteilig, dass es bei der Verwendung eines Vlies-Werkstoffes nicht möglich sei, eine Verschlussvorrichtung sicher anzubringen. Außerdem sei es schwierig auf das unregelmäßige Vliesmaterial einen Code oder eine sonstige Beschriftung zur optischen oder elektronischen Erfassung aufzudrucken. Bei der Verwendung einer teilweise gelochten, thermoplastischen Kunststoff-Folie sei von Nachteil, dass die Färbeflüssigkeit nur in dem relativ kleinen gelochten Bereich in den Innenraum des Beutels eindringen könne.

Vor diesem Hintergrund liegt dem Klagepatent die Aufgabe (das technische Problem) zugrunde, einen Sicherheitsbeutel für den Transport von Wertsachen, insbesondere Geldscheinen, zu schaffen, der sowohl die Anordnung einer sicheren Verschlussvorrichtung ermöglicht als auch das Einfärben des Beutelinhalts zuverlässig gewährleistet.

Dies geschieht gemäß der vorliegend geltend gemachten Kombination des Patentanspruchs 1 mit Unteranspruch 12 durch eine Kombination der folgenden Merkmale:

Sicherheitsbeutel für den Transport von Wertsachen, insbesondere Geldscheinen, mit

1. einer Zugangsöffnung (15) zu einem Innenraum des Sicherheitsbeutels (10) und

2. einer Verschlussvorrichtung (16), mittels der die Zugangsöffnung (15) verschlossen werden kann.

3. Der Sicherheitsbeutel (10) ist in einem ersten Bereich (A) luft- und flüssigkeitsdurchlässig und

4. besteht in einem zweiten Bereich (B) aus einer Kunststoff-Folie (14), wobei

5. die Zugangsöffnung (15) und die Verschlussvorrichtung (16) in der Kunststoff-Folie (14) ausgebildet sind.

6. Der luft- und flüssigkeitsdurchlässige erste Bereich (A) ist von einem Kunststoff-Flies oder -Gewebe (28) gebildet.

7. In die Verschlussvorrichtung (16) ist zumindest ein Manipulationsindikator integriert.

II.

Der angegriffene Sicherheitsbeutel macht von dieser technischen Lehre wortsinngemäß Gebrauch. Die Verwirklichung der Merkmale 1 bis 4 und 7 steht zwischen den Parteien mit Recht außer Streit, so dass es insoweit keiner weiteren Ausführungen bedarf. Aber auch die zwischen den Parteien umstrittenen Merkmale 5 und 6 werden von dem angegriffenen Sicherheitsbeutel wortsinngemäß verwirklicht.

1.a.
Kerngedanke der technischen Lehre des Klagepatents ist es, den beanspruchten Sicherheitsbeutel aus zwei unterschiedlich strukturierten Materialen aufzubauen (Abs. 0008), nämlich einem ersten Bereich aus einem luft- und flüssigkeitsdurchlässigen Vlies oder Gewebe aus Kunststoff (Merkmale 4 u. 6) und einem zweiten Bereich aus einer Kunststoff-Folie (Merkmal 4). Dies bietet die Möglichkeit, die Vorteile beider Materialarten in einem Sicherheitsbeutel zu vereinen.

In dem zwischen den Parteien streitigen Merkmal 5 wird nun die Auswahl getroffen, dass die Zugangsöffnung und die Verschlussvorrichtung in der Kunststoff-Folie und nicht in dem Vlies oder Gewebe ausgebildet sein sollen. Dies gewährleistet nach der Patentbeschreibung (Abs. 0008), dass eine herkömmliche Verschlussvorrichtung mit Manipulationsindikatoren an der Zugangsöffnung verwendet werden kann, die Öffnungsversuche zuverlässig anzeigt. In welchem Bereich und in welcher Art die Zugangsöffnung in der Folie geschaffen wird, gibt Patentanspruch 1 allerdings nicht vor. Entscheidend ist allein, dass die Öffnung in der Folie selbst ausgebildet ist, einen Zugang zum Beutel erlaubt und mit der Verschlussvorrichtung verschlossen werden kann.

b.
Ausgehend hiervon wird Merkmal 5 von der angegriffenen Ausführungsform wortsinngemäß verwirklicht.

Da – wie ausgeführt – Patentanspruch 1 keine konkreten Vorgaben zur Gestaltung der Zugangsöffnung in der Folie macht, fällt unter seine Lehre grundsätzlich auch eine Öffnung, die sich – wie bei der angegriffenen Ausführungsform – bis an die äußeren Seitenwände der Folie bzw. des Beutels erstreckt. Denn auch in diesem Fall lässt sich ohne weiteres davon sprechen, dass die Zugangsöffnung in der Folie und nicht in dem Vlies oder Gewebe ausgebildet ist. Anspruchsgemäß ist demnach auch eine Folie, die durch eine derart langgezogene Schlitzöffnung quasi in eine Folie oberhalb und eine Folie unterhalb des Öffnungsschlitzes geteilt wird, welche lediglich noch in den Seitenendbereichen in Verbindung stehen.

Die angegriffene Ausführungsform unterscheidet sich von einer solchen Gestaltung lediglich dadurch, dass sich die Folienteile oberhalb und unterhalb der Öffnung geringfügig überlappen. Ein derartiges Überlappen wird von der technischen Lehre des Klagepatents jedoch nicht ausgeschlossen. Da die Folienteile an den jeweiligen Seitenenden im Überlappungsbereich miteinander verbunden sind, wie eine Inaugenscheinnahme des Musters gemäß Anlage K 7 ergibt, kann sich die Beklagte schließlich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, es handele sich um unabhängig zu betrachtende einzelne Folien, die – für sich betrachtet – den Vorgaben des Merkmals 5 nicht entsprechen würden.

2.
Merkmal 6 ist ebenfalls wortsinngemäß erfüllt.

a.
Dass ein erster Bereich des Sicherheitsbeutels luft- und flüssigkeitsdurchlässig ist, gibt bereits Merkmal 3 vor. In Merkmal 6 wird diese Vorgabe im Hinblick auf das verwendete Material konkretisiert. Danach soll der erste Bereich aus einem Vlies oder Gewebe aus Kunststoff gebildet werden.

Dem entnimmt der Fachmann zunächst, dass das Klagepatent Vlies oder Gewebe aus Kunststoff grundsätzlich für geeignet erachtet, eine hinreichende Luft- und Flüssigkeitsdurchlässigkeit bereitzustellen. Ferner soll das Material nicht wie in dem gewürdigten Stand der Technik, nämlich der EP 0 788 081 B1 (vgl. Abs. 0004 der Klagepatentschrift), auf ein nicht gewebtes Material („non woven“) beschränkt sein. Vielmehr ist auch ein Gewebe anspruchsgemäß. Wie das Gewebe hergestellt wird, ist allerdings nicht Gegenstand der technischen Lehre des Klagepatents. In Abgrenzung zu einem Vlies kommt es nur darauf an, dass die Fäden in Quer- und Längsrichtung geordnet geführt sind und aufgrund ihres Zusammenwirkens eine Gewebestruktur bilden. Unter funktionalen Gesichtspunkten ist ebenfalls lediglich entscheidend, dass das Gewebe aufgrund seiner Struktur – ebenso wie ein Vlies – geeignet ist, über seine gesamte Fläche luft- und flüssigkeitsdurchlässig für den Durchtritt von Markierungsflüssigkeit zu wirken. Wie dabei der Zusammenhalt der Gewebestruktur erzielt wird, ist technisch ohne Bedeutung. Entgegen dem von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerten Vorbringen stellt es auch keinen relevanten Vorteil eines mit Kett- und Schussfäden gewebten Materials dar, dass die Fäden anders als bei verschweißten Fäden gegeneinander verschoben werden können, um den Beutelinhalt zu kontrollieren. Denn hierin liegt kein erfindungsgemäßer Vorteil des beanspruchten Gewebes.

Vor diesem Hintergrund wird der Fachmann den Begriff „Gewebe“ nicht einschränkend im Sinne eines speziellen Herstellungsverfahrens bzw. Webverfahrens verstehen, sondern das Vorliegen eines patentgemäßen Gewebes vielmehr danach beurteilen, ob im Ergebnis das verwendete Kunststoffmaterial eine Gewebestruktur aufweist, die einen vollflächigen Durchtritt der Markierungsflüssigkeit erlaubt.

Auch bei diesem Verständnis behält Merkmal 6 gegenüber Merkmal 3 einen eigenständigen Sinngehalt, da nicht sämtliche flüssigkeits- und luftdurchlässigen Materialien eine Gewebestruktur aufweisen. Dies gilt insbesondere für die in der Klagepatentbeschreibung (Abs. 0005) in Bezug genommenen Kunststoff-Folien, die zum Zwecke des Flüssigkeitsdurchtritts lediglich abschnittsweise gelocht werden.

b.
Danach macht der angegriffene Sicherheitsbeutel auch von Merkmal 6 Gebrauch.

Dass es sich bei dem für den ersten Bereich verwendeten Kunststoffmaterial um sog. CLAF handelt, führt aus dem Schutzbereich des Klagepatents nicht heraus. Zwar sind bei diesem Material die Quer- und Längsfasern des Kunststoffes nicht im klassischen Sinn miteinander verwoben in dem Sinne, dass die Fasern abwechselnd über- und untereinander geführt werden, sondern sie sind an ihren Kreuzungspunkten miteinander verschweißt. Dies ändert aber nichts daran, dass im Sinne der vorgenannten Auslegung – nicht anders als bei einer mit einem klassischen Webverfahren hergestellten Struktur – eine Gewebestruktur vorhanden ist, die den Anforderungen des Klagepatents an ein Gewebe gerecht wird und die der Fachmann daher auch als ein solches ansehen wird.

III.

Da die angegriffene Ausführungsform somit von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch macht, ohne dass die Beklagte zur Nutzung des Klagepatents berechtigt wäre, ergeben sich die folgenden Rechtsfolgen:

1.
Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, die angegriffene Ausführungsform auf der Messe ausgestellt und damit im Sinne von § 9 S. 2 Nr. 1 PatG angeboten zu haben. Dass ein unmittelbarer Verkauf vor Ort nicht stattfand, steht einer patentverletzenden Angebotshandlung nicht entgegen. Denn auch allein das Ausstellen stellt eine Handlung dar, die nach ihrem objektiven Erklärungswert den Gegenstand der Nachfrage in äußerlich wahrnehmbarer Weise zum Erwerb der Verfügungsgewalt bereitstellt.

Darüber hinaus hat die Beklagte auch vorgetragen, ein Exemplar des angegriffenen Sicherheitsbeutels nach einem Gespräch an den diesbezüglich interessierten Sohn eines langjährigen norwegischen Kunden (Peder Widborg) übergeben zu haben. Auch mit dieser Mustervorlage hat die Beklagte im Geltungsbereich des Klagepatents eine Handlung vorgenommen, die nach ihrem objektiven Erklärungswert den angegriffenen Sicherheitsbeutel in äußerlich wahrnehmbarer Weise zum Erwerb der Verfügungsgewalt bereitgestellt hat, und auch insoweit eine allein dem Patentinhaber vorbehaltene Angebotshandlung im Sinne von § 9 S. 2 Nr. 1 PatG vorgenommen.

Die Beklagte macht demnach durch die das Angebot und den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform in Deutschland widerrechtlich von der techni-schen Lehre des Klagepatents Gebrauch, so dass sie gegenüber der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet ist (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 PatG).

2.
Des Weiteren hat die Beklagte der Klägerin Schadenersatz zu leisten (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 2 PatG), denn als Fachunternehmen hätte sie die Patentverletzung durch die angegriffene Ausführungsform bei An-wendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, § 276 BGB.

Die genaue Schadenshöhe steht derzeit noch nicht fest. Da es jedoch ausrei-chend wahrscheinlich ist, dass der Klägerin durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist und dieser von der Klägerin noch nicht beziffert werden kann, weil sie ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlun-gen ist, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an einer Feststellung der Schadenersatzverpflichtung dem Grunde nach anzuerkennen, § 256 ZPO.

3.
Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadener-satzanspruch zu beziffern, ist die Beklagte zur Auskunftserteilung und Rech-nungslegung verpflichtet (§§ 242, 259 BGB). Die Klägerin ist auf die zuerkann-ten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Darüber hinaus wird die Beklagte durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Die Beklagte hat schließlich über Herkunft und Vertriebsweg der rechtsverletzenden Erzeugnisse Auskunft zu erteilen (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 140b PatG). Soweit ihre nicht gewerblichen Abnehmer und bloßen Angebotsempfänger hiervon betroffen sind, ist der Beklagten im Hinblick auf ihre Rechnungslegungspflicht in Bezug auf ihre nicht gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger ein Wirt-schaftsprüfervorbehalt einzuräumen (vgl. Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 20.09.2001, Az.: 2 U 91/00).

4.
Der Rückrufanspruch folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 3 PatG, wobei der Anspruch ebenso wie der Rechungslegungs- und Schadensersatzanspruch zeitlich einzuschränken war.

5.
Schließlich hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Kosten in der geltend gemachten und von der Beklagten nicht beanstandeten Höhe aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 2 PatG. Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 291, § 288 Abs. 1 BGB.

6.
Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Klägerin handle hinsichtlich der Anspruchsdurchsetzung rechtsmissbräuchlich, nachdem sie in einem parallelen US-Erteilungsverfahren ihre Ansprüche mit Rücksicht auf den dort vorliegenden Stand der Technik eingeschränkt hat. Da die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents grundsätzlich unabhängig von der Erteilungshistorie eines parallelen Patents in einem anderen Staat zu beurteilen ist, durfte die Beklagte schon aus objektiven Gründen nicht darauf vertrauen, dass die Klägerin das Klagepatent in derselben Weise einschränken werde wie das parallele Schutzrecht in den USA.

IV.

Für eine Aussetzung des Rechtstreits besteht keine Veranlassung, § 148 ZPO.

1.
Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung; BIPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die auch vom Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 – Steinknacker) und vom Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 2784 – Transportfahrzeug) gebilligt wird, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtstreit auszusetzen, weil dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist. Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich dem Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung seines erteilten Patents Vorrang gebührt. Die Aussetzung kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Widerruf oder eine Vernichtung des Klagepatents zu erwarten ist. Dies kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der dem Klagepatent am nächsten kommende Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist oder wenn neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, dass das Klagepatent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch für eine Bejahung der Erfindungshöhe, die von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.

2.
Dies vorausgeschickt liegen die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Verhandlung nicht vor.

a.
Es kann unterstellt werden, dass die – lediglich in englischer Sprache vorliegende – Entgegenhaltung US 2001/0019638 A1 (Ni K 23 = LR 1.1) die Merkmale 1 bis 6 des Patentanspruchs 1 vorwegnimmt. Denn es lässt sich zumindest keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür feststellen, dass es für den Fachmann nahelag, gemäß dem von der Klägerin kumulativ mit Patentanspruch 1 geltend gemachten Unteranspruch 12 (Merkmal 7) in die Verschlussvorrichtung einen Manipulationsindikator zu integrieren. Sieht man in der Entgegenhaltung – wie insbesondere aus den dortigen Figuren 5 bis 8 ersichtlich – in der oberen Beutelöffnung 37 (gap) die Zugangsöffnung und in dem im oberen Bereich in den umgeschlagenen Folienenden geführten Zugband 66 (draw band) die Verschlussvorrichtung, ist für den Fachmann klar, dass es sich um ein einfach zu öffnendes und wieder zu verschließendes Verschlussmittel handelt, das beim Zusammenziehen des Bandes darüber hinaus zu einer Veränderung der Beutelform im Verschlussbereich führt. Wie der Fachmann bei einer derartigen Verschlussvorrichtung eine Eignung und einen Anlass finden soll, die Verschlussvorrichtung mit einem Manipulationsindikator zu versehen, ist nicht ersichtlich. Dagegen spricht vielmehr, dass die bei der Entgegenhaltung verwirklichte Zugbandlösung sich gerade durch die einfache, in der Anzahl unbegrenzte mechanische Wiederholbarkeit des Öffnungs- und Schließvorgangs auszeichnet. Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auf eine Kombination dieser Entgegenhaltung mit der – ebenfalls lediglich ein englischer Sprache vorgelegten – Entgegenhaltung US 6 589 622 B1 (Ni K 28, dort insbesondere Figur 3) abgestellt hat, weckt auch dies keine erheblichen Zweifel am Vorliegen eines erfinderischen Schritts. Denn die dort offenbarte Verschlussstreifenlösung lässt sich ersichtlich nicht in einfacher Weise auf die Zugbandlösung der US 2001/0019638 A1 übertragen, bei der das Zugband frei beweglich geführt sein muss und bei der sich beim Schließen sogar die Beutelform im Verschlussbereich durch das Zusammenziehen erheblich verändern dürfte.

b.
Soweit die Beklagte mit Blick auf eine Kombination der Druckschriften EP 788 081 A1 (Anlage Ni K 5) und GB 2 132 585 (Anlage Ni K 7) das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit in Frage stellt, wendet sie sich unmittelbar gegen die wertende Entscheidung des Erteilungsaktes. Denn beide Druckschriften sind im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden und der Prüfer hat ausweislich des als Anlage K 4 vorgelegten Prüfungsbescheids gerade keine Anregung gesehen, das aus der einen Druckschrift vorbekannte Kunststoff-Vlies bei dem aus der anderen Druckschrift vorbekannten Beutel einzusetzen und dann auch noch die dort verwendete Folie nur teilweise zu ersetzen. Letztlich setzt die Beklagte lediglich ihre Ansicht an die Stelle des Prüfers. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass das Klagepatent wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit widerrufen werden wird, lässt sich damit jedoch nicht begründen.

c.
Die weiteren Entgegenhaltungen liegen nicht näher und rechtfertigen ebenfalls keine Aussetzung des Rechtsstreits.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.

Das Urteil ist gemäß §§ 709 S. 1, 108 ZPO vorläufig vollstreckbar, wobei für den Rückrufanspruch neben dem Unterlassungsanspruch keine eigene Teilsicherheit festzusetzen war, weil mit der Durchsetzung des Rückrufanspruchs faktisch auch der Unterlassungsanspruch durchgesetzt wird.

Die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung beantragte Schriftsatzfrist zum Schriftsatz der Klägerin vom 05.06.2013 brauchte nicht bewilligt zu werden, da der Schriftsatz der Klägerin kein neues tatsächliches Vorbringen enthält, auf dem das Urteil beruht.

Der Streitwert wird auf 1.000.000,- EUR festgesetzt.