4b O 99/11 – Tintenpatrone (3) III

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1763

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 15. September 2011, Az. 4b O 99/11

I. Der Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 02.09.2010, Aktenzeichen I-2 U 24/10, wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens tragen die Aufhebungsklägerinnen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

T a t b e s t a n d
Die Aufhebungsbeklagte ist eingetragene Inhaberin des deutschen Gebrauchsmusters DE 20 2005 021 XXX.9 (nachfolgend: „Verfügungsgebrauchsmuster“), welches eine Tintenpatrone betrifft, die in einem Tintenstrahldrucker verwendet werden kann.
Wegen Verletzung von Anspruch 1 des Verfügungsgebrauchsmusters durch die Aufhebungsklägerin zu 1) und die A AG, deren Rechtsnachfolgerin die Aufhebungsklägerin zu 2) ist, begehrte die Aufhebungsbeklagte beim Landgericht Düsseldorf den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Mit Urteil vom 02.02.2010, Aktenzeichen 4b O 250/09 (Anlage LS 1), wies die Kammer den Antrag mangels hinreichend sicherer Schutzfähigkeit des Verfügungsgebrauchsmusters zurück. Auf die Berufung der Aufhebungsbeklagten hin gab das Oberlandesgericht Düsseldorf dem Antrag der Aufhebungsbeklagten mit Urteil vom 02.09.2010, Aktenzeichen I-2 U 24/10 (Anlage LS 2), statt und untersagte der Aufhebungsklägerin zu 1) und der A AG, Tintenpatronen gemäß Anspruch 1 des Verfügungsgebrauchsmusters anzubieten und zu vertreiben.

Die Aufhebungsklägerinnen beantragten beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) unter dem Aktenzeichen LÖ I 2/10 die Teillöschung des Verfügungsgebrauchsmusters im Umfang der Ansprüche 1 und 2. Aufgrund mündlicher Verhandlung vom 30.05.2011 beschloss die Gebrauchsmusterabteilung I des DPMA mit Beschluss vom 12.07.2011 (Anlagen LS 3, B 4) die Löschung des Verfügungsgebrauchsmusters im Umfang der genannten Ansprüche. Diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig; die Aufhebungsbeklagte legte unter dem 03.06.2011 (Anlage B 1) Beschwerde ein.

Die Aufhebungsklägerinnen begehren die Aufhebung der vom Oberlandesgericht Düsseldorf erlassenen einstweiligen Verfügung. Sie sind der Ansicht, die Entscheidung der Gebrauchsmusterabteilung stelle einen veränderten Umstand im Sinne des § 927 ZPO dar. Die zu Recht von Technikern ausgesprochene vollständige Teillöschung der Ansprüche 1 und 2 lasse jedenfalls den Verfügungsgrund entfallen. Anerkanntermaßen könne eine einstweilige Verfügung nur dann erlassen werden, wenn (auch) die Schutzfähigkeit des geltend gemachten Schutzrechtes so eindeutig zu Gunsten des Inhabers zu bejahen sei, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten sei. Hierfür genüge es nicht, dass lediglich eine Chance für den Rechtsbestand des Schutzrechts bestehe, vielmehr müsse dieser zweifelsfrei feststehen. Wenn eine den Rechtsbestand verneinende erstinstanzliche Entscheidung vorliege, sei in der Regel ein Verfügungsgrund, insbesondere bei einem Verfügungsgebrauchsmuster, nicht anzuerkennen. Nichts anderes könne für das Aufhebungsverfahren gelten. Ohne Belang sei, dass die (Teil-)Löschungsentscheidung des DPMA noch nicht rechtskräftig sei. Zweifel an der Rechtsbeständigkeit bestünden nicht erst bei Rechtskraft einer Löschungsentscheidung, sondern bereits mit deren Erlass. Besonderer Berücksichtigung bedürfe der Umstand, dass im Löschungsverfahren erstmals eine Prüfung des schlicht durch Eintragung entstandenen Verfügungsgebrauchsmusters stattgefunden habe. Die Entscheidung der Gebrauchsmusterabteilung sei überdies vorrangig gegenüber der nur auf summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage beruhenden Eilentscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Das Verletzungsgericht entscheide nicht über den Rechtsbestand des Schutzrechts; die Feststellung zur Schutzfähigkeit wirke einzig und allein zwischen den Parteien. Die Kompetenz einer inter omnes – Entscheidung habe der Gesetzgeber also der Gebrauchsmusterabteilung zugesprochen. Letztlich sei zu bedenken, dass eine einstweilige Verfügung lediglich der vorläufigen Sicherung dienen solle bis das Hauptsacheverfahren abgeschlossen sei. Die Aufhebungsbeklagte habe bislang jedoch keine Klage in der Hauptsache erhoben. Ein schutzwürdiges Interesse der Aufhebungsbeklagten allein auf der Grundlage der einstweiligen Verfügung, die auf einem ungeprüften Schutzrecht beruhe, ihnen weiterhin den Vertrieb zu untersagen, sei nicht zu erkennen, zumal sie einen erheblichen finanziellen Schaden durch das Vertriebsverbot erlitten..

Die Aufhebungsklägerinnen beantragen,
die einstweilige Urteilsverfügung des OLG Düsseldorf vom 02.09.2010, in dem Verfahren mit dem Aktenzeichen I-2 U 24/10, aufzuheben.

Die Aufhebungsbeklagte beantragt,
den Antrag der Verfügungsbeklagten auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung des OLG Düsseldorf vom 02.09.2010, Aktenzeichen I-2 U 24/10, zurückzuweisen.

Die Aufhebungsbeklagte ist der Ansicht, die nicht rechtskräftige Entscheidung des DPMA stelle weder einen tatsächlichen noch einen rechtlichen veränderten Umstand dar. Dieser Entscheidung lägen unstreitig dieselben Entgegenhaltungen und Argumente, die bereits Gegenstand des Verfügungsverfahrens waren, zugrunde. Der Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung sei deshalb lediglich eine andere rechtliche Einschätzung, die gegenüber der bereits beim Erlass der einstweiligen Verfügung durch das Oberlandesgericht Düsseldorf vorgenommenen Bewertung keinen Vorrang habe. Überdies sei die Entscheidung der Gebrauchsmusterabteilung offensichtlich falsch und werde in der Beschwerdeinstanz mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit widerrufen. Würde die einstweilige Verfügung nun aufgehoben, trete ein erheblicher Marktverwirrungsschaden ein.

Wegen des weitergehenden Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien sowie die zu den Akten gereichten Anlagen verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Der Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 02.09.2010, I-2 U 24/10, ist zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.

I.
Das Landgericht Düsseldorf ist für die begehrte Aufhebungsentscheidung zuständig, da das Oberlandesgericht Düsseldorf die einstweilige Verfügung als Rechtsmittelgericht und nicht als Gericht der Hauptsache erlassen hat (OLG Hamm, OLGZ 1997, 492; OLG Düsseldorf, MDR 1984, 324; Berneke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl., Rn. 284; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 927 Rn. 10).

II.
Der Aufhebungsantrag ist jedoch unbegründet. Veränderte Umstände im Sinne des § 927 ZPO liegen derzeit nicht vor.

1)
Die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 927 Abs. 1 ZPO wegen veränderter Umstände erfolgt, wenn der Fortbestand der einstweiligen Verfügung nicht gerechtfertigt ist, weil die Voraussetzungen für die Eilmaßnahme nachträglich entfallen sind. Eine Überprüfung der ursprünglichen Rechtmäßigkeit der einstweiligen Verfügung steht demgegenüber nicht an.
Als veränderte Umstände, die den Verfügungsgrund oder den Verfügungsanspruch betreffen können, sind zum einen Tatsachen anzusehen, die nach dem Erlass der einstweiligen Verfügung entstanden sind, oder solche Tatsachen, die zwar schon gegeben, dem Aufhebungskläger jedoch unbekannt waren, und zum anderen neue Glaubhaftmachungsmittel, die dem Aufhebungskläger vor Erlass der Eilmaßnahme nicht bekannt oder nicht zur Verfügung standen (Berneke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl., Rn. 275; Musielak, ZPO, 8. Aufl., § 927 Rn. 6; MüKo/Drescher, ZPO, 3. Aufl., § 927, Rn. 4; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 927 Rn. 1). Anerkannt ist darüber hinaus, dass bestimmte rechtliche Veränderungen veränderte Umstand darstellen, wie z. B. die Änderung der Rechtslage durch die Gesetzgebung, die Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung (KG WRP 1990, 330), die Nichtigerklärung der dem Eilverfahren zugrunde liegende Norm durch das Bundesverfassungsgericht (BGH NJW 1989, 106; KG GRUR 1985, 236), das rechtskräftige Obsiegen des Gläubigers im Hauptsacheprozess (Berneke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl., Rn. 280; Musielak, ZPO, 8. Aufl., § 927 Rn. 6), ein vorläufig vollstreckbarer Unterlassungstitel, dessen Abänderung im Rechtsmittelverfahren unwahrscheinlich ist (OLG Hamburg GRUR-RR 2001, 143; OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, 993) oder die rechtskräftige Abweisung der Hauptsacheklage (BGH NJW 1993, 2685; BGH NJW 1988, 2157).
Eine neue rechtliche Beurteilung (durch den Schuldner) genügt indes ebenso wenig wie der „Instanzenfortschritt“ in einem Parallelverfahren (OLGR Bremen 2006, 26) oder einem (markenrechtlichen) Löschungsverfahren (OLG Köln, GRUR 2005, 1070 – Instanzenfortschritt).

2)
Ausgehend hiervon ist im Streitfall kein veränderter Umstand festzustellen, der (derzeit) zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, I-2 U 24/10, führen würde.

Neue Tatsachen oder neue Glaubhaftmachungsmittel im oben ausgeführten Sinne sind nicht vorhanden; hiervon gehen auch die Aufhebungsklägerinnen nicht aus. Ebenso wenig ist eine der anderen genannten Situationen eingetreten. Es ist insbesondere weder eine (rechtskräftige) Entscheidung in der Hauptsache ergangen noch ist eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu konstatieren. Es liegt nunmehr lediglich ein nicht rechtskräftiger Löschungsbeschluss der Gebrauchsmusterabteilung vor, der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf noch nicht ergangen war.

Der Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung vom 12.07.2011 rechtfertigt indes keine Aufhebung der einstweiligen Verfügung, auch wenn den Aufhebungsklägerinnen zuzugeben ist, dass sie die Anforderungen, die an die Schutzfähigkeit eines Gebrauchsmusters zu stellen sind, um hierauf gestützt eine einstweilige Verfügung zu erlangen, zutreffend wiedergeben. Ebenso richtig ist ihr Verweis, dass es sich bei einem Gebrauchsmuster um ein ungeprüftes Schutzrecht handelt und im Löschungsverfahren erstmals eine Überprüfung der unter Schutz gestellten Lehre durch Techniker erfolgt ist.

Gleichwohl ist zu beachten, dass es zu den Aufgaben eines Verletzungsgerichts gehört, in einem Verfahren wegen Gebrauchsmusterverletzung die Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters festzustellen. Das Verletzungsgericht muss hierzu eine eigenständige Einschätzung vornehmen und selbstverantwortlich Feststellungen treffen. Hierbei sind Entscheidungen der Löschungsabteilung des DPMA zwar als gewichtige sachkundige Äußerungen zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen. Es besteht jedoch aufgrund des Trennungsprinzips keine Bindungs- oder Vorrangwirkung einer nicht rechtskräftigen Entscheidung der Löschungsabteilung. Eine solche Wirkung lässt sich weder aus der „Reichweite“ der Entscheidung der Löschungsabteilung im Vergleich zu einer Entscheidung des Verletzungsgerichts entnehmen noch aus den Regeln zur Aussetzung des Verletzungsstreits. § 19 Satz 1 und 2 GebrMG sehen keinen Aussetzungsautomatismus vor, sondern fordern stets eine eigene Einschätzung des Verletzungsgerichts.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat in der einstweiligen Verfügung Feststellungen zur Schutzfähigkeit getroffen. Es hat sich mit den von den Parteien aufgeworfenen Fragen auseinandergesetzt und seine Einschätzung, weshalb es von einem hinreichend sicheren Rechtsbestand ausgeht, ausführlich begründet. Die in dem einstweiligen Verfügungsverfahren im Hinblick auf die Schutzfähigkeit streitigen Punkte und ausgetauschten Argumente entsprechen denjenigen, mit denen sich die Löschungsabteilung des DPMA auseinander gesetzt hat. Sowohl in dem einen wie in dem anderen Verfahren wurden insbesondere die wirksame Abzweigung des Verfügungsgebrauchsmusters und die neuheitsschädliche Vorwegnahme der technischen Lehre des Verfügungsgebrauchsmuster diskutiert. In beiden Verfahren standen dieselben Entgegenhaltungen, dieselben Dokumente und dieselben Argumente zur Entscheidung an. Das Oberlandesgericht Düsseldorf und die Löschungsabteilung des DPMA sind auf derselben Tatsachengrundlage zu unterschiedlichen rechtlichen Wertungen gelangt. Es handelt sich bei dem von dem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf abweichenden Beschluss der Löschungsabteilung mithin nur um eine andere Rechtsansicht, welche keinen Vorrang genießt.

Da ein nichtrechtskräftiger Löschungsbeschluss des DPMA nicht mit der Konstellation vergleichbar ist, dass ein vorläufig vollstreckbarer Unterlassungstitel erlassen worden ist, ist zweifelhaft, ob es vorliegend überhaupt auf die Erfolgsaussichten der gegen den Löschungsbeschluss eingelegten Beschwerde ankommt. Aber selbst wenn dem so wäre, kann im Streitfall keine eindeutige Prognose zugunsten der Entscheidung des DPMA getroffen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerdekammer die Ansicht der Löschungsabteilung teilt, ist ebenso hoch wie die Wahrscheinlichkeit, dass die Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf von der Beschwerdekammer aufgegriffen wird.

Soweit die Aufhebungsklägerinnen auf den vorläufigen Sicherungscharakter einer einstweiligen Verfügung verweisen und bemängeln, die Aufhebungsbeklagte habe bislang keine Hauptsacheklage eingereicht, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Ein Schuldner hat die Möglichkeit, einer einstweiligen Verfügung nicht auf Dauer unterworfen zu sein, indem er gemäß § 926 ZPO die Durchführung des Hauptsacheverfahrens erzwingt oder eine Aufhebung der einstweiligen Verfügung bei Nichterhebung der Hauptsacheklage erwirkt. Überdies ist die Hauptsache bei der Kammer unter dem Aktenzeichen 4b O 281/10 anhängig.

Schließlich hilft auch der Einwand der Aufhebungsklägerinnen, sie erlitten durch das Vertriebsverbot einen „erheblichen finanziellen Schaden“ nicht weiter. Neue Tatsachen und/oder neue Glaubhaftmachungsmittel werden in diesem Zusammenhang nicht vorgebracht, so dass der „erhebliche finanzielle Schaden“ nicht als veränderter Umstand angesehen werden kann.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1,2 ZPO.
Der Streitwert des Verfahrens wird auf 250.000,00 € festgesetzt.