4a O 134/11 – ORC

Düsseldorfer Entscheidung Nr.:  1748

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 27. Oktober 2011, Az. 4a O 134/11

Rechtsmittelinstanz: 2 U 1/12

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens werden der Verfügungsklägerin auferlegt.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des aus diesem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Bei den Parteien handelt es sich um Wettbewerber auf dem Markt für umwelt-freundliche Energieversorgung. Hierzu zählen auch die sogenannten ORC-Verfahren, worunter Verfahren zum Betrieb von Dampfturbinen mit einem anderen Antriebsmittel als mit Wasserdampf zu verstehen sind.

Die Verfügungsbeklagte ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents DE 10 2007 027 XXX B4 (nachfolgend: Verfügungspatent) und des hiervon abge-zweigten deutschen Gebrauchsmusters DE 20 2007 018 XXX U1 (nachfolgend: Verfügungsgebrauchsmuster). Beide Schutzrechte stehen in Kraft, wobei die Verfügungsbeklagte die Ansprüche des Klagegebrauchsmusters mit Schreiben ihres patentanwaltlichen Vertreters vom 29.07.2011 abgeändert hat.
Neben diesen beiden Schutzrechten verfügt die Verfügungsbeklagte über eine Vielzahl weiterer Schutzrechtsanmeldungen. Hierzu gehört unter anderem die internationale Patentanmeldung WO 2008/151XXX A1 (nachfolgend: WO-Anmeldung), welche die Priorität des Klagepatents in Anspruch nimmt, sich jedoch in der konkreten Anspruchsformulierung vom Verfügungspatent unterscheidet. Die auf der WO-Anmeldung basierende EP-Anmeldung wird beim Europäischen Patentamt unter der Anmeldenummer EP 2 156 XXX A1 (nachfolgend: EP-Anmeldung) geführt. Nachdem die Prüfstelle des Europäischen Patentamtes die Erteilung des europäischen Patents in der ursprünglich eingereichten Anspruchsfassung mit Mitteilung vom 19.01.2011 vorläufig abgelehnt hatte, reichte die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 18.02.2011 neue Ansprüche ein, wobei sie ausdrücklich klarstellte, dass sie sich den Ausführungen der Prüfstelle in Bezug auf den ursprünglichen An-spruch 1 nicht anschließen könne. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Anlage ROKH 7 Bezug genommen.

Nachdem die Verfügungsbeklagte Kenntnis davon erlangt hatte, dass die Ver-fügungsklägerin eine ORC-Anlage anbietet, die nach ihrer Auffassung von der technischen Lehre Gebrauch macht, wobei auf der Internetseite der Verfü-gungsklägerin darauf hingewiesen wurde, dass ab September 2011 in Zusammenarbeit mit der deutschen A GmbH die Inbetriebnahme einer solchen ORC-Anlage in Nordrhein-Westfalen geplant sei, versandte die Verfü-gungsbeklagte an die Verfügungsklägerin das durch die Verfügungsklägerin als Anlage ROKH 8 vorgelegte Schreiben vom 13.07.2011, hinsichtlich dessen Inhalts auf diese Anlage Bezug genommen wird. Am selben Tag schickte die Verfügungsbeklagte eine Kopie dieses Schreibens an die A GmbH.

Die Verfügungsklägerin nahm das Schreiben der Verfügungsbeklagten zum Anlass, die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 21.07.2011 durch ihre nie-derländischen Patentanwälte abmahnen zu lassen. Die Abmahnung war im Wesentlichen darauf gestützt, dass die in dem Schreiben genannten Schutz-rechte angeblich unwirksam seien. Eine Verwirklichung der Merkmale dieser Schutzrechte stellte die Verfügungsklägerin demgegenüber nicht in Abrede.
Nach Auffassung der Verfügungsklägerin stellen die Schreiben der Verfü-gungsbeklagten irreführende geschäftliche Handlungen, eine wettbe-werbswidrige Anschwärzung gegenüber Kunden der Verfügungsklägerin sowie eine Herabsetzung und Verunglimpfung dar, indem diese suggerierten, die Verfügungsklägerin und ihre Kunden würden die beiden Schutzrechte der Verfügungsklägerin verletzen. Dabei wisse die Verfügungsbeklagte genau, dass die Schutzrechte, auf die sie sich berufe, fehlerhaft eingetragen worden seien und in dem hier relevanten Umfang keinesfalls rechtsbeständig seien. Sie habe daher im parallelen Eintragungsverfahren die Konsequenzen gezogen und die Schutzansprüche eingeschränkt. Gleichwohl erwecke sie den Anschein, die von ihr als vermeintlich verletzt herausgestellten Schutzrechte seien über jeden Zweifel erhaben.

Die Verfügungsklägerin hat daher mit Schriftsatz vom 08.08.2011 den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Antrag begehrt,

der Verfügungsbeklagten bei Meidung eines vom Gericht festzusetzen-den Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungs-haft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu verbieten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihren jeweiligen Geschäftsführern zu vollstrecken ist,

irreführende und anschwärzende geschäftliche Handlungen vorzunehmen, wie nachfolgend wiedergegeben:
Die Verfügungsbeklagte beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Nach Auffassung der Verfügungsbeklagten handelt es sich bei den durch sie versandten Schreiben weder um eine Irreführung, noch um eine Anschwärzung oder Herabsetzung bzw. Verunglimpfung. Die Verfügungsbeklagte habe ein berechtigtes Interesse daran, bei der unbe-rechtigten Verwendung ihrer eingetragenen und in Kraft stehenden Schutz-rechte aktiv zu werden. Dabei habe die Verfügungsbeklagte auch keine Ver-pflichtung getroffen, auf den Stand des Anmeldungsverfahrens in Bezug auf die EP-Anmeldung hinzuweisen, da das Schreiben der Verfügungsbeklagten, bei dem es sich um eine Berechtigungsanfrage handele, ohnehin nur auf das Verfügungspatent und das Verfügungsgebrauchsmuster gestützt gewesen sei. Zudem habe die Verfügungsbeklagte im EP-Anmeldeverfahren auch ausdrücklich klargestellt, dass sie die Auffassung der Prüfungsabteilung nicht teile. Eine Einschränkung der Patentansprüche sei nur vorgenommen worden, um das Erteilungsverfahren nicht noch weiter zu verzögern. Schließlich fehle es den Schreiben auch an der wettbewerbsrechtlichen Relevanz.

Die Verfügungsklägerin hat klargestellt, dass sie sich vorrangig auf den Vorwurf der Irreführung bezieht.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die einge-reichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat in der Sache keinen Erfolg. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht der Verfügungsklägerin weder unter dem Gesichtspunkt der Irreführung, noch der Anschwärzung bzw. der Herabsetzung und Verunglimpfung von Mitbewerbern zu, §§ 8 Abs. 1 UWG i. V. m. §§ 3, 4 Nrn. 7 und 8, 5 Abs. 2 S. 1 und S. 2 Nr. 3 UWG.

I.
Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin handelt es sich bei den streitgegenständlichen Schreiben um keine irreführenden geschäftlichen Handlungen, so dass die Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 3 UWG nicht vorliegen.

1.
Bei dem durch die Verfügungsbeklagte an die Verfügungsklägerin versandten Schreiben handelt es sich um keine Abmahnung, sondern um eine Berechti-gungsanfrage.

a)
Eine Abmahnung ist das eindeutige, ernsthafte und endgültige, ausdrücklich oder konkludent geäußerte Verlangen gegenüber einem bestimmten Adressa-ten, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen. Keine Abmahnung liegt daher vor, wenn der Betroffene – wenn auch nachdrücklich – nur zur Stellungnahme zu einem bestimmten Verhalten auffordert oder anfragt, aus welchen Gründen sich der Adressat zur Benutzung berechtigt hält. Das gilt auch, wenn für den Fall des Ausbleibens einer Antwort gedroht wird, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen (vgl. BGH GRUR 1997, 896 Mecki-Igel III).

b)
Vor diesem Hintergrund stellt das durch die Verfügungsbeklagte an die Verfü-gungsklägerin versandte Schreiben keine Abmahnung, sondern eine bloße Berechtigungsanfrage dar.

Zurecht weist die Verfügungsklägerin darauf hin, dass die Verfügungsbeklagte in dem Schreiben für den Fall einer ausbleibenden Antwort gerichtliche Schritte androht. Allein dies reicht jedoch nicht, um das Schreiben als Abmahnung anzusehen. Wie dem Schreiben weiter zu entnehmen ist, fordert die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin auf, dazu Stellung zu nehmen, inwiefern sich die Verfügungsklägerin berechtigt sieht, ohne Lizenz Gebrauch von den Schutzrechten der Verfügungsbeklagten zu machen. Somit war für jeden Empfänger des Schreibens klar, dass es der Verfügungsbeklagten gerade um einen Mei-nungsaustausch in Bezug auf eine mögliche Schutzrechtsverletzung und ge-rade nicht darum ging, die Verfügungsklägerin oder die A GmbH als Empfängerin einer Kopie des Schreibens zur Unterlassung zu verpflichten. Dass es der Verfügungsbeklagten gerade um einen außergerichtlichen Mei-nungsaustausch ging, verdeutlicht im Übrigen auch der auf Seite 2 des an die Verfügungsklägerin gerichteten Schreibens enthaltene Hinweis, die Verfügungsbeklagte habe kein primäres Interesse an einer gerichtlichen Auseinandersetzung, sondern strebe vielmehr eine Lizenzvergabe an.

2.
Die durch die Verfügungsbeklagte versandte Berechtigungsanfrage ist nicht irreführend.

a)
Zwar weist die Verfügungsklägerin zurecht darauf hin, dass eine an Abneh-mer eines Konkurrenten gerichtete Berechtigungsanfrage als irreführende geschäftliche Handlung untersagt werden kann, wenn sie zwar detaillierte An-gaben zur Anmeldung, Veröffentlichung und Erteilung des Schutzrechts sowie den Hinweis enthält, dieses befinde sich in Kraft, jedoch nicht erwähnt, das gegen die Erteilung des Schutzrechts ein Rechtsbestandsverfahren anhängig ist (so auch OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2008, 197). Dies setzt jedoch voraus, dass die in der Berechtigungsanfrage enthaltenen Informationen über den Bestand des Schutzrechts irreführend sind. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn es an der vollständigen Wiedergabe wesentlicher Informationen fehlt.

b)
Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor.

Zum Einen hat die Verfügungsbeklagte in dem durch sie versandten Schreiben die Schutzrechtslage nicht detailliert dargelegt, sondern lediglich darauf hingewiesen, sie sei Inhaberin des Verfügungspatents sowie des Verfügungsgebrauchsmusters, die auch in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft stünden. Bereits daraus war für den Empfänger ohne Weiteres erkennbar, dass nicht alle relevanten Umstände angeführt waren, so dass der die Irreführung begründende Umstand bereits aus diesem Grund fehlt.

Zum Anderen war das durch die Verfügungsbeklagte versandte Schreiben in-haltlich zutreffend. Wie bereits dem Betreff des Schreibens zu entnehmen ist, stützte die Verfügungsbeklagte ihre Berechtigungsanfrage ausschließlich auf das Verfügungspatent und das Verfügungsgebrauchsmuster. Diese waren im Zeitpunkt des Versands des Schreibens unstreitig in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Der Umstand, dass die Ansprüche des Verfügungsge-brauchsmusters durch die Verfügungsbeklagte eingeschränkt wurde, vermag eine Irreführung demgegenüber bereits deshalb nicht zu begründen, weil die Einschränkung erst nach dem Versand der Schreiben erfolgte. Für die Frage der Rechtmäßigkeit der Schreiben ist jedoch der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem diese versandt wurden. Im Übrigen kommt es für die Frage der Rechtmäßigkeit der Berechtigungsanfrage auch nicht darauf an, ob tatsächlich eine Schutzrechtsverletzung vorliegt, da die Berechtigungsanfrage gerade dazu dient, die Frage des Vorliegens einer Schutzrechtsverletzung zu klären.

Soweit die Verfügungsbeklagte in ihrer Berechtigungsanfrage zusätzlich darauf hinweist, es sei auch eine europäische Patentanmeldung mit derselben Priorität anhängig, rechtfertigt auch dieser, lediglich allgemein ge-haltene Hinweis keine andere Bewertung. Da aus dem Schreiben der Verfügungsbeklagten deutlich hervorgeht, dass es sich um eine Patentanmeldung handelt, ist klar, dass insoweit eine Schutzrechtserteilung noch nicht erfolgt ist, so dass die Patentanmeldung im Erteilungsverfahren auch noch Änderungen erfahren kann. Entsprechend kann sich die Verfügungsklägerin auch nicht darauf berufen, die Verfügungsbeklagte habe im parallelen Patenterteilungsverfahren – unabhängig davon, dass dies dem einen ausdrücklichen Hinweis, die Verfügungsbeklagte teile die Auffassung des Prüfers nicht, enthaltenden Schreiben nicht zu entnehmen ist – selbst eingeräumt, dass ihr Verfügungspatent ebenso wie das Verfügungsgebrauchsmuster nicht rechtsbeständig sei. Im Übrigen kann insoweit nicht unberücksichtigt bleiben, dass es sich bei der Europäischen Patentanmeldung und den Verfügungsschutzrechten um selbstständige Schutzrechte handelt, die in ihrem Rechtsbestand voneinander unabhängig sind.

2.
Inwieweit es sich bei dem durch die Verfügungsklägerin versandten Schreiben um eine wettbewerbsrechtlich unzulässige Anschwärzung handeln soll, ist weder hinreichend vorgetragen, noch ersichtlich.

Eine Anschwärzung setzt gemäß § 4 Nr. 8 UWG voraus, dass über die Waren, Dienstleistungen oder das Unternehmen eines Mitbewerbers oder über den Unternehmer oder ein Mitglied der Unternehmensleitung Tatsachen behauptet oder verbreitet werden, die geeignet sind, den Betrieb des Unternehmens oder den Kredit des Unternehmers zu schädigen, sofern die Tatsachen nicht erweislich wahr sind. Letzteres ist hier jedoch – wie bereits dargelegt – der Fall, da die Verfügungsbeklagte sowohl eingetragene Inhaberin des Verfügungspatents, als auch des Verfügungsgebrauchsmusters ist, die auch in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft stehen. Zudem ist auch – unstreitig – eine europäische Patentanmeldung mit derselben Priorität anhängig. Schließlich erfolgte auch die Einschränkung des Klagegebrauchsmusters erst nach dem Versand der streitgegenständlichen Schreiben, so dass auch insoweit keine Aufklärungspflicht bestand.

3.
Schließlich handelt es sich bei den durch die Verfügungsbeklagte versandten Schreiben auch um keine Herabsetzung von Mitbewerbern i. S. v. § 4 Nr. 7 UWG. Wahre Tatsachenbehauptungen sind grundsätzlich selbst dann zulässig, wenn sie geschäftsschädigend sind, soweit ein sachlich berechtigtes Informationsinteresse der angesprochenen Verkehrskreise besteht (vgl. BGH GRUR 1966, 633, 635 – Teppichkehrmaschine; BGH GRUR 1964, 392, 394 – Weizenkeimöl; Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Auflage, § 4 Rz. 7.16). Ein derartiges Informationsinteresse war vorliegend bereits deshalb gegeben, weil die Verfügungsklägerin auf ihrer Internetseite mitteilte, dass für September 2011 in Zusammenarbeit mit der A GmbH die Inbetriebnahme einer ORC-An-lage geplant sei. Da diese Anlage nach Auffassung der Verfügungsbeklagten jedoch von der technischen Lehre Gebrauch macht, hatte die Verfügungsbe-klagte bereits aus diesem Grund ein schutzwürdiges Interesse daran, dass auch die A Kenntnis der Berechtigungsanfrage erlangt. Dass die an die Verfügungsklägerin adressierte Berechtigungsanfrage an andere Kunden als die A GmbH weitergeleitet wurde, ist demgegenüber weder hinreichend vorgetragen, noch ersichtlich.

II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 708 Nr. 6, 711 S. 1 und 2 ZPO; 108 ZPO.

Der Streitwert wird auf 50.000,- EUR festgesetzt.