4a O 274/10 – Pramipexol

Düsseldorfer Entscheidung Nr.:  1706

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 16. Juni 2011, Az. 4a O 274/10

Die einstweilige Verfügung vom 08.12.2010 wird im Kostenpunkt (Ziff. IV des Tenors) aufrecht erhalten.

Die weiteren Kosten des Verfahrens werden der Verfügungsbeklagten auferlegt.

Tatbestand:

Die Verfügungsklägerin ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten ergänzenden Schutzzertifikats DE 198 75 XXX (im Folgenden: Verfügungszertifikat) für den Wirkstoff Pramipexoldihydro-chloridmonohydrat. Das Verfügungszertifikat wurde aufgrund des europäischen Patents 186 XXX B1 (DE 35 75 485; im Fol-genden: Grundpatent) erteilt, dessen Erteilung am 23.08.1989 veröffentlicht worden war und das am 16.12.2005 ablief. Bis zu seinem Ablauf am 16.12.2010 stand das Verfügungszertifikat in Kraft.
Gegenstand des Verfügungszertifikats ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der Dopaminrezeptoragonisten. Im Körper wirkt er ähnlich wie der körpereigene Botenstoff Dopamin. Entsprechend findet Pramipexol bei Erkrankungen An-wendung, bei denen der Dopaminstoffwechsel gestört ist. Hierzu zählen insbesondere Morbus Parkinson und idiopathisches Restless Leg Syndrom. Pramipexol ist eine Entwicklung der Verfügungsklägerin. In dem unter dem Handelsnamen „A®“ vermarkteten Arzneimittel ist es als Pramipexolsalz, nämlich Pramipexoldihydrochloridmonohydrat, in den Stärken 0,088 mg, 0,18 mg, 0,35 mg und 0,7 mg (jeweils bezogen auf die freie Base) erhältlich. Pramipexol und dessen Salze waren Gegenstand des Grundpatents. Das auf der Basis des Grundpatents erteilte Verfügungszertifikat schützt das Salz Pramipexoldihydrochloridmonohydrat.

Die Verfügungsbeklagte verfügt ausweislich der DIMDI-Datenbank in der Bun-desrepublik Deutschland über arzneimittelrechtliche Genehmigungen für pramipexolhaltige Arzneimittelprodukte mit dem Handelsnamen „B“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform). Aus der Rubrik „Arzneilich wirksame Bestandteile“ des DIMDI-Datenbankauszugs für „B 0,088 mg“ folgt beispielhaft, dass dieses Arzneimittelprodukt – wie auch die übrigen Dosierun-gen – den Wirkstoff „Pramipexoldihydrochlorid 1 H<2>O“, also Pramipexoldihydrochloridmonohydrat enthält.

Die Verfügungsklägerin macht geltend, die Verfügungsbeklagte habe die angegriffene Ausführungsform bereits vor Ablauf des Verfügungszertifikats durch ihre Außendienstmitarbeiter gegenüber Ärzten und Krankenhäusern beworben. Dies ergebe sich aus einem Marktforschungsbericht („RepInsight“) der GfK SE, Nürnberg, den Marketing-Mitarbeiter eines Schwesterunternehmens der Verfügungsklägerin mit E-Mail vom 04.11.2010 erhielten. In dem als Anlage Ast 9 vorgelegten tabellenförmigen Bericht findet sich hinsichtlich eines am 28.10.2010 von einem Außendienstmitarbeiter der Verfügungsbeklagten mit einem Neurologen geführten Gesprächs in der Spalte F2, in der die Aussage des Neurologen zum Gesprächsinhalt wiedergegeben wird, die Aussage:

„Pramipexol in allen Dosierungsbereichen verfügbar.“

Nach Auffassung der Verfügungsklägerin hat die Verfügungsbeklagte damit das Verfügungszertifikat verletzt.

Die Verfügungsklägerin hat deshalb am 07.12.2010 beim Landgericht Düssel-dorf den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt. Daraufhin hat die Kammer der Verfügungsbeklagten am 08.12.2010 wegen der besonderen Dringlichkeit ohne vorherige mündliche Verhandlung unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt,

Arzneimittel mit dem Wirkstoff Pramipexoldihydrochloridmonohydrat in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.

Zugleich hat die Kammer der Verfügungsbeklagten unter Ziffer III. der Be-schlussverfügung aufgegeben,

a) der Antragstellerin unverzüglich schriftlich und vollständig Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die unter I. bezeichneten Hand-lungen begangen hat, und zwar unter Vorlage eines Verzeichnisses mit folgenden Angaben:

– Menge, Zeitpunkt und Einkaufspreise der erhaltenen und be-stellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

– einzelne Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten und Einkaufspreisen sowie der Namen und An-schriften der gewerblichen Abnehmer, und unter Beifügung von Belegen in Form gut lesbarer Kopien sämtlicher Lieferscheine;

b) die im Besitz oder Eigentum der Antragsgegnerin befindlichen, un-ter I. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Antragstellerin zu bestimmenden örtlich zuständigen Gerichtsvollzieher zum Zwecke der vorläufigen Verwahrung herauszugeben, die andauert, bis über das Bestehen eines Vernichtungsanspruchs zwischen den Parteien rechtskräftig entschieden oder eine einvernehmliche Regelung herbeigeführt worden ist.

Schließlich hat die Kammer der Verfügungsbeklagten unter Ziffer IV. die Kosten des Verfahrens auferlegt.

Gegen diese Beschlussverfügung hat die Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 14.03.2011 Kostenwiderspruch eingelegt.

Sie meint, die Verfügungsklägerin habe sie vor der Einleitung des einstweiligen Verfügungsverfahrens abmahnen müssen. Auch bei einem Sequestrationsanspruch könne regelmäßig nicht davon ausgegangen werden, dass eine Abmahnung bereits deshalb unzumutbar sei, weil die von ihr ausgehende Warnung die Gefahr begründen könne, der Verletzer werde die zu verwahrenden Produkte bei Seite schaffen. Zudem sei eine Erstbegehungsgefahr mehr als zweifelhaft, da die Verfügungsklägerin ihren Verfügungsantrag ausschließlich auf den Bericht eines einzigen Arztes in der GfK gestützt habe, wobei aus dem GfK-Bericht weder der Arztname, noch die Arztpraxis ersichtlich sei. Überdies habe der angebliche Außendienstmitarbeiter der Verfügungsbeklagten, der bei dem angeblichen niedergelassenen Neurologen den in dem GfK-Bericht dokumentierten Be-such abgehalten haben soll, nicht ausfindig gemacht werden können. Vielmehr habe es bei der Verfügungsbeklagten eine klare Anweisung an den Außendienst gegeben, vor dem 17.12.2010 jegliche Werbung oder Marketing-maßnahme zu unterlassen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt daher,

die Kosten des Verfahrens der Verfügungsklägerin aufzuerlegen.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

den Widerspruch zurückzuweisen und die einstweilige Verfügung auch im Kostenpunkt zu bestätigen.

Sie trägt vor, die einstweilige Verfügung sei bereits deshalb zu Recht erlassen worden, weil die Verfügungsbeklagte vorsätzlich versucht habe, ihr Pramipexol-Produkt zwei Tage vor Ablauf des Verfügungszertifikats in der Lauer-Taxe listen zu lassen. Darüber hinaus habe die Verfügungsklägerin ausreichend glaubhaft gemacht, dass der Außendienstmitarbeiter der Verfügungsbeklagten die angegriffene Ausführungsform am 28.10.2010 bei einem niedergelassenen Arzt beworben habe. Schließlich habe sie die Verfügungsbeklagte auch nicht abmahnen müssen, weil im Falle einer Abmahnung der Sequestrationserfolg hochgradig gefährdet gewesen wäre.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die einge-reichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die einstweilige Verfügung war im Kostenpunkt zu bestätigen.

I.
Ohne Erfolg wendet die Verfügungsbeklagte zunächst ein, die Verfügungsklä-gerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass tatsächlich ein Mitarbeiter der Verfü-gungsbeklagten die angegriffene Ausführungsform am 28.10.2010 wie aus dem GfK-Bericht ersichtlich gegenüber einem Neurologen beworben habe. Auch wenn die Verfügungsbeklagte außergerichtlich ihre Abschlusserklärung nur ohne Anerkennung einer Rechtspflicht abgegeben hat, hat sie mit der Erhebung des Kostenwiderspruchs und der gleichzeitigen Berufung auf § 93 ZPO konkludent auf einen Vollwiderspruch verzichtet. Sie kann daher nicht geltend machen, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei unbegründet und die einstweilige Verfügung sei zu Unrecht erlassen worden, sondern vielmehr nur noch vorbringen, dass sie das Verfügungsverfahren nicht im Sinne von § 93 ZPO veranlasst habe (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Auflage, § 12, Rz. 3.42 a. E., Zöller/Herget, ZPO, 28. Auflage, § 93 Rz. 6 „Kostenwiderspruch“).

II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 ZPO. Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten war eine vorherige Abmahnung vorlie-gend entbehrlich, so dass aufgrund des GfK-Berichts für die Verfügungsklägerin auch eine hinreichende Veranlassung zur Einleitung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens bestand. Für die Anwendung von § 93 ZPO bestand somit kein Raum.

Zwar gibt der Verletzer in patentrechtlichen Unterlassungsfällen Veranlassung zur Erhebung der Klage bzw. zur Beantragung einer einstweiligen Verfügung regelmäßig erst, wenn er auf eine Abmahnung nicht oder negativ reagiert (vgl. zum Wettbewerbsrecht: BGH, NJW 1990, S. 1905; BGH NJW-RR 1990 S. 999). In derartigen Fällen, also bei der Geltendmachung patentrechtlicher Unterlas-sungsansprüche, ist die Abmahnung nur dann entbehrlich, wenn sie aus der Sicht des Klägers oder Antragstellers zu der Zeit, zu der er entscheiden muss, ob er im betreffenden Einzelfall abmahnt oder dies unterlässt, bei Anlegung eines objektiven Maßstabs unzumutbar ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse v. 29. 6. 1988 – 2 W 96/88; v. 31. 7. 1985 – 2 W 57/85 und v. 16. 5. 1984 – 2 W 39/84).

Hier geht es jedoch nicht – jedenfalls nicht allein – um die Geltendmachung patentrechtlicher Unterlassungsansprüche, sondern (auch) um die Geltendmachung eines Sequestrationsanspruches auf patentrechtlicher Grundlage. Auch insoweit beurteilt sich die Entbehrlichkeit der Abmahnung danach, ob aus der Sicht der Verfügungsklägerin zu der Zeit, zu der sie entscheiden muss, ob sie im betreffenden Einzelfall abmahnt oder dies unterlässt, dies für sie bei Anlegung eines objektiven Maßstabs zumutbar ist oder nicht. Der Umstand, dass eine Abmahnung dem Verletzer die Möglichkeit eröffnet, zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile den vorhandenen angegriffenen Warenbestand beiseite zu schaffen und damit den Anspruch des Verletzten auf Vernichtung der Ware zu unterlaufen, reicht nicht aus, in diesen Fällen generell eine Abmahnung für unzumutbar zu erachten. Es ist daher zu fragen, wie sich die Situation für die Verfügungsklägerin im Einzelfall darstellte, als sie vor der Entscheidung stand, gerichtlich vorzugehen (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1064, 1065).

Diese Situation war im vorliegenden Fall dadurch gekennzeichnet, dass der Verfügungsklägerin mit dem GfK-Bericht ein konkreter Hinweis darauf vorlag, dass die Verfügungsbeklagte bereits vor dem unmittelbar bevorstehenden Ab-lauf des Verfügungszertifikats mit dem Vertrieb der angegriffenen Ausfüh-rungsform begonnen hatte. Die Verfügungsklägerin hatte weiterhin zu berück-sichtigen, dass es sich bei der angegriffenen Ausführungsform um Medika-mente und damit um kleine und handliche Verletzungsgegenstände handelt, die – gerade unter dem Eindruck des bevorstehenden Ablaufs des Verfügungszertifikats – ohne großen Aufwand abtransportiert werden können.

In derartigen Fällen kann die Verfügungsklägerin, die vor der Entscheidung steht, ihren patentrechtliche Sequestrationsanspruch geltend zu machen, ge-rade im Hinblick auf den kurz bevorstehenden Ablauf des Verfügungszertifika-tes nach der Lebenserfahrung jedoch davon ausgehen, dass die Verfügungs-beklagte, wenn sie zunächst abgemahnt wird, sei es auch nur kurzfristig, die Ware beiseite schafft oder andere Vernebelungsaktionen trifft, um keinen wirt-schaftlichen Schaden zu erleiden, bzw. den wirtschaftlichen Schaden, der mit einer Sicherstellung verbunden sein kann, zu reduzieren. Da für die Verfü-gungsklägerin in einem solchen Fall keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen, die die nach der Lebenserfahrung zu vermutende Gefahr des Beiseiteschaffens ausnahmsweise ausschließen, ist für sie eine Abmahnung in einem solchen Fall unzumutbar.

III.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt bereits aus dem Eilcharakter des einstwei-ligen Verfügungsverfahrens, so dass es insoweit keines gesonderten Aus-spruchs bedurfte.

IV.
Der Streitwert wird bis zum 14.03.2011 auf 500.000,- EUR festgesetzt, danach auf die gesamten Kosten des Verfahrens.